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# taz.de -- Russlands Mediensystem: Die Lügen des Kreml
> Warum glauben so viele Russ*innen die Kriegspropaganda des Kreml? Wer
> das verstehen will, muss sich auch das dortige Mediensystem angucken.
Bild: Staatsnahe Medien dominieren die Berichterstattung aus Russland
Moskau taz | Nehmen wir Natalja Usmanowa. Eine Frau, der ihre Müdigkeit,
ihr Entsetzen ins Gesicht geschrieben steht. Usmanowa wurde aus dem
[1][Stahlwerk von Mariupol] evakuiert und ist dieser Tage weltweit zu sehen
in ihrer hellgrünen Jacke und dem türkisfarbenen Strickschal. Deutsche,
britische, aber auch russische Sender zeigen sie. Allen sagt sie dasselbe,
doch die russische Erzählung unterscheidet sich diametral von der
westlichen. Kein Wunder. Denn die russischen Erzählungen der staatsnahen
Fernsehsender pflegen ohnehin ein eigenes Narrativ der Sicht auf die Welt –
und das schon seit Jahren.
Mit dem 24. Februar, als Russlands Präsident Wladimir Putin [2][den Befehl
zu seiner „militärischen Spezialoperation“ in der Ukraine] gab und später
alle im Land zwang, den Krieg im Nachbarland so zu bezeichnen, werden die
Töne jeden Tag schriller. Dass so viele Russ*innen die Lügen des Kremls
glauben, hängt auch mit dem Mediensystem im Land zusammen.
Doch zunächst zurück zu Usmanowa. Ihr Auftritt zeigt, wie geschickt die
russische Propaganda agiert und welche Handgriffe reichen, um mit denselben
Aussagen zwei völlig andere Geschichten zu erzählen. Sie übertreibt,
verzerrt, fügt hinzu, um eine bestimmte Sicht auf die Welt entstehen zu
lassen.
Usmanowa hatte jahrelang im Asowstal-Werk gearbeitet, das Russlands Truppen
am Dienstag aus der Luft und vom Boden her zu stürmen begannen. Als
russische Truppen in ihre Heimatstadt eindrangen, als sie anfingen, diese
einzunehmen, flüchtete sie in die [3][Katakomben von Asowstal].
Sie wurden für Wochen zu ihrem Gefängnis. „Wir hatten nichts mehr zu essen,
sie ließen uns nicht raus, es war Terror“, sagt sie vor den Kameras nach
der Evakuierung. Wer „sie“ sind, sagt sie nicht, von wem der Terror
ausging, auch nicht. Die russische Erzählung lautete danach so: Ukrainische
Nationalisten hätten die friedliche Zivilbevölkerung als menschliche
Schilde missbraucht, den Menschen nichts zu essen gegeben, sie nicht
rausgelassen und terrorisiert, auf Befehl des ukrainischen Präsidenten
Wolodymyr Selenskyj.
## 165 Millionen Euro für Staatsmedien
Es ist der Kontext, in dem Usmanowas Worte stehen. Ein Kontext, der in
Russlands staatlich geprägtes Narrativ vom „ukrainischen Regime voller
Nazis“ passt. Damit dieses Narrativ stärker gepflegt werden kann, gibt der
Staat nun dreimal mehr Geld für seine Medien aus als im Jahr zuvor. Laut
russischem Finanzministerium zahlte er dafür nur im März umgerechnet 165
Millionen Euro.
Es sind vor allem staatliche oder staatsnahe Medien, die die
Berichterstattung dominieren und Vertrauen genießen. 90 Prozent der
Bevölkerung, so hat es das unabhängige Umfrageinstitut Lewada-Zentrum in
Moskau erhoben, informieren sich vorwiegend über den Fernseher. In vielen
russischen Haushalten läuft er permanent. Kritiker*innen der
Staatspropaganda nennen das Gerät „Zombiekiste“.
Wer die Macht über die Medien hat, hat auch die politische Macht im Staat –
so war es bereits zu Sowjetzeiten und so wurde es auch in den 1990ern
gepflegt. Oligarchen schufen Medienimperien und bekriegten sich teils
untereinander. Dennoch schaffte das in den 90ern auch eine gewisse Vielfalt
in der Medienlandschaft. Hämische Satire und Kritik an den Regierenden
gehörten zum Programm. Auch unabhängige Medien durften offen Kritik am
Staat üben. Das änderte sich mit dem Machtantritt Putins und lässt sich vor
allem an der Zerschlagung des Senders NTW sehen.
1993 vom früheren [4][Theaterregisseur Wladimir Gussinski] gegründet, der
bereits in der Perestroika mit Kleidern handelte und später mit
Finanzgeschäften reich wurde, galt NTW als Leuchtturm journalistischer
Berichterstattung. Auch der Radiosender Echo Moskwy, bis zu diesem März als
eine der wenigen kritischen Stimmen im Land noch existent, gehörte zu
Gussinskis Medienholding.
Wenige Tage nach Putins Amtseinführung als Präsident im März 2000 stürmten
maskierte Männer mit automatischen Waffen in die Redaktionsräume des
Senders. Gussinski wurde wegen der Veruntreuung staatlicher Mittel
angeklagt und schließlich zum Verkauf seines Medienunternehmens gezwungen.
Bis heute lebt er in Israel im Exil. Die Kontrolle übernahm der
Staatskonzern Gazprom. NTW verbreitet heute nur noch Nachrichten, die vom
Staat als genehm eingestuft werden.
## Kritische Medien werden zerschlagen
Auch dem Sender ORT, der [5][Boris Beresowski], einem anderen Oligarchen,
gehörte, erging es ähnlich. Nachdem sich Beresowski gegen die politische
Elite stellte, musste er im Jahr 2000 seine Anteile am Sender verkaufen.
Heute heißt dieser „Erster Kanal“ und ist Teil der Nationalen Mediengruppe
des Oligarchen Juri Kowaltschuk. Dieser hält weitere Fernsehkanäle,
Bezahlkanäle und Nachrichtenagenturen. Über das Versicherungsunternehmen
Sogaz hat er zudem zusammen mit der Gazprombank im vergangenen Jahr die
Kontrolle der Internetfirma VK übernommen, über die Vkontakte und
Odnoklassniki laufen, die russischen Pendants zu Facebook.
Die Dritte im Bunde der Medienholdings, die das Hohe Lied des Kremls
singen, ist WGTRK, die Allrussische Staatliche Fernseh- und
Radiogesellschaft. Zu ihr gehören mehrere Fernseh- und Radiosender, aber
auch Onlinemedien und knapp 100 regionale Medienanstalten. Früher war die
Nachrichtenagentur Ria ebenso Teil von WGTRK, bis sie vor knapp zehn Jahren
in der per Dekret von Putin gegründeten Holding Rossija Sewodnja aufging.
Ihr Leiter ist Dmitri Kisseljow, der Chefpropagandist des Kremls, der in
diesen Tagen androhte, Großbritannien durch den Schlag einer neuen
Atomwaffe im Meer versenken zu lassen. Ähnliches verbreitet auch Margarita
Simonjan gern, die Chefin des Auslandssenders RT, der ebenfalls zu Rossija
Sewodnja gehört.
Viele Journalist*innen in Russland werden als Mediensoldaten gesehen,
die von oben diktierte Botschaften unters Volk bringen sollen. Weil sie
beim Staat arbeiten und dabei sehr gut verdienen, müssen sie die Arbeit der
Regierung unterstützen und in ihrer Berichterstattung die Entscheidungen
des Staates mittragen. Deshalb sprechen die Reporter*innen im Staats-TV
stets von „wir“, wenn sie über die russische Regierung berichten.
Die Gleichschaltung der Medien macht es den Menschen im Land nicht einfach,
an unabhängige Informationen zu gelangen. Zumal Russlands Justiz alles
dafür tut, den unabhängigen Nischenmedien den Garaus zu machen, indem sie
nicht nur die Medien zum „ausländischen Agenten“ erklärt und ihnen dadurch
die Werbekunden raubt, sondern auch einzelne Journalist*innen mit
diesem „Etikett“ den Alltag erschwert.
Der Staat verschärft die Gesetze, droht bei „Fake News“ mit bis zu 15
Jahren Haft, wobei „Fake“ schon das Hinterfragen der offiziösen Darstellung
ist. Sie sperrt Seiten und zwingt unabhängige Journalist*innen ins
Exil, die es sich auch dort nicht nehmen lassen, die russische Bevölkerung
zu informieren. Nur: Gegen die Giganten des Staates kommen sie mit ihren
Streams bei Youtube kaum an.
5 May 2022
## LINKS
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[5] /Russlands-Geldadel/!5838960
## AUTOREN
Inna Hartwich
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