# taz.de -- Ringen um neue Regierung in Italien: Unerwarteter Zuspruch für Dra… | |
> Der Ex-Notenbanker bekommt beim Versuch zum Aufbau einer Regierung | |
> positive Signale. Eine Überraschung gab es im bisherigen Regierungslager. | |
Bild: Draghi nach Gesprächen im Palazzo Montecitorio, dem Sitz der Abgeordnete… | |
Rom taz | Alle wollen Mario Draghi. Der am Dienstag von Staatspräsident | |
Sergio Mattarella [1][mit der Regierungsbildung betraute Ex-Notenbanker] | |
bekam in den Sondierungsgesprächen mit den Parteien einen Zuspruch von | |
links bis rechtsaußen, wie ihn im Vorfeld niemand erwartet hat. Im für ihn | |
günstigsten Fall darf Draghi mit 590 der 630 Stimmen im Abgeordnetenhaus | |
und 290 der 315 Stimmen im Senat rechnen. | |
Die erste große Überraschung gab es im bisherigen Regierungslager, das das | |
Kabinett unter dem scheidenden Ministerpräsidenten Giuseppe Conte getragen | |
hatte. Nur die kleine Mitttepartei Italia Viva unter Matteo Renzi, die den | |
Koalitionsbruch vollzogen und damit [2][Contes Sturz] herbeigeführt hatte, | |
hatte sich als begeisterte Verfechterin Draghis positioniert. Die gemäßigt | |
linke Partito Democratico (PD) dagegen stand dieser Lösung mit großen | |
Bauchschmerzen gegenüber, vor allem, weil sie befürchtete, darüber werde | |
ihre Allianz mit dem Movimento5Stelle (M5S – 5-Sterne-Bewegung) zerbrechen. | |
Denn dass die im Parlament stärkste Regierungspartei nach dem Scheitern | |
Contes – der den Fünf Sternen nahesteht – ausgerechnet Draghi stützen | |
könnte, erschien eigentlich ausgeschlossen. Der galt den Fünf Sternen immer | |
als Protagonist jenes Establishments, das die Bewegung bekämpfte. Ein | |
„Apostel der Eliten“ sei er, giftete denn jetzt auch Alessandro Di | |
Battista, der wichtigste Kopf des Fundi-Flügels, ganz im altgewohnten Sound | |
der Bewegung. | |
Drei Personen sorgten dann für den rasanten Kurswechsel: der PD-Vorsitzende | |
Nicola Zingaretti, der bisherige Ministerpräsident Conte – und der Komiker | |
Beppe Grillo, Gründer und Übervater der Fünf Sterne, der sich eigentlich | |
seit fast drei Jahren völlig aus dem Tagesgeschäft der M5S heraushält. | |
## Conte: „Ich bin nicht der Saboteur“ | |
Kaum war Draghi mit der Regierungsbildung betraut, berief Zingaretti in der | |
letzten Woche einen Krisengipfel der PD, des M5S und der kleinen radikal | |
linken Liste Liberi e Uguali (LeU – Freie und Gleiche) ein, der drei | |
Koalitionspartner also, die bis zuletzt treu zu Conte gestanden hatten. Auf | |
diesem Gipfel machte er den Partnern deutlich, dass die PD die Allianz mit | |
M5S und LeU auch mit Blick auf zukünftige Wahlen fortführen will. | |
Auf dieses Signal reagierte wiederum Conte mit einer Erklärung vor der | |
Presse. Der parteilose Jurist tat kund, er stehe einer Regierung Draghi | |
keineswegs feindlich gegenüber: „Ich bin nicht der Saboteur“. Zugleich | |
machte der in der Bevölkerung hoch populäre Conte deutlich, dass er sich | |
als zukünftiger Frontmann der Fünf Sterne sieht: Seinen „Freunden“ teilte | |
er mit, „ich bin da und ich werde da sein“. Mehr noch, er trat auch als | |
überzeugter Verfechter der Dreier-Allianz M5S-PD-LeU auf, die als „Allianz | |
für nachhaltige Entwicklung“ eine Zukunft habe. | |
Wie immer bei radikalen Wenden der Fünf Sterne ging es jedoch nicht ohne | |
Grillo. Der hatte im Sommer 2019 – nachdem die rechtspopulistische Lega | |
unter Matteo Salvini die erste Regierung Conte hatte platzen lassen – den | |
Schwenk des M5S zur Koalition mit der bis dato verhassten PD durchgesetzt. | |
Diesmal kam Grillo nach einem mehrstündigen Telefonat mit Draghi gleich | |
persönlich nach Rom, und persönlich führte er die M5S-Delegation in das | |
Sondierungsgespräch mit dem designierten Regierungschef. Von ihm wünscht er | |
sich die Schaffung eines „Ministeriums für ökologischen Umbau“. Doch für | |
das Ja der Fünf Sterne dürfte schon ausreichen, dass Draghi zusicherte, er | |
werde nicht an der allgemeinen Grundsicherung rühren, die das M5S in seiner | |
Regierungszeit durchgesetzt hatte. | |
## Rechte Lega macht 180-Grad-Kehrtwende | |
Eine mehr als überraschende Volte gab es aber auch in der von den harten | |
Populisten dominierten Rechtsopposition. Dort inszeniert sich Silvio | |
Berlusconi mit seiner Forza Italia (FI) zwar schon seit Monaten als | |
Verteidiger Europas; dass er jetzt FI in die Regierungsmehrheit führen | |
will, war zu erwarten. | |
Wirklich erstaunlich dagegen ist, dass auch Salvini eine | |
180-Grad-Kehrtwende hingelegt hat und jetzt jenen Mann stützen will, der | |
als EZB-Präsident bis Oktober 2019 der oberste Hüter des Euro war. Jene | |
Lega, die gerne mit Europa-feindlichen und „Italien zuerst!“-Tönen | |
Propaganda machte, drängt jetzt ins Regierungslager. | |
Als wäre das nicht genug, erklärte Salvini, er werde „keine Bedingungen | |
stellen“, weder bei Sach- noch bei Personalfragen. Und so verlautet denn | |
auch aus seinem Gespräch mit Draghi, er habe dort mit keinem Ton sein | |
Lieblingsthema, die Politik der für Migrant*innen „geschlossenen Häfen“ | |
erwähnt. Vor der Presse wiederum erklärte Salvini auf die Nachfrage nach | |
seinem Verhältnis zur EU trocken, „wir sind in Europa“. | |
Genau um diesen Punkt geht es ihm wohl: Die Unterstützung einer Regierung | |
Draghi bietet ihm die große Chance, seine Lega einem Imagewechsel zu | |
unterziehen und so aus der Schmuddelecke herauszukommen, in der sie bisher | |
an der Seite der AfD und Marine Le Pens hockt. | |
## Fünf Sterne müssen in den saueren Apfel beißen | |
Italien könnte so eine wirklich bizarre Regierungsallianz sehen: eine | |
Allianz, in der vorneweg die Fünf Sterne in den sauren Apfel beißen, nicht | |
nur Berlusconi, sondern auch Salvini an ihrer Seite zu wissen. Aber auch | |
die PD ist von der sich abzeichnenden Lösung „not amused“. Sie hofft immer | |
noch, Draghi könne mit einer markant pro-europäischen Ausrichtung der Lega | |
die Zustimmung verleiden. „Niemals“ werde die PD an der Seite von | |
Rechtsnationalisten regieren, hatte Parteichef Zingaretti noch vor wenigen | |
Tagen erklärt. Doch das Wort „niemals“ gehört anscheinend quer durch die | |
politischen Lager der Vergangenheit an. | |
Und die Bürger*innen scheinen die Wende zu goutieren: Draghi hat einen | |
Zustimmungswert von 71 Prozent und schlägt damit seinen Vorgänger Conte, | |
der auf „nur“ 58 Prozent kommt. | |
7 Feb 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Regierungskrise-in-Italien/!5748845 | |
[2] /Regierungskrise-in-Italien/!5747034 | |
## AUTOREN | |
Michael Braun | |
## TAGS | |
Mario Draghi | |
Italien | |
Giuseppe Conte | |
Fünf-Sterne-Bewegung | |
Matteo Salvini | |
Grandios gescheitert | |
Grillo | |
Italien | |
Italien | |
Lega | |
Italien | |
Mario Draghi | |
Regierungskrise | |
Schwerpunkt Femizide | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Berlusconi for President: Der Cavaliere ist zurück | |
Silvio Berlusconi will Italiens neues Staatsoberhaupt werden. Die Chancen | |
sind gering. Doch er hat erreicht, was er wollte: Aufmerksamkeit. | |
Zwist bei den fünf Sternen: Grillos horizontale Diktatur | |
Mit der Kampfansage gegen Conte könnte Beppe Grillo seine | |
Fünf-Sterne-Bewegung ins Schwanken bringen. Die Vorwürfe gegen Conte sind | |
absurd. | |
Neue Regierung in Italien: Vertrauensvorschuss für Draghi | |
In beiden Häusern des Parlaments erhält der Premier eine Mehrheit. Für die | |
Vertreter der 5-Sterne-Bewegung werden die Voten zur Zerreißprobe. | |
Neue Regierung in Italien: Draghi nimmt erste Hürde | |
Bei dem Vertrauensvotum im Senat sichert sich Premier Mario Draghi eine | |
klare Mehhreit. 15 Senatoren der Fünf-Sterne-Bewegung stimmten mit Nein. | |
Regierungsbildung in Italien: Lega-Chef macht den Wendehals | |
EU-feindliche Partei unterstützt in Italien ausgerechnet den | |
Ex-EZB-Präsidenten Draghi. Das ist nicht die erste Kehrtwende der Rechten. | |
Regierungsbildung in Italien: Fünf Sterne geben Draghi Ja-Wort | |
Die Partei hat dafür gestimmt, eine Regierung des Ex-Zentralbankchefs zu | |
unterstützen. Der plant ein „Super-Ministerium für den ökologischen Umbau�… | |
Regierungskrise in Italien: Der Retter, der zerstört | |
Ex-EZB-Chef Mario Draghi soll in Rom die Regierung führen. Das ist | |
kurzfristig nützlich – aber langfristig gefährlich. | |
Regierungskrise in Italien: Draghi soll es richten | |
Mit dem früheren EZB-Chef an der Regierungsspitze sollen Neuwahlen in | |
Italien verhindert werden. Offen ist jedoch, wie er eine Mehrheit bekommt. | |
Femizide in Italien: Sieben Tage, sieben Frauenmorde | |
Im Januar 2020 wurden in Italien an sieben Tagen sieben Frauen ermordet | |
aufgefunden. Unsere Autorin hat sich auf Spurensuche begeben. |