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# taz.de -- Neuer Krimi von Elisabeth Herrmann: Wölfe sind soziale Wesen
> In „Der Schneegänger“ wirbelt eine Polizistin Staub in der Welt der
> Reichen am Berliner Wannsee auf. Ein komplexes gesellschaftliches
> Desaster.
Bild: „Der Schneegänger“: ein Krimi in bester Wannsee-Gesellschaft.
Oft wohnt das Grauen nicht irgendwo da draußen, sondern mitten unter uns.
Und eigentlich braucht es gar keine besonders sensationellen Verbrechen, um
einen guten Kriminalroman zu schreiben.
Die ganz normale menschliche Grausamkeit und Verkorkstheit zu einer
genügend vertrackten Geschichte zu verspinnen, ist die viel
anspruchsvollere Kunst der Autorin Elisabeth Herrmann, die in den
Danksagungen am Ende ihres neuen Bestsellers „Der Schneegänger“ als Quelle
unter anderem die RechtsmedizinerInnen Michael Tsokos und Saskia Guddat und
ihr Buch „Deutschland misshandelt seine Kinder“ hervorhebt.
Die Geschichte eines Kindes, das gequält und misshandelt wurde, steht als
stille Anklage auch im Zentrum von Herrmanns Roman: Im Berliner Grunewald
wird der bereits skelettierte Leichnam eines Kindes gefunden und schnell
identifiziert als die Überreste eines vier Jahre zuvor als entführt
gemeldeten neunjährigen Jungen.
Der Fall des kleinen Darijo, Sohn kroatischer Eltern, die auf dem Gelände
einer großen Wannseevilla wohnten, wo die Mutter als Putzfrau beschäftigt
war, hatte damals von der Polizei nicht aufgeklärt werden können. Als
Hauptkommissar Lutz Gehring sich nun erneut damit befasst, stellt er fest,
dass das Verschwinden des Jungen massive Folgen in dessen sozialem Umfeld
nach sich gezogen hat.
Die schöne Mutter des Vermissten, Lida, ist nunmehr verheiratet mit ihrem
ehemaligen Arbeitgeber Günter Reinartz, dem reichen Besitzer der Villa,
während ihr Exmann Darko, ein Biologe, ganz auf die brandenburgische
Wolfsstation gezogen ist, in der er arbeitet. Die Söhne des Hauses
Reinartz, damals noch im Kinder- beziehungsweise Teenageralter, wurden nach
dem Verschwinden Darijos auf Internate geschickt.
## Dunkle Familiengeheimnisse
Kommissar Gehring zieht ihrer Sprachkenntnisse wegen die junge
kroatischstämmige Polizistin Sanela Beara, Herrmann-LeserInnen bekannt aus
dem Roman „Das Dorf der Mörder“ und nunmehr Studentin an der
Polizeihochschule, zu dem Fall hinzu. Eigenmächtig schleicht die
temperamentvolle Jungkriminale sich undercover als Haushaltshilfe in der
Villa Reinartz ein und kommt dabei hinter so manches dunkle
Familiengeheimnis. Aber auch in der Wolfsstation des attraktiven Darko
treten etliche Ungereimtheiten zutage.
„Der Schneegänger“ ist eine komplexe Geschichte über vernachlässigte
Kinder, menschliche Schwächen und gescheiterte Familien. Angeblich ist ja
der Mensch dem Menschen ein Wolf. Im Lichte dieses Romans ein recht
unsinniges Sprichwort, denn Wölfe, das lernen wir hier in einem
thematischen Seitenstrang, sind sehr soziale Wesen, die in der Gruppe
füreinander sorgen.
Das Schicksal des kleinen Darijo aber ist um so tragischer und
schrecklicher, als viele der ihm nahestehenden Personen eine Mitschuld
daran tragen. Zwischen gesellschaftlichen Einstellungen und Fehlleistungen
der Erwachsenen – der arrogante Dünkel der Reichen, die Aufstiegsträume der
Immigrantin, der Tunnelblick des Wissenschaftlers – wird eine kindliche
Existenz zerrieben.
Ein komplexes moralisch-gesellschaftliches Desaster grundiert mithin diesen
Krimi, der an der Handlungsoberfläche zudem auch noch sehr spannend ist.
Das ist vor allem Herrmanns Hauptfigur zu danken, der so impulsiven wie
intelligenten Sanela Beara, die sich mit einzigartiger Begabung in
unerwartete Situationen zu bringen pflegt und damit nicht nur den Kommissar
regelmäßig zur Weißglut bringt, sondern auch die Handlung ordentlich
vorantreibt.
15 Apr 2015
## AUTOREN
Katharina Granzin
## TAGS
Wannsee
Krimi
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Comic
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