| # taz.de -- Netflix-Serie „Eric“: Versöhnung mit den Monstern | |
| > In der Netflix-Serie „Eric“ wird das Monster in uns nicht wie so oft | |
| > weggesperrt – eine zeitgemäße Darstellung vom Umgang mit eigenen Dämonen. | |
| Bild: Monster Eric und Vincent (Benedict Cumberbatch) | |
| Monster zur symbolischen Projektionsfläche für destruktive Anteile [1][in | |
| Filmfiguren] zu nutzen, ist ein naheliegendes Vorgehen – das, was in uns | |
| wütet und tobt, wird greifbar, sichtbar und nicht zuletzt besiegbar. Es | |
| (die Sucht, die Aggression, das Trauma) wird zum benennbaren Gegner, zum | |
| von der Figur abgespaltenen Feind, der, einmal besiegt und an seinen Platz | |
| zurückgewiesen, Ruhe gibt und der Integrität der Filmfigur nichts anhaben | |
| kann. | |
| In „The Babadook“ (2014) etwa kämpfen Mutter und Sohn gegen das [2][Trauma] | |
| an, das der Tod des Ehemanns und Vaters bei einem Autounfall auslöste. Als | |
| das Monster in den Keller verbannt wird, beginnt die Heilung. So weit, so | |
| überholt. Unsere inneren Monster verschwinden nicht, und lassen sich schon | |
| gar nicht mal eben in Kellerräume einsperren. | |
| Dem Psychiater [3][Carl Gustav Jung] wird die Aussage „Wogegen du dich | |
| wehrst, bleibt bestehen“ zugeschrieben. Die von ihm so bezeichneten | |
| „Schatten“, die schädlichen, unliebsamen Realitäten unseres Inneren, | |
| müssen, so die These der von ihm begründeten analytischen Psychologie, | |
| angesehen und konstruktiv behandelt, nicht bekämpft werden. | |
| Der BAFTA-prämierten Drehbuchautorin und Dramatikerin Abi Morgan („Shame“, | |
| „Die Eiserne Lady“) und ihrer neuen Miniserie „Eric“ ist nun zu verdank… | |
| dass dieser versöhnliche Umgang mit Monstern auf unsere Bildschirme rückt. | |
| Der neunjährige Edgar verschwindet auf dem Weg zur Schule. Sein Vater | |
| Vincent (Benedict Cumberbatch), Erfinder eines Puppentheaters für Kinder, | |
| schwerer Alkoholiker und dysfunktionales, cholerisches Familienoberhaupt, | |
| versinkt in Selbstvorwürfen, Scham und Verzweiflung. Während seine Frau | |
| (Gaby Hoffmann) die Polizeiarbeit zu unterstützen versucht, verliert sich | |
| Vincent in dem Zwangsgedanken, er müsse für Edgars Wiederkehr das Monster | |
| auf die Bühne bringen, das sein Sohn vor seinem Verschwinden immer wieder | |
| gemalt hat: Eric. | |
| ## Schwerfällig, blau, strubbelig | |
| Eric ist allerdings, und das ist der große Verdienst und die herausragende | |
| Originalität dieser Serie, keinesfalls ein echtes Monster. Er ist ein | |
| Monster, wie Kinder es malen – groß, schwerfällig, blau, strubbelig. Er | |
| ist, so erklärt es Vincent, „der Schatten, der hinter uns allen lauert und | |
| gleichzeitig das Allerbeste und das Allerschlimmste in uns. Er ist das | |
| Monster, das uns begleitet.“ | |
| Eric wird zu Vincents wichtigstem Komplizen auf der Suche nach seinem Sohn, | |
| zum schlimmsten inneren Feind und verlässlichsten Begleiter zugleich. „Wir | |
| zeigen keine Schädlinge und Abflusskanäle, wir zeigen den grünen Park und | |
| die Skyline“, erklärt Vincent zu Beginn der Serie im Filmstudio seiner | |
| Kindersendung und muss im Verlauf der Episoden lernen, dass ein | |
| Nichthinsehen nichts löst. In fast überdeutlicher Analogie muss das New | |
| York der 1980er, Schauplatz der Serie, die verdrängt geglaubten Abgehängten | |
| der Gesellschaft, die Wohnungslosen, die unterirdisch in U-Bahn-Schächten | |
| leben, endlich wahrnehmen, und die von Homophobie und Rassismus zerfressene | |
| Polizei ihren Dreck ans Tageslicht holen. | |
| Neben dem Verschwinden des kleinen, weißen Edgars wird konsequent ein | |
| weiterer Erzählstrang rund um den ebenfalls verschwundenen, von der | |
| Öffentlichkeit allerdings kaum beachteten Schwarzen Marlon und den | |
| Schwarzen, homosexuellen Hauptkommissar Ledroit (unaufdringlich und | |
| hervorragend gespielt von McKinley Belcher III), der täglich homophobe | |
| Demütigungen ertragen muss, entwickelt. | |
| Eric verschwindet genauso wenig, wie Heilung ein linearer Prozess ist. Er | |
| bleibt bis zur letzten Szene. Eine zeitgemäße und endlich nicht länger | |
| euphorisierte Darstellung vom Schrecklichen in uns und von einer | |
| realistischen Weise, sich zu ihm zu verhalten. Jung hätte seine helle | |
| Freude an dieser Serie gehabt. | |
| 29 May 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Marie-Sofia Trautmann | |
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