# taz.de -- Krimi über Pharmalobby: Mehr, als in 90 Minuten passt | |
> In „Dengler – die letzte Flucht“ kämpft Ronald Zehrfeld als ehemaliger | |
> Zielfahnder des BKA gegen die Pharmalobby. Privat spricht er gerne über | |
> Politik. | |
Bild: Dengler (Ronald Zehrfeld) schaut ganz genau hin, wenn es um die Pharmalob… | |
Er interessiert sich nicht für die neue Wohnung seines Vaters. Auch nicht | |
für seinen neuen Job. Georg Denglers Sohn braucht seinen Vater nicht. Warum | |
auch? Der Vater war ja nie da. | |
Aber jetzt ist er da. Dengler hat seinen Job als Zielfahnder beim BKA | |
gekündigt und wird Privatdetektiv. Er will neu anfangen, schenkt seinem | |
Sohn Karten für ein VfB-Stuttgart-Spiel. „Vielleicht können wir ja vorher | |
ins Schwimmbad gehen?“ – „Ich geh nie ins Freibad“, antwortet der Sohn. | |
Diese Szene am Anfang von „Dengler – die letzte Flucht“, zeigt das Dilemma | |
der Hauptfigur: Ein Mann, der lange nur für seinen Job gelebt hat, ihn dann | |
aber nicht mehr mit seinem Gewissen vereinbaren kann, kündigt und merkt: Er | |
hat alles verloren. Oder nie etwas besessen. | |
Ronald Zehrfeld spielt den Dengler. Einen Polizisten. Wieder einmal. Wie in | |
der Mafia-Serie „Im Angesicht des Verbrechens“, für die er den Grimmepreis | |
bekam, im Kinofilm „Finsterworld“ und in seinem letzten „Wir waren König… | |
„Zufall“, sagt Zehrfeld. | |
## Zehrfeld spricht Berlinerisch | |
Er sitzt in einem israelischen Café in Berlin-Prenzlauer Berg. Die | |
Kellnerin begrüßt er mit Handschlag, der Café-eigene Spitz „Shisha“ | |
empfängt ihn mit wedelndem Schwanz. Zehrfeld wohnt um die Ecke. Es ist | |
einer der letzten kalten Apriltage, aber er will draußen sitzen. Espresso | |
und Ingwertee. | |
Zehrfeld erzählt gut gelaunt, laut, mit Berliner Dialekt. „Dengler ist ein | |
Mann mit hohen moralischen Ansprüchen und einem starken inneren Konflikt: | |
Job oder Familie? Staatsdienst oder selbstständig?“ Wenn Zehrfeld über | |
Dengler spricht, klingt das, als erzähle er von einem guten Freund. Jeden | |
Charakterzug hat er durchdacht. | |
Die Filmvorlage stammt von dem Krimi-Autor Wolfgang Schorlau. Zwölf Romane | |
hat er über Dengler geschrieben. „Die letzte Flucht“ ist in der Buchreihe | |
sein sechster Fall. Für die ZDF-Krimiserie ist es der erste. Mindestens | |
einer soll noch folgen. | |
Warum Dengler beim BKA gekündigt hat, kann der Zuschauer nur erahnen: Am | |
Anfang des Films liegt er gefesselt im Bett. Es folgen Rückblenden auf ein | |
Nagelbombenattentat – eine Anspielung auf den NSU-Anschlag in der Kölner | |
Keupstraße. Schorlau hat sich intensiv mit dem rechten Terrornetzwerk | |
beschäftigt und sogar vor dem NSU-Untersuchungsausschuss in | |
Baden-Württemberg vorgesprochen. | |
## Mit Kaltschnäuzigkeit | |
Denglers erster Job als Privatdetektiv führt ihn zu einem Pharma-Skandal. | |
Er soll einen Arzt entlasten, der eine pharmafreundliche Studie entlarven | |
wollte. Dafür heuert er die Hackerin Olga (Birgit Minichmayr) an, die | |
früher, ohne es zu wissen, Denglers Zielperson war. Sie lebt in einem | |
Plattenbau am Kottbusser Tor, versiffte Wohnung, aber Spitzentechnik, und | |
wird bewacht von einer Gang von schweren Jungs. Etwas klischeehaft, dieses | |
Leben, aber Minichmayr hat zumindest die passende Kaltschnäuzigkeit für | |
diese Olga. | |
Zehrfeld sagt, das Thema habe ihn gleich „erwischt“: das Gesundheitssystem, | |
der Einfluss der Pharmalobby, der Patient als Ware – er kann da ewig drüber | |
reden. Überhaupt: Zehrfeld schweift im Interview oft ab und kommt auf | |
Größeres zu sprechen: Snowden, Afghanistan, die schwache Opposition im | |
Bundestag. | |
„Wo führt das denn hin?“, fragt er und hetzt durch die Themen, immer mal | |
wieder mit Rückgriff auf die DDR. Damals sei doch auch nicht mit der | |
Gesundheit der Leute gespielt worden. Zehrfeld ist kein DDR-Verherrlicher. | |
Aber er ist ein Linker. | |
## In Ostberlin geboren | |
Er wurde 1977 in Ostberlin geboren. Die Eltern waren bei der | |
DDR-Fluggesellschaft. Als Kind wollte er Profisportler werden, Judoka. Dann | |
kam die Wende, und Zehrfeld war zu alt für den westdeutschen Kader. Peter | |
Zadek holte ihn während seines Studiums an der Ernst-Busch-Schauspielschule | |
ans Deutsche Theater, ein Ritterschlag. | |
Die große Aufmerksamkeit kam 2012 mit Christian Petzolds „Barbara“. Für | |
seine Rolle als ostdeutscher Provinzarzt und Stasi-Spitzel wurde er für den | |
Deutschen Filmpreis nominiert. Seitdem spielt er fast nur noch in Film und | |
Fernsehen, sucht Rollen, die mehr erzählen, als in 90 Minuten passt. | |
Deswegen auch Dengler. | |
„Ich spüre bei vielen Leuten in diesem Land so eine Pseudo-Lethargie, die | |
bremst, und ich frage mich, wie man die Leute wachrütteln kann.“ Natürlich, | |
schiebt er hinterher, sei er als Schauspieler ein Blender, mit kleinem | |
Einfluss. Aber mit dem Sendeplatz am Montagabend erreiche man schon einige. | |
Und wenn die Quoten stimmen, werden weitere Dengler-Folgen gedreht. | |
Zehrfeld hofft darauf: Die Beziehung zu dem Sohn, seine Freundschaft mit | |
Olga – da gebe es viel zu erzählen. | |
20 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Anne Fromm | |
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