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# taz.de -- Najem Walis Buch „Im Kopf des Terrors“: Ist die Französische R…
> In seinem Buch analysiert der Deutschiraker Najem Wali die heutigen
> Gesichter der Gewalt – und landet bei der „terroristischen Logik eines
> Robespierre“.
Bild: Am Tag nach dem Terrorangriff am 15.02.2015 untersuchen Polizisten in Kop…
Ist die Französische Revolution schuld an aktuellem Terror? Die Frage
klingt absurd. Genau darauf jedoch läuft die Argumentation Najem Walis
hinaus. In seinem neuen Buch erinnert der deutsch-irakische Schriftsteller
an die „terroristische Logik eines Robespierre“. Sie werde „immer die
Schule bleiben, die ihre Nachfolger, die sich mit diesem vergifteten Samen
infizieren, durchlaufen werden … in Frankreich, Europa und dem Rest der
Welt.“ Salah Abdesalam, der Drahtzieher der Pariser Anschläge 2015, und
Maximilien de Robespierre, der „Blutrichter“ des Pariser „Terreur“, wä…
demnach Verbrecher aus demselben Geiste.
Wali, 1956 im irakischen Basra geboren und 1980 nach Deutschland
geflüchtet, ist einer der Autoren hierzulande, dessen literarisches Werk
dermaßen von den Erfahrungen von Gewalt und Krieg durchdrungen ist, dass
man aufhorcht, wenn der Schriftsteller politisch-philosophisch zu
abstrahieren versucht. In seinen Romanen verarbeitet er dies am Beispiel
der Schreckensherrschaft Saddam Husseins, der Vertreibung der Juden aus
Bagdad und des Iran-Irak-Krieges ästhetisch konkret.
Wali, so schreibt er in der Einleitung, erforscht „den Terror selbst und
seine mannigfaltigen Gesichter“. Vor allem will er die Perspektive
durchbrechen, die Terror nur als Problem der muslimischen Welt sieht. Er
sei vielmehr, ruft Wali in Erinnerung, „so alt wie die Menschheit, so
vielfältig wie der Mensch und die Orte, an denen er lebt“. Selbst aber tut
er sich schwer mit der differenzierten Betrachtung, zu der er mahnt. Walis
Essay ist eine Übung im freien Denken, eher assoziativ als strukturiert.
Der Autor stützt sich nicht auf sozialwissenschaftliche Analysen, sondern
versucht sich an einer Art Kulturgeschichte des Terrors.
Seine Kronzeugen sind Literaten wie Ernest Hemingway und Georg Büchner. So
zitiert er aus dem ersten Akt von Büchners „Dantons Tod“ Robespierres
Ausspruch vom „Schrecken als Ausfluss der Tugend“ und der „unbeugsamen
Gerechtigkeit“. In der revolutionären Geheimorganisation, die Fjodor
Dostojewski mit den „Dämonen“ entwirft, sieht Wali „das Bild enthüllt, …
dem alle künftigen Terrororganisationen handeln sollten“. Das klingt
überzeitlich und resistent gegen Empirie.
Als Beleg dieser literarischen Fiktionen führt Wali zwei aktuelle Beispiele
an. Menschen, denen es der Terror ermöglicht habe, „dem Bösen in ihrem
Inneren freien Lauf zu lassen“: der Automechaniker Stefan D., Mitglied der
islamistischen „Lohberger Brigade“ in Syrien, sowie der deutsche
Fremdenlegionär Nils M., der fünf Jahren bei der Fremdenlegion in Afrika
war. „Der Krieg“, so fasst Wali deren Bekenntnisse zusammen, „dient … a…
Gelegenheit, andere zu töten … ohne eine Strafe zu erwarten“.
## Terror diene nur der nihilistischen Logik
Mit dieser „Beweisführung“ verwandelt Wali das Phänomen Terror in eine Art
anthropologische Konstante: Der Terrorist ist bei ihm ein moderner
Wiedergänger Herostrats, der im Jahr 365 vor Christus eines der sieben
Weltwunder, die Bibliothek von Ephesos, in Brand steckte, um sich
unsterblich zu machen. Jean-Paul Sartre hat den Protagonisten seiner
Erzählung „Herostratos“ dieser antiken Gestalt nachempfunden.
Doch Wali ruft auch das „Gefühl des Scheiterns“ der „gesellschaftlichen
Verlierer“, der „Kinder des Ghettos“ der französischen Banlieue, auf. Und
er beklagt das „aristokratische Gefühl von Langeweile“, das junge Europäer
zu Kämpfern des „Islamischen Staates“ werden lässt. Damit deutet er sozia…
Ursachen des Terrors an – soziale Ächtung und Zivilisationsmüdigkeit. Doch
hier wirkt Walis These porös, Terror diene nur der nihilistischen Logik.
Sätze wie, „das Töten ist ein Instinkt, genauso wie das Böse. Das Gute ist
eine Idee, eine Haltung, genauso wie der Frieden“, klingen soziologisch
verkürzt.
Walis Kernanliegen ist dennoch nachvollziehbar. Er will „dem Terror“ den
Schein der politischen und religiösen Legitimität nehmen. Und Walis Thesen
scheinen zumindest versuchsweise statthaft. Seiner Ansicht nach sind der
saudische Wahhabismus und die Französische Revolution vergleichbar, da
beide auf denselben Selbstlauf des Terrors gegen „Ketzer“ beziehungsweise
Gegner des „Gemeinwillens“ setzten.
Die Circulus-vitiosus-Formel Robespierres, dass Terror ohne Tugend
verhängnisvoll, Tugend ohne Terror aber machtlos seien, könnten „Hüter der
heiligen Stätten“ in Mekka und Medina vermutlich genauso unterschreiben wie
Taliban und Salafisten. Dennoch erwartet man bei der Einordnung des
Phänomens Terrorismus im Zeitalter der Globalisierung ein etwas komplexeres
Fazit als die Wiederholung von Dostojewskis dämonisierendem Mantra von dem
„Teuflischen, das sich nicht beherrschen lässt“.
21 Nov 2016
## AUTOREN
Ingo Arend
## TAGS
Najem Wali
Terror
Französische Revolution
Theater
Schwerpunkt Frankreich
Akademie der Künste Berlin
Terroranschlag
Schwerpunkt Syrien
Najem Wali
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