# taz.de -- Israel und seine Beduinen: Nur eine Nummer in der Wüste | |
> Ein neues Gesetz soll die Gebietsansprüche der Beduinen in der | |
> Negev-Wüste regeln. Und sie gewaltsam ins 21. Jahrhundert katapultieren. | |
Bild: Palästinensischer Beduinenjunge. | |
BEERSCHEWA taz | 40 Grad zeigt das Thermometer, dabei hat der Sommer noch | |
gar nicht angefangen. Nur den Hühnern, die nach Melonenschalen und | |
Brotresten picken, scheint die dumpfe Hitze in al-Sara nichts auszumachen. | |
Weitläufig über einen Hügel verteilt liegen die kleinen Häuser und | |
Wellblechhütten des Dorfes in der Negev-Wüste. | |
Vom Staat nicht anerkannt, gibt es dort keine Schule und keine Post, nicht | |
einmal Straßen. Strom und Wasser müssen sich die 70 Familien des Dorfs – | |
ausschließlich Beduinen – selbst organisieren. Khalil Alamour will trotz | |
der harten Lebensumstände nicht weg. | |
„Ich will nicht in der Stadt leben“, erklärt der Lehrer, der Mathematik und | |
Computertechnik an einer Mittelschule unterrichtet. Obwohl ihm der Staat | |
Bauland in einer der neuen Wohnsiedlungen verspricht, die sein Volk ins 21. | |
Jahrhundert katapultieren sollen. „Klar“, sagt Alamour sarkastisch. „Sie | |
geben mir ein Grundstück von 800 Quadratmetern, dafür nehmen sie mir | |
woanders 40 Hektar weg.“ | |
## Seit 6 Jahren Abrissdrohung | |
„Al-Sara“ steht auf dem grünen Schild am Ortseingang, das die Einwohner | |
aufgestellt haben, gleich über einem zweiten, das einen Bulldozer zeigt. | |
Das kleine Dorf hat das Glück, unmittelbar neben einem Militärcamp zu | |
liegen, zu dem eine zweispurige Straße führt, und ist deshalb, anders als | |
die meisten anderen nichtanerkannten Dörfer, mit dem Auto erreichbar. „Wir | |
sind Nutznießer der Armee“, sagt Khalil Alamour lachend. Er trägt ein | |
schwarzes T-Shirt, auf dem in Hebräisch vorne „Ich bin aus al-Sara“ steht | |
und hinten „Reißt mir mein Haus nicht ab“. | |
Seit sechs Jahren klebt neben der metallenen Eingangstür zu seinem | |
schlichten Bungalow der Abrissbefehl. An den „Hausbesitzer“, heißt es auf | |
dem Zettel, ohne dass Alamour namentlich angesprochen würde. Der | |
siebenfache Vater zeigt auf die Zahl 67 am oberen Rand des Dokuments. „Ich | |
bin nur eine Nummer“, sagt Alamour. Für ihn sei das Antisemitismus. „Das | |
tut weh, wirklich.“ Im Dorf sind alle Häuser nummeriert und vom Abriss | |
bedroht. | |
30 Kilometer westlich von al-Sara, im fünften Stock eines | |
vollklimatisierten Bürohochhauses in Beerscheva, zerbrechen sich die für | |
die Entwicklung der Beduinen im Negev zuständigen Beamten den Kopf über die | |
Urbanisierung der Nomaden von einst. Abteilungsleiter Ami Tesler ist direkt | |
dem Büro des Ministerpräsidenten unterstellt, das wiederum eng | |
zusammenarbeitet mit der Kommission für nationale Sicherheit. Städteplanung | |
und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gehört zu seiner Mission. Es geht um die | |
Zukunft der Beduinen von al-Siaj, dem „Reservat“, in das sie der Staat nach | |
dem Unabhängigkeitskrieg trieb. | |
## Beide Seiten tragen Schuld | |
„60 Jahre lang ist viel geredet worden, aber passiert ist nichts“, sagt Ami | |
Tesler. Beide Seiten trügen Schuld an der Situation, räumt er ein. „Auch | |
der Staat Israel hat viel versäumt.“ Immer wieder gab es Ansätze, die | |
Grundstücksansprüche zu regeln, und immer wieder scheiterte man an einem | |
Kompromiss. Ohne eine klare Abgrenzung zwischen staatlichem und privatem | |
Land sind eine wirtschaftliche Entwicklung und der Ausbau von Infrastruktur | |
in der Wüstenregion nicht möglich. Jetzt endlich sei man in Jerusalem zu | |
der Einsicht gelangt, dass „Handlungsbedarf besteht“, sagt Tesler | |
befriedigt. | |
In diesen Tagen entscheidet die Knesset über den „Prawer-Begin“-Plan, eine | |
Art Schlüssel für Wiedergutmachung an den Beduinen, die den Anspruch auf | |
Grundbesitz stellen. Bis zu 50 Prozent Ersatzland will der Staat zur | |
Verfügung stellen plus einen kleinen finanziellen Ausgleich, vorausgesetzt, | |
die gesamte Chamula, die Großfamilie, stimmt dem Handel zu. | |
## „Die Dörfer kommen weg“ | |
Über eine Milliarde Schekel (etwa eine halbe Million Euro) stellt der Staat | |
bereit. Tesler scheint es gar nicht abwarten zu können, das Geld endlich | |
auszugeben zu können, um die wirtschaftlich schwächste Bevölkerungsgruppe | |
im Land voranzubringen. Anhand einer Liste erläutert er, wie viel Schekel | |
in den Aufbau einer Industrie, in Infrastruktur, Gemeindeeinrichtungen und | |
neue Polizeistationen fließen sollen. „Wir wollen den Negev entwickeln“, | |
schwärmt er, „und die Beduinen sollen daran teilhaben.“ | |
Der sportliche Mittfünfziger mit aparten grauen Schläfen breitet eine Karte | |
aus und malt mit seinem Kugelschreiber einen Kreis in der Luft: „Diese | |
Dörfer kommen weg“, erklärt er und zieht – wieder in der Luft – einen | |
Strich bis kurz unter Beerscheva. „Die hier ziehen nach Segev Schalom“, | |
eine in den 70er Jahren gegründete Township im Negev. „Das sind schon mal | |
10.000.“ | |
Rund die Hälfte der Beduinen lebt heute in für sie vom Staat errichteten | |
Townships oder legalisierten Dörfern. Problematisch ist für Leute wie | |
Tesler die andere Hälfte, sind die 45 nichtanerkannten Dörfer. Auch weil | |
dort unter Umgehung aller „Sicherheitsvorschriften“ gebaut wurde. Dörfer | |
wie al-Sara, wo Khalil Alamour lebt. | |
## Das Township als Antithese | |
„Sie wollen uns vertreiben und auf engstem Raum zusammenpferchen“, sagt | |
Alamour. Die Townships sind für ihn die Antithese zum Leben der Beduinen. | |
Als Junge, so erinnert er sich, zog seine Familie mit der Herde während der | |
Dürrezeiten ein paar Dutzend Kilometer nach Norden oder Westen, wo es | |
leichter war, die Tiere zu ernähren. Khalil liebte es, die Schafe zu hüten, | |
bis er nach dem Abitur für drei Jahre das Dorf verließ und zum Studium nach | |
Beerscheva zog. Dort wohnte er zur Untermiete bei einem älteren jüdischen | |
Ehepaar. Die beiden waren aus Polen immigriert und „behandelten mich wie | |
ihren Sohn“, sagt er. | |
„Ich bin Araber durch meine Sprache und Kultur, Moslem durch meine | |
Religion, ich gehöre zum palästinensischen Volk und ich bin Israeli. Ich | |
möchte Teil dieses Staates sein, den ich liebe, aber mein Lebensweg ist der | |
des Beduinen.“ In der Wüste zu leben, sich von ihr zu ernähren und ihren | |
Herausforderungen zu stellen, gehört für Alamour genauso dazu wie die Nähe | |
zur Chamula, zur Großfamilie. Die Vorstellung, „in vier Wände eingesperrt | |
zu sein“ und von Geschwistern, Tanten, Onkels und Cousins getrennt zu | |
leben, macht ihm Angst. | |
An eine Entwicklung der Wüstenregion mit Hilfe von Staatsgeldern glaubt | |
Alamour nicht. „Arbeitsplätze?“ fragt er spöttisch. „In Rahat, der grö… | |
Beduinenstadt des Negev und auch weltweit, ist es dem Staat Israel in 40 | |
Jahren nicht gelungen, auch nur eine einzige Fabrik aufzubauen.“ | |
## Eigene Stromversorgung | |
Der energische Lehrer macht sein Dorf auf eigene Faust für das 21. | |
Jahrhundert tauglich. Zusammen mit den anderen Dorfbewohnern verlegte er | |
auf eigene Kosten eine kleine Wasserleitung nach al-Sara, womit die | |
Olivenbäume bewässert werden können, und bereits seit zehn Jahren haben die | |
Dorfbewohner Strom. Einer nach dem anderen folgte dem Beispiel Alamours und | |
installierte Solarzellen. Die meisten haben ihre Kollektoren auf dem Dach | |
oder vor dem Haus stehen. Durch die einmalige, wenn auch kostspielige | |
Anschaffung konnten die Generatoren ersetzt werden. Die stinkenden, lauten | |
Benzinmotoren lieferten früher den Strom in den illegalen Dörfern. Sogar | |
eine Internetverbindung besitzt Alamour per Satellit mitten in der Wüste. | |
Dass die Beduinen ohne jede öffentliche Aufsicht seit 60 Jahren willkürlich | |
Häuser bauen, ist Leuten wie Ami Tesler von der staatlichen | |
Planungskommission dagegen ein Dorn im Auge – und auch Mitarbeiter des | |
Umwelt- und Gesundheitsministeriums halten dies im Prinizip für | |
katastrophal. „In einem Staat gibt es Vorgaben“, dröhnt Tesler, | |
„Sicherheitsvorschriften“. Da könne nicht jeder einfach irgendwo ein | |
Abwasserrohr verlegen oder eine Stromverbindung. | |
Auf ganze drei Jahre ist der Masterplan im Negev angelegt. Wenn es zur | |
Umsetzung kommt, geht es auch al-Sara an den Kragen. Ein Teil der | |
nichtanerkannten Dörfer würde legalisiert werden, der Rest abgerissen. | |
Ginge es nach den Beduinen, dann sollte die Regierung einfach alle 45 | |
umstrittenen Dörfer anerkennen. „Israel hat uns in den Jahren der | |
Militäradministration fast alles weggenommen“, schimpft Alamour. „Wir | |
sagen: Okay, lasst uns al-Siaj, und fertig. Aber das reicht ihnen nicht. | |
Sie wollen immer mehr.“ | |
7 Jun 2013 | |
## AUTOREN | |
Susanne Knaul | |
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