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# taz.de -- US-Südstaaten-Krimi: Mississippi in Flammen
> Sittenbild der Südstaaten: Greg Iles’ beeindruckender Thriller „Natchez
> Burning“ erforscht rassistische Verbrechen.
Bild: Die Plantagenhäuser rund um Natchez sind gut erhalten. Hier gab es im am…
Es gibt einen Song auf Howlin’ Wolfs Album „The Real Folk Blues“ mit dem
Titel „The Natchez Burning“. Natchez, eine Kleinstadt, liegt idyllisch
oberhalb des Mississippi im gleichnamigen Bundesstaat und ist durch eine
Brücke mit dem angrenzenden Louisiana verbunden.
Natchez kam ohne größere Kämpfe durch den Sezessionskrieg, ist deshalb
voller gut erhaltener Plantagenhäuser der Antebellum-Ära mit ihren riesigen
Säulenfassaden. In den sechziger Jahren war der Ort das Zentrum der
Aktivitäten des Ku-Klux-Klan. 1965 residierte dort der Kopf der United
Klans of America, und es wird geschätzt, dass mindestens vier
terroristische „White-Supremacy“-Organisationen von der Stadt aus aktiv
waren.
„Did you ever hear about the burning / That happened way down in Natchez
Mississippi town“, presst der massige Howlin’ Wolf auf unnachahmliche Art
die Zeilen hervor, und selbstverständlich spielen sie gleich zu Beginn von
Greg Iles’ Thriller „Natchez Burning“ eine Rolle.
## Heimliche Rendezvous
Der Roman setzt zur Zeit der Morde an drei Bürgerrechtsaktivisten ein, die
mehr als zwei Jahrzehnte später in Alan Parkers Film „Mississippi Burning“
(1988) geschildert werden. 1964, ein Jahr bevor in Selma, Alabama,
Demonstrationen stattfinden und Martin Luther King sich für eine
landesweite Umsetzung des Wahlrechts der Schwarzen einsetzt, wird in
Ferriday, Louisiana, der Schwarze Albert Norris mit einem Flammenwerfer
ermordet; sein Laden brennt ab. Die Täter sind eine Handvoll weißer Männer,
angeführt von Brody Royal, dem reichsten Mann von Natchez.
Norris hatte es mit dem Verkauf von Instrumenten und Noten zu bescheidenem
Wohlstand gebracht. Vor allem aber hatte er, indem er gegen ein kleines
Entgelt sein Hinterzimmer für heimliche „rassenübergreifende“ Rendezvous
zur Verfügung stellte, eine bewundernswerte Menschlichkeit an den Tag
gelegt – zur Freude auch von Royals Tochter.
Der Autor Iles, der mit seiner Familie in Natchez lebt, hat sich nach einer
durch einen schweren Autounfall erzwungenen längeren Schreibpause an eine
Art Lebenswerk gemacht: eine mehrere tausend Seiten dicke Aufarbeitung der
mörderischen Vergangenheit seines Heimatortes in Form einer Romantrilogie,
deren zweiter Teil, „The Bone Tree“ (“Der Knochenbaum“), gerade auf
amerikanischem Englisch erschienen ist.
So recht zugetraut hat das dem Urheber zahlreicher recht konventioneller
Thriller-Bestseller – zuletzt „12 Stunden Angst“ und „Adrenalin“ – …
Was man daran ablesen kann, dass sich in den USA seit Erscheinen des ersten
Teils alle vor Begeisterung überschlagen, die Geschichte schon für eine
Fernsehserie vorgesehen ist und man Greg Iles in die Nähe von William
Faulkner rückt.
## Keine Landschaftsbeschreibungen wie bei Faulkner
Das trifft natürlich ein bisschen daneben. Denn Iles, ein überzeugter
Liberaler, zeichnet zwar wie Faulkner ein Sittenbild der Südstaaten, doch
weder verknüpft er es mit schwelgerisch-atmosphärischen
Landschaftsbeschreibungen, noch ist ihm nach Ironie oder geschickt
gesetzten Tupfern des Makabren zumute. Schließlich geht es um eine Reihe
rassistischer Morde, um sexuelle Gewalt und weitere von Weißen an Schwarzen
begangene unvorstellbare Grausamkeiten. Aber es geht auch um
einvernehmlichen Sex zwischen Schwarzen und Weißen vor dem Hintergrund
eines erstickenden Puritanismus, der allerdings die Weißen stärker quälte.
Dass Iles das populäre Genre des Thrillers für seine Aufrechnung gewählt
hat, ist gut: gut für die Fakten, die sich nicht immer leicht zu handfesten
Beweisen fügen, und gut für das Schmuddelige und Brutale. Denn im Thriller
muss man kein Blatt vor den Mund nehmen. Wobei Iles nur so anschaulich wie
nötig ist, doch schon das ist manchmal kaum auszuhalten.
1968 – wir sind noch in der relativ kurz erzählten Vorgeschichte der
aktuellen Thrillerhandlung – geht die Verbrechensserie weiter. Es macht
übrigens nichts, davon hier so relativ viel zu verraten, denn Iles hält
nicht viel vom klassischen „Who dunnit“. Ihn interessiert, wie eine
Gesellschaft beschaffen ist, in der so etwas möglich ist.
Kurz nach dem Attentat auf Norris gründeten die Täter, denen die
Klan-Aktivitäten nicht weit genug gingen, die klandestine Organisation der
Doppeladler und schmiedeten umgehend Pläne zur Ermordung von King und Bobby
Kennedy. 1968 foltern und ermorden die Doppeladler die 19-jährigen
schwarzen Bürgerrechtsaktivisten Jimmy Revels und Luther Davis, einzig um
einen der beiden Kennedys in die Stadt zu locken, und vergewaltigen
mehrmals Viola Turner, die Schwester von Davis und Krankenschwester des
angesehenen weißen Arztes Tom Cage.
## Ungelöste Fälle
Dieser nun, in seinen Siebzigern, wird 2005 beschuldigt, Viola Turner
getötet zu haben. Sterbenskrank war sie nach Jahrzehnten im Norden in ihre
Heimatstadt Natchez zurückgekehrt und hatte sich in die Obhut ihres
ehemaligen Chefs begeben. Violas Sohn, der sich für den Sprössling von Tom
Cage hält, und ein ehrgeiziger schwarzer Staatsanwalt mögen nicht an
Sterbehilfe glauben. Cages Sohn Penn hingegen, Jurist und Bürgermeister der
Stadt, hält die Doppeladler für die Täter und setzt alles daran, seinem
herzkranken Vater einen Gefängnisaufenthalt zu ersparen.
Sehr ähnliche Fälle wie die in „Natchez Burning“ geschilderten haben sich
zur Zeit der Bürgerrechtsbewegung in der Stadt tatsächlich ereignet. Davon
zeugen eine Liste mit „Cold Cases“, ungelösten Fällen, die das FBI 2007
veröffentlichte, und die Artikel des mit Iles befreundeten
Lokaljournalisten Stanley Nelson, der jahrelang zu einem der Fälle
recherchierte, veröffentlichte und in dem aus unzähligen Perspektiven
erzählten Roman eine Entsprechung findet.
Dass dieses, eines der „finstersten Kapitel der amerikanischen Geschichte“,
wie es im Buch einmal heißt, bis heute nicht vorbei ist, dass die Täter von
damals noch heute vor der Einschüchterung und Ermordung von Zeugen nicht
zurückschrecken, macht Iles’ Thriller eindrücklich deutlich. Der Schatten
dieser Vergangenheit reicht schließlich bis zu den von weißen Polizisten
ermordeten Schwarzen in Ferguson, North Charleston und anderswo.
Die Ursachen für die Brutalisierung und Militarisierung der Täter sucht
Iles in den Kriegen in Korea, Vietnam oder Irak. Er sucht sie nicht nur im
tief verwurzelten Rassismus und Machismo, sondern auch in Klassenlagen und
Ressentiments, die sich noch immer aus dem Bürgerkrieg speisen.
Dankenswerterweise helfen einige Fußnoten, die hierzulande weniger
bekannten Details der US-amerikanischen Geschichte zu verstehen. Und Iles
macht immer wieder, bis zum überdrehten Showdown, deutlich, dass
gelegentlich auch dem liberalen Amerika in der Auseinandersetzung mit
solchen Schlächtern nur ein Waffengang hilft. An dieser Tatsache dürften
hiesige Leser eine Weile zu schlucken haben. Aus der Hand legen können
werden sie das Buch trotzdem kaum. Denn so episch es auch angelegt sein
mag, so gierig verschlingt man es.
4 Jun 2015
## AUTOREN
Christiane Müller-Lobeck
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Südstaaten
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