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# taz.de -- Frauenprotest in London: Polizei gegen Trauernde
> Eine Mahnwache in London hat einer ermordeten 33-Jährigen gedacht. Dabei
> kam es zu Rangeleien mit der Polizei.
Bild: Polizei im Südllondoner Park Clapham Common am Samstagabend
London taz | „We aren’t safe in our homes, how can we reclaim these
streets?“ stand auf einem Plakat. „Reclaim These Streets“ – holen wir u…
die Straßen zurück – sollte das Motto einer Mahnwache im Südllondoner Park
Clapham Common am Samstagabend sein, zum Gedenken an die 33-jährige
Londonerin Sarah Everard, die am Abend des 3. März durch diesen Park nach
Hause ging, zuletzt auf einer nahen vielbefahrenen Straße gesehen wurde und
dann verschwand.
Tage später wurde sie tot in einem Wald in Kent gefunden. Ein 49-jähriger
Polizeibeamter des diplomatischen Schutzcorps [1][ist inzwischen ihrer
Ermordung angeklagt worden]; es wird vermutet, er habe die 33-jährige von
der Straße weg entführt. Am Dienstag soll er im Londoner Gericht „Old
Bailey“ einem Richter vorgeführt werden.
Doch die Mahnwache für Sarah Everard am Samstagabend geriet zur
Konfrontation zwischen trauernden Frauen und der Polizei. Dutzende von
Polizeibeamt*innen kesselten Frauen im offenen Orchesterpavillon von
Clapham Common ein und nahmen sie fest, begleitet von Rangeleien und Rufen
von „Leave them alone!“ (Lasst sie in Ruhe!)
Die Entführung und der Mord haben im Vereinigten Königreich Empörung
ausgelöst und [2][eine breite Debatte über Sicherheit von Frauen entfacht].
Mahnwachen waren für Samstagabend in vielen Städten geplant, wurden jedoch
bis auf zwei von den Veranstalter*innen nach erfolglosen Verhandlungen
mit der Polizei abgeblasen, unter anderem im London. Die Polizei befand,
dass die Veranstaltungen nicht in einer mit den Covid-19-Schutzmaßnahmen
vereinbaren Art durchgeführt werden könnten. Die Gruppe Reclaim These
Streets gab hingegen an, es sei die Polizei gewesen, welche auf ihre
konkreten Vorschläge dazu nicht eingehen wollte.
## Strikter Lockdown trotz erfolgreichen Impfprogramms
Englands strikte Lockdown-Regeln erlauben derzeit nur das Treffen zweier
Personen aus unterschiedlichen Haushalten unter freiem Himmel. Für illegale
Versammlungen von über 30 Personen können von der Polizei Bußgelder in Höhe
von bis zu 10 000 Pfund (11 650 Euro) verhängt werden. All dies bleibt in
Kraft trotz [3][der Erfolge des britischen Impfprogramms] und des starken
Rückgangs der Neuinfektionen in den vergangenen Wochen.
So rief Reclaim These Streets stattdessen zu einer Spendenaktion für
Frauenorganisationen auf und zu individuellen Mahnwachen vor der eigenen
Haustüre. An diesen beteiligten sich auch Premierminister Boris Johnson und
seine Verlobte Carrie Symonds. Sie ist selbst Überlebende einer
Vergewaltigung durch einen später ertappten Londoner Taxifahrer, der viele
andere Frauen zu Opfern gemacht hatte. Johnson twitterte davor, dass er an
die Familie und Freunde von Everard denke, und versprach, „alles zu tun,
damit die Straßen sicher seien.“ Auch Labour-Oppositionsführer Keir Starmer
und seine Frau Victoria Alexander hielten eine Mahnwache vor ihrer Haustür
mit Kerze.
## Plötzlich räumt die Polizei
Trotzdem begaben sich den ganzen Samstag lang Menschen zum
Orchesterpavillon in Clapham Common, um dort friedlich und sozial
distanziert Blumen niederzulegen. Auch die Herzogin von Cambridge,
Prinzessin Kate, legte am Pavilion Narzissen nieder. Gegen 18 Uhr, der
eigentlich vorgesehene Beginn der abgeblasenen Veranstaltung, waren
Hunderte von Menschen um den Pavillon versammelt. Als die Sonne unterging,
schaltete sich plötzlich die Londoner Polizei ein.
Die Studentin Mya Coco-Bassey schilderte auf Twitter, was vor ihren Augen
geschah: „Die Polizei kam und besetzte den Orchesterpavillon und räumte mit
Gewalt.“ Sie twitterte dazu #shameonyou – Schande über Euch – was dort a…
Parole gerufen wurde und was laut Polizei zu vier Festnahmen wegen
Verletzung der öffentlichen Ordnung und Corana-Schutzregeln führte. Videos
zeigen, wie Personen abgeführt und in einen Polizeitransporter gesetzt
wurden. Bei den Festnahmen wurden einige Frauen mit Körpereinsatz auf den
Boden gedrückt.
## Breite Kritik am Vorgehen der Polizei
Das Vorgehen der Polizei ist auf breite Kritik gestoßen. Londons
Bürgermeister Sadiq Khan nannte es „nicht hinnehmbar“, und selbst
Innenministerin Priti Patel, die als Scharfmacherin gilt, nannte die Bilder
vom Park „erschütternd“ und verlangte eine volle Erklärung von der London…
Polizei. Gracie Bradle, Vorsitzende der britischen
Menschenrechtsorganistion Liberty, stellte dem entgegen, dass Patel eine
Sondererlaubnis für diesen Protest hätte erteilen können. Der Vorsitzende
der Liberaldemokraten, Ed Davey, forderte sogar den Rücktritt der Londoner
Polizeichefin Cressida Dick.
Die Vizechefin der Londoner Polizei, Helen Ball, verteidigte das Vorgehen.
Über sechs Stunden hätten Menschen in einer erlaubten Art ihre Anteilnahme
gezeigt, dann aber seien am Pavillon Reden gehalten worden, woraufhin sich
Menschen eng aneinanderdrängten, was „ein wahres Risiko der leichten
Verbreitung von Covid-19 darstellte.“ Die meisten hätten sich ordnungsgemäß
zerstreut, eine Minderheit habe aber die Beamt*innen bedrängt und mit
Gegenständen beworfen.
## Rangers-Fans durften dicht an dicht feiern
Doch Verständnis für das polizeiliche Eingreifen fehlt nicht zuletzt weil
erst vor zehn Tagen Fußballanhänger*innen des Glasgower Klubs Rangers
F.C. ohne Polizeieingreifen in großen Mengen eng aneinandergereiht den Sieg
des Klubs in der schottischen Liga gefeiert hatten. Auch bei den Black
Lives Matter Protesten letztes Jahr inmitten der Pandemie hatte sich die
Polizei größtenteils zurückgehalten. Nun schritt sie ein – gegen trauernde
Frauen nach einem mutmaßlich von einem Polizisten verübten Mord.
14 Mar 2021
## LINKS
[1] https://www.nytimes.com/2021/03/12/world/europe/uk-sarah-everard.html
[2] https://www.bbc.com/news/uk-56384600
[3] /Streit-um-AstraZeneca-Impfung/!5746596
## AUTOREN
Daniel Zylbersztajn-Lewandowski
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