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# taz.de -- Syrischer Menschenrechtsanwalt al-Bunni: „Gerechtigkeit wird komm…
> Anwar al-Bunni baute als junger Mann mit an der Folterhölle von Saidnaya.
> Nun sammelt er als Anwalt Beweise gegen das Assad-Regime.
Bild: „Ich würde zerbrechen, wenn ich nicht wieder nach Syrien könnte.“ �…
Berlin taz | Anwar al-Bunnis Leben ist voll von tragischen Geschichten.
Eine geht so: Nach seinem Abitur im syrischen Hama beginnt er 1978 eine
Ausbildung als Ingenieurassistent. Eigentlich will al-Bunni
Menschenrechtsanwalt werden, doch weil seine vier Geschwister allesamt als
politische Gefangene einsitzen, muss er schnell Geld verdienen. Nach
einiger Zeit bekommt seine Firma den Auftrag, ein Gefängnis zu bauen:
Saidnaya. So wirkt al-Bunni, ohne es zu ahnen, am Bau jenes Gefängnisses
mit, das in den vergangenen Monaten als das Zentrum von Präsident Baschar
al-Assads Folter- und Tötungsapparat bekannt geworden ist. Bis zu 13.000
Menschen wurden dort zu Tode gefoltert.
Fast 40 Jahre nach dem Bau Saidnayas, im März 2017, spricht Anwar al-Bunni
bei einer Konferenz in der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin. Gemeinsam mit
dem Europäischen Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte (ECCHR) will
die Stiftung die Möglichkeiten einer Strafverfolgung des Assad-Regimes
diskutieren. Al-Bunni ist einer von zwei syrischen Menschenrechtsanwälten,
die am Vortag mit dem ECCHR beim Generalbundesanwalt erstmals Anzeige gegen
ranghohe syrische Geheimdienstoffiziere erstattet haben.
Der schmächtige Mann mit dem Schnauzbart spricht zunächst ruhig, dann immer
leidenschaftlicher und unterstreicht mit erhobenem Finger seine Botschaft:
„Gerechtigkeit wird kommen, es kann keine politische Lösung mit Assad
geben. Das syrische Volk wird ihm nicht vergeben!“
Al-Bunni spricht über die Qualen, die Assad den Syrern angetan habe,
kritisiert die Weltgemeinschaft, meint, die Aussicht auf eine politische
Lösung habe Assad erst ermutigt, Kriegsverbrechen zu begehen. Er macht
klar, dass niemand nach Syrien zurückkehren könne, bevor nicht
Gerechtigkeit geschaffen worden sei. Für ihn bedeutet das: Assad und sein
Geheimdienstapparat müssen vor Gericht. Immer wieder scheint al-Bunni ans
Ende gekommen, entschuldigt sich dann höflich und lacht verlegen, er müsse
doch noch etwas hinzufügen.
## Strafverteidiger in Schauprozessen
In Syrien war Anwar al-Bunni über Jahrzehnte einer der wichtigsten
Oppositionellen. Seit 1986 verteidigte er politisch Verfolgte vor Gericht,
meist vergeblich, handelte es sich doch um Schauprozesse. „Es war klar,
dass wir nicht gewinnen können“, erzählt al-Bunni wenige Tage nach der
Konferenz in seinem Berliner Büro. „Aber für mich war es ein Sieg, wenn ich
die Ungerechtigkeit ansprechen konnte.“
Seit ihrer Machtübernahme 1963 inhaftiert, foltert und tötet die
Baath-Partei Oppositionelle. Hafiz al-Assad, bis zu seinem Tod im Jahr 2000
Präsident Syriens und Vater von Baschar, baute ab 1970 zudem einen
erbarmungslosen Geheimdienstapparat auf. Von dessen Willkür zeugt auch die
Geschichte der Familie al-Bunni.
Anwar al-Bunni kommt 1957 in Hama als jüngstes von fünf Geschwistern zur
Welt. Schon mit sieben erlebt er, wie seine Stadt von der Baath-Partei
bombardiert wird, weil sich dort die in Syrien verbotenen Muslimbrüder
organisieren. In den siebziger Jahren werden seine Geschwister immer wieder
inhaftiert, weil sie in der Kommunistischen Partei aktiv sind.
## Das Massaker von Hama
Sein Bruder Akram ist außerdem Schriftsteller. Er wird einer der ersten
Häftlinge im Gefängnis Saidnaya. Im Februar 1982 wird Hama von Hafiz
al-Assad wegen der Muslimbrüder erneut angegriffen. Er lässt die
350.000-Einwohner-Stadt mit Flugzeugen bombardieren und mit Granaten
beschießen. Das historische Zentrum liegt in Trümmern. Insgesamt sterben
etwa 20.000 Menschen. Anwar al-Bunni ist Augenzeuge.
Seine Ausführungen geraten meist zu langen Monologen, die in herzhaftes
Lachen oder trauriges Kopfschütteln münden. Nebenbei zieht al-Bunni an
einer E-Zigarette und reibt sich den Unterarm. Im Hof raucht er zwei
Zigaretten hintereinander. „Ich bin ein emotionaler Mensch“, sagt er. „Ich
lache über alles und weine wegen allem.“ Immer wieder rufen ihn Zeugen und
Anwälte an, dann entschuldigt er sich und spricht mit ihnen, als wären sie
alte Freunde.
Im Laufe der neunziger Jahre verteidigt Al-Bunni mehrmals auch seine
Geschwister. Er erlebt, wie seine Familie vom Geheimdienst überwacht wird.
2006 schließlich unterzeichnet er ein Plädoyer für die Normalisierung der
syrisch-libanesischen Beziehungen und gründet mit Unterstützung der EU ein
Zentrum für Menschenrechte, das von den Behörden nach einer Woche
geschlossen wird. Damit hat er den Bogen überspannt. Wenig später
verschleppt ihn der Geheimdienst. Al-Bunni wird 2007 unter anderem wegen
Gefährdung des Nationalstolzes zu fünf Jahren Haft verurteilt.
## Versammlungen der Opposition
„Das war seltsam, neben aller Bedrückung herrschte große Freude im
Gerichtssaal“, erinnert sich Kristin Helberg an al-Bunnis Prozess. Sie war
lange als Journalistin in Syrien. „Für Oppositionelle war es ja kaum
möglich, sich zu treffen. Deshalb wurden solche Prozesse zu Versammlungen.
Freunde trafen sich wieder, umarmten und besprachen sich. Und hinterher sah
man sich lange nicht.“ Helberg traf sich in den Jahren zuvor oft mit
al-Bunni. Die westlichen Medien, das erzählt auch al-Bunni, seien ihre
einzige Waffe gewesen.
Seine Haftzeit verbringt er mit Straftätern, deren Opfer er teilweise
verteidigt hat. Sie jagen ihn. Einmal versucht man, ihn vom Balkon zu
stürzen, ein anderes Mal soll er gehängt werden. Doch al-Bunni hat genug
Verbündete, um mit dem Leben davonzukommen. 2011 wird er entlassen. Bis
heute haben er, seine vier Geschwister und zwei Schwäger zusammen 74 Jahre
im Gefängnis gesessen. Allein sein Bruder Akram saß zwanzig Jahre lang ein.
Als die Revolution ausbricht, ist al-Bunnis Stadtteil al-Kabun der erste in
Damaskus, der von Assad befreit wird. Al-Bunni spricht auf Demonstrationen.
Mit der Zeit aber wächst deshalb der Druck auf ihn, und weil in al-Kabun
Kämpfe toben, versteckt er sich in einem anderen Teil der Stadt.
## Flucht nach Berlin
Lange traut sich al-Bunni nicht mehr aus Damaskus, später nicht einmal mehr
aus dem Haus. Als der Geheimdienst im März 2014 al-Bunnis Bruder verhaftet
und verhört, um ihn selbst zu finden, entschließt er sich mit seiner Frau
und den drei erwachsenen Kindern zur Flucht. Über Beirut fliegen sie
mithilfe des Auswärtigen Amtes nach Berlin.
Seither arbeitet Al-Bunni daran, die Aussagen von Folteropfern zu sammeln.
Zeugen melden sich über Facebook bei ihm und er trifft sich mit ihnen. „Er
ist die Brücke zur syrischen Community“, erklärt Patrick Kroker, der als
Anwalt beim ECCHR an dessen Syrienprojekt arbeitet. Beide Seiten würden
voneinander lernen, meint er. Für al-Bunni sei ein Rechtsstaat mit seinen
Formalitäten neu, für das ECCHR sei al-Bunnis Wissen um die Vorgänge in
Syrien unverzichtbar.
Bislang prüft die Generalbundesanwaltschaft ihre erste Anzeige gegen sechs
Geheimdienstoffiziere, die Foltergefängnisse leiten. Das Ziel ist ein
Haftbefehl gegen sie. Die Anzeige folgt dem Weltrechtsprinzip, nach dem in
Deutschland Straftaten verfolgt werden können, die im Ausland und an
Ausländern verübt wurden. Es ist bislang die einzige Möglichkeit, gegen das
Regime vorzugehen. Den Internationalen Strafgerichtshof blockiert ein Veto
Russlands und Chinas.
## Zu Gast im Kollwitzkiez
Al-Bunni hat ein Büro im Kollwitzkiez, auf einem Gewerbehof. Auf seinem
Schreibtisch stehen eine Tasse und der Computer, daneben ein Drucker, ein
weiterer Tisch und blaue Stühle. Sonst nichts. „Ich bin zu Gast hier.“ Ihm
gefällt Deutschland, in Gedanken aber ist er in Damaskus. „Ich würde
zerbrechen, wenn ich nicht wieder nach Syrien könnte.“
Auch die Wände sind kahl, bis auf ein kleines Poster: Es zeigt Khalil
Ma’touq, seinen Kollegen, der ihn 2007 verteidigte. Seit 2012 fehlt von
Ma’touq jede Spur. Im Gefängnis schrieb al-Bunni ein Manifest an die UN,
ein neues Parteien- sowie ein neues Wahlgesetz für Syrien. Er notierte
alles auf kleine Zettel und schob sie seinem Freund Ma’touq in der
Besuchszeit zu.
Das kahle Büro, das unscheinbare Hemd, die Jacke – wer al-Bunni sieht,
denkt an Durchschnitt. Doch das täuscht. Die Welt, in der Anwar al-Bunni
große Teile seiner Zeit verlebt, ist eine innere. „Meine Aufgabe ist es,
Syrien wiederaufzubauen“, sagt er. Er arbeite immer, sagt al-Bunni. Man
glaubt es ihm, glaubt, dass es außer dem Anwalt Anwar al-Bunni keinen
anderen Anwar al-Bunni gibt.
Woher er seinen Optimismus nimmt? „Jesus sagt, der Glaube an Gott könne
Berge versetzen.“ Al-Bunni blickt aus dem Fenster. „Ich glaube nicht an
Gott. Ich glaube, dass ich Gott bin, so wie jeder Mensch Gott ist. Und wenn
wir wollen, können wir Berge versetzen.“
9 May 2017
## AUTOREN
Kristof Botka
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