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# taz.de -- Femizide in Italien: Sieben Tage, sieben Frauenmorde
> Im Januar 2020 wurden in Italien an sieben Tagen sieben Frauen ermordet
> aufgefunden. Unsere Autorin hat sich auf Spurensuche begeben.
Bild: Am Weltfrauentag 2020 demonstrierten die Mitglieder von „Non una di men…
Montag, 27. Januar 2020: Dass es sich um einen gewaltsamen Mord handelt,
davon sind die Ermittler überzeugt, als sie die Leiche der zwei Tage vorher
verschwundenen Francesca Fantoni sehen. Die Würgespuren am Hals. Die
Blutergüsse am ganzen Körper. Die Autopsie stellt später eine
Vergewaltigung fest. Die Frau, die man in ihrem Heimatort Bedizzole tötete,
einer rund 12.000 Einwohner zählenden Gemeinde zehn Kilometer vom Gardasee
entfernt, wurde 39 Jahre alt.
Mittwoch, 29. Januar 2020: Am Abend stoßen Polizisten in einem Haus in der
Via Calipso in Mazara del Vallo im Osten Siziliens auf Blutspuren. In der
Küche, im Bad, im Wohnzimmer. Im Schlafzimmer liegt Rosalia Garofalo, die
wenige Monate später ihren 54. Geburtstag gefeiert hätte, reglos auf dem
Bett. „Der Körper war ein Mosaik aus Blutergüssen und Schwellungen. Das
Gesicht aufgedunsen und entstellt“, wird der leitende Ermittler später
sagen. Es ist der fünfte Frauenmord, zu dem er im Laufe seines Berufslebens
gerufen wird. Noch nie zuvor hat er etwas Vergleichbares gesehen.
Donnerstag, 30. Januar 2020: In Vierschach, einem Ort in Südtirol kurz vor
der österreichischen Grenze, finden die Ermittler am Vormittag in einem
Apartment im zweiten Stock eines Hauses in der Angerstraße den leblosen
Körper der 28 Jahre alten Fatima Zeeshan. Die Pakistanerin war im achten
Monat schwanger, ihr Körper weist zahlreiche blutunterlaufene Stellen auf.
Die Obduktion ergibt in den Tagen darauf, dass die Frau mit Füßen getreten,
mit Fausthieben geschlagen und schließlich erstickt wurde.
Donnerstag, 30. Januar 2020: Kurz vor Mitternacht hören Anwohner der Via
Santa Maria Annunziata in Mussomeli, einer Gemeinde im Zentrum von
Sizilien, fünf Schüsse. Kurz darauf weitere fünf. Wenig später einen
letzten. Es hätte so geklungen, als ob Fensterläden oder Türen gegen die
Wand schlagen würden, wird ein Nachbar am Tag darauf sagen. In Wahrheit
wurden gerade zwei Frauen erschossen: Rosalia Mifsud, 48, und ihre Tochter
Monica Diliberto, 27.
## Ein ganz normales Paar
Freitag, 31. Januar 2020: Zwischen ein und zwei Uhr morgens finden
Carabinieri in der Peripherie der Küstenstadt Alghero auf Sardinien unweit
eines Parkplatzgeländes eine weibliche Leiche. Der Verwesungsprozess ist
bereits fortgeschritten. Speranza Ponti, vor 50 Jahren in der knapp 3.000
Einwohner zählenden Gemeinde Uri auf Sardinien geboren, wurde seit Anfang
Dezember 2019 vermisst.
Freitag, 31. Januar 2020: Am Morgen verabschiedet sich in der Via Furlani
in Genua, der Hauptstadt Liguriens, ein Mann von seiner Haushälterin in der
Annahme, sie bei seiner Rückkehr nicht mehr anzutreffen. Als er gegen 18:30
Uhr zurückkehrt, stößt er beim Betreten seiner Wohnung auf die ermordete
Frau. Neben ihr liegt in einer Blutlache ein schwerverletzter Mann. Die
Notärzte können nur mehr den Tod der in Albanien geborenen Laureta Zyberi,
43, feststellen. Aber sie retten den Schwerverletzten. Unweit von ihm liegt
das Messer, mit dem er zehnmal auf die Frau eingestochen und sich selbst
schwere Stichwunden im Unterleib zugefügt hat. Eduart Zyberi, 54, von Beruf
Maurer, wird kurz darauf im Krankenhaus San Martino notversorgt und
operiert.
Noch im Krankenhausbett gesteht Zyberi die Tat an der Frau, mit der er 20
Jahre lang verheiratet war. Es stellt sich heraus, dass er seine Frau eines
Verhältnisses mit einem anderen Mann, vermutlich mit ihrem Arbeitgeber,
verdächtigt hat. Zyberis Scooter steht wie so oft auch an jenem Tag in der
Straße unterhalb des Arbeitsplatzes seiner Frau. Er kennt den Weg gut, er
hat Laureta oft dort abgeholt. Die Nachricht von der Bluttat ist für
Bekannte und Verwandte, besonders für die zwei erwachsenen Söhne des seit
1996 in Italien lebenden Paares, ein Schock. Niemand von ihnen weiß
gegenüber der Polizei von Streitereien oder einer Trennung zu berichten.
Die Zyberis, sie waren nach außen hin ein ganz normales Paar.
Vergewaltigt, zu Tode getreten und geprügelt. Erwürgt, erstochen und
erschossen. Sieben tote Frauen in sieben Tagen, verteilt von Nord bis Süd
über das ganze Land. Statistisch gesehen war die letzte Januarwoche 2020
besonders gravierend, durchschnittlich wird in Italien circa alle drei Tage
eine Frau ermordet. Und die Gewalt an Frauen, sie nimmt nicht ab, im
Gegenteil.
2018 war laut dem EURES-Report „Frauenmord und geschlechtsspezifische
Gewalt“ der Anteil der weiblichen Opfer an der Gesamtzahl der verübten
Morde in Italien so hoch wie nie zuvor: 40,3 Prozent, in Zahlen sind das:
142 ermordete Frauen. Im selben Jahr stiegen auch die Anzeigen wegen
Missbrauchs in der Familie (+ 11,7 Prozent), sexueller Gewalt (+ 5,4
Prozent) und Stalkings (+ 4,4 Prozent). Von der Öffentlichkeit werden die
Taten kaum wahrgenommen.
Was bedeutet es, in Italien eine Frau zu sein? Dazu hat die Autorin dieses
Textes gemeinsam mit der Fotografin Franziska Gilli – beide sind im Land in
einer deutschen Community aufgewachsen – über mehrere Jahre hinweg
recherchiert. In ihrem Buch „Hure oder Heilige – Frau sein in Italien“, a…
dem auch dieser Text in Teilen stammt, begleiten sie feministische
Aktivistinnen und Nonnen der unbefleckten Empfängnis. Sie treffen Showgirls
aus dem Fernsehen und junge Frauen, die ihnen nacheifern. Und sie berichten
über Gewalt, die Frauen das Leben kostet.
Alghero, Sardinien: Tage bevor Speranza Pontis halb verwester Körper
gefunden wird, postet ihr Partner Massimiliano Farci, 53, mit dem sie eine
Pizzeria führte, mehrere Nachrichten auf Facebook. Er richtet sie alle an
seine Freundin, deren Name übersetzt „Hoffnung“ bedeutet: „Im Leben wird
sich alles regeln, niemand wird dich verurteilen, viele lieben dich, viele
hoffen auf dich, viele glauben an dich, besonders ich, was auch immer das
Problem ist. Wir werden darüber reden, auch wenn wir schon viel geredet
haben, wir werden nie aufhören, darüber zu reden. Aber ich bitte dich, lass
uns darüber reden. Ich habe immer an die Hoffnung geglaubt.“
Die Carabinieri finden die Tote durch Hinweise von Farci nach einem
stundenlangen Verhör. Der in der Nähe von Cagliari geborene Mann sagt aus,
er habe seine Lebensgefährtin am 6. Dezember in der gemeinsamen Wohnung in
der Vittorio-Emanuele-Straße in Alghero tot aufgefunden. Sie habe an
Depressionen gelitten und sich das Leben genommen. Aus Angst, verdächtigt
zu werden, habe er sie an einen ihrer Lieblingsorte am Rande der Stadt
gebracht, von wo man das Meer sehen könne.
Seit 2017 befindet sich Farci in Halbfreiheit. 1999 gestand er den Mord an
einem Mann. Die Ermittler glauben seinen widersprüchlichen Aussagen auch
dieses Mal nicht und verhaften ihn wegen des Verdachts auf Mord und
Unterschlagung einer Leiche sowie Raub. Mit der EC-Karte seiner toten
Partnerin hat Farci kurz vorher mehrere Tausend Euro abgehoben. Lokalen
Medien zufolge verfügte Ponti nach dem Verkauf einer Wohnung und einer
eingelösten Versicherung über eine Geldsumme, an der Farci interessiert
war.
Sizilien: Rosalia Mifsud und Michele Noto aus Mussomeli sind ein ungleiches
Paar, von dem nur wenige wissen. Sie ist mehr als 20 Jahre älter als
Michele, älter als seine Mutter. Noto besitzt einen Waffenschein, von Zeit
zu Zeit arbeitet er in einem Bestattungsinstitut, er hält einen Hund der
Rasse Corso Italiano, trainiert im Fitnessstudio. Nachbarn beschreiben ihn
als „ruhigen jungen Mann“. Als Rosalia die Beziehung, mit der ihre Tochter
Monica nicht einverstanden ist, beendet, will Michele Noto das nicht
akzeptieren.
Vor den tödlichen Schüssen, so wird ein Anwohner in einem Video den
Journalisten später erzählen, erledigt Rosalia gemeinsam mit einer
Nachbarin in deren Wohnung Hausarbeiten. Gegen 23 Uhr kehrt sie nach Hause
zurück. Ihr Exfreund Michele Noto, der in derselben Straße wohnt, betritt
ihr Haus kurz darauf über die weiße Eingangstür, die keine Spuren von
Gewaltanwendung aufweist. Zuerst schießt er Rosalia in den Mund, dann
richtet er ihre Tochter hin. Mit einem letzten Schuss tötet er sich selbst.
Mutter und Tochter tragen ihr Haar lockig, auf Bildern sehen sie aus wie
Schwestern. Die letzte Nachricht, die von ihnen nach außen dringt, wird
über Whatsapp verschickt. Als Monica auf eine Nachricht ihres Freundes
nicht mehr antwortet, fährt er gemeinsam mit ihrem Bruder und Rosalias Sohn
in deren Wohnung. Dort finden sie drei Leichen. Die Mutter in ihrem
Schlafzimmer, die Tochter nicht weit von ihr entfernt. Und Noto.
Auch wenn oft angenommen wird, im Süden Italiens sei ein konservativeres
Rollenverständnis verbreiteter als im Norden, so ist den Zahlen zufolge
geschlechtsspezifische Gewalt ein gesamtstaatliches Problem. Im Norden sind
die Zahlen der Frauenmorde am höchsten, was daran liegt, dass dort mehr
Menschen leben. Statistisch gesehen kam im Jahr 2018 in der Lombardei wie
in Sizilien eine ermordete Frau auf 500.000 Einwohner. Egal ob Mailand oder
Palermo, das Frauenbild in der italienischen Gesellschaft kann als äußerst
widersprüchlich bezeichnet werden:
Lasziv tanzen leicht bekleidete Showgirls seit mittlerweile 65 Jahren
durchs Hauptabendprogramm. Tragen freizügige Kostüme, starkes Make-up, eine
Ausnahme ist, wer keine schönheitsmedizinischen Eingriffe hat machen
lassen. Statt zu sprechen, lächeln sie bloß. Das Bild der stummen Schönen
wird in privaten Medien wie jenen der Familie Berlusconi rauf und runter
gespielt, aber auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.
Sexistische Stereotype sind in Italien so festgefahren wie kaum irgendwo in
Europa, während die Figur der Mutter als Ikone verehrt wird und sich manche
Dogmen noch aus der Zeit des Faschismus halten. „In unserem Staat darf die
Frau keine Rolle spielen“, sagte Benito Mussolini einst. Fast hundert Jahre
später sind Frauen in Italien überdurchschnittlich gut ausgebildet, aber
unterdurchschnittlich oft beschäftigt. Der gesellschaftliche Druck auf sie
ist in vielen Bereichen enorm groß.
Obwohl sich in Italien mit [1][„Non una di meno“] 2016 eine der lautesten
feministischen Bewegungen Europas formte, verhallte die #MeToo-Debatte
ergebnislos, das Land der Kavaliere und Charmeure schien nicht bereit zu
sein für diese Auseinandersetzung. Im Gegenteil, patriarchale Strukturen
wurden dadurch noch verhärtet.
Asia Argento, die Schauspielerin, die für die Vorwürfe der sexuellen
Belästigung gegen Harvey Weinstein im Ausland Solidarität erhielt, erntete
zu Hause in Italien Beschimpfungen und Gewaltandrohungen. Immer offener
schüren Politiker der neuen Rechten wie der ehemalige Innenminister Matteo
Salvini ihren Frauenhass, etwa wenn er twittert: „Ich schäme mich übrigens
für diesen Sänger, der Frauen mit Huren vergleicht, die vergewaltigt,
gekidnappt und wie Objekte behandelt werden. Das machst du bei dir zu
Hause, nicht im Öffentlich-Rechtlichen und auch noch im Namen der
italienischen Musik.“
Eine der massivsten Prägungen erfuhr das Frauenbild in Italien aber von
religiöser Seite: durch die katholische Kirche und den Vatikan, der sich
seit jeher stark in gesellschaftliche wie politische Belange einmischt.
Zwei zentrale Frauenrollen des katholischen Glaubens beeinflussen Italien
seit zwei Jahrtausenden. Sie könnten nicht unterschiedlicher sein und doch
bedingen sie sich: die Hure und die Heilige, Maria Magdalena und die
Jungfrau Maria. Zwischen der einen und der anderen können sich Frauen
entscheiden, so scheint es. Die Kritik daran ist nicht neu – Feministinnen
wehren sich schon lange dagegen –, aber sie ist noch immer aktuell.
Im lombardischen Bedizzole ist Francesca Fantoni mit den kurzen dunklen
Haaren den meisten unter ihrem Spitznamen „Kekka“ bekannt. Da sie an einer
leichten psychischen Störung leidet, sind die Eltern besorgt, als sie an
jenem Samstagabend nicht nach Hause kommt. Sie informieren die Polizei und
starten über die sozialen Medien eine Suchaktion. Aufnahmen einer
Überwachungskamera zeigen sie in einer Bar. Gegen 20:30 Uhr nähert sich ihr
Andrea Pavarini, 32 Jahre alt, aus Bedizzole wie sie, von Beruf Gärtner
und Landwirt. Sie scheint nicht erfreut darüber zu sein, verlässt aber kurz
darauf zusammen mit ihm das Lokal. Am selben Abend taucht Andrea Pavarini
zu später Stunde in einer anderen Bar von Bedizzole auf – ohne Francesca
Fantoni. Sein Pullover ist befleckt mit Blut und Schlamm.
## Problematisch und aufdringlich
Am Sonntag wird Francescas kaputtes Mobiltelefon auf dem Stadtplatz
entdeckt. Am Montagvormittag finden zwei Carabinieri im Stadtpark von
Bedizzole zwischen Bäumen und Büschen ihre halbnackte Leiche. Tage später
gesteht Pavarini den Mord. Dorfbewohner beschreiben ihn als problematisch,
aufdringlich und unfähig, seine Triebe zu kontrollieren. In der
Vergangenheit wurde er der sexuellen Belästigung beschuldigt. Gegen ihn
wird wegen Totschlags ermittelt. Es besteht die Gefahr der Flucht und der
Tatwiederholung.
Vierschach, Südtirol: Nachbarn sagen, sie hätten die junge Frau, die
gemeinsam mit ihrem 38 Jahre alten Ehemann Mustafa Zeeshan seit knapp einem
Jahr in der Wohnung lebte, kaum wahrgenommen und höchstens einmal auf dem
Balkon sitzen gesehen. Das Haus habe Fatima Zeeshan nie verlassen. Private
Hochzeitsbilder zeigen eine zarte junge Frau mit rot geschminkten Lippen
und großen Ohrringen unter ihrem Brautschleier. Keine 500 Einwohner zählt
die zu Innichen gehörende Ortschaft. Es gibt eine Kirche, Skilifte und ein
an der Hauptstraße gelegenes Restaurant mit Pizzeria, in dem Mustafa seit
vier Jahren arbeitet. Zuerst als Tellerwäscher, dann als Pizzabäcker.
Es ist Mustafa Zeeshan selbst, der die Polizei über den Tod seiner
hochschwangeren Frau informiert. Der zudem zuvor hektisch Arbeitskollegen
und Nachbarn anruft und an jenem Vormittag nicht zur Arbeit erscheint. Noch
am selben Tag verhören die Ermittler ihn und seine Nachbarn und
Arbeitskollegen mit Hilfe von Dolmetschern bis spät in den Abend hinein.
Deren Aussagen und sein Schweigen belasten Zeeshan schwer, er gilt als
dringend tatverdächtig.
Stunden später wird er ins Gefängnis überstellt. Seine Pflichtverteidigerin
sagt, ihr Mandant sei vor Schock weder imstande zu sprechen noch zu gehen.
Mustafa Zeeshan wird des Mehrfachmordes beschuldigt – drei Wochen später
hätte Fatima ihr erstes Kind zur Welt gebracht. Ihrer Schwester soll sie
vor dem Tod erzählt haben, dass ihr Ehemann sie manchmal schlage und es
Probleme mit seiner Familie in Pakistan gebe, weil er ihr seit seiner
Heirat nur noch halb so viel Geld schicken könne. Ehemalige Arbeitskollegen
sagen, Mustafa habe sich sehr auf das Baby gefreut.
Laut dem EURES-Report verwendeten die meisten Täter Stichwaffen wie ein
Messer, gefolgt von Schusswaffen und den eigenen Händen, mit denen sie die
Frauen erwürgt oder zu Tode geprügelt haben. Rund ein Fünftel der Männer
war geständig, ein Viertel nahm sich nach dem Mord das Leben oder versuchte
es. In 28 Prozent der Fälle gingen dem Femizid viele gewaltvolle Jahre
voraus.
Zweimal zeigt Rosalia Garofalo 2017 ihren Ehemann, mit dem sie seit 30
Jahren verheiratet ist und einen 27 Jahre alten Sohn hat, wegen
Misshandlung an. Eine Zeit lang lebt sie in einem Frauenhaus. Im Oktober
2019 erstattet sie zum dritten Mal Anzeige, zieht sie aber bald darauf
wieder zurück und versichert, nie wieder zu Vincenzo Frasillo
zurückzukehren. Als der 53 Jahre alte Sizilianer, arbeitslos und
vorbestraft, an jenem Abend die Notrufnummer 118 wählt, gibt er an, seine
Frau sei erkrankt und nun tot. Das Sanitätspersonal alarmiert die Polizei.
Bei der Befragung soll er lokalen Medien zufolge immer wiederholt haben:
„Meine Frau hat mich betrogen. Aber ich habe sie nicht getötet, ich habe
sie nur am Montag geschlagen.“ Vincenzo Frasillo soll seiner Frau angeboten
haben, sie ins Krankenhaus zu bringen oder einen Arzt zu holen, was sie
verneint habe. Die Untersuchungen des Gerichtsmediziners ergeben, dass
Rosalia Garofalo drei Tage lang zu Tode geprügelt wurde. Gegen Frasillo
wird Haftbefehl erhoben.
Die sieben Frauen wurden auf unterschiedliche Arten getötet,
unterschiedliche Hintergründe verbergen sich hinter ihren Geschichten. Zwei
von ihnen teilen den Vornamen Rosalia, und allen gemeinsam ist ein Fakt,
der auf einen Großteil der Frauenmorde zutrifft: Die Frauen kannten ihre
Mörder. In den allermeisten Fällen besaßen sie denselben Wohnungsschlüssel.
So wie in der letzten Januarwoche 2020 fanden auch in den Jahren zuvor in
Italien die meisten Verbrechen zu Hause statt, hinter verschlossenen Türen.
2018 wurden 78 Frauen in Italien, bei einer Gesamtzahl von 60,5 Millionen
Einwohnern, durch ihren Ehemann, Lebensgefährten, Expartner getötet.
In Deutschland waren es im gleichen Jahr [2][122 Frauen], die durch ihre
Partner ums Leben kamen. Im Verhältnis zur Bevölkerungsanzahl ist die Rate
in Deutschland damit höher als in Italien. (1:775.641 Einwohner in Italien;
1:680.327 Einwohner in Deutschland). Vergleicht man die Femizid-Rate mit
dem weiblichen Bevölkerungsanteil, liegt Italien mit seinen Zahlen unter
dem europäischen Mittelwert.
Am Ende jener Woche Ende Januar 2020 bezeichnet Giovanni Salvi, der
Generalstaatsanwalt des italienischen Kassationsgerichts, die Frauenmorde
als „nationalen Notstand“. Der in dieser Woche zurückgetretene
Ministerpräsident Giuseppe Conte verspricht damals, den im August 2019 in
Kraft getretenen „Codice Rosso“, der die Meldungen und Untersuchungen von
Verbrechen im Zusammenhang mit häuslicher oder geschlechtsspezifischer
Gewalt regelt, wirksamer zu gestalten. Auf Facebook schrieb er: „Gewalt
gegen Frauen ist auch ein kulturelles Problem, und deshalb werden wir in
den Schulen ansetzen, zwischen Jungen und Mädchen, denn dort muss der
Wandel beginnen.“
Vor einem Jahr werden die ermordeten Frauen nach und nach verabschiedet.
Bei der Beerdigung von Francesca Fantoni, die vergewaltigt, erstickt und im
Park ihrer Heimatstadt entsorgt wurde, fragt der Priester die Trauernden:
„Warum nimmt die Gewalt überhand? Warum ist es so leicht zu töten? Man kann
nicht sagen, dass diejenigen, die solche Taten begehen, alle geistig
gestört wären.“ Der Bürgermeister verordnet eine eintägige Stadttrauer.
Unzählige Menschen sind anwesend, als die beiden Mordopfer Rosalia Mifsud
und ihre Tochter Monica Diliberto zu Grabe getragen werden. Die Kirche San
Giovanni in Mussomeli ist voll, als der Priester sagt: „In diesen Momenten
der Ohnmacht kann nur der Glaube Antworten und Trost geben.“ Er vertraut
die beiden der Schutzpatronin der Stadt an, der Madonna dei Miracoli, der
Muttergottes der Wunder. Am Tag darauf wird der Täter in derselben Kirche
beerdigt.
## Symbol für die Tränen der Frauen
In der zweieinhalb Stunden entfernten Kathedrale von Mazara del Vallo wird
die tagelang zu Tode geprügelte Rosalia Garofalo beigesetzt. Ihr Sohn wird
während der Trauerfeier von Sanitätern der Notfallmedizin betreut.
In Genua wird Laureta Zyberi verabschiedet.
Die pakistanische Gemeinschaft in Südtirol will die Leiche von Fatima
Zeeshan in die Heimat überführen, aber sie wird zunächst nicht freigegeben.
Die Katholische Frauenbewegung von Innichen gedenkt Fatimas und ihres
ungeborenen Kindes mit einer Schweigeminute. Zum Gottesdienst am
Weltfrauentag stellen die Frauen eine Schale mit Glasperlen auf den Altar,
als Symbol für die Tränen von Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt sind. Im
Mai wird die Leiche schließlich von Mailand nach Pakistan überführt. Die
pakistanische Gemeinschaft in Südtirol kommt für die fast 4.000 Euro auf.
Die Familie von Speranza Ponti aus Sardinien hat nach Informationen lokaler
Medien das von den Franziskanerinnen verfasste Gebet gegen Frauenmord bei
der Beerdigung verlesen. Eine Stelle dort lautet: „Du bist sanftmütig,
Herr, du bist Schutz: Gib den Frauen die Kraft und den Mut, ihre Sklaverei
anzuerkennen und der Unterdrückung zu entkommen. Gib uns den Mut, empört zu
sein und uns nicht hinter Gleichgültigkeit zu verstecken, sondern immer und
unter allen Umständen zu ihrer Verteidigung, ihrem Schutz und ihrer
Unterstützung zu handeln.“
Hinweis: Dieser Text stammt in Teilen aus dem kürzlich bei Edition Raetia
erschienenen Buch von Barbara Bachmann und Franziska Gilli: Hure
oderHeilige – Frau sein in Italien, 224 Seiten, 24,90 Euro.
2 Feb 2021
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Barbara Bachmann
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