# taz.de -- Stuttgarter Ermittler in Berlin: Die Monsterratten sind los | |
> Zwischen Ironie und Klischee: Wolfgang Schorlau hat einen Kreuzberg-Krimi | |
> über Immobilienspekulation geschrieben. | |
Bild: Ein Graffito für bezahlbare Mieten an einer Hauswand in Berlin-Kreuzberg | |
Nun ist auch Dengler, Wolfgang Schorlaus Stuttgarter Privatdetektiv, auf | |
Stippvisite in Berlin. Natürlich im überlaufenen und überteuerten | |
Kreuzberg, wo (noch) Silke wohnt, eine Freundin seiner Liebsten Olga. Eines | |
Nachts bekommt Olga einen schockierenden Anruf von Silke: Eine Ratte ist in | |
deren Wohnung eingedrungen und hat ihrem schlafenden Baby ein Stück vom | |
Fingerchen abgebissen. | |
Weitere auffällig aggressive Ratten wurden von den Nachbarn mit Besen aus | |
dem Treppenhaus gejagt. Jemand muss die Biester ausgesetzt haben! (Und wir | |
wissen, dass das in der Tat so ist, denn diese Szene hat der Autor uns | |
nicht vorenthalten.) Und warum sind sie überhaupt derart bissig? | |
Dengler, der mit Olga aus Stuttgart einfliegt, um der Sache auf den Grund | |
zu gehen, lässt sich zusätzlich vom Eigentümer des Hauses, dem | |
Bauunternehmer Kröger, als Ermittler engagieren. Denn Kröger, der dafür | |
berüchtigt ist, MieterInnen mit rabiaten Methoden aus seinen Häusern zu | |
graulen, schwört Stein und Bein, nichts mit der Rattenattacke zu tun zu | |
haben. Wer also steckt dahinter? | |
## Berlin typisches Romanpersonal | |
Wolfgang Schorlau hat seine Hausaufgaben gemacht und fährt ein | |
Berlin-typisches Romanpersonal auf, das einerseits populären Klischees | |
entspricht und andererseits dazu angetan ist, nostalgische Reflexe bei | |
Berliner LeserInnen hervorzurufen, weil es darunter auch Kreuzberger | |
Archetypen gibt, die einer nicht wiederkehrenden Vergangenheit anzugehören | |
scheinen. | |
Der Typus der wehrhaften Kreuzbergerin, im Roman von der toughen Silke und | |
ihrer aktivistischen Freundin Hatice repräsentiert, wird sicherlich noch | |
eine ganze Weile gegen Mietenerhöhungen und Verdrängung protestieren. | |
Andere Archetypen hingegen wie der des dauerkiffenden jugendlichen Slackers | |
– verkörpert von den Freunden Eddie und Matze, die nachts zufällig einen | |
Ganoven mit Rattenkäfig in der Gegend beobachten – werden wohl im | |
gentrifizierten Kreuzberg bald als fast völlig verdrängt gelten müssen. | |
Es hat etwas Kriminalmärchenhaftes, wie Wolfgang Schorlau seinen Dengler | |
und dessen furchtlose Olga, die eine begnadete Hackerin ist, immer wieder | |
in Situationen bringt, die zufällig entscheidende Erkenntnisse bringen. | |
Nicht minder märchenhaft, wie beide sich aus jeder brenzligen Lage mit | |
(fast) heiler Haut retten können, vor allem Olga, die bei einem | |
ermittlungsbedingten Ausflug nach Leipzig nicht nur in einen fremden Keller | |
einsteigt, sondern auch undercover eine illegale, von Nazis frequentierte | |
Hundekampfarena besucht. Es haben allerdings nicht alle Romanfiguren diese | |
Art von Überlebensglück. | |
## Nur bedingt wirklichkeitsnah | |
Doch der heitere, sozusagen uneigentliche Tonfall, der über dem Ganzen | |
liegt, macht von Beginn an deutlich, dass dies eine Geschichte ist, die | |
zwar etwas über unsere Wirklichkeit erzählt – auch der amerikanische | |
Großinvestor, der im Hintergrund seine Fäden zieht, hat sein Vorbild in | |
einem real existierenden Unternehmen –, sie aber nur bedingt | |
wirklichkeitsnah abbildet. | |
Durchaus realistisch sind die Berlin-Schauplätze, an die der Autor seine | |
Figuren führt. Schorlau verwendet echte Orte als Handlungsorte, macht sich | |
nur eines kleinen, womöglich unabsichtlichen Etikettenschwindels schuldig: | |
Denn die St.-Michael-Kirche, in deren unmittelbarer Umgebung ein Großteil | |
der Handlung spielt, liegt mitnichten in Kreuzberg, sondern in Mitte. | |
Die Sache mit den Ratten wiederum ist ja im Prinzip ein ganz furchtbares | |
Berlin-Klischee, dem in literarischer Hinsicht schon seit Horst Evers’ | |
Beitrag zum Krimigenre „Der König von Berlin“ nichts mehr hinzuzufügen wa… | |
Eigentlich. Uneigentlich kann man dem Schorlau die Szene vielleicht als | |
ironisches Zitat durchgehen lassen. | |
19 Nov 2020 | |
## AUTOREN | |
Katharina Granzin | |
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