| # taz.de -- US-Theatergruppe Wooster Group in Berlin: Ein Fest fürs Museum | |
| > Theaterkunst als Remix, das zeichnete die New Yorker Wooster Group aus. | |
| > Doch ihre Kunst ist nicht gut gealtert, wie sich beim Festival FIND | |
| > zeigte. | |
| Bild: Zur Schaubühne brachte The Wooster Group die Performance „A Pink Chair… | |
| Der legendären Performance-Company [1][The Wooster Group] aus New York gilt | |
| beim [2][Festival Internationaler Neuer Dramatik] (FIND) an der Berliner | |
| Schaubühne ein eigener Schwerpunkt. Dabei zeigen sie zwar mehrfach, wie es | |
| gehen könnte, avantgardistisches Theater zu archivieren. Der Sinn des | |
| eigenen Tuns geht in diesem Bemühen aber leider verloren. | |
| Der technische Aufwand ist beachtlich. Über den Monitor in der Mitte der | |
| Bühne huscht eine Linse, die verschiedene Zonen des Bildes scharfstellt. | |
| Mal wird dadurch der Blick auf archivierte Szenen aus Aufführungen der | |
| polnischen Theaterlegende Tadeusz Kantor fokussiert, ein anderes mal werden | |
| die, die ihm jetzt aus der Perspektive des 21. Jahrhunderts zuschauen, in | |
| den Mittelpunkt gerückt. | |
| Wooster-Group-Spielerin Kate Valk sichtet in „The Pink Chair“ gemeinsam mit | |
| Dorota Krakowska, der Tochter des 1990 gestorbenen Kantor, Aufnahmen von | |
| dessen Werken. Angefertigt hat sie der dritte der Zuschauer, der | |
| Filmregisseur [3][Zbigniew Bzymek]. Er begleitete im Vorfeld der | |
| 100-Jahr-Feierlichkeiten Kantors 2015 eine Abordnung der Wooster Group | |
| durch polnische Archive und filmte jede Menge Material ab. Der Aufzeichner | |
| mutiert gar zum Wiedergänger Kantors, die Ähnlichkeit der kantigen | |
| Gesichtszüge ist verblüffend. | |
| ## Szenen von Kantor nachgestellt | |
| Um Kantor/Bzymek herum stellt die Wooster Group genau die Szenen aus | |
| Kantors Spätwerk „I Shall Never Return“ nach, die gleichzeitig auf die | |
| Bühne projiziert werden. Man wird szenisch in ärmlich wirkende Gasthäuser | |
| transportiert, Schauspieler*innen in historischen Kantor-Kostümen | |
| schauen von einer Art Schulbank aus zu – wem Kantor etwas sagt, der mag | |
| sich an sein Stück „Die tote Klasse“ erinnern, in dem er unter seinen | |
| früheren Mitschülern jener gedenkt, die in deutschen KZs umkamen. | |
| In der Parallelität der gespielten und der projizierten Szenen verrauschen | |
| die Inhalte allerdings. Weil auch nicht live gesprochen wird, sondern die | |
| Lippen (fast) synchron zum Ton aus der Konserve bewegt werden, wirkt das | |
| Spiel noch artifizieller, distanzierter, ja tot. Was die Wooster Group an | |
| Kantor fand, wird nicht deutlich. Warum sie die aufwendige Ausgrabung | |
| tätigte, ebenso wenig. | |
| Die Auftragsarbeit zum Kantor-Jubiläum wirkte jetzt bei FIND arg aus dem | |
| Kontext gerissen. Immerhin konnte die Wooster Group darin ihre Mittel | |
| perfekt präsentieren: Das [4][fortwährende Graben in Materialien,] das | |
| immerwährende Neubefragen, das Wiederholen, Verarbeiten und Abmixen, ganz | |
| so, als sei Theaterkunst vor allem DJ-Arbeit. Das und die Betonung der | |
| Künstlichkeit und der Schichtstruktur des Materials zeichnet die 1975 in | |
| der New Yorker Wooster Street gegründete Gruppe aus. | |
| ## Sich wehren gegen die Flüchtigkeit | |
| In den späteren Arbeiten, im 21. Jahrhundert entstanden, nimmt das Remixen | |
| allerdings anthropophagische Züge an. Vor allem das Eigene wird gefressen, | |
| verdaut und ausgeschieden. In der multimedialen Dokumentationsperformance | |
| „Nayatt School Redux“ und dem Film „Rumstick Road“ werden alte Arbeiten… | |
| Gruppe selbst neu aufgelegt. | |
| Natürlich kann man auch das loben, dass sich die Gruppe eines uralten | |
| Themas der Theaterkunst annimmt: der Klage über deren Flüchtigkeit. Die | |
| Raffinesse, in der die Woosters Materialien schichten, Blickrichtungen | |
| ineinander spiegeln, überzeugt hierbei. Ja, das könnte tatsächlich eine | |
| Archivierungsstrategie für flüchtige Bühnenereignisse sein. | |
| Auch der Wert längst vergangener Arbeiten erhält Gewicht. Die | |
| Odysseus-Figur, die sich durch viele Arbeiten Kantors hindurchbewegt und | |
| auch in einer Sequenz von „Pink Chair“ auftauchte, wurde vom polnischen | |
| Regisseur erstmals 1942 in einem Untergrundtheater in Krakau während der | |
| deutschen Besetzung als ein zum Bettler herabgesunkener Kriegsheimkehrer | |
| inszeniert. Da schließen sich plötzlich Welten kurz. | |
| Als Bühnenkunst selbst waren diese jüngeren Arbeiten der Wooster Group | |
| allerdings nur ein lebloses Referenz- und Selbstreferenztheater. | |
| Glücklicher war der Mitteleinsatz bei den ebenfalls bei FIND gezeigten | |
| Filmarbeiten aus den 80er und 90er Jahren. „Wrong Guys“ – nach dem Roman | |
| des längst verstorbenen Schwagers von Elizabeth LeCompte, Star der Wooster | |
| Group, Jim Strahs – ist ein bizarres Roadmovie um Moral und Gesetz | |
| verachtende Aussteiger. | |
| „White Homeland Comando“ zeigt die schon vor 30 Jahren gärende toxische | |
| Mischung aus weißem Rassismus, Institutionenfeindlichkeit und Rausch an der | |
| Gewalt, die in den Trump-Jahren Massencharakter annahm. In diesen | |
| Filmarbeiten erkennt man noch wieder, warum die Gruppe einst als prägend | |
| für mehrere Generationen galt. | |
| 26 Apr 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tom Mustroph | |
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