| # taz.de -- Berichte von syrischen Folteropfern: Gemartert und gedemütigt | |
| > In Deutschland haben Syrer Anzeige gegen Geheimdienstvertreter in | |
| > Damaskus erstattet. Die Opfer werden dieser Tage vernommen. | |
| Bild: Abir Farhud und Khaled Rawas leben seit September 2015 in Deutschland –… | |
| Berlin taz | Abir Farhud spricht routiniert. Sie erzählt nicht zum ersten | |
| Mal, dass der Leiter der Abteilung 215 des Militärgeheimdienstes in | |
| Damaskus alle Frauen nacheinander in sein Büro bestellt. Wie auch sie sich | |
| hat ausziehen müssen und er ihre Brüste betatscht hat. Das war im Dezember | |
| 2012. Die 30-jährige Absolventin der Kunsthochschule Damaskus hatte | |
| friedlich demonstriert, Medikamente durch Checkpoints geschmuggelt und | |
| Lautsprecher in Mülleimern versteckt, um öffentliche Plätze mit | |
| Revolutionsliedern zu beschallen. „Eine tolle Zeit“, erinnert sie sich. | |
| Bis zu ihrer Festnahme. Während die anderen Frauen in ihrer Zelle vor allem | |
| mit Schlägen und Elektroschocks gequält wurden, kämpfte Abir mit | |
| psychologischer Folter. „Sie haben mich vor den Soldaten nackt in den | |
| Korridor gestellt und gedroht, sie würden meine Jungfräulichkeit testen, | |
| weil ich eine Hure der Freien Syrischen Armee sei“, sagt die Aktivistin. | |
| Die Demütigungen und Beleidigungen seien so verletzend gewesen, dass sie | |
| sich manchmal Schläge mit dem Stock statt mit Worten gewünscht hätte, fügt | |
| sie hinzu. | |
| Was Abir während der 33 Tage und 11 Verhöre in Abteilung 215 erlebt hat, | |
| erzählt sie am heutigen Freitag dem Generalbundesanwalt. Denn sie ist eine | |
| von neun syrischen Zeugen, die in Deutschland Strafanzeige gegen führende | |
| Mitglieder des Militärgeheimdienstes erstattet haben. Opfer und mutmaßliche | |
| Täter sind Syrer, die Verbrechen haben in Syrien stattgefunden – und doch | |
| könnte der Fall vor einem deutschen Gericht landen. | |
| Denn die Bundesrepublik wendet das sogenannte Weltrechtsprinzip an, wonach | |
| manche Straftaten so schrecklich sind, dass sie die ganze Welt angehen. | |
| Dazu zählen Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die | |
| Menschlichkeit. Werden diese weder in dem betroffenen Land noch | |
| international juristisch verfolgt, können nationale Gerichte einspringen. | |
| Genau das passiert im Falle Syriens. Weil Russland mit seinem Veto im | |
| Weltsicherheitsrat den Weg zum Internationalen Strafgerichtshof in Den | |
| Haag versperrt, klagen erfahrene Juristen jetzt vor Gerichten in Europa. | |
| ## Caesar liefert Beweise | |
| Für den syrischen Anwalt Anwar al-Bunni ist das ein Durchbruch. In Syrien | |
| gelte seit 50 Jahren eine Politik der Straflosigkeit, sagt er, die | |
| Strafanzeigen machten damit endlich Schluss. Al-Bunni arbeitet eng mit dem | |
| Europäischen Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte (ECCHR) zusammen, | |
| das die Anzeige Anfang März bei der Bundesanwaltschaft eingereicht hat. | |
| Diese verhört jetzt die ersten Zeugen – ein positives Signal nach nur zwei | |
| Monaten, meint ECCHR-Anwalt Patrick Kroker. Karlsruhe führt seit 2011 ein | |
| Strukturermittlungsverfahren zur Lage in Syrien, jetzt müssten gezielte | |
| Ermittlungen gegen die Beschuldigten und internationale Haftbefehle folgen, | |
| fordert Kroker. | |
| In Spanien sind bereits neun Vertreter des Militärgeheimdienstes wegen | |
| Staatsterrorismus angeklagt. Das Verfahren basiert auf den Fotos des | |
| Militärfotografen „Caesar“, der im Auftrag des syrischen Regimes 6.786 | |
| getötete Gefangene fotografierte und diese Bilder aus dem Land schmuggelte. | |
| Abgemagerte, geschundene Körper. Nie zuvor habe er etwas so Schreckliches | |
| gesehen, sagt der britische Anwalt Toby Cadman, der Caesar befragt hat. | |
| „Industrialisierte Folter an Kindern, Frauen, Alten – das sind keine | |
| Terroristen, sondern normale Leute.“ | |
| Menschen wie der 43-jährige Lieferwagenfahrer Abdul, der 2013 in einem | |
| Haftzentrum in Damaskus starb. Seine in Spanien lebende Schwester erkannte | |
| ihn auf den Fotos und tritt als Anklägerin auf. Da sie spanische | |
| Staatsbürgerin ist und in Spanien die Verwandten von Verschwundenen selbst | |
| als Opfer gelten, kann ein spanisches Gericht aktiv werden. „Wir | |
| argumentieren nicht, dass ein Mann willkürlich verhaftet, verschleppt, | |
| gefoltert und hingerichtet wurde, sondern wir reden von einer staatlichen | |
| Politik, die von oberster Stelle der syrischen Regierung beschlossen | |
| wurde“, erklärt Cadman, der den Fall betreut. | |
| ## Institutionelle Folter | |
| Diese Systematik ist der Hauptunterschied zwischen den Verbrechen des | |
| Assad-Regimes und den Gräueltaten anderer Kriegsparteien in Syrien. Auch | |
| Rebellen foltern Gefangene, auch der IS tötet willkürlich und auch bei | |
| US-Luftangriffen sterben Zivilisten. Aber die Gewalt Assads ist | |
| institutionalisiert, ein ganzer Staatsapparat ist mit der Vernichtung von | |
| Zivilbevölkerung beschäftigt. James Rodehaver, Koordinator der | |
| UN-Untersuchungskommission für Syrien, spricht von einer „institutionellen | |
| Struktur mit eindeutigen Praktiken von schwerem Missbrauch, Verweigerung | |
| von humanitärer Hilfe und unmenschlichen Haftbedingungen, die sämtlich den | |
| Tatbestand der Massenvernichtung erfüllen“. Damit zählten die Verbrechen | |
| des Regimes zu den schwersten im Recht der Menschheit, so Rodehaver. | |
| Beweise gibt es genug, auch schriftliche. Die Kommission für Internationale | |
| Gerechtigkeit und Verantwortung (CIJA) hat etwa eine Million syrischer | |
| Dokumente gesichert, die Befehlsketten und Verantwortlichkeiten beweisen. | |
| Und auch die Caesar-Fotos führen direkt zu Regime-Vertretern. Denn an den | |
| Leichen der Gefangenen sind Nummern angebracht. „Unglaublich“ findet das | |
| der ehemalige Chefankläger beim Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda | |
| Stephen Rapp. „Wir hatten keine Beweismittel in Form von Dokumenten wie in | |
| Syrien“, so Rapp. Selbst in Nürnberg habe es das nicht gegeben. „Die Nazis | |
| hatten den Leichen keine Nummern aufgemalt, so dass man hätte feststellen | |
| können, wer sie sind und wo man ihnen das angetan hatte. Um dann | |
| herauszufinden, wer für diesen Ort zuständig war“, erklärt der | |
| Staatsanwalt. „Dieses Regime denkt, es kommt damit davon.“ | |
| Genau das dürfe nicht passieren, meint Rapp. Denn sonst läge das über | |
| Jahrzehnte errichtete System internationaler Völkerrechts- und | |
| Schutzbestimmungen in Trümmern. „Es gibt Regeln, etwa dass man keine | |
| Krankenhäuser angreift“, sagt der Jurist. „In Syrien zielen sie auf | |
| medizinische Einrichtungen.“ Wenn solche Verbrechen straflos blieben, | |
| würden Machthaber anderswo ermutigt, das Gleiche zu tun. „Ungerechtigkeit | |
| an einem Ort gefährdet die Gerechtigkeit überall“, warnt Rapp. | |
| Und Gerechtigkeit sei ein Ziel der syrischen Revolution, sagt Khaled Rawas, | |
| ein weiterer Zeuge des ECCHR. Der Student der Ingenieurwissenschaften | |
| organisierte Proteste und wurde zweimal verhaftet. Auch er landete in | |
| Abteilung 215, ein Jahr vor Abir – seiner damaligen Mitstreiterin und | |
| heutigen Frau. Khaled wurde schwer misshandelt, aber schlimmer war für den | |
| 28-Jährigen, als er die Folter zweier Häftlinge einmal mitansehen musste. | |
| „Sie haben mit einer Eisenkette auf sie eingeschlagen, an der ein Haken | |
| befestigt war, sodass Fleischfetzen aus ihren Körpern herausgerissen | |
| wurden“, erinnert er sich. Die Schreie und Bilder werde er nicht mehr los. | |
| Viele ihrer früheren Mitstreiter seien tot, verhaftet oder verschwunden, | |
| sagt Abir. Wer konnte, habe sich in Sicherheit gebracht und Syrien | |
| verlassen. Für Abir ist die Strafanzeige in Deutschland die Fortsetzung der | |
| Revolution mit juristischen Mitteln. „Es gibt uns noch, die friedliche | |
| Zivilbewegung“, betont sie. Und diese fordere weiterhin Freiheit und einen | |
| Rechtsstaat für Syrien. | |
| 11 May 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Kristin Helberg | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Syrien | |
| Geheimdienst | |
| Folter | |
| Syrischer Bürgerkrieg | |
| Lesestück Interview | |
| Schwerpunkt Emmanuel Macron | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| Schwerpunkt Syrien | |
| Schwerpunkt Syrien | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| BKA-Ermittler über Kriegsverbrechen: „Das geht uns alle an“ | |
| Klaus Zorn vom BKA ermittelt bei Verbrechen gegen die Menschheit. Ein | |
| Gespräch über Gewalt, den Umgang mit Opfern und War Crimes Units. | |
| Macron und Putin sprechen über Syrien: Frankreich zieht rote Linie | |
| Beim Thema Syrien sind Frankreich und Russland in den vergangenen Jahren | |
| immer wieder aneinandergeraten. Jetzt zeigt Macron deutlich Haltung. | |
| Syrischer Menschenrechtsanwalt al-Bunni: „Gerechtigkeit wird kommen“ | |
| Anwar al-Bunni baute als junger Mann mit an der Folterhölle von Saidnaya. | |
| Nun sammelt er als Anwalt Beweise gegen das Assad-Regime. | |
| Folter in Syrien: „Sie wirkten nicht gestresst“ | |
| „Es kann keinen Frieden geben ohne Gerechtigkeit“, sagen Überlebende | |
| syrischer Foltergefängnisse. Viele von ihnen leben heute in Deutschland. | |
| Menschenrechte in Syrien: Karlsruhe soll Folter ahnden | |
| Der Generalbundesanwalt soll gegen den Geheimdienst des Assad-Regimes | |
| ermitteln. Die Opfer hoffen auf internationale Haftbefehle. |