# taz.de -- Umstrittene Ehrung in Osnabrück: Westfälischer Unfriede | |
> Der syrische Dichter Adonis wird mit dem | |
> Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis geehrt. Eine Fehlentscheidung, meinen | |
> Kritiker. | |
Bild: „Gemeinsam mit dem Westen werden Theokratien im Mittleren Osten aufgeba… | |
Osnabrück wird froh sein, wenn es den Freitagabend überstanden hat. Bereits | |
im November sollte Ali Ahmad Said Esber, besser bekannt als Adonis, mit dem | |
Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis der Stadt geehrt werden. Nun ist es so | |
weit. | |
Die Zeremonie wurde nach heftiger Kritik – „aus organisatorischen Gründen�… | |
– verschoben. Syrische Intellektuelle wie Sadiq al-Azm, der 2015 mit der | |
Goethe-Medaille in Weimar ausgezeichnet wurde, bezeichnen die Haltung | |
Adonis als „Orientalismus der übelsten Sorte“. Sie kritisieren, dass der | |
Dichter noch während der Bürgerproteste 2011 Diktator Assad als „gewählten | |
Präsidenten“ bezeichnete. | |
Auch auf Nachfrage der Zeit hielt Adonis an dem Wörtchen „gewählt“ fest. | |
Assad sei „schließlich nicht durch einen Staatsstreich an die Macht | |
gekommen“. Nein, wirklich nicht, so al-Azm und andere, denn Assad jun. hat | |
die Macht von seinem Vater ja nur geerbt. | |
Ähnlich kritisch wie al-Azm äußerte sich der irakische Schriftsteller Najem | |
Wali und griff Adonis in einem Essay im Spiegel scharf an. Adonis stehe | |
politisch bis heute in der Tradition der panarabisch-großsyrischen Rechten. | |
Gegen den Dichter habe er nichts einzuwenden, so Wali. Doch Adonis’ | |
Mitgliedschaft in der faschistischen Syrisch-Sozial-Nationalistischen | |
Partei sei keineswegs eine Jugendsünde gewesen. | |
Noch im Dezember 2013 habe dieser der libanesischen Zeitung An-Nahar ein | |
Interview gegeben. Angesprochen auf den historischen Führer der | |
Sozial-Nationalistischen Partei, Antun Saadeh, sagte Adonis darin: „Ich | |
halte ihn für den wichtigsten Denker der modernen arabischen Geschichte. | |
Einzig seine Vorstellungen haben sich in der Praxis als richtig erwiesen …“ | |
## „Dein Gesicht, oh Westen, ist gestorben“ | |
Saadeh war Rassist und begriff sein imperiales Projekt – es sollte die | |
Territorien von Syrien, Libanon, Jordanien, Palästina/Israel und Zypern | |
umfassen – ähnlich wie später die Assads als explizit antijüdisch und | |
antiwestlich. Im Alter von fast 50 Jahren habe Adonis dann, so Wali, 1979 | |
die Machtübernahme der Islamisten im Iran begrüßt. | |
O-Ton Adonis damals: „Das Volk des Iran schreibt dem Westen: Dein Gesicht, | |
oh Westen, ist gestorben“ In den Achtzigern zeigte er sich fasziniert von | |
der Renaissance des radikalen Sunnismus. 1983 würdigte er die Schriften | |
Mohammed Bin Abd al-Wahhabs, des Vordenkers des heutigen extremistischen | |
Wahhabismus saudischer Prägung. | |
Navid Kermani, der im Herbst den Friedenspreis des deutschen Buchhandels in | |
Frankfurt entgegennahm, lehnte es ab, für Adonis in Osnabrück die Laudatio | |
zu halten. Auch Stefan Weidner, Übersetzer der Werke Adonis’, äußerte sich | |
negativ: „Für einen Literaturpreis taugt Adonis immer. Für einen | |
Friedenspreis scheint mir seine Haltung zu konfrontativ und einseitig, | |
wenig hilfreich.“ | |
## Verschwörungstheoretische Weltsicht | |
Der mit 25.000 Euro dotierte und alle zwei Jahre vergebene | |
Erich-Maria-Remarque-Preis begreift sich laut Statuten als „Erinnerung an | |
das pazifistische Engagement“ des von den Nazis verfolgten Schriftstellers | |
Remarque (“Im Westen nichts Neues“). Geehrt werden Persönlichkeiten, „de… | |
publizistisches Engagement für Frieden, Humanität und die Freiheit des | |
Menschen beispielhaft“ seien. | |
Auch die Italienerin Giuseppina Maria Nicolini, Bürgermeisterin von | |
Lampedusa, mochte den Remarque-Sonderpreis für ihr Flüchtlingsengagement | |
nicht gemeinsam mit Adonis entgegennehmen und sagte ab. Die Jury unter | |
Vorsitz von Professor Wolfgang Lücke und die Stadt halten stoisch an ihm | |
fest. Man habe einstimmig für Adonis votiert, heißt es. Der Jury gehören | |
neben Osnabrücks Oberbürgermeister Wolfgang Griesert die Politikerin Rita | |
Süssmuth sowie die Publizisten Heribert Prantl, Hubert Winkels und Johano | |
Strasser an. | |
Im Gespräch mit der Welt erneuerte der 85-jährige Adonis nun seine | |
verschwörungstheoretische Weltsicht. „Gemeinsam mit dem Westen werden | |
Theokratien im Mittleren Osten aufgebaut“, behauptete er. Nähere | |
Erläuterung: überflüssig. Russlands Dauerbombardement der Zivilbevölkerung | |
ist ihm kein Sterbenswörtchen wert. | |
Dafür behauptet er allen Ernstes, das Vorgehen von Assads | |
Repressionsapparat erinnere ihn „an Guantánamo, an die Gräueltaten der | |
USA“. Assads Gegner, „die sogenannten Revolutionäre“, wirft er in einen | |
Topf mit den Mordbanden des IS. „Adonis kann sagen, was er will,“ so Najem | |
Wali, „aber mit einer humanistischen Persönlichkeit wie Remarque hat er nun | |
wirklich nichts zu tun.“ | |
18 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Andreas Fanizadeh | |
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