| # taz.de -- Berlinale-Hommage für Willem Dafoe: Sie hatten ihn alle | |
| > Eine ganze Generation ist mit seinem Gesicht auf der Leinwand groß | |
| > geworden. Nun bekommt Willem Dafoe den Ehrenbären der Berlinale. | |
| Bild: Willem Dafoe in „Antichrist“ (Lars von Trier), 2009 | |
| Er ist ein schauspielerisches Chamäleon, auch wenn sein Gesicht alles | |
| andere als unauffällig ist. Diese hohen, markanten Wangenknochen, die | |
| stechenden Augen, das dichte Haar. Als gotisch wurde sein Gesicht | |
| beschrieben, flämisch, göttlich, teuflisch; in jedem Fall unverwechselbar. | |
| Die Rede ist von Willem Dafoe, dem amerikanischen Schauspieler, der am | |
| nächsten Mittwoch für sein Lebenswerk mit dem Goldenen Ehrenbären | |
| ausgezeichnet wird. | |
| Wer seine filmische Sozialisation in den 80er Jahren begonnen hat, kam | |
| nicht an Dafoe vorbei, für den wurde der 1955 geborene Mime zu einem | |
| dauerhaften filmischen Wegbegleiter, so wie es vielleicht Tom Cruise, Meryl | |
| Streep oder Tom Hanks sind. Auf deren Level des Ruhms hat es Dafoe nie | |
| geschafft – und vermutlich ist er selbst ganz froh darüber. | |
| „Der Star versucht, sich ein Drehbuch zurechtzubiegen – der Schauspieler | |
| hingegen ordnet sich der Geschichte unter. Das wissen Regisseure auch zu | |
| schätzen: Wer gute Ideen für die Inszenierung hat, will sich nicht mit | |
| nervigen, egozentrischen Filmstars herumschlagen.“ | |
| So hat Dafoe einmal seinen Ansatz beschrieben, der ihm zu einer langen, | |
| erfolgreichen Karriere verholfen hat, in der er für Regiestars wie Martin | |
| Scorsese, Paul Schrader, William Friedkin, Oliver Stone, Abel Ferrara, Wim | |
| Wenders oder Lars von Trier vor der Kamera stand, für viele auch mehrmals, | |
| was sicherlich kein Zufall ist. | |
| ## Anfänge in der Wooster Group | |
| Angefangen hat alles in Appleton, Wisconsin, wo Dafoe als siebtes von acht | |
| Kindern geboren wurde. Sein Vater war Arzt, seine Mutter Krankenschwester, | |
| eine typische Familie der amerikanischen Mittelschicht. | |
| Schon an der High School spielte Dafoe Theater, studierte ein paar | |
| Semester, bevor er Mitte der 70er Jahre nach New York ging, seinen Namen | |
| vom gewöhnlichen William in das irgendwie exotischer wirkende Willem | |
| änderte und seine schauspielerische Heimat fand: Die Wooster Group, eine | |
| experimentelle Theatergruppe, deren Gründungsmitglied Dafoe war, ebenso wie | |
| die Regisseurin Elizabeth LeCompte, mit der er auch privat liiert war. In | |
| winzigen Räumen in Manhattan führt die Gruppe ihre Stücke auf, oft | |
| Dekonstruktionen von Klassikern, Collagen aus Tanz, Musik, Video, | |
| Performance Art und Schauspiel. | |
| Im Gegensatz zu vielen Hollywood-Stars, die später in ihrer Karriere mal am | |
| Broadway oder im Londoner Westend auftraten, um zu beweisen, dass sie auch | |
| auf der Bühne bestehen können, nahm Dafoe den umgekehrten Weg und schaffte | |
| es, lange Jahre beides zu vereinen: zunehmend großen Erfolg im Film und ein | |
| Leben im Theater, das vor allem durch Touren durch Europa finanziert wurde. | |
| Erst als sich Dafoe neu verliebte und seine Beziehung mit LeCompte endete, | |
| endete auch seine Zeit in der Wooster Group. | |
| Die für den ambitionierten, wohl auch etwas rastlosen Schauspieler jedoch | |
| schnell zu klein wurde. Anfang der 80er Jahre versuchte er in Hollywood Fuß | |
| zu fassen und bekam eine erste Rolle in Michael Ciminos legendärem Western | |
| „Heaven’s Gate.“ Während dessen Dreharbeiten er prompt gefeuert wurde: | |
| Offenbar störte sich der Regisseur daran, dass Dafoe über einen Witz zu | |
| laut lachte. | |
| Man kann es sich leicht vorstellen: Lautes, entfernt diabolisch wirkende | |
| Lachen, ein unverschämtes Grinsen im Gesicht, gerade so wie in einer seiner | |
| berühmtesten Rollen, Bobby Peru in David Lynchs „Wild at Heart“. 1990 war | |
| das, Dafoe hatte den Ruf, vor allem Bad Guys zu spielen, Antagonisten, | |
| finstere, sinistre Gestalten. | |
| Dabei hatte er zu diesem Zeitpunkt schon zweimal Jesus gespielt, einmal | |
| metaphorisch, in Oliver Stones Vietnam-Drama „Platoon“, in dem er als | |
| innerlich zerrissener und äußerlich vernarbter Sergeant Elias zu den | |
| elegischen Klängen von Albinonis Adagio erschossen wird und in der | |
| berühmtesten Szene des Films, im Moment des Todes, seine Arme | |
| christusgleich gen Himmel reckt. | |
| Kurze Zeit später war er dann wirklich Christus, in Martin Scorseses | |
| Verfilmung von Nikos Kazantzakis „Die letzte Versuchung Christi.“ Mit | |
| blonden, langen Haaren wirkte Dafoe hier so weich und verletzlich wie | |
| selten, eine Seite, die Paul Schrader, Drehbuchautor von „Taxi Driver“ und | |
| „Letzte Versuchung“, interessierte und für seinen brillanten „Light | |
| Sleeper“ ausnutzte, mit dem Dafoe 1992 bei der Berlinale zu Gast war. | |
| Ende 30 war Dafoe inzwischen schon, älter, weiser, nicht mehr so jung und | |
| ungestüm wie in frühen Filmen, als er oft in Leder gekleidete Biker | |
| spielte, in Kathryn Bigelows „The Loveless“ etwa oder Walter Hills | |
| grandiosem Rock-Musical „Streets of Fire“, aber dadurch noch interessanter. | |
| ## Verfaulte Zähne, spießige Brille | |
| Auch wenn er einmal von seinem typischen physischen Spiel abwich und auch | |
| keine markante körperliche Veränderung den Weg in die Rolle ebnete so wie | |
| in „Wild at Heart“ die verfaulten Zähne, im Bürgerrechtsdrama „Mississi… | |
| Burning“ die spießige Brille und der konservative Anzug eines FBI-Beamten | |
| oder im späteren „Shadow of the Vampire“ die zentimeterlangen Fingernägel. | |
| In „Light Sleeper“ ist Dafoe ganz er selbst, zumindest äußerlich. Einen | |
| Drogendealer spielt er, der auf den Straßen New Yorks unterwegs ist, um | |
| seine Kunden zu treffen, dabei aber zunehmend das Gefühl hat, dass etwas in | |
| seinem Leben fehlt. Ein typischer Loner, wie ihn Schrader oft zeigte, eine | |
| einsame Seele, in einer faszinierenden, gefährlichen Halbwelt gefangen, aus | |
| der ihn die Liebe einer Frau erlöst. | |
| Qualitätsfilme sind dies, so wie auch Dafoes Arbeit in von Triers | |
| „Antichrist“ oder Ferraras „Pasolini.“ Doch Dafoe unterscheidet nicht | |
| zwischen großen und kleinen, zwischen anspruchsvollen und | |
| Unterhaltungsfilmen. Auch Rollen in einem Actionfilm wie „Speed 2“ oder dem | |
| Erotikdrama „Body of Evidence“ betrachtet Dafoe als Chance, sich als | |
| Schauspieler weiterzuentwickeln, Neues auszuprobieren, nicht zu rosten. | |
| Dass er für einen Film wie „Spiderman“ auch eine Millionengage bekommt, | |
| schadet dabei fraglos nicht, mit diesem Geld hat er jahrelang die Wooster | |
| Group mitfinanziert und sich selber die Freiheit gegeben, auch kleinste | |
| Filmprojekte anzunehmen. So wie „The Florida Project“, der Mitte März in | |
| Deutschland in die Kinos kommt. | |
| Für seine Rolle als Hausmeister in einer Wohnanlage in Florida, in der | |
| sozial Schwache ein Leben am Rand des Existenzminimums führen, ist Dafoe | |
| zum dritten Mal für den Oscar nominiert und könnte den Preis nach | |
| Nominierungen für „Platoon“ und „Shadow of the Vampire“ endlich auch | |
| gewinnen. Verdient hätte er ihn allemal, doch so gelassen wie Dafoe seine | |
| Arbeit angeht, so unprätentiös und in sich ruhend er wirkt, darf man davon | |
| ausgehen, dass ihm solch ein Preis nicht allzu wichtig ist. | |
| Seine eigenen Filme schaut sich Dafoe nach eigener Aussage nie an, denn | |
| dabei sei er immer enttäuscht, enttäuscht, dass sich all die Abenteuer, die | |
| er während der Dreharbeiten erlebte, die jedes einzelne Projekt neu und | |
| ungewöhnlich gemacht haben, nur bedingt auf der Leinwand wiederfinden. | |
| Weniger das Endergebnis als die Arbeit scheint es also zu sein, was Dafoe | |
| antreibt. Die Möglichkeit, mit immer neuen, interessanten Regisseuren zu | |
| arbeiten, neue Figuren zum Leben zu erwecken, neue Facetten an sich selbst | |
| zu entdecken. In einer nun schon fast vier Jahrzehnte währenden Karriere | |
| mit über 100 Filmen ist Willem Dafoe dies eindrucksvoll gelungen. | |
| 16 Feb 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Michael Meyns | |
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