| # taz.de -- Saisonarbeit: Subventionen für Ausbeuter | |
| > Saisonkräfte schuften auf Europas Feldern unter menschenunwürdigen | |
| > Bedingungen. Aus Brüssel fließen dennoch Millionen – sogar an verurteilte | |
| > Betriebe. | |
| Bild: Obst, das wie hier im spanischen Huelva unter widrigen Bedingungen geernt… | |
| Eine Obstplantage im Süden Frankreichs. Mustafa Alaoui aus Marokko (Name | |
| geändert) pflückt seit 14 Stunden Aprikosen und Kirschen. Er lädt schwere | |
| Eimer mit Obst auf einen Traktor, Hunderte Mal am Tag. Seine Vorgesetzten | |
| schreien ihn an, wollen, dass er noch schneller arbeitet: „Hurensohn!“ | |
| „Schaf!“ | |
| Nachts schläft er in einer dreckigen, überfüllten Unterkunft. Für all das | |
| hat er eine schier unglaubliche Summe bezahlt. Mehr als 13.000 Euro | |
| Vermittlungsgebühr – dafür nimmt er Schulden auf. Das Versprechen dahinter: | |
| Ein Visum und eine Festanstellung. Stattdessen nimmt ihm ein Mittelsmann | |
| bei seiner Ankunft unter einem Vorwand seinen Pass ab. Er arbeitet ohne | |
| Pause, 15 Tage am Stück. Samstags. Sonntags. Feiertags. Bis zu 77 Stunden | |
| die Woche. | |
| Für die vielen Überstunden bekommt er kein Geld. Als sich Alaoui über die | |
| unbezahlte Arbeit beschwert, droht einer der Vorarbeiter, ihn umzubringen. | |
| All das beschreibt Alaoui in einem polizeilichen Dokument, das der taz | |
| vorliegt: „Wir wurden wie Sklaven behandelt“, sagt er der taz. | |
| Das Obst, das Mustafa Alaoui erntete, wurde möglicherweise auch nach | |
| Deutschland verkauft. [1][Die Produzentengemeinschaft seines ehemaligen | |
| Arbeitgebers hat ein gültiges Zertifikat], um ihr Steinobst weltweit zu | |
| vertreiben – auch in der EU. | |
| Alaouis ehemaliger Arbeitgeber wurde mittlerweile verhaftet und wegen | |
| Ausbeutung angeklagt. Ein Prozess soll laut Informationen der taz [2][im | |
| Frühjahr 2026 beginnen]. | |
| Doch EU-Subventionen erhielt er weiterhin, allein mehr als 15.000 Euro im | |
| Jahr 2024, nachdem Alaoui ihn angezeigt hatte und Ermittlungen eingeleitet | |
| wurden. Zwischen 2017 und 2024 waren es insgesamt etwas mehr als eine | |
| Viertelmillion Euro. | |
| ## Subventionen in Millionenhöhe trotz Strafverfahren | |
| Jedes Jahr fließen [3][mehr als 50 Milliarden Euro an EU-Subventionen in | |
| die europäische Landwirtschaft] – ein Viertel des gesamten EU-Budgets. | |
| Diese Gelder sollen Bauern unterstützen. Doch in der Praxis profitieren | |
| auch Betriebe, die nachweislich gegen Arbeitsrechte verstoßen haben, gegen | |
| die Strafverfahren laufen oder die bereits wegen Verstößen verurteilt | |
| wurden. Das hat eine internationale Recherche von taz, [4][FragDenStaat], | |
| [5][DeSmog], [6][El Salto Diario], [7][L’Humanité], L’Espresso und | |
| [8][profil] herausgefunden. | |
| Die Recherche zeigt, wie die Gemeinsame Agrarpolitik der EU Millionen | |
| prekär beschäftigte Saisonkräfte in der Landwirtschaft im Stich lässt. Über | |
| 30 landwirtschaftliche Betriebe haben in mehreren Ländern trotz | |
| Verurteilungen oder offiziellen Ermittlungen wegen Missachtung von | |
| Arbeitsrechten weiterhin Subventionen in Millionenhöhe erhalten. | |
| Die tatsächliche Zahl liegt vermutlich wesentlich höher. Europäische | |
| Behörden verhängen jährlich Tausende Sanktionen gegen landwirtschaftliche | |
| Betriebe, ohne jedoch die Namen der Betriebe öffentlich zu nennen. | |
| Medienberichte und Gerichtsdokumente, die die taz eingesehen hat, waren in | |
| vielen Fällen anonymisiert. Zudem können Subventionen häufig nicht | |
| eindeutig landwirtschaftlichen Betrieben zugeordnet werden, weil sich die | |
| Spur auf dem Weg durch Kooperativen und Konsortien verliert. | |
| „Erntehelfer*innen werden auf europäischen Feldern ausgebeutet, finanziert | |
| durch EU-Subventionen“, sagt Steffen Vogel von Oxfam Deutschland der taz in | |
| Reaktion auf die Recherche. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten müssten | |
| Schlupflöcher bei Agrarsubventionen schließen. | |
| Eigentlich hatte die EU erst vor wenigen Jahren [9][ein Instrument | |
| geschaffen], um genau solche Zahlungen zu unterbinden und Betriebe zu | |
| sanktionieren, die sich nicht an Sozialstandards halten: die sogenannte | |
| soziale Konditionalität. In Deutschland wurde diese Regelung zu Beginn des | |
| Jahres umgesetzt. Die Recherche zeigt jedoch, dass sie vielerorts nicht | |
| verhindern kann, dass weiterhin Geld an fragwürdige Arbeitgeber fließt. | |
| ## Ein Skandal in Italien – keine Konsequenzen aus Brüssel | |
| Ein Gerichtssaal im italienischen Piemont, Mai 2021. Der Erntehelfer Koanda | |
| Mounouni ist als Zeuge geladen, er erscheint mit Gesichtsmaske im | |
| Gerichtssaal, die Coronapandemie ist in vollem Gange. Die Angeklagten: Ein | |
| Arbeitsvermittler, der Mounouni ausgebeutet haben soll, sowie die Besitzer | |
| zweier landwirtschaftlicher Betriebe, an die der Vermittler seine Arbeiter | |
| weitergereicht haben soll. Alle fünf sollen Saisonkräfte ausgebeutet haben. | |
| Er habe neun bis zehn Stunden am Tag gearbeitet, erzählt Mounouni dem | |
| Vorsitzenden Richter. Manchmal auch samstags, sonntags und bei Regen. Für | |
| alles habe er bezahlen müssen: Sein Zimmer in einer überfüllten Unterkunft, | |
| Strom, Heizung, angebliche Steuern und vieles mehr. So berichtet es damals | |
| ein italienisches Medium, das den Prozess begleitet. | |
| Der Fall geht in Italien durch die Presse, auch weil dahinter weitreichende | |
| Ermittlungen stecken: Nachdem erste Hinweise auf mutmaßliche Ausbeutung | |
| 2018 von einem Arbeiter kommen, hört eine Spezialeinheit der italienischen | |
| Polizei mehrere Betriebe ab. Im Jahr 2022 fällt das Urteil: Alle | |
| Beschuldigten werden wegen Ausbeutung von Wanderarbeitern zu mehreren | |
| Jahren Haft verurteilt. Später werden die Strafen in der Berufung auf knapp | |
| zwei Jahre beziehungsweise drei Jahre herabgesetzt. Das Urteil gilt als | |
| wegweisend im Kampf gegen illegale Arbeitsvermittlung. | |
| Doch obwohl einer der Landwirte ins Gefängnis muss, erhielt er im Jahr der | |
| Verurteilung mehr als 90.000 Euro an Subventionen. Im Jahr darauf, während | |
| er seine Strafe verbüßte, mehr als 110.000 Euro. | |
| „Die Menschen wollen Lebensmittel, die fair sind – sowohl in Bezug auf ihre | |
| Herstellung als auch auf die Behandlung der Menschen. Die Gemeinsame | |
| Agrarpolitik sollte ein Instrument sein, um dies zu erreichen“, sagt | |
| Völkerrechtler Olivier De Schutter der taz. „Stattdessen werden mit | |
| öffentlichen Mitteln weiterhin landwirtschaftliche Betriebe subventioniert, | |
| die an ausbeuterischer Lebensmittelproduktion beteiligt sind, | |
| einschließlich moderner Sklaverei.“ De Schutter ist | |
| UN-Sonderberichterstatter für extreme Armut und Menschenrechte und | |
| Co-Vorsitzender des Thinktanks IPES-Food. | |
| Jahrelang haben Gewerkschaften und einzelne progressive | |
| Politiker*innen dafür gekämpft, EU-Subventionen auch an | |
| Arbeitsstandards zu knüpfen. Denn bislang hatte das bei der Vergabe der | |
| Gelder niemand überprüft. Eine der lautesten Stimmen war die der | |
| EU-Abgeordnete Maria Noichl, eine Sozialdemokratin aus Bayern. | |
| „Wenn jemand seine Arbeiter wie Schweine behandelt, möchte ich nicht, dass | |
| er Geld aus Brüssel bekommt“, erklärt sie gegenüber der taz. „Dieses Geld | |
| gehört nicht den Landwirten, sondern den Steuerzahlern.“ | |
| Sie erinnert sich jedoch auch an den harten Kampf, um eine Einigung zu | |
| erzielen. „Es gab Widerstand von den großen Bauernverbänden und auch | |
| anfänglich von der EU-Kommission und den Mitgliedstaaten“, sagt sie. „Die | |
| wollten das überhaupt nicht.“ Sie hätte wochenlang Briefe geschrieben, um | |
| Abgeordnete und Regierungen von der Reform zu überzeugen. Am Ende hatte sie | |
| Erfolg, auch weil Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Organisationen | |
| Druck gemacht haben. | |
| Die Reaktionen waren enthusiastisch. Der Europäische Rat bezeichnet die | |
| Vereinbarung als „historischen Fortschritt “, der Europäische | |
| Gewerkschaftsbund für Ernährung, Landwirtschaft und Tourismus (EFFAT) | |
| nannte sie einen „großen Sieg der Gewerkschaften“. Doch es war auch ein | |
| Kompromiss, stark abgeschwächt im Vergleich zu Noichls Vorschlägen. | |
| Die soziale Konditionalität gilt seit 2025 in der gesamten EU. Nur einige | |
| Länder führten sie schon 2023 ein: Frankreich, Österreich und Italien. | |
| Eine Auswertung in diesen Ländern zeigt: Die Umsetzung verläuft offenbar | |
| schleppend. In Spanien gab es im Jahr 2024 insgesamt 227 Fälle, im Schnitt | |
| wurden 3 Prozent der Subventionen gekürzt. Im Jahr zuvor stellte die | |
| Arbeitsbehörde jedoch über 7.000 Arbeitsrechtsverstöße in der | |
| Landwirtschaft fest. In Österreich wurde bisher lediglich ein Landwirt | |
| sanktioniert. Er musste in zwei aufeinanderfolgenden Jahren insgesamt rund | |
| 3.000 Euro an Subventionen zurückzahlen – etwa 4 Prozent des Geldes, das er | |
| in derselben Zeit bekommen hat. Behörden in Frankreich haben bislang | |
| offenbar gar keine Subventionen gekürzt, das bestätigen ein Gewerkschafter | |
| und zwei Mitarbeiter der Arbeitsinspektion der taz. | |
| In Deutschland gilt die soziale Konditionalität seit 2025. Laut den | |
| zuständigen Kontroll- und Zahlstellen wird es frühestens Ende Oktober erste | |
| Zahlen geben. | |
| Als 2023 in Italien die soziale Konditionalität eingeführt wurde, wurde ein | |
| Farmbesitzer in Kampanien wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung zur | |
| Arbeitsausbeutung verurteilt. Er hatte Saisonkräfte elf Stunden am Tag, | |
| sieben Tage die Woche für nur 4,50 Euro pro Stunde arbeiten lassen. Seit | |
| 2015 hat der Mann über 1 Million Euro EU-Fördermittel erhalten. Fast | |
| 200.000 Euro flossen ihm sogar ein Jahr nach seiner Verurteilung zu. | |
| Ähnlich in Galicien, Spanien: Dort wurde die soziale Konditionalität 2024 | |
| eingeführt. Im selben Jahr wurde ein Lokalpolitiker der Volkspartei zu neun | |
| Monaten Haft verurteilt, weil er zwei Saisonkräfte ausgebeutet hatte. Dazu | |
| sollte er 44.000 Euro Entschädigung zahlen. Dennoch erhielt er im selben | |
| Jahr 41.000 Euro Subventionen – insgesamt 283.000 Euro seit seiner ersten | |
| Festnahme. | |
| Enrico Somaglia, Generalsekretär von EFFAT, ist von den | |
| Rechercheergebnissen beunruhigt – aber nicht überrascht. „Bislang hat die | |
| Gemeinsame Agrarpolitik arbeitenden Menschen nicht geholfen“, sagt er. | |
| Somaglia und der EFFAT haben jahrelang für die Einführung der sozialen | |
| Konditionalität gekämpft. „Damit sie jedoch richtig funktioniert, muss sie | |
| vollständig umgesetzt und gestärkt werden.“ Der EFFAT fordert höhere | |
| Strafen und eine Ausweitung auf weitere Verstöße, etwa gegen den | |
| Mindestlohn. | |
| In Brüssel verhandeln Politiker*innen derzeit die Gemeinsame | |
| Agrarpolitik für die kommenden sieben Jahre. Statt jedoch den ohnehin | |
| schwachen Schutz von Arbeitsrechten zu stärken, möchte die EU-Kommission | |
| die Regel aufweichen. Sie hat vorgeschlagen, Betriebe unter einer Größe von | |
| 10 Hektar von der Regel auszunehmen. Das wären etwa 70 Prozent der Betriebe | |
| in der EU. | |
| Auch in Deutschland stehen Saisonkräfte politisch unter Druck. Erst in | |
| diesem Sommer wurde eine Aussetzung des Mindestlohns für | |
| Erntehelfer*innen diskutiert, im September dann beschloss das Kabinett | |
| einen Gesetzentwurf, nach dem Saisonkräfte statt wie bisher 70 Tage nun 90 | |
| Tage sozialversicherungsfrei beschäftigt werden dürfen. Die meisten von | |
| ihnen kommen Schätzungen zufolge aus Rumänien und Bulgarien, immer mehr | |
| aber auch aus Ländern außerhalb der EU, wie Usbekistan oder Georgien. In | |
| Deutschland haben sie oft mit Mindestlohnbetrug, schlechten Unterkünften, | |
| fehlenden Verträgen oder unzureichender Krankenversicherung zu kämpfen. | |
| So auch Levani Idadze. Der Georgier stieg 2021 ins Flugzeug nach | |
| Deutschland, um Erdbeeren zu pflücken. Damals schien in seinem Vertrag | |
| alles klar geregelt zu sein: drei Monate Arbeit, maximal 48 Stunden die | |
| Woche, deutscher Mindestlohn. Doch der erste Betrieb in Süddeutschland, auf | |
| dem Idadze arbeitete, zahlte ihm nur rund die Hälfte von dem, was er selbst | |
| berechnet hatte. Der zweite Betrieb im Norden Deutschlands hat ihm bis | |
| heute gar kein Geld gezahlt. „Die zwei Monate in Deutschland waren für uns | |
| eine Beleidigung“, sagt Idadze heute. Die taz hat [10][mehrfach über den | |
| Fall berichtet, zuletzt Anfang 2025]. | |
| Idadze hat gemeinsam mit 18 Kolleg*innen gegen beide Betriebe geklagt. | |
| Im Sommer 2023 haben sie mit dem ersten Betrieb einen Vergleich | |
| geschlossen, das zweite Verfahren dauert bis heute an. Unsere Recherche | |
| zeigt nun: In der Zeit, in der die Gerichtsverfahren liefen, haben beide | |
| Betriebe weiterhin Geld von der EU bekommen. Insgesamt 63.000 Euro an | |
| Agrarsubventionen, ähnlich viel wie in den Jahren zuvor. | |
| ## Unklare Zuständigkeiten, fehlende Kontrollen | |
| In Deutschland gibt es keine zentrale Arbeitsinspektion wie in anderen | |
| EU-Ländern. Die Kontrolle der sozialen Konditionalität liegt in vielen | |
| Händen: bei Umwelt-, Arbeits- und Sozialministerien der Länder, den | |
| Verbraucherschutzbehörden, dem Zoll, den Arbeitsschutzbehörden. | |
| Viele der Behörden sind seit Jahren überlastet. Statistisch gesehen | |
| [11][wird ein Unternehmen nur alle 72 Jahre von der Finanzkontrolle | |
| Schwarzarbeit überprüft]. Die Behörde gab öffentlich bekannt, dass sie | |
| 2.500 offene Stellen zu besetzen habe. Doch Arbeitsausbeutung [12][ist ein | |
| Kontrolldelikt], denn Betroffene wenden sich nur selten an | |
| Strafverfolgungsbehörden. | |
| Genau das kritisieren auch Gewerkschafter wie Jörg Heinel, Abteilungsleiter | |
| für Forst und Agrar bei der Gewerkschaft IG BAU. „Auf deutscher Ebene | |
| brauchen wir jetzt eine Ausweitung der Kontrollen, damit die soziale | |
| Konditionalität kein zahnloser Tiger wird“, so Heinel zur taz. „Das gilt | |
| für den Arbeits- und Gesundheitsschutz genauso wie für Kontrollen, die etwa | |
| der Zoll durchführt.“ | |
| Auf Anfrage der taz teilte die Finanzkontrolle Schwarzarbeit mit, sie habe | |
| in den vergangenen fünf Jahren jährlich zwischen 30 und 60 Verfahren wegen | |
| mutmaßlicher Unterbezahlung in der Landwirtschaft eröffnet, was zu | |
| Geldstrafen zwischen 10.000 Euro und 140.000 Euro pro Jahr geführt habe. | |
| Weitere Geldstrafen wurden wegen Sozialversicherungsbetrugs | |
| („Schwarzarbeit“) und „illegaler Beschäftigung von Ausländern“ verhä… | |
| Weil er sich weigert, die Namen der sanktionierten Betriebe zu nennen, hat | |
| die Recherche- und Transparenzplattform FragDenStaat den Zoll auf Auskunft | |
| verklagt. | |
| Kateryna Danilova vom Europäischen Verein für Wanderarbeiterfragen und | |
| Branchenkoordinatorin für Landwirtschaft und Baugewerbe bei Faire | |
| Mobilität, findet es richtig, dass Landwirt*innen, die sich nicht an das | |
| Arbeitsrecht halten, die Subventionen gekürzt werden. Aber sie ist auch | |
| skeptisch, ob in Deutschland wirklich viele Fälle zusammenkommen werden. | |
| Für die Sanktion braucht es eine „vollstreckbare Entscheidung“ – also ein | |
| rechtskräftiges Gerichtsurteil oder eine behördliche Verfügung, die | |
| tatsächlich durchgesetzt werden kann. Das bedeutet, dass selbst | |
| schwerwiegende Ausbeutung unbemerkt bleiben kann, wenn ein Betrieb nicht | |
| zufällig kontrolliert wird oder die Arbeitnehmer*innen selbst | |
| rechtliche Schritte einleiten. Doch das ist schwer. Die Menschen sind nur | |
| kurze Zeit in Deutschland, sprechen oft kein Deutsch, und was ihnen auf den | |
| Feldern widerfährt, ist schwer zu beweisen. Oft steht Aussage gegen | |
| Aussage. | |
| „Sie bekommen meistens keine Lohnabrechnungen während ihres Aufenthalts in | |
| Deutschland. Deshalb kann man auch nicht nachweisen, dass Geld vom Lohn | |
| abgezogen wurde“, sagt Danilova. „Es ist einfach etwas, was dann im | |
| Gespräch zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer stattfindet.“ Viele | |
| mutmaßliche Verstöße seien so nur durch Zeugenaussagen zu bestätigen. | |
| Betroffene Personen jedoch zögerten oft, sich zu äußern. „Sie wollen in | |
| Deutschland keine Probleme oder Stress haben.“ | |
| Ein anderes Problem ist die Art und Weise, wie landwirtschaftliche Betriebe | |
| strukturiert sind. „Das Unternehmen, das diese Personen beschäftigt, ist in | |
| der Regel nicht dasselbe wie das Unternehmen, das diese | |
| landwirtschaftlichen Erzeugnisse tatsächlich verkauft oder das Subventionen | |
| aus dem europäischen Budget bekommt. Auch wenn diese Unternehmen | |
| letztendlich denselben Personen gehören“, sagt Danilova. Um Sanktionen | |
| durchzusetzen, müsste zunächst ein Zusammenhang bewiesen werden. „Damit | |
| bleibt noch die Frage, wie solche Fälle behandelt werden, wenn wir sie | |
| melden.“ | |
| ## Vorbei an der Realität auf den Feldern | |
| An einem Mittwoch im Juli um neun Uhr morgens stehen Stefanie Albrecht und | |
| ihre Kollegin auf einem Waldweg in Mecklenburg-Vorpommern. Es hat trotz der | |
| frühen Uhrzeit schon über 25 Grad, im Radio laufen Hitzewarnungen. Albrecht | |
| ist Beraterin von Correct!, einer Beratungsstelle für ausländische | |
| Beschäftigte, und zieht sich trotz der Hitze eine Weste über. Sie und ihre | |
| Kollegin möchten mit Saisonkräften auf einem nahegelegenen Hof sprechen. | |
| Von dort haben sich Menschen mit Beschwerden gemeldet. Es geht mutmaßlich | |
| um schlechte Unterkünfte, fehlenden Mindestlohn. Gestern waren sie schon | |
| einmal hier, haben Ausschau gehalten, wo die Saisonkräfte arbeiten. Aber | |
| heute ist niemand zu sehen. | |
| Stefanie Albrecht zieht einen Fragebogen aus der Tasche, den ihnen die | |
| Behörde mitgegeben hat, die für die soziale Konditionalität zuständig ist. | |
| Die Beraterinnen überlegen lange und entscheiden sich schließlich, an einer | |
| unauffälligen Stelle im Auto zu warten, bis die Saisonkräfte Pause machen. | |
| Dieses Versteckspiel ist notwendig, weil die Beraterinnen weder auf die | |
| Felder noch in die Unterkünfte gehen dürfen. | |
| Gegen Mittag ist es unerträglich heiß. Als die Beraterinnen in Richtung | |
| Feld fahren, kommen ihnen die Menschen schon entgegen. Albrecht und ihre | |
| Kollegin springen aus dem Auto, verteilen kleine Taschen mit Infomaterial, | |
| Wasserflaschen, stellen Fragen. „Wo kommt ihr her?“ „Habt ihr Sonnencreme | |
| bekommen?“ „Habt ihr Geld bezahlt, um hier zu arbeiten?“ | |
| Die Haut der Saisonkräfte ist verbrannt. Viele hier sind Studierende aus | |
| Usbekistan, die angeben, über Work and Travel hier zu sein. Das Erste, was | |
| sie fragen: Habt ihr einen neuen Job für uns? | |
| Dann ist alles ziemlich schnell vorbei. Den Fragebogen packt Albrecht gar | |
| nicht aus. Zu kurz die Zeit, die Sorgen der Menschen sind von den | |
| Anforderungen der Behörde zu verschieden. Später meldet Albrecht der | |
| Arbeitsschutzbehörde, dass die Personen keinen angemessenen Sonnenschutz | |
| hatten. Die Behörde schreibt auf Anfrage, dass sie dem nachgegangen sei und | |
| den Betrieb kontrolliert habe. Eine Meldung unter der sozialen | |
| Konditionalität habe dies aber nicht zur Folge gehabt. | |
| Wenige Tage später endet die Beschäftigung der Menschen auf diesem Hof. Bei | |
| Stefanie Albrecht melden sie sich nicht mehr. | |
| 3 Oct 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Ausbeutung-in-der-Landwirtschaft/!5752321 | |
| [2] https://www.humanite.fr/dans-lagriculture-la-traite-des-etres-humains-bat-s… | |
| [3] /EU-Agrarsubventionen/!6015483 | |
| [4] https://fragdenstaat.de/artikel/exklusiv/2025/10/millionen-zuschusse-fur-au… | |
| [5] https://www.desmog.com/2025/09/29/revealed-eu-farm-subsidy-bankrolls-widesp… | |
| [6] https://www.elsaltodiario.com/explotacion-laboral/investigados-explotacion-… | |
| [7] https://www.humanite.fr/agriculture-comment-la-pac-finance-lexploitation-de… | |
| [8] https://www.profil.at/warum-ausbeutung-in-oesterreichs-landwirtschaft-kaum-… | |
| [9] https://agriculture.ec.europa.eu/cap-my-country/cap-strategic-plans_en | |
| [10] /Georgischer-Erntehelfer-flieht/!5774251 | |
| [11] https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/wirtschaft/schwarzarbeit-mind… | |
| [12] https://www.bka.de/DE/UnsereAufgaben/Deliktsbereiche/Menschenhandel/mensch… | |
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