# taz.de -- Ausbeutung in der Landwirtschaft: Das kaputte Zertifikat | |
> Wird unser Obst und Gemüse unter guten Arbeitsbedingungen geerntet? Ja, | |
> sagen die Supermärkte. taz-Recherchen zeigen ein anderes Bild. | |
Fünf verdreckte Toiletten für rund zweihundert Menschen. Überfüllte | |
Bungalows, keine Dusche, mitten in der [1][Pandemie]. Unter diesen | |
Bedingungen leben Männer und Frauen, die in Südfrankreich Aprikosen, | |
Nektarinen und Pfirsiche ernten. Obst, das in den Einkaufswagen deutscher | |
Verbraucher landet. Sie gehen davon aus, dass die Supermärkte, in denen sie | |
einkaufen, angemessene Arbeitsbedingungen bei ihren Lieferanten | |
garantieren. | |
Verlierer sind Arbeiter und Arbeiterinnen, wie jene, die in den überfüllten | |
Bungalows des Unternehmens Earl Racamier wohnen müssen. Mitte August | |
vergangenen Jahres hat die taz die Farm in Südfrankreich besucht. Mitten in | |
der Pandemie herrschen hier katastrophale sanitäre Zustände. Zeitweise gibt | |
es gar kein fließendes Wasser. | |
Bereits Anfang Mai hatte die Präfektur Bouches-du-Rhône deshalb vier der | |
Bungalows geschlossen. Die meisten, die dort leben, kommen aus Marokko, | |
Westafrika oder Lateinamerika. Angestellt sind sie über die spanische | |
Leiharbeitsfirma Terra Fecundis. | |
Eine Frau aus Paraguay sagt der taz, sie sei nach einer Nacht abgereist. | |
Die Wohn- und Arbeitsverhältnisse hätten ihr Angst gemacht. „Meine Matratze | |
war voller Urin, Blutflecken und Fäkalien. Ich musste sie desinfizieren und | |
drei Bettlaken darüberlegen, um darauf zu schlafen.“ | |
## Wie verlässlich ist das Zertifikat? | |
[2][Earl Racamier exportiert nach eigenen Angaben] 30 Prozent seiner | |
Pfirsiche, Äpfel, Nektarinen und Aprikosen nach Deutschland, Belgien und in | |
die Schweiz. In der Regel ahnen die Käufer*innen nicht, was für Zustände | |
auf der Plantage herrschen, denn das Unternehmen stützt sich auf einen | |
gewichtigen Fürsprecher: Global G.A.P. – den nach eigenen Angaben | |
weltgrößten Zertifizierer von Lebensmitteln und Aquakultur. G.A.P., das | |
steht für Good Agricultural Practice. | |
Seit mehreren Jahren recherchieren wir zu Arbeitsausbeutung in der | |
spanischen und französischen Landwirtschaft. Es geht, wie bei Earl | |
Racamier, häufig um menschenunwürdige Unterbringung, aber auch um | |
Unterlaufen des Mindestlohns, um fehlende Coronaschutzmaßnahmen für | |
Erntehelferinnen, körperliche Misshandlung und sexuelle Belästigung. | |
Immer wenn wir Supermärkte mit Zuständen konfrontieren, die auf den Feldern | |
ihrer Lieferanten herrschen, bekommen wir ähnlich lautende Antworten: Man | |
nehme die Vorwürfe sehr ernst, wolle aber hinzufügen, dass alle Produzenten | |
zertifiziert seien – durch Global G.A.P. Aber wie verlässlich ist das | |
Zertifikat? | |
Die taz hat ein halbes Dutzend Vorfälle recherchiert, in denen teils | |
schwerwiegende Vorwürfe gegen Produzenten in Frankreich und Spanien im Raum | |
standen oder die sich bereits in Gerichtsverfahren befanden, während sie | |
weiter durch Global G.A.P. zertifiziert wurden. | |
Global G.A.P. schreibt auf Anfrage, dass man jede Missachtung der | |
Arbeitnehmerrechte und grundsätzlich jeden sozialen Missbrauch aufs | |
Schärfste verurteile. „Gleichzeitig müssen wir hervorheben, dass es sich | |
bei den meisten von Ihnen genannten Vorfällen um kriminelle Handlungen | |
handelt, die außerhalb des Anwendungsbereichs aller Zertifizierungssysteme | |
liegen“, so eine Sprecherin des Global-G.A.P.-Sekretariats. Auf Fragen zu | |
konkreten Fällen, wie dem von Earl Racamier, geht das Unternehmen nicht | |
ein. | |
## Eines der größten Lebensmittelsiegel der Welt | |
Anders als Fairtrade oder Rainforest Alliance ist Global G.A.P. kein | |
Siegel, das sich an den Endverbraucher richtet. Auf den Aprikosen oder der | |
Schachtel Erdbeeren, die man im Supermarkt in seinen Wagen legt, findet | |
sich kein erkennbares Logo. Alle Global-G.A.P.-zertifizierten Produkte | |
tragen allerdings eine Nummer – meist ist sie neben dem Barcode | |
aufgedruckt. Wer die Nummer in [3][die Datenbank von Global G.A.P.] | |
eingibt, kann nachvollziehen, von welchem Produzenten das Gemüse oder Obst | |
stammt. | |
Während manche Siegel staatlich sind, wie etwa das EU-Bio-Siegel, ist | |
Global G.A.P. ein privates Unternehmen, das auf eine Initiative | |
europäischer Supermarktketten aus dem Jahr 1997 zurückgeht. Der Fehler ist | |
also von Beginn an angelegt: Die Supermärkte kontrollieren sich quasi | |
selbst. Heute ist Global G.A.P. eines der größten Lebensmittelsiegel der | |
Welt und zertifiziert Betriebe im Bereich Nutzpflanzen, Viehzucht und | |
Aquakultur. Sein Sitz liegt in Köln, aber das Unternehmen ist nach eigenen | |
Angaben in mehr als 135 Ländern vertreten. Dabei arbeitet es mit | |
sogenannten Zertifizierungsstellen zusammen, eigenständigen Unternehmen, | |
die für Global G.A.P. vor Ort Kontrollen durchführen. | |
Möchte ein Betrieb zertifiziert werden, zahlt er dafür Geld, etwas mehr als | |
1.500 Euro im Jahr. Während das Label ursprünglich gegründet wurde, um | |
Standards zu Fragen der Hygiene, Rückverfolgbarkeit und | |
Umweltverträglichkeit zu garantieren, soll es heute auch die Gesundheit und | |
Sicherheit der Arbeiter gewährleisten. Diese Bewertung ist seit Oktober | |
2020 verpflichtend und nennt sich „Global G.A.P. Risk Assessment on Social | |
Practices“, kurz GRASP. | |
## Todesursache: Dehydrierung | |
An einem heißen Tag im Juli 2011 bricht der 32-jährige [4][Elio Maldonado] | |
in einem Gewächshaus auf der Plantage SARL Les Sources zusammen. Viele | |
Stunden soll der Ecuadorianer Melonen geerntet haben – ohne etwas trinken | |
zu dürfen. Die Verantwortlichen sollen keinen Rettungswagen gerufen, | |
sondern ihn erst nach eineinhalb Stunden ins Krankenhaus gefahren haben. | |
Dort stirbt er. Todesursache: Dehydrierung. Die Familie von Elio Maldonado | |
klagt. Das Gerichtsverfahren zieht sich über unglaubliche neun Jahre hin. | |
Im Mai 2020 endet es mit einem Freispruch für den Manager von SARL Les | |
Sources, Julian P. Die Familie geht in Berufung. Doch es bleiben nicht die | |
letzten Ermittlungen gegen den Landwirt. | |
Der taz liegt ein Dokument der Polizei in Saint-Rémy-de-Provence vor, aus | |
dem hervorgeht, dass Julian P. und seine Frau die berüchtigte | |
Zeitarbeitsfirma Terra Fecundis mitgegründet haben, auf die wir bereits im | |
Fall von Earl Racamier gestoßen sind. Auch der verstorbene Elio Maldonado | |
war über Terra Fecundis angestellt. Die spanische Firma schickt jedes Jahr | |
rund 2.000 Arbeitsmigrant*innen zur Erntesaison auf französische | |
Felder. Weil sie diese in Spanien registriert, muss sie ihnen weniger | |
zahlen. Wie Sklaven seien sie behandelt worden, sagt ein Arbeiter dem | |
Fernsehsender [5][France 2]. | |
Seit 2010 steht die Firma bereits unter Beobachtung der Behörden: Terra | |
Fecundis soll den französischen Staat um 112 Millionen Euro | |
Sozialversicherungsbeiträge betrogen und illegal Leiharbeiter | |
weitervermittelt haben. Das wäre der größte bekannte Fall von Sozialbetrug | |
in Frankreich. Aus dem Dokument, das der taz vorliegt, geht hervor, dass | |
nun gegen Julian P. und seine Frau unter anderem wegen bandenmäßigen | |
Sozialbetrugs ermittelt wird. Im November 2020 sollte das Gerichtsverfahren | |
endlich beginnen, nun wurde es erneut auf Mai 2021 verschoben. | |
Global G.A.P. stellt SARL Les Sources, dem anderen Unternehmen von Julian | |
P., Ende September 2020 trotzdem erneut ein Zertifikat aus. Laut diesem | |
darf es seinen Endiviensalat in alle EU-Länder exportieren. Auch wenn es | |
noch kein Gerichtsurteil gegen Julian P. gibt, stellt sich die Frage, ob | |
die Zertifizierung eines Produzenten, gegen den strafrechtliche Vorwürfe | |
von solcher Erheblichkeit im Raum stehen, nicht zumindest ausgesetzt werden | |
sollte. | |
## Was bringt das neue Lieferkettengesetz? | |
Global G.A.P. geht in der Antwort auf unsere Anfrage nicht auf den Fall | |
SARL Les Sources ein, sondern schickt uns Auszüge aus dem allgemeinen | |
Regelwerk. Dort heißt es: „Eine Suspendierung mit sofortiger Wirkung | |
erfolgt, wenn eine ernsthafte Gefährdung für die Sicherheit von | |
Arbeitnehmern, Umwelt, Verbrauchern und/oder für die Produktintegrität | |
besteht.“ | |
Warum der Tod eines Arbeiters sowie mehrfache strafrechtliche Ermittlungen | |
gegen einen Produzenten nicht dazu führen, dass ein solcher Prozess | |
ausgelöst wird, beantwortet Global G.A.P. nicht. | |
Dass Produzenten ein Zertifikat erhalten, obwohl möglicherweise Verstöße | |
gegen Menschenrechte vorliegen, sei keine Seltenheit, sagt Sandra Dusch von | |
der Christlichen Initiative Romero (CIR). CIR unterstützt die | |
[6][Initiative zum Lieferkettengesetz]. | |
Anfang Februar wurde ein erster Entwurf für das Gesetz öffentlich. Demnach | |
sollen deutsche Unternehmen grundsätzlich verpflichtet werden, entlang | |
ihrer Lieferkette die Einhaltung von Umweltstandards und Menschenrechten zu | |
gewährleisten. Auch Bußgelder sind vorgesehen. Doch es ist fraglich, ob man | |
Supermarktketten nachweisen kann, dass sie von Menschenrechtsverletzungen | |
wussten, zumal, wenn sie auf Zertifikate wie Global G.A.P. verweisen | |
können. | |
CIR hat Zertifikate und Siegel aus der Lebensmittel- und Textilbranche | |
untersucht und geprüft, inwiefern sie die Arbeitsbedingungen vor Ort | |
verbessern. [7][Dabei schnitt Global G.A.P. schlecht ab]. | |
## Andere Siegel machen es besser | |
Die sozialen und ökologischen Kriterien seien unzureichend, befindet die | |
NGO. „Existenzsichernde Löhne und eine faire Beschaffungspolitik werden | |
nicht gefordert, lokale Akteur*innen nicht hinreichend einbezogen“, so | |
die Begründung. Den Unternehmen werde die Einhaltung der | |
menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht empfohlen, aber die Umsetzung nicht | |
systematisch geprüft. | |
Es sei ein sich selbst genügendes System, das nicht mit anderen | |
Informationsquellen verknüpft sei, sagt Sandra Dusch. Mit anderen Worten: | |
Wird über Vorwürfe gegen einen Produzenten in einem Zeitungsbericht über | |
eine gewerkschaftliche Pressemitteilung berichtet, erreicht diese | |
Information den Zertifizierer gar nicht. Auch eine Frage wie: „Gab es in | |
den letzten Jahren oder Monaten ein Strafverfahren?“, sei möglicherweise | |
nicht Teil der Überprüfungen von Global G.A.P. | |
Andere Siegel zeigen, dass es besser geht. Das Siegel der World Fair Trade | |
Organisation (WFTO) etwa hat ein Meldesystem, in dem alle zertifizierten | |
Mitglieder sowie Interessengruppen und auch Journalisten oder | |
Journalistinnen Probleme benennen oder Bedenken bezüglich eines | |
WFTO-Mitglieds anmelden können. | |
„Kriminelle Handlungen fallen in den Zuständigkeitsbereich der | |
Strafverfolgungsbehörden“, verteidigt sich Global G.A.P. in seiner | |
Stellungnahme. Und natürlich ist das richtig. Ein Lebensmittelzertifizierer | |
ist nicht die Polizei. Doch ein Blick in das Regelwerk zeigt, dass Global | |
G.A.P. die lokalen Kontrollstellen nicht einmal verpflichtet, Vorfälle zu | |
melden, wenn Produzenten gegen Gesetze verstoßen. | |
## Keine Verpflichtung, Verstöße zu melden | |
In dem Dokument heißt es: „Die CB [Zertifizierungsstelle] kann | |
schwerwiegende Betrugsfälle oder Verstöße gegen gesetzliche Anforderungen | |
sowie Verbrechen den zuständigen lokalen/nationalen Behörden melden.“ | |
Verpflichtet ist sie dazu nicht. | |
Der taz liegt auch die Checkliste vor, anhand derer vor Ort die Farmen und | |
Plantagen überprüft werden. Eine Frage nach laufenden Strafverfahren gegen | |
den Produzenten findet sich darin tatsächlich nicht. Ebenso fehlen direkte | |
Fragen bezüglich der Unterbringung von Arbeitern oder der sanitären | |
Ausstattung der Unterkünfte. | |
Und so kommt es dazu, dass deutsche Supermärkte teilweise offenbar nicht | |
wissen, dass sie von problematischen Lieferanten Obst beziehen. | |
## Äpfel und Birnen | |
Im Jahr 2017 begann vor dem Arbeitsgericht in Arles ein Verfahren gegen das | |
Unternehmen Coccolo, die spanische Leiharbeitsfirma Laboral Terra, sowie | |
weitere französische Unternehmen. Laboral Terra war eine der wichtigsten | |
spanischen Leiharbeitsfirmen in der französischen Landwirtschaft. | |
Die Klage eingereicht hatten fünf marokkanische und spanische | |
Arbeiter*innen. Sie warfen Laboral Terra sowie den landwirtschaftlichen | |
Betrieben, mit denen die Firma zusammengearbeitet hatte, unter anderem | |
illegale Leiharbeit, betrügerischen Gehaltsabzug und Geldwäsche vor. | |
Außerdem sollen sie Überstunden und Urlaub nicht bezahlt und Arbeitsunfälle | |
nicht gemeldet haben. | |
Das Verfahren zog sich über drei Jahre hin. In all diesen Jahren erhielt | |
Coccolo, eines der angeklagten Unternehmen, jedes Jahr wieder ein | |
Global-G.A.P.-Zertifikat. Für Coccolo war 2019 und 2020 in der Datenbank | |
auch eine GRASP-Evaluierung verfügbar, also zu den Gesundheits- und | |
Sozialstandards für Arbeiter*innen, mit dem Vermerk „fully compliant“ – | |
„vollständig konform“. | |
Im September 2020 verurteilte das Arbeitsgericht in Arles Laboral Terra und | |
acht weitere Unternehmen, darunter Coccolo, unter anderem wegen | |
Unterlaufens des Mindestlohns und betrügerischen Lohnabzugs zu | |
Strafzahlungen. Das Urteil liegt der taz vor. | |
Aldi Nord gab auf Anfrage der taz an, in den vergangenen Jahren vereinzelt | |
Produkte von Coccolo bezogen zu haben. Vermutlich Äpfel oder Birnen, denn | |
die baut das Unternehmen an. „Wir werden Global G.A.P. bitten, die von | |
Ihnen geschilderten Verstöße weiter zu untersuchen“, so ein Sprecher. | |
## Auslisten und boykottieren? | |
Man sei sich der Herausforderungen bei dem Anbau von Obst und Gemüse | |
bewusst. „Daher führen wir risikoorientiert eigene Produzenten-Assessments | |
und Besuche in den für uns relevanten Herkunftsländern durch“, so Aldi. Was | |
genau das bedeutet, wie viele solcher Besuche durchgeführt werden und | |
anhand welcher Kriterien die besuchten Produzenten ausgesucht werden, teilt | |
Aldi nicht mit. | |
Auch REWE gibt an, saisonal Äpfel und Birnen von Coccolo zu beziehen. Der | |
Lieferant habe aber bestätigt, seit 2017 nicht mehr mit der | |
Leiharbeitsfirma Laboral Terra zusammenzuarbeiten. „Wir möchten an dieser | |
Stelle betonen, dass wir belegte Verstöße gegen Landesgesetze, ILO-Normen | |
und Mindestlöhne bei Lieferanten nicht tolerieren und diese bei Nachweis | |
sanktionieren – bis hin zur Auslistung“, so eine REWE-Sprecherin. ILO ist | |
die Organisation der Vereinten Nationen, die für Arbeitsrecht zuständig | |
ist. | |
Auf den erneuten Hinweis der taz, dass das im Herbst 2020 ergangene Urteil | |
sich gegen Coccolo direkt richtet, ging REWE nicht ein. | |
Auslistung als letzte und härteste Maßnahme ist laut Sandra Dusch von der | |
Christlichen Initiative Romero nicht hilfreich. Das sogenannte „cut and | |
run“ trage nicht zur Verbesserung vor Ort bei und sei nur für die | |
Unternehmen in Deutschland angenehmer: „Dann können sie sagen: Da gab’s ein | |
Problem und wir sind direkt rausgegangen.“ Als Reaktion auf [8][Recherchen] | |
über sexuelle Belästigung auf Erdbeerplantagen hatte etwa Lidl im Jahr 2018 | |
Geschäftsbeziehungen zu Lieferanten in Spanien abgebrochen. | |
## Mafiöse Strukturen | |
Ein Boykott könne nur etwas sein, das von Arbeiter*innen vor Ort | |
gefordert werde. Meistens sei das aber nicht deren Interesse. | |
„Normalerweise sind die auf den Job angewiesen und wollen nur | |
menschenwürdige Arbeitsbedingungen“, so Dusch. „Cut and run ist sehr aus | |
einer Konsumentenperspektive gedacht.“ Es gehe darum, bei „den Guten“ zu | |
kaufen. Dabei bleibe wirkliche Veränderung der Arbeitsbedingungen vor Ort | |
auf der Strecke. | |
Auch die Fälle bei den Leiharbeitsfirmen Laboral Terra und Terra Fecundis | |
zeigen, dass es nicht damit getan ist, einzelne Lieferanten auszusortieren. | |
Für billiges Obst und Gemüse werden Erntehelfer*innen [9][systematisch | |
ausgebeutet]. Immer wieder spielen [10][Leiharbeitsfirmen und | |
Vermittlungsagenturen] eine Rolle, die vor allem die wirtschaftliche | |
Abhängigkeit von Arbeiter*innen aus Nicht-EU-Ländern ausnutzen. | |
Teilweise, so scheint es, haben sich [11][mafiöse Strukturen] entwickelt. | |
Der französische Soziologie Frédéric Decosse beschäftigt sich seit Jahren | |
mit Arbeitsmigration und den Bedingungen in der südfranzösischen | |
Landwirtschaft. Laut ihm gehe es bei Global G.A.P., aber auch bei vielen | |
anderen Labels, nicht wirklich darum, dass sie gute Arbeitsbedingungen vor | |
Ort schaffen. Vielmehr dienten sie als Absicherung zwischen Verkäufer und | |
Käufer. „Es geht bei einem solchen Label vor allem darum, einen Zugang zum | |
Großhandel zu erhalten und bei den Konsumenten bekannt zu sein“, sagt | |
Decosse. „Dafür sind Labels da.“ | |
## Als wäre nichts gewesen | |
Wie weit die Bewertung durch Global G.A.P. und die Zustände auf einer | |
Plantage auseinander klaffen können, zeigt auch ein Fall aus der spanischen | |
Region Huelva. | |
Fünfzig Euro Miete pro Monat für eine Unterkunft ohne heißes Wasser und | |
Waschmaschine hätten die Arbeiterinnen hier bezahlen müssen. Die Toilette | |
sei lediglich ein Loch im Boden gewesen. Das berichtete im Juli 2020 die | |
[12][Lokalzeitung La Mar de Onuba]. Den Frauen sei gedroht worden für den | |
Fall, dass sie sich über die Zustände auf der Farm äußerten. | |
Auf öffentlichen Druck hin hatte die spanische Arbeitsministerin Yolanda | |
Díaz im Sommer letzten Jahres unangekündigte staatliche Kontrollen gegen | |
Arbeitsausbeutung und moderne Sklaverei durchgesetzt. Hierbei wurden durch | |
die Kontrollbehörden auf der Plantage von Frutas El Curi im Juni | |
[13][„ernste“ Missstände] festgestellt. | |
Trotzdem führte Global G.A.P. das Unternehmen auch noch drei Monate nach | |
Bekanntwerden dieser Vorwürfe in seiner Datenbank. | |
Aldi Nord hat nach eigenen Angaben Beeren von Frutas El Curi bezogen. Auf | |
Anfrage der taz schreibt ein Sprecher: „Strafrechtliche Vergehen, wie die | |
von Ihnen angeführten, nehmen wir sehr ernst. Deshalb haben wir unsere | |
Ansprechpartner bei Global G.A.P. über diese Vorwürfe informiert.“ Der | |
Supermarkt scheint es nicht ungewöhnlich zu finden, dass dem Zertifizierer | |
solche Vorkommnisse entgehen. | |
Als wir die Datenbank im Januar erneut überprüfen, steht dort für Frutas El | |
Curi: „self-declared suspension“ – freiwillige Aussetzung. Global G.A.P. | |
gibt auf Anfrage keine Einzelheiten zu dem Fall bekannt. Möglicherweise ist | |
der Beerenhersteller damit einer Verwarnung zuvorgekommen und kann später | |
wieder leichter ein Zertifikat erhalten. Kurz vor Erscheinen dieses Textes | |
ist das Unternehmen dann überhaupt nicht mehr in der Datenbank zu finden – | |
als hätte es nie ein Zertifikat gehabt. | |
Bei Lidl und Aldi sind ab Montag Zitronen aus Spanien im Angebot. | |
Diese Recherche ist auch auf Französisch im basta.mag erschienen. | |
[14][Hier] finden Sie die Geschichte. | |
27 Feb 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Wie-viele-Corona-Infizierte-gibt-es-aktuell/!5728077 | |
[2] http://www.racamier.fr/ | |
[3] https://database.globalgap.org/globalgap/search/SearchMain.faces?init=1 | |
[4] https://www.francetvinfo.fr/economie/emploi/metiers/agriculture/video-parce… | |
[5] https://www.francetvinfo.fr/economie/emploi/metiers/agriculture/video-ils-n… | |
[6] https://lieferkettengesetz.de/ | |
[7] https://www.ci-romero.de/kritischer-konsum/siegel-von-a-z/label/4-globalg-a… | |
[8] https://www.buzzfeed.com/de/pascalemueller/vergewaltigt-auf-europas-feldern | |
[9] https://www.theguardian.com/global-development/2017/oct/31/terrible-conditi… | |
[10] https://www.buzzfeed.de/recherchen/ich-hatte-das-gefuehl-noch-weniger-wert… | |
[11] https://www.mediapart.fr/journal/france/170720/terra-fecundis-l-exploitati… | |
[12] http://revista.lamardeonuba.es/un-punto-rojo-y-no-trabajaras-mas-en-este-p… | |
[13] http://revista.lamardeonuba.es/un-punto-rojo-y-no-trabajaras-mas-en-este-p… | |
[14] https://www.bastamag.net/Agro-alimentaire-label-Global-GAP-certification-c… | |
## AUTOREN | |
Pascale Müller | |
Hélène Servel | |
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