# taz.de -- Leben in der Regenbogenfamilie: „Wir sind komplett, so wie wir si… | |
> Lena Herrmann-Green wurde mit einer anonymen Samenspende gezeugt. Sie ist | |
> in einer Regenbogenfamilie aufgewachsen. | |
Bild: Und vielleicht gibt es auch hier bald eine Regenbogenfamilie: Hochzeit in… | |
Lena Herrmann-Green ist 19 Jahre alt, sie studiert Politik- und | |
Verwaltungswissenschaften an der Universität Konstanz, hat einen jüngeren | |
Bruder, Dylan (16), und eine jüngere Schwester, Mia (13). Auf den ersten | |
Blick ist ihr Leben nichts besonderes, aber doch ist sie es gewöhnt, | |
Interviews zu geben. Denn sie und ihre Geschwister sind aus einer anonymen | |
Samenspende entstanden und gehören zu den ersten Kindern aus | |
Regenbogenfamilien in Deutschland. Regenbogenfamilien sind Familien, in | |
denen mindestens ein Elternteil sich als lesbisch, schwul, queer oder | |
trans* definiert. | |
„Wenn ich sage, ich habe zwei Mütter, ist die häufigste Reaktion die Frage, | |
ob ich nicht meinen Vater vermisse und kennenlernen möchte“, berichtet Lena | |
Herrmann-Green mit einer Routine, die den jahrelangen Medienkontakt schon | |
erahnen lässt. Bereits mit neun Jahren hat sie an einem Buch zum Thema | |
mitgearbeitet, erst vor Kurzem sprach sie vor dem Europäischen Parlament, | |
und im Oktober dieses Jahres war sie eine der Hauptrednerinnen bei der | |
Regenbogenfamilienkonferenz in Lissabon. | |
„Ich habe ein Problem mit der Definition ‚Vater‘, denn das ist für mich | |
jemand, der einen liebt und da ist. In dem Sinn habe ich keinen Vater, | |
sondern zwei Eltern, die mich lieben, und ich brauche nicht noch jemanden. | |
Wir sind komplett, so wie wir sind, da fehlt nichts.“ Die ständige Frage | |
nach dem Vater zeige, wie sehr Familienmodelle, die nicht dem | |
traditionellen Vater-Mutter-Kind-Konzept entsprechen, disqualifiziert | |
werden. Dem müsse endlich ein Ende gesetzt werden. Sie wirft ihre langen | |
Haare zurück und verdreht die Augen: „Ja, ich bin aus Insemination | |
entstanden und habe keine drei Augen.“ | |
Als Kind habe sie das Interesse an ihrer Familie genossen und gern darüber | |
geredet. „Ich habe es damals allen offen erzählt, aber meine | |
Familiensituation hat nicht meinen Alltag bestimmt“, sagt sie heute. Eine | |
ihrer Mütter ist Lisa Green, Psychotherapeutin und Mitbegründerin von | |
Nelfa, dem Network of European LGBT Families Associations. | |
## Das Interesse verstehen | |
Für Lisa Green ist klar, dass Kinder in Regenbogenfamilien ihre Familie als | |
„normal“ wahrnehmen, aber erst verstehen müssen, warum die Welt ihnen | |
Interesse entgegenbringt. Sie müssen sozusagen erst in die heterosexuelle | |
Gesellschaft eingeführt werden. Mit Workshops wie „Starke Eltern stärken | |
Kinder – Vorbereitung auf den Weg in die heterosexuelle Gesellschaft“ klärt | |
sie auf und berichtet von ihrer Erfahrung als lesbische Mutter. | |
„Unsere Eltern sind mit uns viele Fragen durchgegangen und haben uns auch | |
mit Rollenspielen auf mögliche Reaktionen auf unsere Familie vorbereitet“, | |
sagt Herrmann-Green. Als sie 13 war, haben sich ihre Eltern getrennt. | |
Daraufhin hat sie sich zurückgezogen und wollte keine Interviews mehr | |
geben. „Das Problem war dieses ständige Beweisenmüssen, dass unsere Familie | |
in Ordnung ist“, sagt sie. „Ich hatte keine Lust mehr, mich zu erklären und | |
zu zeigen, wie toll wir sind.“ | |
Auf Eltern und Kindern in Regenbogenfamilien läge ein unglaublicher Druck | |
als Vorzeigefamilie zu leben und keine Fehler zu machen. „Dieser Druck | |
perfekt zu sein, kommt von außen und von innen. Das soll nicht heißen, dass | |
Regenbogeneltern von ihren Kindern erwarten, dass sie perfekt sind, sondern | |
vielmehr damit, dass wir zu einer Minderheit gehören, die noch nicht | |
hundertprozentig akzeptiert wird“, führt Lena Herrmann-Green aus, und es | |
wird deutlich, dass dies ihr großes Thema ist. „Dadurch, dass in der | |
Politik derzeit in dem Bereich so viel im Umbruch ist, kann jede meiner | |
Aussagen einen großen Einfluss darauf haben.“ | |
Diese Verantwortung wiegt schwer, und umso verständlicher wird ihr | |
dringendstes Anliegen: „Der Druck muss weg.“ Es müsse endlich auch | |
Regenbogenfamilien zugestanden werden, dass es in Ordnung sei, Fehler zu | |
machen. Für Lena Herrmann-Green ist eine rechtliche Anerkennung ein erster | |
Schritt, diesem Druck entgegenzutreten. „Ich hoffe, dass die | |
Selbstverständlichkeit, unsere Familien als Familien anzusehen, wächst und | |
dadurch der Druck weggeht, sich beweisen zu müssen.“ | |
## Rechtliches Niemandsland | |
Bislang erkennt nur ein Viertel der europäischen Länder Regenbogenfamilien | |
an. Damit befindet sich ein Großteil der Familien in einem Niemandsland mit | |
Benachteiligungen, worunter insbesondere die Kinder leiden. So kommt die | |
Verweigerung, beide Elternteile rechtlich als solche anzuerkennen, | |
beispielsweise durch die Möglichkeit der Volladoption, also Adoption und | |
Stiefkindadoption, einer Nichtanerkennung der Familie als solcher gleich. | |
Eine Stiefkindadoption ermöglicht, dass ein Stiefkind den leiblichen | |
Kindern rechtlich gleichgestellt wird. Auch in Herrmann-Greens Familie war | |
bis zur Möglichkeit der Stiefkindadoption in Deutschland im Jahr 2005 nur | |
ein Elternteil als solches rechtlich eingetragen, die andere Mutter war | |
„rechtlich ein Niemand“, wie ihre Mutter es nennt. | |
Derzeit erkennen 13 von 47 Ländern in Europa die Volladoption an. Dazu | |
gehören Andorra (2014), Belgien (2006), Dänemark (2010), Frankreich (2013), | |
Island (2006), Irland (demnächst), Luxemburg (2014), Malta (2014), | |
Niederlande (2001), Norwegen (2009), Spanien (2005), Schweden (2003), | |
Großbritannien (2005/2013). Drei von 47 Ländern erkennen die | |
Stiefkindadoption an, das sind Österreich (2013), Deutschland (2014), | |
Slowenien (2011). In Österreich ist ab 2016 die Volladoption möglich, | |
Estland gestattet ab 2016 die Stiefkindadoption. | |
Lena Herrmann-Greens Wünsche an ein Europa, dessen Motto immerhin „Vereint | |
in Vielfalt“ lautet, sind klar: „Ich wünsche mir ein Europa, in dem es | |
keine rechtlichen Unterschiede mehr zwischen gleichgeschlechtlichen und | |
andersgeschlechtlichen Eltern gibt und in dem diese Vielfalt an Familien | |
als Bereicherung gesehen und gelebt wird.“ Schließlich sei Familie da, wo | |
Liebe ist, unabhängig vom Geschlecht der Eltern. Es hört sich an, als hätte | |
sie das schon oft gesagt, und bestimmt wird sie es noch oft wiederholen | |
müssen – als Botschafterin für Familienvielfalt. | |
24 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Caroline Ausserer | |
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