Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Eine Regenbogenfamilie in Israel: Lieben und leben lassen
> Fromm, lesbisch und Kinder – das geht eigentlich nicht zusammen. Bami und
> Orit sind ein Paar, das viel Toleranz übt und braucht.
Bild: Das orthodoxe Establishment genießt bis heute ein Monopol über die Fami…
GADERA taz | Bis es endlich funkte, hatte Bami Blind Dates mit bestimmt
hundert Männern hinter sich. Damals war sie Mitte 30, sexuell unerfahren
und erleichtert über die Erkenntnis, dass auch sie sich verlieben konnte.
In eine Frau. „Fünfzehn Jahre lang wusste ich nicht, was mit mir los ist“,
sagt sie. „Ich dachte immer, es liegt an mir.“ Ob ihr Lesbischsein mit
ihrem Glauben vereinbar ist, fragte sich Bami nicht. „Ich war fromm und
wollte es bleiben.“
Knapp zehn Jahre später sitzt sie, umgeben von Holzpferdchen, Hüpfball und
Sabbertuch, neben ihrer Lebensgefährtin auf dem Sofa und reicht ihr den
kaum zwei Wochen alten Adam zum Stillen. Bami steht für Bat-Ami, ein Name,
der im Hebräischen schwer wiegt. Übersetzt bedeutet er „die Tochter meines
Volkes“ und verortet die Eltern meist im nationalreligiösen Lager.
Bat-Ami Neumeier-Potaschnik, so ihr voller Name, ist 43 Jahre alt und
wissenschaftliche Mitarbeiterin des Archäologischen Instituts der
Ben-Gurion-Universität. Ihre Partnerin Orit Potaschnik ist 41 und
Physikerin; gemeinsam ziehen sie drei Kinder groß: den kleinen Adam und die
beiden sieben- und siebeneinhalbjährigen Töchter. Bami ist damals zuerst
schwanger geworden, Orit ein halbes Jahr später und nun vor einem Jahr noch
einmal. Beide haben die Hilfe eines anonymen Samenspenders in Anspruch
genommen.
Ausgerechnet in dem Land, in dem das orthodoxe Establishment bis heute ein
Monopol über die Familienrechte genießt, ist das eine völlig
unbürokratische Prozedur. Die Krankenkasse übernimmt sogar einen
Kostenanteil. Gehet hin und mehret Euch.
Bami fischt mehrere Tassen aus dem Schrank mit dem Geschirr für Milchiges
und entschuldigt sich für die schmutzigen Teller, an denen noch Reste vom
Vorabend kleben. Normalerweise macht sie den Einkauf und räumt auf. Orit
ist für die Wäsche zuständig und wäscht das Geschirr ab. Die Familie hat
zwei komplette Teller- und Bestecksets und sogar zwei Spülbecken, um
sicherzustellen, dass Fleisch und Milch niemals zusammengeraten, wie es die
strengen Koschheitsregeln vorschreiben. Mit einer Hand öffnet Bami das
Türchen zum Milchfach im Kühlschrank und greift den Einliterkarton, während
sie mit der anderen die Zuckerdose und die Tassen balanciert.
## Zusätzliches Geschirrset
Die beiden Frauen sind erkennbar erschöpft. „Orit stillt“, sagt Bami,
trotzdem wird auch sie jedes Mal wach, wenn sich der kleine Adam nachts
meldet. Der Junge hätte laut Halacha, dem jüdischen Gesetz, am achten Tag
nach der Geburt beschnitten werden müssen. „Eigentlich ist es die Mitzwa,
die religiöse Pflicht des Vaters“, sagt Bami seufzend, der es sichtlich
widerstrebt, ihrem Sohn wehzutun. Der Kleine soll sich erst mal erholen,
sagt Orit, die selbst mit Religion nichts am Hut hat, „dann tun wir, was
nötig ist“.
Für die Physikerin war es von Anfang an klar, dass die Beziehung zu Bami
sie zu einigen Kompromissen zwingen würde. „Aber Orit war sicher, dass wir
mit den technischen Hürden zurechtkommen“, erinnert sich die Freundin. Und
so ist es auch. Selbst Orits strikt weltliche Eltern stellten sich sofort
auf die „künftige Schwiegertochter“ ein und besorgten ein zusätzliches
neues Geschirrset.
Bami kann in den kommenden Wochen ihr Arbeitspensum etwas
herunterschrauben, um die Töchter morgens zur Schule zu bringen und
nachmittags abzuholen. Normalerweise teilen sich die Mütter die Fahrdienste
zur Schule und zu den Sport- und Musikkursen der Mädchen. Die zwei Frauen
versuchen, vor ihren Kindern möglichst einheitlich zu leben. Beide halten
sich, wenn alle zusammen sind, an die jüdischen Regeln; aber an Jom Kippur
zu fasten, lehnt Orit ab. Auch sonst hat sie es mit dem koscheren Küche
nicht so. Wenn die Kinder nicht in der Nähe ist, „esse ich alles“, gesteht
sie. Leben und leben lassen, so lautet scheinbar ihr Motto, und es
funktioniert bei den Neumeier-Potaschniks erstaunlich gut.
## Wochenendausflug vor Sonnenuntergang
An diesem Sabbat bleiben Fernseher und Computer ausgeschaltet und das Auto
steht ungenutzt auf dem Parkplatz. Auf kleiner Flamme köchelt seit 20
Stunden der Tscholent, Eintopf. Ohne dass jemand einen Schalter betätigen
muss, gibt es trotzdem warmes Essen. Eine Art moderner Samowar hält heißes
Wasser für Tee und Kaffee bereit.
„Eigentlich würde ich ganz gern mal einen Ausflug am Sabbat machen“,
bedauert Orit die „strikten Grenzen“ ihrer Partnerin. Ein paar Stunden am
Strand, ein Picknick im Wald, aber das ist bei orthodox ausgelegten
Glaubensregeln nicht erlaubt. Stattdessen bleibt Familie
Neumeier-Potaschnik am Wochenende zu Hause. Manchmal fällt es Orit schon
schwer, das Auto stehen zu lassen, und „wenn es gar nicht anders geht“,
dann fahre sie auch am Wochenende mal schnell los. Die Mädchen hätten
längst kapiert, dass ihre Mütter es unterschiedlich halten mit der
Religion. Trotzdem gilt die Regel, dass Wochenendausflüge am Freitagabend
vor Sonnenuntergang anfangen und am Samstag nach Sonnenuntergang enden
sollten. Das ist für die fünfköpfige Familie eigentlich nur bei den
Großeltern möglich, wenn sie nicht im Hotel übernachten will.
Einen Garten hat die Wohnung nicht, dafür aber einen riesigen Balkon, auf
dem es tagsüber im Sommer nur auszuhalten ist, wenn man die Füße ins
Plantschbecken hält. Über Mittag brennt der Betonboden, deshalb spielen die
Mädchen im Wohnzimmer. Beide tanzen. Bamis leibliche Tochter nimmt
Ballettunterricht, ihre Schwester macht Capoeira. Wenn es überhaupt eine
Rollenverteilung in der Familie gibt, dann eher bei den Mädchen: die eine
ist eher zart, die andere ein Tomboy, Schlagzeugerin und voller Energie.
## Jeans und T-Shirt
Bami und Orit lehnen es ab, sich in das Mann-Frau-Schema stecken zu lassen.
Beide haben schulterlange Haare, beide sind barfuß in Jeans und Bluse oder
T-Shirt. Die Kleidervorschriften für orthodoxe Jüdinnen gehen Bami
entschieden zu weit.
Orit war eine der ersten Frauen, die Bami über eine Webseite kennenlernte.
Denn es war das Internet, das ihr die Tür öffnete zu der damals noch so
fremden Welt, da war sie Ende 20. „Ich sah mir ein Lesbenforum an“,
erinnert sich Bami, „und dachte am Anfang: Nein, das ist nichts für mich.“
Immerhin habe sie durch das Forum ihre Vorurteile geraderücken können. „Ich
kapierte, dass nicht alle Lesben mit Lastwagen durch die Gegend fahren.“
Bis sich Bami dann eingestand, selbst eine von denen zu sein, vergingen
noch einmal ein paar Jahre. In ihrem konservativen Umfeld schien wenig
Platz zu sein für sexuelles Anderssein oder überhaupt für Sexualität. Bis
zum Abitur, das Bami an einer „Ulpana“ gemacht hat, einem jüdischen
Mädchengymnasium mit dem Schwerpunkt Religionsunterricht, blieben die
Geschlechter strikt getrennt. „Auf gewisse Art hat mir mein religiöses
Umfeld eine Legitimation dafür verschafft, dass ich keine sexuellen
Kontakte zu Männern hatte“, sagt Bami zurückblickend.
## Die Eltern halten zu ihr
Ihr spätes Outing hat niemanden wirklich überrascht. Ein Freund hatte sich
früher zu seiner Homosexualität bekannt. „Ich hatte trotzdem Angst, es zu
erzählen.“ Bamis Sorge, dass Freunde sich abwenden oder versuchen könnten,
sie zu beeinflussen, war unbegründet. Nur ihre Mutter hat sich „zunächst
etwas schwergetan“. „Meine Eltern haben Schlimmeres erlebt“, sagt sie.
Durch einen Unfall erblindete ihr Bruder und verlor ein Bein. Dass die
Eltern Bami für ihr Lesbischsein verurteilen würden, stand nicht zu
befürchten, obwohl sich beide zum nationalreligiösen Lager in Israel
zählen. „Meine Eltern interessiert es nicht, was die Nachbarn reden.“
Seltsamerweise fiel es der frommen Jüdin überhaupt nicht schwer, sich
selbst als Lesbe anzunehmen. „Herauszufinden, dass ich lesbisch bin, war
fast eine Erleichterung.“ Schließlich erklärte das, warum die vielen Blind
Dates nicht von Erfolg gekrönt waren. „Mein Glück war, dass ich die Jahre
davor Feministin war“, erklärt Bami. „Der Konflikt der frommen Feministin
ist viel schwieriger als der einer Lesbe, denn die rebelliert nicht.“ Den
homosexuellen Frauen ginge es lediglich um die Akzeptanz der Gesellschaft,
während die religiösen Feministinnen die von Männern bestimmte Hierarchie
infrage stellten und damit an den Grundpfeilern der Religion rüttelten. „Es
tauchen immer nur Männer in den jüdischen Schriften und in der Thora auf“,
schimpft Bami, „auch die Rabbiner sind Männer und die religiösen Richter –
alles Männer.“
Hätte Bami einen Rabbi um Rat gefragt, dann wäre die Reaktion sicher
negativ ausgefallen. Für die Feministin hätte es mindestens eine Rabbinerin
gebraucht, um sie – vielleicht – umzustimmen, aber orthodoxe Rabbinerinnen
gibt es nicht. Bami ist sich sehr bewusst, dass ihr Coming-out sehr
glimpflich verlaufen ist. „Ich kenne Geschichten von Eltern, die ihren
schwulen Söhnen erklärt haben, sie wären besser tot als schwul“, sagt Bami.
„Die schlimmsten Homophoben sind die Frommen.“
## Viele sind nicht geoutet
Viele Schwule aus dem Bekanntenkreis des lesbischen Paares fühlen sich vor
die Entscheidung gestellt: entweder fromm oder schwul. Beides zusammen
finden auch die weltlichen Homosexuellen schwierig. „Vor zehn Jahren hat
uns die Szene gehasst“, sagt Bami. Die frommen Lesben gründeten damals die
Selbsthilfegruppe Bat-Kol (frei übersetzt: Stimme Gottes), die heute rund
300 Mitglieder zählt. Obwohl Bami im Vorstand sitzt, darf sie die streng
geheim gehaltene Kontaktliste nicht einsehen. „Eine ganze Reihe der Frauen
sind bis heute nicht geoutet, vor allem die verheirateten nicht.“
Zehn Jahre besteht die Gruppe, das muss gefeiert werden. Die Frauen kommen
paarweise oder auch allein, aber allein bleibt keine. Die Gruppe strahlt
Wärme aus und die Bereitschaft, jede Einzelne aufzunehmen. Bat-Kol dient
vielen als Ersatzfamilie. Die Frauen tanzen im Kreis, lesen religiöse Texte
und singen jüdische Lieder. „Wer glaubt, muss keine Angst haben“, heißt es
dort. Sie sind fröhlich.
27 Aug 2013
## AUTOREN
Susanne Knaul
## TAGS
Homosexualität
Israel
Regenbogenfamilie
Ehe für alle
Regenbogenfamilie
taz.gazete
Einwanderung
Israel
Homosexualität
Tel Aviv
## ARTIKEL ZUM THEMA
Hamburg will mehr schwule Pflege-Eltern: Regenbogen-Eltern gesucht
Die Familienbehörde Hamburg ermutigt schwul-lesbische Paare, sich als
Pflegeeltern zu bewerben. Die Böhmers sind seit drei Jahren dabei.
Leben in der Regenbogenfamilie: „Wir sind komplett, so wie wir sind“
Lena Herrmann-Green wurde mit einer anonymen Samenspende gezeugt. Sie ist
in einer Regenbogenfamilie aufgewachsen.
Freundschaft heute: Eine Familie von Freiwilligen
Keine Kinder. Keine Geschwister. Können Freunde Verwandte ersetzen? Oder
hört beim Geld die Freundschaft tatsächlich auf?
Masseneinwanderung nach Israel: Exodus äthiopischer Juden beendet
Israel hat die letzten 450 „Falascha“ ins Heilige Land gebracht. Seit der
Staatsgründung sind mehr als 90.000 schwarze Juden nach Israel gekommen.
Gewalt im Westjordanland: Soldaten töten drei Palästinenser
Bei Protesten in einem Flüchtlingslager gab es laut palästinensischer
Ärzter drei Tote. Israels Bauminister hält derweil eine Zwei-Staaten-Lösung
für „nicht realistisch“.
Kinder in Israels Regenbogenfamilien: Adoption mit Hindernissen
Schwule Paare mit Kinderwunsch haben ein Problem mit Leihmüttern. Die
müssen auch jüdisch sein, laut orthodoxen Regeln, die dazu Homosexualität
verdammen.
Vorwurf des „Pinkwashing“ in Israel: Regenbogen über Tel Aviv
Israel gilt als liberaler Hotspot für Schwule und Lesben in der Region.
Doch nun regt sich Kritik am angeblichen „Pinkwashing“.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.