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# taz.de -- Biografie über Victoria Woodhull: Strategien gegen die Ausgrenzung
> Lange vor Clinton: Der Weg der ersten Präsidentschaftskandidatin der USA
> begann 1838 als Kind einer Unterschichtsfamilie.
Bild: Vertrat eine geradezu visionäre Position innerhalb der Frauenbewegung: V…
Hillary Clinton ist keineswegs die erste Frau, die in den USA für die
Präsidentschaft kandidiert. Als Präsidentschaftskandidatin der Demokraten
hat sie es zwar als erste Frau in der Geschichte der USA an die Spitze
einer großen Partei geschafft. Allerdings ließen sich bereits vor ihr
Frauen für eine Präsidentschaft zur Wahl stellen. Die erste in ihrer Reihe
war Victoria Woodhull – 1872, als Frauen die Teilnahme an Wahlen noch
verboten war.
Woodhull, geboren 1838, gestorben 1927, legte nicht nur eine unglaubliche
soziale Aufstiegsgeschichte an den Tag, sondern schaffte auf inhaltlicher
Ebene eine bis dato noch nie da gewesene Verknüpfung zwischen
sozialistischen und feministischen Ideen. Die Autorin Antje Schrupp hat
Woodhulls Leben in einer Biografie zusammengefasst („Vote for Victoria!“,
Ulrike Helmer Verlag, 144 Seiten, 12,95 Euro).
Victoria Claflin wuchs als eines von sieben Kindern in einer
Unterschichtsfamilie auf, die ein soziales Dasein am Rand der damaligen
Gesellschaft führte. Dies lässt sich sowohl auf die dubiosen,
kleinkriminellen Machenschaften zurückführen, mit denen die Familie ihren
Lebensunterhalt bestritt (mit Erpressung kombinierte Wahrsagerei), als auch
auf deren ablehnende Einstellung jeglichen
kleinbürgerlich-gesellschaftlichen Konventionen gegenüber.
Victoria wurde als Kind weder mit bürgerlich-gesellschaftlichen
Frauenbildern noch mit Vorstellungen einer angeblich „natürlichen“
Rollenverteilung der Geschlechter konfrontiert. Was sie hingegen verstärkt
verinnerlicht hatte, war das Bewusstsein, von jenseitigen Mächten beschützt
und zu Höherem berufen zu sein – etwas, das sich als tragfähige Strategie
erwies, um mit der erlebten sozialen Ausgrenzung umzugehen.
## Individuelle Erlebnisse mit gesellschaftlichem Hintergrund
Victoria heiratete bereits mit fünfzehn Jahren den sechs Jahre älteren
Canning Woodhull, um sich eine eigene Existenz aufzubauen. Über sexuelle
Dienstleistungen und Näherei stellte sich für Victoria die Eröffnung
eigener Heilspraxen als vorerst beste Möglichkeit heraus, für den
Lebensunterhalt ihrer Familie zu sorgen; ihr Mann war alkoholkrank, und sie
hatte zwei Kinder zur Welt gebracht.
Sie verliebte sich in einen Kunden ihrer Heilspraxis, James Blood, der ihr
treuer Begleiter, Lehrer, Liebhaber und Manager wurde. Blood war der Erste,
der Victoria einen theoretischen Überbau für ihre Erfahrungen liefern
konnte. Victoria wurde bewusst, dass vieles, was ihr Leben geprägt hatte,
nicht nur das Ergebnis individueller Umstände war, sondern sich auch als
Folge gesellschaftlicher Entwicklungen ansehen ließ. Sie hingegen
ermöglichte ihm die Umsetzung seiner Theorien in die Praxis, indem sie den
lebenden Beweis für deren tatsächliche Existenz darstellte. Blood und
Woodhull waren also eine große Inspiration füreinander; die beiden
heirateten.
Es war eine Vision, aufgrund derer Victoria in der Gewissheit, Großes zu
leisten, nach New York zog. Hier machte sie zum ersten Mal Bekanntschaft
mit allen wichtigen Vorkämpferinnen der damaligen Frauenbewegung. Deren
sehr einseitig erscheinender Fokus auf die Durchsetzung des
Frauenwahlrechts inspirierte Victoria dazu, die Gleichberechtigung von
Frauen „ganzheitlicher“ zu denken.
Durch einen glücklichen Zufall lernte sie den reichsten Mann Amerikas
kennen, Cornelius Vanderbilt. Im Gegenzug dafür, dass sie ihm Börsenkurse
voraussagte, handelte sie für deren Gewinne eine prozentuale Beteiligung
heraus – damit häufte sie tatsächlich ein Vermögen an, gründete in der
Folge gemeinsam mit ihrer Schwester eine eigene Brokerfirma und mischte als
selbstständige Unternehmerin an der Wall Street mit. Eine von Frauen
geführte Brokerfirma sorgte für großes mediales Interesse, das Victoria
gezielt nutzte, um sich vor allem über politische Themen ins Gespräch zu
bringen.
## Woodhulls visionäre Positionierungen
Woodhulls Standpunkt in der Frauenbewegung unterschied sich sehr deutlich
von demjenigen konservativer Frauenrechtlerinnen: „[Wir gehören] nicht zu
denen, die glauben, dass der Grund, warum unserem Geschlecht so viele
Rechte geraubt worden sind, der böse Wille der Männer ist, sondern im
Gegenteil, viele Frauen sind schlecht darauf vorbereitet, den besten
Gebrauch von ihren größeren Möglichkeiten zu machen.“ Sie appellierte also
an die Frauen selbst; politische Teilhabe verstand Woodhull als aktive
Übernahme von Verantwortung, während ihre konservativen Mitstreiterinnen
darunter nur den passiven Besitz von Rechten verstanden.
Victoria wollte die „politische Kultur der Männer“ verändern, indem sie
aktiv in ihre Sphären vordrang und geläufige Denkkategorien, die zwischen
„männlich“ und „weiblich“ unterschieden, vom Grunde her aufkrempelte. …
sie hierbei zusätzlich geschlechtsspezifische mit anderen
Diskriminierungsformen verwob, lässt Woodhulls Position für die damalige
Zeit geradezu visionär wirken.
Außerdem war Victoria eine starke Verfechterin der Theorie der „freien
Liebe“, die zur damaligen Zeit primär die Freiheit der Frauen von
unterdrückerischen Ehegesetzen meinte: „Frauen müssen aus ihrer Position
als Dienerinnen der Leidenschaften der Männer zu deren Gleichen aufsteigen.
[…] Sie müssen Kameradinnen der Männer aus freier Entscheidung, niemals aus
Notwendigkeit sein“, so ihre Position.
Victoria arbeitete als Journalistin und Verlegerin und trat auf Kongressen
auf, um ihre politischen Ansichten zu verbreiten – wieder war es eine
Liebschaft, die ihr dabei behilflich war, ihre Karriere voranzutreiben.
James Blood erwies sich hier ebenfalls als ernsthafter Anhänger der Theorie
der „freien Liebe“; er schien über Jahre hinweg keinerlei Einwände gegen
Victorias zahlreiche Liebschaften zu haben.
## Schwierige Zeiten
Die Neuorientierung der Frauenbewegung sowie auch Victorias Nähe zur
Arbeiterbewegung und die von ihr vorgenommene Verknüpfung von
sozialistischen und feministischen Ideen stieß auf reichlich Gegenwind,
wobei ihre Gegnerinnen vor allem Victorias „unrespektable“ Vergangenheit
als Angriffspunkt nutzten. Nachdem der Streit zwischen den konservativeren
Frauenrechtlerinnen und ihrer eigenen Gruppe eskaliert war, beschloss
Victoria, eine eigene Partei zu gründen. Das Gründungstreffen der Equal
Rights Party wurde später als „die wahrscheinlich heterogenste
Zusammenkunft, die sich jemals in einer Stadt versammelt hat“ bezeichnet.
Diese Partei war es auch, von der sie – symbolisch – 1872 als
Präsidentschaftskandidatin aufgestellt wurde.
Im Kampf gegen die abwertende Berichterstattung über ihre Vergangenheit
zettelte Victoria einen medialen Skandal an und wurde mehrfach verklagt.
Als die Wahlen stattfanden, saß sie im Gefängnis, wurde jedoch kurze Zeit
später aufgrund offensichtlicher Ungereimtheiten im Zuge ihrer Anklage
freigesprochen. Sie wanderte 1877 nach England aus und bezog dort mit ihrer
Familie ein Haus, das ihr aus dem Erbe des mittlerweile verstorbenen
Vanderbilt zugesprochen worden war.
Victoria erhielt auch in England viel Zuspruch für ihre Vorträge. Während
dieser Veranstaltungen lernte sie den Oxford-Absolventen und
Bankgesellschafter John Martin kennen, verliebte sich und kämpfte jahrelang
um eine Hochzeit, bis dieser schließlich einwilligte. Später beschäftigte
sich Victoria verstärkt mit Soziologie. Nachdem sie durch den Tod John
Martins und das daraus erhaltene Erbe überaus reich geworden war, zog sie
aus der Stadt in ein Landhaus. Sie war noch bis ins hohe Alter politisch
aktiv. 1920, nach über fünfzig Jahren Kampf, wurde endlich das
Frauenwahlrecht eingeführt. Sieben Jahre später starb Victoria Woodhull.
26 Aug 2016
## AUTOREN
Annika Glunz
## TAGS
Frauenrechte
Frauenbewegung
Feminismus
Akademie der Künste Berlin
Literatur
Schwerpunkt Abtreibung
Feminismus
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