| # taz.de -- Tagung „Gedächtnis und Gerechtigkeit“: Glaube an das Leben | |
| > In der Berliner Akademie der Künste ist interdisziplinär über | |
| > Menschheitsverbrechen und deren Aufarbeitung gesprochen worden. | |
| Bild: Gedenkwand mit Fotos vermutlicher Opfer des chilenischen Putschgenerals A… | |
| Drei Tage lang konnten sich BesucherInnen in den Räumen der Akademie der | |
| Künste in Berlin bei dem Symposium „Gedächtnis und Gerechtigkeit“ über | |
| Menschenrechtsverbrechen und deren juristische Aufklärung informieren und | |
| austauschen. So berichteten Beatriz Brinkmann und Sara Méndez, zwei | |
| Aktivistinnen aus Chile und Uruguay, über die in ihren Heimatländern | |
| umstrittene Praxis einer weitgehenden Straflosigkeit gegenüber den | |
| einstigen diktatorischen Regimen und den Verbrechen, die diese zu | |
| verantworten haben. | |
| Zehntausende Oppositionelle wurden während der Zeit der Diktatur in vielen | |
| südamerikanischen Staaten inhaftiert, Tausende blieben verschwunden. | |
| Politische Gefangene wurden gefoltert, misshandelt, ermordet und in | |
| anonymen Massengräbern verscharrt. Weniger als die Hälfte der damals | |
| begangenen Verbrechen wurden bis heute aufgeklärt. | |
| Sara Méndez selbst wurde 1973 vom Geheimdienst verschleppt, musste ihren | |
| zwanzig Tage alten Sohn zurücklassen, den sie erst Jahre später wiederfand. | |
| Ihre Geschichte und das Verschwinden ihres Sohns bearbeitete der | |
| Schriftsteller Erich Hackl in einem Roman. | |
| Diskutiert wurden außerdem die seit den 1960er Jahren existierenden | |
| sogenannten Meinungstribunale und auch die theatralischen Re-Inszenierungen | |
| juristischer Aufklärungsprozesse. Milo Rau, der ein Tribunal zu den | |
| Verbrechen im Kongo veranstaltet hat, sprach in Berlin mit dem | |
| kongolesischen Anwalt Sylvestre Bisimwa und dessen Kollegen Wolfgang Kaleck | |
| über Inhalte und Wirkung solcher Tribunale. | |
| ## Alternative Narration | |
| Kaleck, der das Symposium gemeinsam mit der Akademie der Künste | |
| veranstaltete, hob die symbolische Rolle von Raus Kongo-Tribunal hervor: | |
| „Hier wird ein Zusammenhang hergestellt, der weltwirtschaftlich schon lange | |
| gegeben ist, aber real noch nicht existiert.“ | |
| Und während Bisimwa in solchen Menschenrechtstribunalen eine Chance zur | |
| Entwicklung alternativer Narrative sieht, merkte Theaterregisseur Rau | |
| kritisch an: „Ein Problem des Kongo-Tribunals lag sicherlich in dessen | |
| Einseitigkeit. Es waren zwar zahlreiche Betroffene anwesend und auch | |
| Repräsentanten des Präsidialamtes, aber keine Vertreter der internationalen | |
| Konzerne.“ | |
| Auf dem Abschlusspanel des dreitägigen Symposiums befasste man sich mit der | |
| katastrophalen Menschenrechtssituation in Syrien, vor dem Hintergrund der | |
| gesamten Entwicklung im Nahen Osten. Der irakische Schriftsteller Najem | |
| Wali diskutierte mit dem syrischen Anwalt Anwar al-Bunni, der syrischen | |
| Publizistin Rosa Yassin Hassan sowie Martin Glasenapp, früher Sprecher von | |
| medico international und heute Büroleiter von Katja Kipping (Die Linke). | |
| Moderiert wurde das Gespräch von Andreas Fanizadeh, Leiter des | |
| Kulturressorts dieser Zeitung. | |
| Wali legte den Finger auf die Fehler der westlichen Interventionen im Nahen | |
| Osten. Mal waren sie falsch, ein anderes Mal, wo Unterstützung richtig | |
| gewesen wären, blieb sie aus, wie beim Aufstand der irakischen Bevölkerung | |
| gegen Saddam Hussein. Heute vertritt Wali eine fast schon pazifistische | |
| Position und ist überzeugt: „Das Problem kommt erst dann, wenn sich andere | |
| Mächte einmischen.“ | |
| ## Der Westen hätten mehr tun sollen | |
| Die anderen auf dem Podium teilten dies so nicht. Rosa Yassin Hassan, die | |
| 2012 nach Deutschland floh, widersprach: „Die laizistischen Kräfte in | |
| Syrien hatten nicht genug Wirkung auf der Straße, auch weil sie keine | |
| Unterstützung von außen erhalten haben. Da hatte die islamistische | |
| Opposition leichtes Spiel. Ich bin auch der Meinung, die westlichen, | |
| nichtstaatlichen Organisationen hätten viel mehr tun sollen und können.“ | |
| Angesichts des Dauerbombardements durch Assads und Russlands Luftwaffe | |
| forderte der führende syrische Menschenrechtsanwalt Anwar al-Bunni ein | |
| Eingreifen westlicher Mächte und betonte: „Hätte der Westen frühzeitig | |
| militärisch interveniert, wäre Assad vielleicht schon weg. Krieg ist | |
| manchmal nötig, um Menschenleben zu beschützen.“ | |
| Jurist Al-Bunni berichtete zudem von seinen Bemühungen, die europäische | |
| Justiz dafür zu gewinnen, bei der Aufklärung syrischer Kriegsverbrechen zu | |
| helfen und aktiv zu werden. Er kritisierte wiederholt scharf die westliche | |
| Außenpolitik, die von „politischen Lösungen“ sprechen würde, wo es um den | |
| dringenden Stopp des Massenmords ginge. „Die passive Haltung treibt die | |
| Verbrechen doch nur voran, weil das Regime sich in Sicherheit wähnt, dass | |
| nichts passiert.“ | |
| Martin Glasenapp schließlich wies auf die Notwendigkeit hin, den im | |
| Arabischen Frühling liegenden Ursprung des Konflikts in Syrien nicht aus | |
| dem Blick zu verlieren: „Wir müssen raus aus diesen orientalistischen | |
| Verschwörungsgeschichten. Entscheidend ist, dass dort ursprünglich einmal | |
| Menschen um Demokratie gekämpft haben.“ | |
| Das Schlusswort vor den etwa 200 Besuchern der Abschlussdiskussion in der | |
| Akademie der Künste gehörte wiederum Rosa Yassin Hassan: „Jeden Tag sterben | |
| Zigtausende in Syrien, und die Welt sieht einfach zu. Die Syrer haben das | |
| Recht auf ein Leben in Frieden, Würde und Respekt! Aber ich gebe die | |
| Hoffnung nicht auf. Ich glaube an das Leben, nicht an den Tod“. | |
| 3 Oct 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Annika Glunz | |
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