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# taz.de -- Kinder in Israels Regenbogenfamilien: Adoption mit Hindernissen
> Schwule Paare mit Kinderwunsch haben ein Problem mit Leihmüttern. Die
> müssen auch jüdisch sein, laut orthodoxen Regeln, die dazu Homosexualität
> verdammen.
Bild: Solidaritätskundgebung nach einer tödlichen Attacke auf ein Zentrum fü…
JERUSALEM taz | Ella ist sauer. Die Fünfjährige sitzt mit einer Schüssel
Popcorn vor dem ausgeschalteten Fernseher. „Nur ganz kurz“, bittet sie
ihren Papa, der mit dem Kopf schüttelt, worauf sie es bei ihrem anderen
Papa versucht. „Du weißt doch, dass Taten Konsequenzen haben“, antwortet
der genauso streng, und die Flimmerkiste bleibt aus.
Das Mädchen ist das älteste der drei Kinder von Guy Taza und seinem Partner
Lucci Laur. Seit drei Monaten ist die Familie zu fünft. Guy sitzt in Shorts
und besabbertem T-Shirt am Küchentisch und gibt seinem Sohn das Fläschchen,
während der andere Zwilling, auf einer Spieldecke liegend, in die Gegend
guckt.
Familienleben am Freitagnachmittag. Von den Sabberspuren abgesehen, ist die
moderne Wohnung im 29. Stock eines Tel Aviver Hochhauses fast steril vor
lauter Sauberkeit und Ordnung.
## Erster Gedanke Adoption
„Für mich war immer klar, dass ich Kinder haben will“, sagt Guy, 43 Jahre
alt und Chef einer PR-Firma. Seit 18 Jahren sind die beiden Männer ein
Paar. Lucci, Psychiater beim Militär und fünf Jahre jünger als sein
Partner, musste sich nicht lange überreden lassen. Blieb nur noch die
Frage, wie man sich den Kinderwunsch erfüllt.
Der erste Gedanke ging in Richtung Adoption, was sich jedoch rechtlich als
problematisch erwies. Eine Zweckpartnerschaft mit einer Frau, die sich
Kinder wünscht, ohne die konventionelle Bindung mit einem Mann eingehen zu
müssen, erschien beiden auch nicht als rechte Lösung. Seit rund 15 Jahren
gibt es Kennenlernforen für die „Alternative Elternschaft“, wie sich eine
dieser Gruppen nennt. „Wir hatten dort das Gefühl, nur als Samenspender
herhalten zu müssen“, erklärt Guy. Außerdem passte es dem Paar nicht ins
Konzept, sich an eine Fremde binden zu müssen. Was den beiden für eine
perfekte Familie fehlte, waren Kinder, keine Frau. Im Oktober 2006 kamen
sie schließlich zum ersten Mal in Kontakt mit dem Thema Leihmutter. Von
dann an dauerte es noch ganze zwei Jahre bis zur Geburt von Ella, die in
Oregon das Licht der Welt erblickte.
Die Familie Taza-Laur ist in Israel so etwas wie ein Trendsetter. Im selben
Jahr wie Ella ist gerade mal eine Handvoll Kinder schwuler Väter zur Welt
gekommen, inzwischen sind es gut 200 in einem Jahr. Das Phänomen Babyboom
unter Israels Schwulen erklärt sich aus der extrem liberalen und doch
extrem konservativen Mentalität in Tel Aviv. Schwulsein ist hier nichts
besonderes, zugleich gibt es einen enormen gesellschaftlichen Druck, Kinder
zu haben. „Ich kenne kein Schwulenpaar, das nicht ernsthaft darüber
nachdenkt, Kinder zu haben“, meint Guy. Das Alte Testament fordert Juden
dazu auf, „hinzugehen und sich zu mehren“, aber auch der Zionismus „spornt
an zum Kinderkriegen“, sagt er. Als Mitte Februar „Das stolze Zentrum“ der
Schwulen und Lesben in Tel Aviv zum ersten Kongress über Leihmutterschaft
einlud, blieb kein Stuhl leer.
## Hausgemachte Hürden
„Men having babies“, nannte sich die dreitägige Veranstaltung, bei der es
nicht nur um Hilfestellung bei der Suche nach Eizellenspenderinnen und
Leihmütter ging. Israelische Männer haben zusätzlich hausgemachte Hürden zu
überwinden, wenn der nichtleibliche Vater die gemeinsamen Kinder adoptieren
will. „Um ein Kind zu adoptieren, muss der Vater dieselbe Religion haben
wie das Kind“, erklärt die Familienanwältin Ajelet Tresser. „Das orthodoxe
Rabbinat, das in Israel eine Monopolstellung genießt, lehnt aber die
Konvertierung von Kindern aus gleichgeschlechtlichen Familien ab.“
Regierung und religiöses Establishment legen den schwulen Männern mit
vereinter Kraft gleich zwei große Hindernisse in den Weg, wenn sie Väter
werden wollen. Sie können nicht, wie heterosexuelle, verheiratete Paare auf
israelische Leihmütter zurückzugreifen, sondern sind auf die Hilfe von
Frauen im Ausland angewiesen, meist in Indien oder in den USA. Um Israeli
zu werden, genügt eine jüdische Großmutter, aber als jüdisch gilt nur, wer
eine jüdische Mutter hat. Dass die im Ausland mithilfe von Leihmüttern
gezeugten Kinder nicht jüdisch sind, wird ein Problem, wenn der
nichtleibliche Vater die Adoption beantragt, was aber erst dann möglich
ist, wenn die Kinder wie der Vater auch jüdisch sind.
„Völlig absurd“ findet Lucci Laur die Notwendigkeit, dass die Kinder
konvertieren, und endlich meldet sich auch der zurückhaltende Psychiater
einmal zu Wort. „Es sind meine Kinder, also haben sie meine Religion“, sagt
er, aber so einfach geht das nicht. Lucci ist der leibliche Vater der
Kinder. Damit Guy die Kinder adoptieren kann, machte die Familie vor ihrer
Rückkehr nach Israel noch einen kurzen Abstecher zu einer amerikanischen
Reformgemeinde. Die beiden Jungen sind beschnitten worden, „und die
Rabbinerin sang ein bisschen ’Siman tow‘ und ’Masel tow‘, damit hatte s…
die Sache“. Der Staat erkennt die Reformkonvertierung an. Guy kann die
Zwillinge adoptieren. Mehr interessiert die strikt weltliche Familie nicht.
Das orthodoxe Establishment gibt sich dagegen deutlich strenger. Zum einen
unterbindet das religiöse Monopol Reformkonvertierungen innerhalb Israels,
zum anderen boykottiert es die Konvertiten liberaler jüdischer Gemeinden im
Ausland. Das ist schmerzlich für orthodoxe Schwule, die ihren Kindern gern
dieselbe Erziehung zukommen lassen würden, die sie selbst erfahren haben:
in orthodoxen Schulen und in der Synagoge. Das Rabbinat verweigert den
Reformkonvertiten Trauungen und sogar die Bestattung auf einem jüdischen
Friedhof.
Voraussetzung für die orthodoxe Konvertierung von Kindern ist, dass die
Eltern die jüdischen Regeln einhalten. Thora und Mitzwoth zu beachten ist
Grundbedingung. Für ein gleichgeschlechtliches Paar ist das ein Ding der
Unmöglichkeit, selbst wenn es eine koschere Küche führt, wenn am Sabbat
alle elektrischen Geräte ausgeschaltet bleiben und wenn es am heiligen Jom
Kippur fastet. Sex unter Männern gilt unter Ultraorthodoxen bis heute als
Todsünde.
## Schwulsein ist in Ordnung
Anders als im Christentum unterscheiden die heiligen jüdischen Schriften
„zwischen der sexuellen Neigung und dem, was dieser Neigung folgt“, erklärt
Rabbi Ron Jossef von der Initiative „HOD“ (Initialwort für ’orthodoxe
Homosexuelle‘). Schwul sein ist in Ordnung, erst das schwule Handeln wird
zur Sünde. Wenn man das einmal erkannt hat, ist die Kluft zwischen Hetero-
und Homosexualität gar nicht mehr so tief, findet der Rabbiner. „Für beide
gibt es Vorschriften, die für beide mehr oder weniger leicht einzuhalten
sind“, sagt er und räumt ein: „Nobody is perfect.“
Rabbi Jossef hofft, dass die längst überfällige Debatte über homosexuelle
Partnerschaften zu Neuregelungen führen wird, die früher oder später auch
israelische Leihmütter für schwule Paare gestatten. Wenn Leihmutter und
Eizellenspenderin jüdisch sind, erübrigt sich das leidige Thema der
Konvertierung.
Die beiden weltlichen Väter Guy und Lucci haben für die Probleme der
orthodoxen Schwulen wenig Verständnis. „Nicht die Debatte der Frommen wird
uns voranbringen“, sagt Guy, „sondern Rechtsreformen und der Kampf vor dem
Obersten Gerichtshof.“ Ein Lichtblick in Israels neuer Regierung ist
Gesundheitsministerin Yael German von der weltlichen Zukunftspartei.
Gleich nach Amtsantritt in der Knesset legte German einen Gesetzentwurf
über staatliche Wiedergutmachungszahlungen an die Opfer des Anschlags auf
die lesbisch-schwule Jugendbar in Tel Aviv vor, bei dem im August 2009 zwei
Menschen ums Leben kamen. In ihrer Position als Gesundheitsministerin könne
sie das Thema Leihmütter für Schwule vorantreiben. Ohne eine Reise ins
Ausland würde sich das Kinderprojekt enorm verbilligen. Die kleine Ella hat
ihre Väter schon 150.000 US-Dollar gekostet, noch bevor sie ihre erste
Windel trug.
9 Apr 2013
## AUTOREN
Susanne Knaul
Susanne Knaul
## TAGS
Homosexualität
Regenbogenfamilie
Orthodoxie
Schwule
Adoption
Leihmutter
Israel
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Homosexualität
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