# taz.de -- Baden-Württemberg vor der Landtagswahl: Land, von einer Axt gespal… | |
> Lange glaubten nicht einmal ihre Gegner an die Besiegbarkeit der CDU in | |
> Baden-Württemberg. Die hat nun die Städte abgeschrieben und mobilisiert | |
> umso stärker in den Dörfern. | |
Bild: Die Kraft der Dörfer soll Mappus und die CDU die besten Plätze im Landt… | |
Ich fahre von Stuttgart aus zu einer Lesung nach Neresheim, weit hinein in | |
jene Landschaft, die in Baden-Württemberg gemeinhin mit Provinz | |
gleichgesetzt wird: die Schwäbische Alb. | |
Es ist fast Abend, wenige Tage vor der Wahl. Hinter Aalen verpasse ich die | |
richtige Ausfahrt und tuckere eine Stunde durch die Dörfer der Ostalb. Es | |
ist Wahlkampf. In Baden-Württemberg stehen mindestens fünf Parteien | |
ernsthaft zur Wahl. Aber hier sieht es so aus, als gebe es allein die CDU. | |
Bestenfalls jedes zehnte Wahlplakat wurde von einer anderen Partei | |
aufgehängt, mal von der SPD, mal von der Linken, eines von den Grünen | |
bekomme ich nicht zu Gesicht. Vor einem Großplakat verursache ich fast | |
einen Auffahrunfall. Das Bild zeigt einen Holzbock, darauf einen Scheit, | |
der gerade von einem Beilhieb gespalten wird. Unterzeile: Klare Kante - | |
CDU. Es hätte auch heißen können: Auf einen groben Klotz gehört ein grober | |
Keil - CDU. | |
## Die CDU spielt Bevölkerungsgruppen gegeneinander aus: Stadt gegen Land | |
Klarer habe ich noch nie gesehen, was in manchen CDU-Kreisen ohnehin gesagt | |
wird: Es war gut, mit klarer Kante, also mit Wasserwerfern und Tränengas | |
gegen die Stuttgarter Demonstranten am sogenannten Schwarzen Donnerstag | |
vorzugehen. Auch wenn es nicht direkt angesprochen wird: Dieses Plakat | |
vermittelt ein Bild, das man auf eine grundsätzliche Haltung übertragen | |
kann. Das verlogen wirkende Bedauern über den brutalen Polizeieinsatz wird | |
weggewischt. | |
Während es in Städten wie Ulm, Karlsruhe oder Mannheim kritische | |
CDU-Stimmen gibt, ist die Haltung im schwäbischen Hinterland offensichtlich | |
anders: "Haben wir gut gemacht!", hört man hier. Dies ist Teil einer | |
Kampagne, bei der die städtische Bevölkerung gegen die Menschen in der | |
Region ausgespielt wird: Land gegen Stadt. | |
In Stuttgart wagt die CDU es nicht, dieses Plakat aufzuhängen. Die großen, | |
selbst die mittleren Städte scheinen die Konservativen in Baden-Württemberg | |
mehr oder weniger schon verloren gegeben zu haben. Hier wird nicht mehr | |
investiert. | |
## "Wo hoch die Kanzel und niedrig der Verstand, da ist das schwäbische | |
Oberland" | |
Eine hochrangige Vertreterin der CDU sagt mir, dass in der Stuttgarter | |
Partei reine Panik herrsche. Es ist das flache Land, das die CDU derzeit zu | |
mobilisieren versucht. Die Kalkulation ist klar: Von den 1.102 Gemeinden in | |
Baden-Württemberg haben nur 70 mehr als 25.000 Einwohner. Wo hoch die | |
Kanzel und niedrig der Verstand, da ist das schwäbische Oberland, spottet | |
man in der Stadt. | |
Der Kollege Karl-Heinz Ott, selbst gebürtiger Oberschwabe, schreibt in | |
seinem Roman "Ins Offene" über seine Heimat: "Einem langen Leben in der | |
teigigen Trägheit dieser Winkel und Weiler wäre, denke ich jedes Mal, der | |
kurze Schmerz des Selbstmordes vorzuziehen." Um dieses dörfliche, "teigige" | |
Milieu zu gewinnen, scheut sich die Staatspartei auch nicht vor dem | |
Verbreiten rassistischer Vorurteile. Winfried Kretschmann, der grüne | |
Spitzenkandidat, so ließ die CDU streuen, sei in Wirklichkeit nur ein | |
Platzhalter für Cem Özdemir. Im Klartext hieß die Frage, die dahinter | |
stand: Wollt ihr einen Türken als Ministerpräsidenten? Nein? Dann wählt | |
CDU. | |
Auftritt in Freiburg: Matthias Deutschmann hat das Stadttheater für einen | |
badischen Heimatabend mit allen Konsequenzen und schwäbischen Gästen | |
gewinnen können. Das Haus ist restlos ausverkauft. Ich gehe nicht wählen, | |
ich gehe abwählen, ruft Deutschmann dem applaudierenden Publikum zu. | |
## Die Zeichen stehen auf Wechsel - trotz CDU-Wahlkampfmaschine | |
Nein, um die Universitätsstädte muss ich mir keine Sorgen machen. Hier | |
stehen alle Zeichen auf Wechsel. Das macht Mut. Ein paar Tage zuvor sah es | |
noch anders aus: Lesung aus meinem Stuttgart-21-Buch mit Boris Palmer, dem | |
grünen Tübinger Oberbürgermeister, in Heilbronn bei der Buchhandlung | |
Osiander. Zwar ist die Veranstaltung ausverkauft, viele Grüne und | |
Stuttgart-21-Gegner sind erschienen. Doch die Stimmung ist gedrückt. Die | |
CDU-Wahlkampfmaschine mache das Land platt, wird geklagt. Ich fahre mit | |
Palmer in nachdenklicher Stimmung zurück. Die gefühlte 100-jährige | |
CDU-Herrschaft in Baden-Württemberg führt auch dazu, dass selbst viele | |
ihrer Gegner nur schwer an einen Wechsel glauben können. Die CDU sitzt so | |
selbstsicher im Sattel, dass sich SPD und Grüne eine Veränderung jahrlang | |
nur an der Seite der CDU vorstellen konnten. Daraus ergaben sich die | |
fatalen schwarz-grünen Träumereien bei den Grünen und das oft dumme und | |
erbitterte Grünen-Bashing bei der SPD, die eine große Koalition im Sinn | |
hatte. Jetzt erst, viel zu langsam und zögerlich, korrigieren die beiden | |
Parteien ihr Verhältnis zueinander. | |
Zuletzt: ein Auftritt in der Nähe von Pforzheim, mitten im Wahlkreis von | |
Stefan Mappus. Der örtliche Lions Club hat mich zu einer festlichen | |
Veranstaltung eingeladen. Ich lese aus meinem Afghanistan-Roman "Brennende | |
Kälte". Man sollte meinen, hier befände ich mich mitten im schwarz-gelben | |
Kerngeschäft. Ich erkundige mich nach Mappus. Jeder kennt ihn hier. Der hat | |
schon mit zwölf Plakate für die Partei geklebt, sagen sie. Werden Sie ihn | |
wählen, frage ich. Kopfschütteln. Der hat nur die Macht im Kopf. Mehr ist | |
da sonst nicht drin. Schon in den kleinen Vorstädten von Pforzheim endet | |
offenbar, was manche in Baden-Württemberg für die Provinz halten. Die | |
Zeichen stehen auf Wechsel. | |
23 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Wolfgang Schorlau | |
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