| # taz.de -- Premiere im Gorki Theater Berlin: Die Guillotine als Gleichmacher | |
| > Robespierres Büste speit Blut. Die Revolutionäre rutschen darin aus. | |
| > Oliver Frljić zeigt eine sehr stilisierte Version von „Dantons Tod“ in | |
| > Berlin. | |
| Bild: Szene aus „Dantons Tod/Iphigenie“ von Oliver Frljić am Gorki Theater… | |
| Das ist „Dantons Tod“ von Georg Büchner und er ist es nicht. Der | |
| [1][Regisseur Oliver Frljić] hat am Gorki Theater Berlin „Dantons Tod | |
| Iphigenie“ inszeniert. Aber nicht, dass er einen Ausschnitt von der | |
| „Iphigenie“ von Euripides, in der die Tochter geopfert werden soll, um den | |
| Krieg zu beenden, in seine Inszenierung hineinnimmt, verändert das Stück. | |
| Sondern dass er im Umgang mit Büchners Drama um die Auseinandersetzungen | |
| von Girondisten und Jakobinern am Ende der Französischen Revolution auf | |
| Handlung und Erzählung verzichtet und nur mit den Reden arbeitet. Den | |
| Reden, die Gewalt und Hinrichtungen rechtfertigen, um das Gesetz der | |
| Revolutionäre durchzusetzen. | |
| Vier Schauspielerinnen sind die Botinnen der Schreckensherrschaft. Yanina | |
| Cerón, Kenda Hmeidan, Vidina Popov und Ciğdem Teke haben die Haare in | |
| Netzen versteckt und sind äußerlich angeglichen in graugrünen Hosen und | |
| lumpigen Fräcken, die sich später Pink färben werden im Fluss und Regen der | |
| roten Farbe, die als Symbol der Hinrichtungen über die Bühnenrückseite und | |
| den Fußboden strömt und durch die Münder zweier Robespierre-Büsten in eine | |
| Rinne. | |
| Da merkt man schon, man hat es in dieser Inszenierung mit sehr stilisierten | |
| Formen der Darstellung zu tun. Das Drama wird mehr zu einem Konzert, die | |
| Schauspielerinnen bewegen sich choreografiert in symbolischen Bildern, | |
| ordnen Büsten Robespierres zu immer neuen Formationen. | |
| Unheimlich sind diese vier, schon weil sie die indoktrinären und | |
| fanatischen Reden so ganz ohne Schaum vor dem Mund und ohne jede Markierung | |
| von Machohaftigkeit rüberbringen. Sanftmütig, mit süßer Stimme reden sie | |
| von der Notwendigkeit der Vernichtung derer, die ihrem Gesetz widerstehen. | |
| Mit fühlbarem Entzücken beschwören sie Bilder von Naturgewalten, deren | |
| zerstörerische Macht und Grausamkeit sie der Revolution als Vorbild | |
| andienen. Vom Totschlagen derer, die noch Vorrechte in Anspruch nehmen | |
| wollen, flüstern sie konspirativ, während sie mit einem Seil hantieren. | |
| ## Die Poesie der Grausamkeit | |
| Die Inszenierung von Oliver Frljić, die der erste Teil einer geplanten | |
| Kriegstrilogie ist, bringt dabei die Sprache, die Büchner den Anführern der | |
| Schreckensherrschaft in den Mund legte, in einer Weise zu Gehör, die auch | |
| ihre poetische Kraft spüren lässt. Dem kommen die Bewegungsweisen zugute, | |
| die das Sprechen rhythmisieren. Einmal haben die vier einen Ball dabei und | |
| zielen nach jedem Satz auf einen Baskettball-Korb, und auch, wenn nicht | |
| jeder Wurf ein Treffer ist, jeder Satz ist es schon. Es ist diese | |
| Ambivalenz, die die Inszenierung stark macht, in jedem Satz das | |
| Schreckliche der Absicht sichtbar werden zu lassen, aber auch seine | |
| verführerische Kraft. | |
| Dass hinter dem Zelebrieren der Gewalt auch etwas anderes verborgen liegt, | |
| wird in einer anderen Episode deutlich, in der vom Hunger die Rede ist. Es | |
| hungern die Armen der Besiegten und es hungern die Armen der Sieger. | |
| Prostitution und Erniedrigung hat die Revolution nicht besiegen können und | |
| setzt nun auf Ersatzhandlungen. Der Text kommt hier aus den Kriegsgedichten | |
| von Brecht, der mit Büchner und Heiner Müller als kleine Büsten am | |
| Bühnenrand aufgereiht ist. Mit Brecht und Müller wird Frljić in seiner | |
| Kriegstrilogie weiterarbeiten. | |
| Die Inszenierung hat dabei auch komödiantische Elemente. Das Blut, die rote | |
| Farbe, wird im wörtlichen Sinn zum Schmiermittel der umwälzenden Prozesse, | |
| wenn die vier Schauspielerinnen darin he-rumschlittern. Einmal nehmen sie | |
| die Haltungen von braven Häschen ein, die als Mikrofon hüpfen, um ihre | |
| Phrasen zu verkünden. Überzeugung und ihre parodistische Nachahmung liegen | |
| eng beieinander. | |
| In einer Passage gegen Ende sitzen die vier auf Stühlen und mokieren sich | |
| über die Worte einer Rede, die sie unter ihren Stühlen finden. Sie lachen | |
| sich scheckig über die großsprecherischen Worte, wenn von | |
| „Nationalkühnheit“ die Rede ist, vom „Genie auf einer Stirn“, vom „N… | |
| das „mir Asyl wird“. Es sind Auszüge aus dem letzten Versuch Dantons vor | |
| Gericht, seinen Tod noch abzuwenden, weil ihm Zweifel kamen an den | |
| totalitären Praktiken der Revolution, weil er nun doch dem Individuum | |
| Rechte zubilligen will, die der Staat nicht regulieren kann. Erst ganz am | |
| Ende, bei den letzten Sätzen, holt sie das Grauen ein. | |
| Kriegslärm folgt. Vielleicht ist das der Moment, in dem einem bewusst wird, | |
| welch Privileg es ist, in einem Land ohne Krieg ins Theater gehen zu | |
| können. Lange sitzen die vier Schauspielerinnen stumm nebeneinander auf | |
| ihren Stühlen, vom Geräusch von Fliegern und Bomben gerahmt, die Körper | |
| manchmal durchgeschüttelt von etwas, das wie Lachsalven aus dem Off klingt. | |
| Bis sie getroffen von den Stühlen gleiten. | |
| 21 Apr 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katrin Bettina Müller | |
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