Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Roma in Sachsen: Es brennt in Plauen
> In Sachsen brennen hintereinander zwei Häuser, in denen Roma wohnen.
> Zufall, sagt die Staatsanwaltschaft. Wirklich?
Bild: Plauen, Trockentalstraße: Hier brannte es im Dezember 2017
Es sind die letzten Tage des Jahres 2017. Julian Walther und sein Freund
sitzen gerade im Auto und fahren zu einer Party, als sie eine Gruppe
winkender und schreiender Menschen am Rande der Trockentalstraße in Plauen
sehen. Alles ist voll Rauch, das ganze Haus brennt.
Walther rennt zum Haus, er spürt die Hitze. Der Brand ist an der
Eingangstür ausgebrochen und versperrt den Weg. Männer halten Kinder an den
Handgelenken aus dem Fenster, Walther fängt einen kleinen Jungen auf und
bringt ihn zu den Rettungskräften, die eben eingetroffen sind.
Es ist eine Ausnahmesituation, Walther und sein Freund rennen hin und her.
Eines der Kinder überschlägt sich beim Sturz aus dem Fenster, das Gesicht
eines anderen ist halb verbrannt. Auf der Straßenseite gegenüber versammeln
sich Menschen und johlen – unter ihnen Neonazis, die der Polizei bereits
wegen rechtsextremer Straftaten bekannt sind, wie sich später herausstellt.
Sie fragen die beiden Jungs, warum sie hier helfen. „Lasst die brennen!“,
ruft einer. Und: „Sieg Heil!“ In dem Haus wohnen mehrere Romafamilien aus
der Slowakei.
42 Menschen werden aus dem Haus evakuiert. 22 von ihnen sind verletzt, vier
davon schwer. Eine Schwerverletzte ist Lucia Dunkova, sie will gerade
duschen, als sie ihre Familie schreien hört: Feuer! Lucia zieht sich etwas
an und rennt aus dem Haus. Ihre Haare brennen, ihre Hände, ihr Gesicht. Und
ihr Kind. Sie kann nichts sehen, als sie draußen steht, ihre Augen sind
verklebt, aber sie hört ein dumpfes Geräusch. „Schläge“, sagt sie. Die
Gruppe der Neonazis greift einen Feuerwehrmann und einen Polizisten an, um
sie von den Rettungsarbeiten abzuhalten. Dunkovas Mutter sieht zwei Männer
weglaufen. Sie glaubt, dass das die Täter sind.
Wenig später wird ein Mann festgenommen: Jens W., 25 Jahre alt, ein
ehemaliger Mieter. Er soll den Brand gelegt haben, weil der Vermieter ihn
wegen Mietschulden aus dem Haus geworfen hat. Er kommt in
Untersuchungshaft.
Die Roma ziehen um. Manche kommen in weiteren Häusern desselben Vermieters
unter. Einige ziehen in ein Haus in der benachbarten Dürerstraße. Es sind
vor allem Frauen und Kinder aus der Slowakei, die kaum Deutsch sprechen.
## Zwei Brände, kein Zusammenhang?
Am 3. Januar 2018 werden sie dort von einer Sozialarbeiterin besucht. Die
Bewohner berichten ihr, dass sie keinen Schlüssel haben, nur der Vermieter
könne die Türen abschließen. Sie erzählen auch von Übergriffen, da Fremde
einfach in das Haus eindringen könnten. Deutsche Männer sollen nachts an
ihre Türen geklopft, die Türen eingeschlagen oder ätzende Flüssigkeiten in
die Wohnung geworfen haben. So steht es in einem Gedächtnisprotokoll, das
die Sozialarbeiterin nach ihrem Besuch anfertigt. Es liegt der taz vor.
Alle haben Angst, steht dort, dass es zu weiteren Brandanschlägen kommt.
Am 9. Januar gibt es in der Dürerstraße einen Polizeieinsatz. Die Roma
hatten im Keller des Hauses drei Männer gesehen, die mit einer weißen
Flasche hantierten. Nach ihrer Entdeckung ergriffen die Männer die Flucht.
Es waren dieselben Männer, sagt eine Romni der Freien Presse, die sie in
der Brandnacht vom 29. Dezember gesehen hatte. Die Polizei findet keine
Hinweise auf eine versuchte Brandstiftung.
Der Vorstand bei Romano Sumnal, einem sächsischen Romaverein, macht sich
Sorgen. Er verfasst einen offenen Brief an den Landrat und den
Bürgermeister, in dem er sie warnt. „Für die Menschen in der
Trockentalstraße war dies nicht der erste Brand und sie befürchten aufgrund
erneuter Geschehnisse weitere Anschläge“, schreibt er. „Wir sind entsetzt
über dieses menschenverachtende Verhalten, welches sich gezielt gegen eine
Opfergruppe des Nationalsozialismus richtet.“
Am 19. Januar wird der Haftbefehl gegen den Tatverdächtigen Jens W.
aufgehoben.
Am Morgen des 5. Februar 2018 steht das Haus in der Dürerstraße in Flammen.
Zwei Deutsche und sechs Hunde sterben, sie lebten in einer Wohngemeinschaft
im Dachgeschoss. Vier weitere Bewohner des Hauses, darunter Roma, werden
verletzt. Eine Romni will Jens W., den Tatverdächtigen des ersten Brandes,
im Haus gesehen haben.
Sebastian M., 26, der an jenem Abend in der Wohngemeinschaft zu Besuch war,
wird als Zeuge vernommen, schließlich gesteht er die Tat. Laut
Polizeibericht soll er dort ein Stück Stoff angezündet und dieses auf einen
Schaukelstuhl mit Wäsche gelegt haben. Als die Flammen 50 Zentimeter
hochschlugen, soll er die Wohnung verlassen haben.
Sebastian M. kommt in Untersuchungshaft, am kommenden Mittwoch beginnt der
Prozess gegen ihn. Die Tat scheint keinen Sinn zu ergeben: Bei dem Brand
starben sein bester Freund und dessen Schwägerin. „Zwischenmenschliche
Streitigkeiten“, sagen die Ermittler. Einen Zusammenhang zum ersten Brand
sehen sie nicht.
Um die Vorgänge aufzuklären, hat die taz mit Brandopfern, Anwälten,
Anwohnern, Flüchtlingshelfern, dem Vermieter, Ersthelfern, Sozialarbeitern,
einer Lehrerin, der Staatsanwaltschaft, einem Richter und der Polizei
gesprochen. Die Recherchen zeigen: Es gibt einen Zusammenhang zwischen
beiden Bränden. Er wird aber vor dem Landgericht Zwickau keine Bedeutung
haben. Und da die Ermittlungen zum ersten Brand inzwischen eingestellt
sind, vermutlich auch nie aufgeklärt werden.
***
Plauen liegt im hintersten Eck Sachsens, im Vogtland, wo sich die
Landesgrenze um Thüringen schmiegt, eingekeilt zwischen Bayern und
Tschechien. 60.000 Menschen leben hier – und meist ging es um zwei Themen,
wenn zuletzt von Plauen zu hören war: Drogen und die rechte Szene.
Anfang 2017 eröffnete die rechtsextreme Partei Der III. Weg in Plauen ihr
erstes Bürgerbüro. Es ist „eine bundesweit einzigartige Immobilie, die dem
Dritten Weg einen Versammlungs-, Lager- und Rückzugsraum bietet, von dem
aus auch bundesweit die Aktivitäten der Partei organisiert und unterstützt
werden können“, heißt es im Verfassungsschutzbericht Sachsen aus dem Jahr
2017. Der III. Weg lehnt sich an den Nationalsozialismus an und fordert den
offenen Kampf gegen jede Form der Zuwanderung. Die Partei definiert sich
als „Stoßtruppe der völkischen Wiedergeburt“. Gewalt wird bei der
Durchsetzung dieser Ziele toleriert: „Sofern es notwendig ist, dass einige
Scheiben zerbrechen, um das deutsche Volk in seiner ethnischen Existenz zu
sichern, (…) so werden wir das nicht als Frevel ansehen.“ So steht es in
einer Ende 2017 herausgegebenen Broschüre mit dem Titel „National,
revolutionär, sozialistisch“. Beim Verfassungsschutz geht man davon aus,
dass Der III. Weg eine entscheidende Rolle bei Anschlägen auf
Flüchtlingsunterkünfte spielt. Vor Ort werde gezielt Stimmung gemacht, bis
Einzelne zu Straftaten bereit seien, sagte Verfassungsschutzpräsident
Hans-Georg Maaßen. Und diese Straftaten würden im Nachhinein wohlwollend
kommentiert.
Das Büro der Partei liegt im Plauener Stadtteil Haselbrunn, der von
Rechtsextremen dominiert wird. „Multikulti tötet“, steht dort in großen
Lettern an der Scheibe. „Überfremdung stoppen“. Die rechtsextreme Szene
Südostdeutschlands vernetzt sich in Plauen, organisiert Demonstrationen und
Feste für die ganze Familie.
***
Die Brände in der Dürer- und der Trockentalstraße sind nicht die einzigen
Brände, die es in den vergangenen Jahren in Plauen gegeben hat. Tatsächlich
könnte man inzwischen von einer Serie sprechen: Fünfmal hat es seit
Dezember 2015 in Häusern gebrannt, in denen Roma lebten. Alle Häuser
gehören demselben Vermieter: Dr. Frank B. Er vermietet vor allem an
sogenannte Problemgruppen: Drogenabhängige, Prostituierte, Romafamilien aus
der Slowakei, Bulgarien und Rumänien.
Das erste Mal, im Dezember 2015, zündete eine Frau in einem seiner Häuser
einen Papierstapel an. Sie wurde wegen schwerer Brandstiftung zu einer
Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten mit Bewährung verurteilt.
Das Motiv geht aus der Urteilsbegründung nicht hervor, teilt die
Staatsanwaltschaft auf Nachfrage mit.
Mehrere Monate später, im April 2017, brannten drei Garagen ab, die B.
gekauft hatte. Es gab mehrere Brandherde – ein Hinweis auf Brandstiftung.
In den Garagen hatte B. Möbel stehen, die bulgarischen Mietern gehörten.
Die Ermittlungen haben bisher zu keinem Ergebnis geführt, einen
Tatverdächtigen gibt es nicht.
Im Juni 2017 brannte es in einem weiteren Haus. Als Ursache nannte die
Polizei einen technischen Defekt. Die Bewohner sollen illegal Strom gezapft
haben, wodurch ein Kühlschrank in Brand geraten sei.
Und schließlich die beiden Brände in der Trockentalstraße und der
Dürerstraße.
Agnes Russo, kurz nach den Bränden noch Vorstandsvorsitzende der
Flüchtlingshilfe Plauen, findet: Das sind ein bisschen zu viele Zufälle.
Sie wirkt etwas übermüdet und raucht eine Zigarette am runden Tisch ihres
Büros. Seit den Bränden ist viel los. Einigen Roma aus der
Trockentalstraße, wo es Ende 2017 gebrannt hat, hat sie geholfen, eine neue
Wohnung zu finden; sie unterstützt sie bei Behördengängen. Ihr Büro liegt
nur wenige Gehminuten von den Brandorten entfernt.
## Sie nennen ihren Vermieter „Chef“
Russo ist das Verhältnis zwischen B. und seinen Mietern suspekt. Die Mieter
nennen ihn „Chef“. Fast alle sind bei ihm in irgendeiner Form angestellt –
zum Putzen oder als Bauhelfer. Das Jobcenter hat die Arbeitsverträge
moniert, die oft nur über wenige Stunden pro Woche laufen. „Es ist davon
auszugehen, dass der Arbeitsvertrag nur zum Zweck des ergänzenden
Sozialleistungsbetrugs geschlossen wurde“, heißt es in einem Dokument des
Jobcenters, das der taz vorliegt. Der Verdacht: B. verhilft seinen Mietern
mit Arbeitsverträgen zu aufstockenden Hartz-IV-Leistungen, die EU-Bürgern
zustehen – und verdient daran mit.
B. stand bereits zweimal vor Gericht. Einmal, weil er die ausstehende Miete
mithilfe eines Handlangers eintrieb – das Verfahren wurde gegen eine
Zahlung von 1.500 Euro eingestellt. Beim nächsten Mal ging es um Betrug: B.
sollte für 58 Bulgaren fälschlicherweise aufstockende Hartz-IV-Leistungen
beantragt haben. 98.000 Euro sollen zu Unrecht an die Bulgaren – oder an B.
– geflossen sein. Genauer konnten es die Ermittler nicht benennen. Das
Verfahren wurde ebenfalls eingestellt, weil die Beweise fehlten.
Agnes Russo machen diese Geschichten wütend. „Was hat dieser Eigentümer mit
den Menschen zu tun?“, fragt sie. „Warum beschäftigt er sie unter dubiosen
Verträgen? Und warum brennt es immer in seinen Häusern?“ Sie ist
aufgebracht, die Fragen sprudeln aus ihr heraus. Sie will die Menschen in
Sicherheit bringen. „In Sicherheit, nicht nur wegen der Brände. Die
Menschen haben Angst, sprechen immer wieder von ,Nazis'.“ Eine Romni, die
sie betreut, will vor dem ersten und zweiten Brand „Nazis“ im Haus gesehen
haben. Ihr Deutsch ist sehr gebrochen, aber dieses Wort, „Nazi“, das sagt
sie immer wieder. Und auch: dass diese „Nazis“ für B. arbeiten würden.
B. wohnt in einem gräulichen Mehrfamilienhaus im Westen Plauens, einer
ruhigen, bürgerlichen Gegend, in der man die hohen Bäume rauschen hört.
Nach mehreren Mails und Telefonaten ist er bereit, sich zu treffen. Er
schlägt das Theatercafé vor. Dort bestellt er sich einen Cappuccino und
eine Schwarzwälder Kirschtorte.
## B. hat den Begriff „Plaunacken“ erfunden
B. ist ein kleiner, untersetzter Mann, 55 Jahre alt. Wenn er nachdenkt,
nimmt er sein Baseballcap ab und streicht sich über die stoppeligen Haare.
Er sagt, dass er sein Immobiliengeschäft in Plauen innerhalb von fünf
Jahren aufgebaut habe. Und etwa zehn Häuser mit mehr als hundert Wohnungen
besitze. B. kommt aus einem Dorf in Südhessen, nach Plauen zog er, weil er
dort günstige Wohnungen kaufen konnte. Im Internet findet man allerdings
kaum Informationen über ihn – seine Firma, in der er die Mieter angeblich
beschäftigt, ist nicht im Handelsregister eingetragen. „Dann gibt es sie
nicht oder nicht mehr“, sagt der Sprecher des Amtsgerichts Plauen.
Konfrontiert man B. damit später per Mail, reagiert er nicht.
Warum wohnen bei ihm fast ausschließlich Drogenabhängige, Prostituierte und
Romafamilien? „Mein Prinzip ist es, günstig einzukaufen und schnell zu
vermieten“, sagt B. „Nicht absichtlich an Randgruppen. Aber es gibt ja in
Plauen fast nur Randgruppen.“ Sie seien wie eine große Familie. B. sagt, er
helfe den Leuten.
Er nennt die Roma, die in seinen Wohnungen leben, seine „Dinger“. Oder
spricht von „Gesocks“, von „dummen Leuten“, er ist stolz auf den Begriff
„Plaunacken“, den er für die Drogenabhängigen geprägt hat. B. wünscht s…
dass die Brände schnell aufgeklärt werden. Er sieht sich als Opfer.
„Ich habe die Vermutung, dass einige der Bewohner der Dachgeschosswohnung
in der Dürerstraße irgendwas über den ersten Brand wissen“, sagt er noch.
„Entweder als Mittäter oder Mitwisser.“
***
Es ist ein schwüler Tag im August dieses Jahres, als Leon S. mit seiner
Schwester und ein paar Freunden in einem kleinen Park in Pirna sitzt. Leon
S. hat in der Dachgeschosswohnung in der Dürerstraße gewohnt, als es dort
brannte. Es ist ein Uhr mittags, und er hat einige Bier intus. S. trägt
eine lange Hose, trotz der Hitze. Darunter, an seinen Beinen, ist die Haut
noch immer rosa und wund.
Beim Brand sind sein Bruder und seine Verlobte gestorben. Er selbst wurde
schwer verletzt, lag zwei Wochen im Koma. Seit er aus dem Krankenhaus
entlassen wurde, sei er permanent betrunken, sagt er. Vor ihm stehen die
Bierflaschen, Wespen umschwirren ihn. S. hat eine Insektenstichallergie –
„mir ist das egal“. Am liebsten wäre er bei dem Brand auch gestorben, sagt
er.
„Ich hatte ein Leben!“ „Immer wenn ich mein Leben auf die Reihe kriegen
will, passiert irgendeine Scheiße.“ Leon S. und seine Verlobte wollten im
März heiraten, erzählt er, wenige Wochen nach dem Brand.
Er glaubt, dass seine Freundin schwanger war, als sie am 6. Februar
gestorben ist. Die Gerichtsmedizin will das Leon S. nicht bestätigen. Es
könnte ihn psychisch zu sehr belasten, heißt es dort.
Sebastian M. aus Dresden, der gestanden hat, den Brand gelegt zu haben, war
der beste Freund seines Bruders. Leon S. sagt, er könne sich nicht
vorstellen, dass er das wirklich getan hat. Trotz des Geständnisses. Hat er
ihn gefragt? „Ich habe 20 Briefe an ihn angefangen, seit er in U-Haft
sitzt“, sagt er. „Aber keinen beendet.“
## Rechtsradikale, Trinker und Punks
Er glaube hingegen, die Ex-Freundin seines Bruders habe etwas mit dem Brand
zu tun. Da sie aus ihrer Wohnung geflogen war, zog sie in die
Wohngemeinschaft und schlief auf dem Sofa im Wohnzimmer – auch, als sich
das Paar längst getrennt hatte. „Vor dem Brand habe ich ihr gesagt, dass
sie ausziehen muss“, sagt Leon S., der der Hauptmieter war. Er könne sich
vorstellen, sie habe sich rächen wollen und Sebastian M. deshalb dazu
angestiftet, den Brand zu legen.
Klar ist: Das Umfeld dieser WG hat etwas mit den Bränden zu tun. Beide
Tatverdächtige, Jens W. und Sebastian M., stammen aus demselben
Bekanntenkreis. In Berichten ist die Rede davon, dass es sich bei ihnen um
„Punks“ handele – tatsächlich ist es aber eher ein Drogenmilieu, in dem …
Grenzen zwischen links und rechts sich verwischen.
Ein Plauener, der die rechte Szene beobachtet, beschreibt es so: Die
Plauener Drogenszene, zu der diese Menschen zählten, setze sich aus
Rechtsradikalen, Trinkern und Straßenpunks zusammen. „Untereinander scheint
es keine Berührungsängste zu geben“, sagt er. „Sie saufen zusammen, sind
teilweise auf Facebook befreundet.“
## Ein Hand-Emoticon, das nach Hitlergruß aussieht
Die Ex-Freundin von Leon S.’ Bruder dealte in der Wohngemeinschaft mit
Crystal Meth – und verkaufte es auch an Neonazis, so erzählt es ein
Bekannter. Schaut man sich ihre Freunde bei Facebook an, findet man
darunter einige, die aus ihrer rechten Gesinnung kein Geheimnis machen; sie
verzieren ihr Profilbild mit Eisernen Kreuzen oder Reichskriegsflaggen.
Leute, die sich online „Kameraden“ nennen, „Aryan“ als zweiten Vornamen
führen und mit einem Hand-Emoticon grüßen, das nach einem Hitlergruß
aussieht. Ihr Bruder postet immer wieder Propagandavideos aus dem
Nationalsozialismus, seine Profile werden regelmäßig von Facebook gesperrt.
In ähnlichen Kreisen verkehrt auch Sebastian M., der Tatverdächtige beim
zweiten Brand, auf Facebook. Freunde von ihm heißen „Steinar Odin“ und
verwenden in ihrem Profilbild Deutschland- oder Reichskriegsflaggen, die
sie mit Frakturschrift betexten. Er hat ein Bild gepostet, das sich gegen
„Sozialschmarotzer“ richtet.
Was den Fall noch komplizierter macht: Leon S.’ Bruder und dessen
Ex-Freundin hatten dem Tatverdächtigen des ersten Brandes, Jens W., zuerst
ein Alibi gegeben. Jens W. hatte sich vor dem ersten Brand in der
Wohngemeinschaft aufgehalten.
Bei einer weiteren Vernehmung der Polizei widerriefen sie jedoch ihre
Aussage und gaben an, dass Jens W. zehn Minuten vor dem Brand das Haus
verlassen habe. Wenig später soll er zurückgekommen sein, stark nach Rauch
gerochen und gesagt haben: „In zehn Minuten geht ein Brand los.“ So habe es
ihm auch sein Bruder erzählt, bevor er starb, sagt Leon S.
## „Die Zusammenhänge drängen sich auf“
Die Polizei nahm Jens W. fest und brachte ihn in U-Haft. Am 19. Januar kam
er wieder frei, weil die Staatsanwaltschaft beantragt hatte, den Haftbefehl
gegen ihn aufzuheben. 18 Tage später brannte es in der Dürerstraße. Und der
Hauptbelastungszeuge starb.
Das Verfahren gegen Jens W. wegen Brandstiftung wurde am 13. Juli 2018
eingestellt. „Dem Beschuldigten konnte die Tat nicht nachgewiesen werden“,
heißt es in einem Brief der Staatsanwaltschaft. Die Sachbearbeiterin sei zu
dem Schluss gekommen, dass die Zeugenaussagen nicht ausreichten, sagt der
Sprecher der Staatsanwaltschaft auf Nachfrage – darüber müsse man mit der
Presse nicht diskutieren, man sehe keine Zusammenhänge zwischen den beiden
Bränden.
Die Anwältin Claudia Neher vertritt einige der Opfer des ersten Brandes.
Sie findet es absurd, dass die Staatsanwaltschaft keine Verbindungen sieht:
„Diese Zusammenhänge drängen sich auf“, sagt sie. „Ein Hauptbelastungsz…
aus dem ersten Brand ist beim zweiten Brand verstorben. Das Haus gehört
demselben Vermieter, bei dem es schon mehrere Brände in Plauen gab. Und
einige Sinti und Roma, die bereits beim ersten Brand Opfer waren, wurden in
dieses Haus umgesiedelt, wobei der Beschuldigte aus dem ersten Verfahren
wieder frei war!“
Sie glaubt, dass dringend untersucht werden müsse, ob ein rechtsradikaler
Hintergrund für einen oder beide Brandanschläge eine Rolle gespielt habe.
„Oder auch sonstige kriminelle, mafiöse Strukturen.“
Gegen die Einstellung des Verfahrens hat sie eine Beschwerde eingereicht.
Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden muss jetzt darüber entscheiden.
Lucia Dunkova, die bei diesem Brand so schwere Verletzungen davongetragen
hat, lebt immer noch in Plauen. In einer anderen Wohnung inzwischen –
einer, die auch Frank B. gehört. Es ist ein kleiner Verschlag im
Erdgeschoss, auf dem Gelände eines alternativen Wohnprojektes. Sie versteht
nicht, warum die Polizei Jens W. wieder freigelassen hat. „Warum?“, fragt
sie immer wieder.
Warum?
Mitarbeit: Marie-Louise Stoll
11 Sep 2018
## AUTOREN
Steffi Unsleber
Sarah Ulrich
## TAGS
Sachsen
Sinti und Roma
Brandstiftung
Rechtsextremismus
Crystal Meth
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Neonazis
Brandstiftung
Rechte Gewalt
Sinti und Roma
Schwerpunkt Neonazis
Hans-Georg Maaßen
Sachsen
Roma
Sinti und Roma
Crystal Meth
Abwasser
## ARTIKEL ZUM THEMA
Demokratiearbeit in Sachsen: Am eckigen Tisch
In Plauen beendet die CDU mit Stimmen von AfD und „Der III. Weg“ die Arbeit
eines Demokratiebündnisses. Das Bündnis macht nun ohne die CDU weiter.
Neonazi-Aufmarsch in Plauen: Genehmigung selbst für den Galgen
Behörden haben im sächsischen Plauen Neonazis mit Fackeln marschieren
lassen. Politiker sind entsetzt über den „Auftritt in NS-Reinform“.
Prozess in Plauen: Lebenslange Haft für den Brandstifter
Ein Mann, der ein Plauener Wohnhaus anzündete, wurde wegen Mordes
verurteilt. Ob er Kontakte im Nazi-Milieu hat, konnte nicht geklärt werden.
Rechte Gewalt in Deutschland: Gibt es einen Chemnitz-Effekt?
Seit den Ausschreitungen in Chemnitz hat es in Deutschland mindestens 93
Fälle rechter Gewalt gegeben. Für Opfervereine ein bedrohlicher Anstieg.
Angeblicher Betrug mit Kindergeld: Sozialer Sprengstoff made in Duisburg
Roma arbeiten nicht, glaubt die Rumänin. Osteuropäer tricksen beim
Kindergeld, meint der Bürgermeister. Wie eine Stadt ihr Gleichgewicht
verliert.
„… dann gnade Euch Gott.“: Nazis bedrohen Flüchtlingshelfer
In Bremerhaven agitieren zunehmend Neo-Nazis der Partei „Die Rechte“ –
unter anderem durch Aufkleber, die eine massive Drohkulisse aufbauen.
Relativierung von Chemnitz-Übergriffen: Maaßen legt Seehofer Bericht vor
Dubioses Vorgehen um Äußerung des Verfassungsschutz-Chefs: Seine
Vermutungen waren öffentlich, die angeblichen Belege aber bleiben geheim.
Umgang mit Rechtsextremismus: Es brennt überall in Sachsen
Rechter Hass und Hetze sind nirgendwo so fest verankert wie in Sachsen.
Schuld sind vor allem die Regierenden der vergangenen Jahrzehnte.
Antiziganismus in Berlin: Die Diskriminierung nimmt zu
Banken, Jobcenter, Kita – Sinti und Roma werden in Berlin massiv
benachteiligt. Das zeigen neue Zahlen des Vereins Amaro Foro.
Klischees über Sinti und Roma: „Ich habe mir eine Wut angefressen“
Dotschy Reinhardt ist Musikerin und eine entfernte Verwandte von Django
Reinhardt. Der erstarkende Nationalismus von AfD und Co. trieb sie in die
Politik.
Image und Wirkung von Crystal Meth: Höher, schneller, weiter
Crystal Meth ist nicht die schlimmste Droge der Welt, aber auch nicht
harmlos. Die User-Zahl steigt: Mütter, Leistungsträger, Hedonisten.
Abwasser und Drogenanalyse: Stille Wasser sind high
Volles Rohr: Wie viele Drogen genommen werden, verrät die Kanalisation. Was
wir nehmen, wann wir es nehmen und sogar, wo wir es nehmen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.