| # taz.de -- Schriftsteller Martin Suter: „Ich habe Geschichten ausprobiert“ | |
| > Martin Suters neuer Roman „Montecristo“ behandelt einen Finanzskandal in | |
| > der Schweiz. Ein Gespräch über Provinzialität, Steuerbetrug und | |
| > Feindbilder. | |
| Bild: Martin Suters Roman beginnt mit zwei doppelten Frankenscheinen und endet … | |
| taz: Herr Suter, wie sind Sie auf die Idee gekommen, für Ihren aktuellen | |
| Roman die Story um einen Finanzskandal in der Schweiz zu gruppieren? | |
| Martin Suter: Ich suche immer Geschichten, weniger Themen. Und diesmal habe | |
| ich mehrere ausprobiert und eine davon war die Geschichte, die durch ein | |
| paar sehr unwahrscheinliche Zufälle etwas sehr Großes und Bedrohliches | |
| aufrollt. Zwei Banknoten mit der gleichen Seriennummer, das ging mir nicht | |
| mehr aus dem Kopf. Ich habe dann eine andere Geschichte, an der ich | |
| arbeitete, weggelegt und musste zuerst diesen Roman schreiben. | |
| Sie haben sich bei Ihrer Handlung, nicht für eine komplizierte | |
| algorithmische computergesteuerte Betrugskette entschieden, sondern der | |
| Ausgangspunkt bei dem Verbrechen in „Montecristo“ liegt bei der monetären | |
| Deckung von Finanzspekulationen, bei der guten alte Druckerei und den | |
| Geldscheinen. Etwas altmodisch könnte man meinen. Warum Druckerei und | |
| Geldscheine? | |
| Also ich weiß schon, dass wenn man einen Riesenverlust decken muss, dass | |
| diese Milliardenbeträge mehr Zahlen auf einem Computer sind als echte | |
| Geldscheine darstellen. Aber immer wieder lese ich, jetzt gerade anlässlich | |
| der Griechenlandkrise, dass die Banken darauf achten, dass ihre Bankomaten | |
| immer gut gefüllt sind. Sobald die Leute den Verdacht hätten, den Banken | |
| könnte das Geld ausgehen, käme es zu Panik und einem Banken-Run. Die Leute | |
| würden ihre Konten plündern. Und das wäre das Ende der Banken. Die Banken | |
| haben natürlich nie das gesamte Guthaben ihrer Kunden im Tresor verfügbar. | |
| Ich habe Bilder einer Bankfiliale aus China gesehen. Die Bank war bedroht. | |
| Die haben hinter die Glasscheiben der Schalter Berge von Banknoten | |
| hingelegt, einfach um den Leuten ein Sicherheitsgefühl zu geben. | |
| In Ihrem Roman geht es aber genau um das Gegenteil: es muss verborgen | |
| werden, dass zu viele Geldscheine im Umlauf sein könnten? | |
| Genau, in dieser Geschichte waren die zu viel gedruckten Geldscheine nur | |
| für die Eventualität gedacht. Spielgeld sozusagen. [1][Wo „Montecristo“ in | |
| die Geschichte einsteigt,] hätten diese Not-Noten schon wieder geschreddert | |
| sein sollen. | |
| Sie haben Ihrem Buch ein Nachwort beigefügt. In diesem danken Sie dem | |
| früheren Direktor der Eidgenössischen Finanzverwaltung und auch dem | |
| Bundesrat a. D. Moritz Leuenberger. Wie haben Sie für „Montecristo“ | |
| recherchiert? | |
| Schon ein bisschen anders als sonst. Normalerweise denke ich mir eine | |
| Geschichte aus und dann fange ich an, sie zu schreiben. Und so wie ich mir | |
| vorstelle, dass das sei, recherchiere ich dann dazu und sichere das | |
| Faktische ab. | |
| Dieses Mal waren Sie sich aber unsicher, ob das so klappt? | |
| Ich hatte mir einen Plot ausgedacht und den Eindruck, ich muss jetzt mit | |
| Fachleuten reden, ob das überhaupt so halbwegs vorstellbar ist. Ein Peter | |
| Siegenthaler ist sehr kompetent, der hat große finanzielle und moralische | |
| Tiefschläge der Schweizer gemanagt. Zum Beispiel das Grounding der | |
| Fluggesellschaft Swiss Air. Oder die Rettung des Schweizer Großbank UBS. Er | |
| stand der „Too big to fail“-Kommission vor, die Wege aus Finanz- und | |
| Bankenkrise finden sollte. | |
| Bei aller Recherche: Am Ende ist der Ausgangspunkt Ihrer Geschichte die | |
| Kontrolle über jene Druckerei geblieben, die die Lizenz zum Gelddrucken | |
| inne hat. Hielten Ihre Gesprächspartner, immerhin gehören sie zu den Eliten | |
| der Schweiz, ein solches kriminalistisches Szenario mit Mord und Totschlag | |
| für plausibel? | |
| Die haben natürlich alle gesagt, das ist sehr unwahrscheinlich, aber wir | |
| spielen mit. Tun wir einfach mal so, als wäre es wahrscheinlich. Peter | |
| Siegenthaler hat dann das Manuskript gelesen und mir gesagt: Ja, tolle | |
| Geschichte, gefällt mir gut, aber in meiner Zeit als Staatsbeamter ist der | |
| Staat nie so weit gegangen wie in Ihrem Buch. | |
| Den Bankern in Ihrem Roman scheint es weniger darum zu gehen, sich selbst | |
| zu bereichern, als die Nation vor dem kollektiven Finanzkollaps zu retten. | |
| Sie glauben im übergeordneten nationalen Interesse zu handeln, als wahre | |
| Patrioten. Sieht man sich so im Lager des Finanzkapitals? | |
| Also ich habe mit Leuten gesprochen, die ich kannte und die nicht diesem | |
| Extrembild, diesem Bankerfeindbild entsprechen, das wir inzwischen haben, | |
| haben müssen. Urs Rohner zum Beispiel, der Präsident der Credit Suisse ist | |
| ein kultivierter, toleranter und belesener Mensch. Ich habe mich ja nicht | |
| richtig in die Höhle des Löwen vorgewagt, nicht wallraffmäßig recherchiert. | |
| Sie sprechen vom Feindbild, aber um die Banken in der Schweiz, gab und gibt | |
| es immer wieder Diskussionen. Stichworte: Geldwäsche und Steuerbetrug. Im | |
| länderübergreifenden Sonntagskrimi „Tatort“ polemisieren die Schweizer | |
| Ermittler aber auch schon mal kräftig gegen die Deutschen, die mit | |
| geklauten Dateien Steuersünder in der Schweiz ausfindig machen, aber selber | |
| viel schlimmer wären. Ein Deutscher, nicht ein Schweizer Staatssekretär als | |
| Kopf der Verschwörung … | |
| Sehen Sie nur … | |
| Offenbar halten viele Schweizer die Interessen des Finanzplatzes für die | |
| eigenen. | |
| Ja, so ist die Tradition, auch wenn es in letzter Zeit ein bisschen am | |
| Kippen ist. Die Schweizer haben in den letzten 200 Jahren gefunden, es geht | |
| den Staat nichts an, was ich auf dem Konto habe. Und wenn es mir gelingt, | |
| ihm das zu verheimlichen, dann ist das okay so. Der Staat macht auch heute | |
| noch diesen Unterschied zwischen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung. Das | |
| eine sei so mehr Vergesslichkeit und das andere kriminelle Energie. Man | |
| darf also vergessen, etwas zu deklarieren, aber man darf es nicht | |
| absichtlich tun. | |
| Und was, wenn man bei der Vergesslichkeit erwischt wird? | |
| Wenn man bei der Vergesslichkeit erwischt wird, dann wird das nicht sehr | |
| streng geahndet. Also, wenn der Hoeneß das jetzt aus Vergesslichkeit | |
| gemacht hätte, dann wäre er in der Schweiz nicht ins Gefängnis gekommen, | |
| sondern hätte vielleicht eine Buße bezahlen müssen. Also das ist eine Art | |
| Gentlemen’s Agreement zwischen dem Staat und dem Bürger. Und natürlich | |
| haben die Schweizer Banken hier nicht nur für die Schweizer Bürger | |
| gehandelt, sondern auch international. | |
| Dann sind ja die Schweizer eigentlich die viel schlimmeren Griechen? | |
| Ja, schon. Dass das internationale Bankengeheimnis verschwunden ist, ärgert | |
| die Schweizer im Zweifel jetzt nicht so. Aber was das jetzt mit sich zieht, | |
| eine Gefährdung des nationalen Bankengeheimnisses, da geht es dann | |
| natürlich ans Lebendige. | |
| taz: Herr Suter, Ihre Charaktere wirken einerseits bodenständig und | |
| provinziell, andererseits international und glamourös. Ihre männliche | |
| Hauptfigur, der Videojournalist Jonas Brand, ist ein sympathischer Träumer. | |
| Ihre Weibliche, Marina Ruiz, ist eine sehr attraktive, selbstbewusste | |
| Person aus einer binationalen Verbindung. Wie typisch sind solche Personen | |
| für die heutige städtische Bevölkerung der Schweiz? | |
| Ja, also wo soll ich anfangen? Vielleicht bei der Figur des Jonas Brand: | |
| ein Lifestyle-Videojournalist, der einen CEO anruft und sagt: Ich will ein | |
| Porträt von Ihnen machen. Wird vorgelassen, auch wenn er den CEO nicht | |
| einfach so kennt, sondern unter dem Vorwand ein Porträt zu machen, dort | |
| reinkommt. Figuren wie Marina – also Secondos, Einwanderer der zweiten | |
| Generation – die aus einer Regenbogenfamilie stammen, halb Filipina, halb | |
| Schweizerin, die sind auch bei uns fast schon der Normalfall. Und Leute wie | |
| Jonas Brand, die einen Traumberuf haben, diesen aber nicht wirklich ausüben | |
| wollen, davon gibt es viele. Ich selber war auch lange Jahre so einer. Ich | |
| war in der Werbung, wollte aber eigentlich Literatur machen. Im Unterschied | |
| zu meinem Jonas Brand habe ich aber früh gemerkt: Du kannst das nicht | |
| widerwillig machen, sonst wirst du ein unglücklicher Mensch. | |
| Die Entscheidungsträger aus der Finanzwelt stehen in „Montecristo“ am Ende | |
| ziemlich schlecht da. Bekommen Sie nicht Bemerkungen im Sinne: Jetzt treibt | |
| er’s aber zu weit? | |
| Also bis jetzt kann ich noch unbehelligt durch die Stadt gehen. Die meisten | |
| merken ja, dass das Fiktion und kein Enthüllungsroman ist. | |
| 29 Mar 2015 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Martin-Suters-neuer-Roman/!156181/ | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Fanizadeh | |
| ## TAGS | |
| Schweiß | |
| Banken | |
| Martin Suter | |
| Martin Suter | |
| öffentlich-rechtliches Fernsehen | |
| Regenbogenfamilie | |
| Regenbogenfamilie | |
| Wannsee | |
| IWF | |
| Kunst | |
| Schweiß | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Martin Suter im Stichwort-Interview: „Geld ist da, um es auszugeben“ | |
| Früher Werber, heute sehr erfolgreicher Schriftsteller im deutschsprachigen | |
| Raum: Martin Suter. Hier antwortet der Schweizer in maximal drei Sätzen. | |
| Verfilmung von Martin Suter-Romanen: Bestseller in primetimetauglich | |
| Die ARD zeigt die beiden ersten Detektivromane von Martin Suter. Es ist | |
| eine armselige Verfilmung mit Fehlbesetzung. | |
| Zum Tag der Regenbogenfamilien: „Berlin ist für uns ein guter Ort“ | |
| Lesben und Schwule mit Kindern gehören vielerorts zum Alltag. | |
| Diskriminierung gebe es aber weiterhin, so Constanze Körner vom | |
| Regenbogenfamilienzentrum. | |
| Leben in der Regenbogenfamilie: „Wir sind komplett, so wie wir sind“ | |
| Lena Herrmann-Green wurde mit einer anonymen Samenspende gezeugt. Sie ist | |
| in einer Regenbogenfamilie aufgewachsen. | |
| Neuer Krimi von Elisabeth Herrmann: Wölfe sind soziale Wesen | |
| In „Der Schneegänger“ wirbelt eine Polizistin Staub in der Welt der Reichen | |
| am Berliner Wannsee auf. Ein komplexes gesellschaftliches Desaster. | |
| Griechenlands Kredite: Varoufakis sichert Zahlung zu | |
| Den Gläubigern verpflichtet: Athen will einen Kredit in Höhe von 450 | |
| Millionen Euro zurückzahlen. Das besprach der griechische Finanzminister | |
| mit IWF-Chefin Lagarde. | |
| Letzter Rundgang auf der Buchmesse: Suche nach dem Hype | |
| Romane, Gedichte, Mischformen. Was wird das nächste große literarische | |
| Ding? Vermeintliche Hippes wirkt oft besonders altbacken. | |
| Martin Suters neuer Roman: Zwei Blüten und ein Videojournalist | |
| Mit „Montecristo“ schreibt Suter den Gesellschaftsroman der Saison: Banken- | |
| und Bandenkriminalität vor alpiner Kulisse. | |
| Geschäfte mit Schweizer Bank UBS: Leipzigs Giftpapiere | |
| Die Manager der Leipziger Wasserwerke haben sich im internationalen | |
| Finanzdschungel verzockt, die Risiken betragen 290 Millionen. Mit im | |
| Geschäft ist auch die Schweizer Bank UBS. | |
| Martin Suter im Interview: "Weynfeldt würde nicht SVP wählen" | |
| Der Schweizer Autor hat mit "Der letzte Weynfeldt" eine Hommage auf den | |
| konservativen Bohemien geschrieben. Ein Gespräch über Rechtspopulist | |
| Blocher und das Aussterben der Konservativen mit Stil. |