| # taz.de -- „Schlachten“ im Maxim-Gorki-Theater: Neue Menschen, alte Mensch… | |
| > Theater im Krieg: Oliver Frljić malt mit Heiner Müllers Textcollage | |
| > „Schlachten“ am Berliner Gorki Theater das Barbarentum des Menschen aus. | |
| Bild: Marina Frenk, Mehmet Yılmaz, Vidina Popov, Tim Freudensprung in „Schla… | |
| Mitten im Krieg Theater über den Krieg zu machen, ist kein einfaches | |
| Geschäft. Denn wer ins Theater geht, um ein Kriegsstück anzuschauen, ist | |
| meist tief eingewoben in die Nachrichtenlage. Die eigenen Schlüsse werden | |
| daraus gezogen, die eigene Position keck aufmunitioniert. Das Geschehen auf | |
| der Bühne soll dann Bestätigung liefern. | |
| Genau diesen Gefallen tut Regisseur [1][Oliver Frljić] in „Schlachten“ aber | |
| nicht. Er setzt sich vielmehr zwischen die meisten der denkbaren Stühle in | |
| Sachen (Ukraine-)Krieg. Daher ist abzusehen, dass diese Inszenierung auf | |
| weitgehende Ablehnung stoßen wird. Ansehenswert ist sie dennoch, vielleicht | |
| sogar genau deshalb. | |
| In seinem dritten – und besten – Teil der Kriegstrilogie, die mit dem | |
| Revolutions- und Machtstück „Dantons Tod/Iphigenie“ begann und mit einer | |
| plakativ-belehrenden „Mutter Courage“ weitergeführt wurde, wühlt | |
| [2][Frljić] tief im Textfundus von Heiner Müller. Der kennt sich mit | |
| Kriegen aus, die Sprache ist poetisch und bei aller Klarheit selten | |
| eindeutig. „Wolokolamsker Chaussee“, „Germania 3“ und „Philoktet“ s… | |
| am meisten ausgebeuteten Textminen. Frljić steuert aber auch eigene | |
| Zwischenstücke bei. | |
| ## Stalin und „der neue Mensch“ | |
| Das historische Panorama beginnt mit Stalin. Der schnauzbärtige Diktator | |
| faselt noch vom „Neuen Menschen“ – ein Zukunftsprojekt, immerhin, für | |
| dessen Erreichen allerdings jedes Opfer, jeder Terror entschuldbar scheint. | |
| Sein Nachnachnachfolger auf dem Diktatorensessel hat nicht mal eine solche | |
| Vision. Wladimir Putin kennt nur den Terror und will ganz Altes | |
| wiederherstellen. | |
| Weil aber selbst Stalin, so jedenfalls Müller, die Ahnung überkam, dass die | |
| Kombination aus Vision und Terror zur permanenten Mobilisierung nicht | |
| taugt, war er glücklich über den Zeitgenossen mit dem kleineren Bärtchen, | |
| Adolf Hitler. Das Kalkül: Je grausamer der deutsche Vorstoß vor mehr als 80 | |
| Jahren, desto mehr Sympathien für den, den man bald darauf „Väterchen | |
| Stalin“ nannte. Munter tanzen dazu Figuren mit Stalin-, Hitler- und | |
| Trotzki-Köpfchen auf der Bühne. | |
| Den großen Mobilisierungsdiskurs bricht Frljić dann auf eine | |
| Individualszene aus „Wolokolamsker Chaussee“ herunter. Ein Kommandeur (Tim | |
| Freudensprung) nutzt die Selbstverstümmelung eines Untergebenen (Mehmet | |
| Yilmaz), um ein Exempel zu statuieren und die willenlose Horde Menschen | |
| unter ihm zu einem Bataillon zu schmieden. | |
| Schmiedehammer ist das Erschießungskommando, besetzt aus Kameraden des zum | |
| Tode Verurteilten. Der Rest der Truppe schaut zu. Es ist ein | |
| Initiationserlebnis. Ein Weg zurück, zu Recht und Moral des zivilen | |
| Lebens, bleibt denen, die mittun, und auch denen, die tatenlos zuschauen, | |
| nicht mehr. | |
| ## Der Rausch des Kampfes | |
| Der Rausch des Kampfes ist der einzige Ausweg. Frljic, aufgewachsen im | |
| Balkankrieg, dürften derartige Mobilisierungs- und Brutalisierungspraktiken | |
| vertraut sein. Hierzulande schreibt man sie gern den Gegnern zu. Krieg | |
| verändert aber auch die „Eigenen“, die „Guten“. | |
| „Der Krieg ist, wie die Schwarzerde der Steppe, ein fruchtbarer Nährboden | |
| für innerlich verstörte Menschen, die nach Grenzsituationen lechzen wie die | |
| Sonnenblume nach Licht“, schreibt der polnische Schriftsteller Szczepan | |
| Twardoch nach Frontbesuchen in der Ukraine. | |
| Er bringt regelmäßig Militärausrüstung, kennt Soldaten und Offiziere und | |
| liefert bei deutlich benannter Sympathie für die gerechte Sache der Ukraine | |
| tiefe Einblicke in die zwischen Verstörtsein und Hellsicht oszillierenden | |
| Gemüter in der Kampfzone. Sein Text, am Wochenende von der NZZ | |
| veröffentlicht, ist eine kongeniale Begleitlektüre zur Berliner | |
| Inszenierung. | |
| Auch auf die Mobilisierungspraktiken im Hinterland hat Frljić es abgesehen. | |
| Grandios die – von Vidina Popov lustvoll ausgemalte – Kandidatenshow zu | |
| „Deutschland sucht das nächste Top-Opfer“. Von „kleinen“ Kriegen – w… | |
| bosnischen – über „große“ – Irak, Syrien und Ukraine – bis hin zur | |
| aktuellen Erdbebenkatastrophe reicht die Auswahl. | |
| ## Erregungsbusiness | |
| Sich nicht kümmern, nicht interessieren, nicht helfen wollen, ist sicher | |
| keine Option. Das Erregungsbusiness, das von einem Schreckereignis zum | |
| nächsten übergeht, ohne an den Ursachen etwas ändern zu wollen, ist aber | |
| auch verlogen. | |
| Hier bleibt die Inszenierung leider hinter ihrem eigenen Programmheft | |
| zurück. In einem dort veröffentlichten Interview plädiert die | |
| Politikwissenschaftlerin Nicole Deitelhoff für Verfahren und Praktiken, die | |
| Konflikte gewaltfrei zu lösen. Das szenische Material indes befeuert weiter | |
| die Gewalt. | |
| Frljić steuert damit in eine Ausweglosigkeit, die auch dem späten Müller, | |
| dem von „Germania 3“, angelastet wurde. Und wenn Vidina Popov direkt bei | |
| Müller Rat sucht, kommt keine befriedigende Antwort mehr. Am Ende schickt | |
| Frljić Kinder auf die Bühne – als Zeichen offenbar, dass auch die nächsten | |
| Generationen in den Moloch des Schlachtens hineingezogen werden. | |
| 30 Mar 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tom Mustroph | |
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