# taz.de -- Theaterfestival FIND: Auf der Bühne eine Existenz | |
> Das Festival Internationale Neue Dramatik (FIND) an der Berliner | |
> Schaubühne beschäftigt sich mit dem britischen Autor und Regisseur | |
> Alexander Zeldin. | |
Bild: „The Confessions“ von Alexander Zeldin, Thema ist die eigene Familien… | |
„Ich suche nach Menschen, die die Bühne durch die Seitentür betreten“, sa… | |
Alexander Zeldin. Der britische Regisseur „will Menschen finden, die das | |
Theater nicht nur als Beruf ansehen“. Hint Swareldahab aus dem Sudan ist so | |
ein Mensch. Sie stand in Zeldins Inszenierung „LOVE“ das erste Mal auf | |
einer Theaterbühne und konnte das verkörpern, was sie persönlich bewegte: | |
die Trennung von geliebten Menschen. | |
Zeldin, Dramatiker und Regisseur in Personalunion, arbeitet sich an der | |
Austeritätspolitik seiner Heimat ab. Aber ihm geht es nicht darum, im | |
Theater darüber zu reflektieren. Ihm ist wichtig, ein Destillat der | |
Lebenswirklichkeit herzustellen. | |
Ein durch die britische Austeritätspolitik bestimmter konkreter | |
gesellschaftlicher Zustand wird abgebildet. Dazu interviewt Zeldin zuerst | |
Betroffene. Dann stellt er einen Cast aus Schauspieler:innen und | |
Nichtschauspieler:innen zusammen. Danach erarbeitet er aus den | |
Gesprächen einen Text, der im Idealfall zu einer neuen Sprache findet mit | |
dem Ziel, sich so einer Neubeschreibung des Lebens anzunähern. | |
Seit über zehn Jahren ist Zeldin mit seinem politisch-emphatischen | |
Lebensannäherungstheater in Großbritannien erfolgreich. Er ist im Olymp des | |
Londoner National Theatre angekommen und zeigt dort seine | |
Stückentwicklungen. | |
## Eine kleine Werkschau | |
Inzwischen gibt es sogar eine Verfilmung von „LOVE“, die auf dem | |
[1][diesjährigen FIND-Festival der Berliner Schaubühne] gezeigt wurde, | |
nachdem die Bühnenversion schon 2021 bei FIND gastierte. Da das diesjährige | |
Festival Zeldin eine kleine Werkschau gewidmet hatte, [2][konnte man in | |
Berlin nach „LOVE“] und „Beyond Caring“ (Zeldin hatte mit dem | |
Schaubühnen-Ensemble eine deutsche Version entwickelt) auch „Faith, Hope | |
and Charity“ sehen, das dritte Stück der Trilogie „The Inequalities“ (Die | |
Ungleichheiten). Und mit „The Confessions“ sein neuestes Werk. | |
Während es in „Beyond Caring“ um Menschen in prekären Arbeitsverhältniss… | |
geht und „LOVE“ in einer Notunterkunft für Wohnungslose spielt, liegt der | |
Fokus bei „Faith, Hope and Charity“ auf den Besucher:innen eines | |
Nachbarschaftszentrums. Was alle drei Inszenierungen auf bemerkenswerte Art | |
verbindet, ist das Spiel ohne eingeschriebenen Kommentar. Zeldin sagt bei | |
Proben oft zu seinen Darsteller:innen, sie sollten „nicht Theater | |
spielen“. Denn er möchte sie dazu bringen, vom „Spiel“ wegzukommen, um s… | |
eine andere Existenz auf der Bühne zu erarbeiten. | |
Das Ergebnis ist ein Spiel, das bewusst nicht als Spiel markiert werden | |
soll. Zeldin wurde durch Peter Brook geprägt, er war einige Zeit dessen | |
Assistent. Darum ist auch bei ihm jeder Moment durchkomponiert. Der | |
Dramatiker Zeldin wiederum gibt dem Regisseur Zeldin Texte mit fein | |
austarierten Spannungsbögen in die Hand, die der dann kunstvoll | |
ungekünstelt verwebt. | |
Das Ergebnis sind Bewegungsabläufe und Interaktionen, die in der | |
Zuschauerwahrnehmung organisch ablaufen. Das führt zu einem immens hohen | |
Grad an Unmittelbarkeit. Gleichzeitig bekommen die Figuren, die reale | |
Menschen zum Vorbild haben, über die Sprachebene eine inhaltliche Tiefe. | |
## Authentisches Theater | |
Auf vordergründig altmodische, im Grunde aber verwirrend neue Art und Weise | |
berührt Zeldins Theater. Es dringt in Schichten des Bewusstseins vor, die | |
im Theater sehr selten erreicht werden – trotz des geringen Anteils an | |
Manipulation, die im Grunde dem Theater als darstellende Kunstform in seine | |
DNA eingeschrieben ist. | |
Die Empathie für seine Protagonist:innen, die Zeldins Theater beim | |
Zuschauer während der Vorstellung entstehen lässt, bleibt auch, nachdem man | |
die Schaubühne verlassen hat. Sie lässt einen aufmerksamer und sensibler | |
auf die Realitäten blicken. Das ist der zivilgesellschaftliche Mehrwert | |
dieser Trilogie. | |
Mit „The Confessions“ wagt sich Alexander Zeldin auf neues Terrain. Er | |
beschäftigt sich mit seiner eigener Familiengeschichte. „The Confessions“ | |
ist eine Hommage an seine Mutter. Zeldin stellt sie dem Publikum als junges | |
Mädchen vor, das unbedingt studieren will, und zeichnet dann ihren | |
langwierigen, erfolgreichen Emanzipationsprozess nach. | |
Dem Film „LOVE“, der die Protagon:istinnen nicht nur im Heim, sondern | |
auch auf dem Weg zum Jobcenter zeigt, fehlt die Bühnen-Markierung. In | |
Verbindung mit den Nahaufnahmen der Darsteller:innen führt das zu einem | |
extrem starken Authentizitätsmoment. | |
So läuft die inkontinente Heimbewohnerin (Amelda Brown) am Ende des Films | |
in den Regen hinaus. Glücklich streckt sie ihre Hände dem Himmel entgegen. | |
Sie denkt an Selbstmord, um ihren Sohn zu entlasten. Der verteidigte seine | |
Mutter: „Jeder hat das Recht, das Klo zu benutzen.“ | |
28 Apr 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.schaubuehne.de/de/seiten/festival-internationale-neue-dramatik.… | |
[2] /Theatertipps-der-Woche/!5803764 | |
## AUTOREN | |
Katja Kollmann | |
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