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# taz.de -- Tod von Sarah Everard: Vertrauensproblem
> In Großbritannien hat der Fall eine Debatte über die Sicherheit von
> Frauen ausgelöst. Dabei sollte die Polizei in den Blick genommen werden.
Bild: Bei der Mahnwache für Everard im Londoner Park Clapham Common nimmt die …
Eine junge Frau liegt in Handschellen gefesselt auf dem Boden, über ihr
knien zwei Polizisten, drücken sie mit ihren Händen nach unten. Ein Bild
dieser Szene ging am Wochenende in den sozialen Medien viral, am Montag
fand man es auf verschiedenen Titelseiten britischer Medien. Es zeigt die
Festnahme einer Demonstrantin bei der [1][Mahnwache für Sarah Everard am
vergangenen Samstag] im Südlondoner Park Clapham Common. Für viele steht
das Bild symbolisch für eine Polizei, die gewalttätig gegen Frauen vorgeht,
anstatt sie zu schützen.
Nicht weit von dem Park entfernt befindet sich die Straße, in der Everard
zum letzten Mal lebend gesehen wurde. Die 33-Jährige hatte sich am 3. März
nach einem Besuch bei einer Freundin gegen 21 Uhr zu Fuß auf den
Nachhauseweg gemacht. Tage später wurde ihre Leiche in einem Wald in Kent
gefunden, ein Polizeibeamter wurde festgenommen wegen des dringenden
Tatverdachts auf Entführung und Mord.
Die Tötung Everards löste in Großbritannien [2][einen Aufschrei über die
fehlende Sicherheit] von Frauen im öffentlichen Raum aus. Unter dem Hashtag
#ReclaimTheStreets teilten Tausende Menschen ihre Erfahrungen mit
Belästigung und Gewalt. Der Protest wurde am Samstag auf die Straße
getragen. Hunderte Frauen hatten sich versammelt, Blumen niedergelegt und
Kerzen angezündet. Das friedliche Gedenken wurde zur Konfrontation. Die
Polizei begann die Demonstrierenden einzukesseln und im offenen Pavillon
des Parks festzunehmen.
Das Vorgehen der Polizei wird nun von vielen kritisiert, etwa vom Chef der
Liberaldemokraten im britischen Parlament oder von Londons Bürgermeister.
Die Polizei rechtfertigt den Einsatz unter Verweis auf die Coronamaßnahmen,
die nicht eingehalten wurden. Der Streit über diesen Einsatz ist die eine
Sache, die Frage, welche Verantwortung die Polizei trägt, wenn es um
Missbrauch, Gewalt und Mord geht, eine andere.
## Statt Frauen zu schützen
Klar ist, dass patriarchale Gewalt ein gesamtgesellschaftliches Problem
ist. Frauen und Menschen anderer Geschlechtsidentitäten sind nicht sicher
vor patriarchaler Gewalt – weder im eigenen Zuhause noch in der
Öffentlichkeit. Fast alle Mörder und Sexualstraftäter sind Männer. Und das
ist ein Zustand, der in unserer Gesellschaft schon zu lange als Normalität
hingenommen wird.
Doch eine Debatte über die Sicherheit von Frauen muss auch eine über die
Polizei sein. Denn überall, wo Macht herrscht, findet Machtmissbrauch
statt. Zwischen den Geschlechtern ist dieses Machtgefälle immer da, im
Verhältnis einer von Gewalt betroffenen Frau und einer bewaffneten
Sicherheitsbehörde verstärkt es sich noch einmal.
Der mutmaßliche Täter im Fall Everard ist ein hochrangiger Polizist. Wenige
Tage bevor Everard verschwunden war, soll dieser sich vor einer anderen
Frau in einem Fast-Food-Restaurant entblößt haben. Ob in diesem gemeldeten
Vorfall ordnungsgemäß ermittelt wurde, wird angezweifelt und soll nun
untersucht werden. Der Fall von Everard mag ein spezieller sein, doch er
wirft ein Schlaglicht auf ein strukturelles Problem. Anstatt Frauen zu
schützen, decken Polizist:innen ihre Kollegen.
Erst vergangene Woche hat das [3][Centre for Womens Justice] in
Großbritannien eine Beschwerde vorgelegt, die diese problematische Struktur
beleuchtet. Es ist eine Sammlung von 666 Berichten aus drei Jahren, in
denen Frauen häusliche und andere geschlechtsspezifische Gewalt, ausgeübt
durch Beamte, angezeigt haben, die nicht ordnungsgemäß ermittelt wurden.
Misstrauen gegenüber der Polizei herrscht nicht nur dann, wenn die Täter
selbst Beamte sind. Auch sonst klagen Betroffene immer wieder, dass sie
nicht hinreichend geschützt und ihre Vorwürfe nicht ernst genommen werden.
## Zwischenlösungen
Das fehlende Vertrauen zeigte sich auch in einer kürzlich erschienenen
[4][Studie der britischen Vertretung von UN Women.] Demnach geben 97
Prozent der 18- bis 24-jährigen Befragten an, sexuelle Belästigung im
öffentlichen Raum erfahren zu haben. Nur 4 Prozent brachten den Vorfall zur
Anzeige. Knapp die Hälfte der Befragten stimmt der Aussage zu, dass eine
Anzeige überhaupt nichts bringt.
Geht es um Lösungsansätze für diese Problematik, werden häufig fehlende
Ressourcen der Behörden genannt. Doch anstatt die Polizei mit noch mehr
Geld und Macht auszustatten, sollten unabhängige Untersuchungsstellen
eingerichtet und Schutzeinrichtungen besser ausgestattet werden – auch wenn
das nur Zwischenlösungen sein können für ein Problem, dessen Lösung einen
grundsätzlichen strukturellen und gesellschaftlichen Wandel erfordert.
15 Mar 2021
## LINKS
[1] /Frauenprotest-in-London/!5757845
[2] /Britische-Frau-verschwunden/!5757693
[3] https://www.centreforwomensjustice.org.uk/news/2020/3/9/police-officers-all…
[4] https://www.unwomenuk.org/safe-spaces-now
## AUTOREN
Carolina Schwarz
## TAGS
Sexualisierte Gewalt
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Schwerpunkt #metoo
Schwerpunkt Rassismus
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