| # taz.de -- Räumungsklage gegen WGs: Immobilienhai schnappt Fabriketage | |
| > In einem Hinterhof in Hamburg-Ottensen haben zwei WGs aus alternativen | |
| > Urzeiten überlebt. Der neue Eigentümer will damit Schluss machen. | |
| Bild: WG Wilde 13 in der Fabriketage: An der Decke hängt noch der Antrieb für… | |
| Hamburg taz | Am Nachmittag des Tages, an dem die Drohne kam, ist die WG in | |
| der Großen Brunnenstraße in heller Aufregung. Sie sitzen um den großen | |
| Tisch in der Wohnküche und reden durcheinander: Um 10.15 Uhr hätten sie die | |
| Drohnengeräusche gehört, doch vorher habe es im dritten Stock, bei der | |
| oberen WG, geklingelt. „Nein, das war danach!“ | |
| Jedenfalls stand da ein junger Mann im Anzug, begleitet von zwei weiteren, | |
| und sagte, er komme vom Besitzer und müsse aufs Flachdach, um Aufnahmen zu | |
| machen. „Was für ein Flachdach, wir haben doch gar keins!“ – „Na oben,… | |
| ist doch ein Flachdach.“ | |
| Die WG im dritten Stock verweigerte den Einlass, aber die Drohne war ja | |
| schon unterwegs. Eine Bewohnerin der WG im zweiten Stock sagt, sie sei | |
| gerade im Badezimmer gewesen und habe sich vor der Drohne versteckt. Als | |
| sie aus dem Fenster sah, seien die Männer in Anzügen noch unten im Hof | |
| gewesen. Die Drohne sei dann immer auf gleicher Höhe geflogen, einmal auch | |
| übers Dach. In der WG im dritten Stock will man sie aber auch vor den | |
| Fenstern gesehen haben. | |
| Als die von den WGs herbeigerufene Polizei nach der Genehmigung für die | |
| Aufnahmen fragte, hatten die Abgesandten des Besitzers keine vorzuweisen, | |
| der Fotograf war inzwischen verschwunden. Im Hof hatten sich immer mehr | |
| Bewohner*innen und Nachbarn versammelt. Die Stimmung war gereizt. Es | |
| fiel der Satz, von den jungen Männern im Anzug in Richtung WGs: „Wenn man | |
| keine Arbeit hat und sonst nichts zu tun, dann hat man ja Zeit für so was.“ | |
| ## Im Reich der Wilden 13 | |
| Die beiden WGs in der Großen Brunnenstraße 63a gehören zu den Restbeständen | |
| der alternativen Kultur, die in dem [1][schwer unter Gentrifizerungsdruck | |
| stehenden Hamburger Stadtteil Ottensen] noch übrig sind. Die Altbauten zur | |
| Straße hin mussten schon vor Jahren einem Neubau weichen, aber es gibt noch | |
| einen Durchgang zum Hinterhof, in dem alte Fabrikgebäude stehen. | |
| In einem Nebengebäude rechts ist das Frauenmusikzentrum untergebracht, 2013 | |
| von der Lawaetz-Stiftung [2][vor dem Rauswurf gerettet]. Ein | |
| dreigeschossiges Backsteingebäude links steht leer. Im Hauptgebäude mit der | |
| Nummer 63a residieren Produktionsfirmen und Event-Agenturen, seitdem dem | |
| alten Mieter, einem Fotoatelier, gekündigt wurde. | |
| Zu den beiden WGs im zweiten und dritten Stock geht es durch ein hallendes | |
| Treppenhaus, vorbei an einem Plakat zur Rettung der Elbe, bis zu einer | |
| Feuerschutztür, hinter der sich das Reich der „Wilden 13“ auftut – so der | |
| Name der WG, die den zweiten Stock bewohnt. Neben der Tür steht ein | |
| meterhohes Regal mit Schuhen, es stehen Sofas im Raum, in den Fluren parken | |
| Fahrräder. | |
| Seit Ende der 80er-Jahre wohnt, in wechselnder Besetzung, die WG in diesen | |
| Räumen, doch wie lange sie noch da sein wird, ist ungewiss, denn das | |
| Verhältnis zum Besitzer ist nicht erst seit dem Drohnenvorfall getrübt. | |
| Seit 27. Juni haben sie die Kündigung, nach einem nicht rechtskräftigen | |
| ersten Versuch im Dezember. Eine Räumungsklage läuft. Der Vorwurf: | |
| Vertragsbruch. Der Mietvertrag von 1984 schreibe für die Fabriketage eine | |
| „Mischnutzung“ aus Wohnen und Gewerbe vor, das Gewerbe sei bei der Wilden | |
| 13 aber nicht zu finden, so die Anwältin des Vermieters. | |
| Tatsächlich habe es ganz am Anfang die Idee einer Mischnutzung gegeben, | |
| bestätigen die Bewohner*innen der Wilden 13. Seit den 90er-Jahren sei | |
| aber klar gewesen, dass auf ihrer Etage ausschließlich gewohnt werde. Auch | |
| der langjährige Vorbesitzer habe das gewusst. | |
| Auch die WG im dritten Stock, in der vor allem Kreative und | |
| Künstler*innen leben und die sich ironisch „F91“ nennt (F90 ist eine | |
| Feuerschutzverordnung, und sie setzen da noch eins drauf), hat eine | |
| Räumungsklage erhalten. Dort zielt der Vorwurf in eine ähnliche Richtung: | |
| Es gebe keine Ateliers, die seien im Mietvertrag aber vorgeschrieben. Das | |
| erste allerdings, was man sieht, wenn man im dritten Stock eintritt, sind | |
| die großen Werkstätten direkt hinter dem Eingangsbereich. | |
| Etwas über sechs Euro bezahlen die WGs für den Quadratmeter: In Ottensen, | |
| das bei Neuvermietungen mittlerweile zu den teuersten Stadtteilen in | |
| Hamburg gehört, ist das aus Vermietersicht lächerlich, auch wenn im | |
| Mietvertrag steht, dass die Bewohner*innen sich selbst um Dinge wie | |
| Heizung oder Fenster kümmern müssen. | |
| ## Vorkaufsrecht gekippt | |
| 2018 versuchte der Vorbesitzer zum ersten Mal, das Fabrikgebäude Große | |
| Brunnenstraße 63a zu verkaufen, doch die Stadt intervenierte und drohte, | |
| von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch zu machen, sollte es keine bindenden | |
| Vereinbarungen über das Weiterbestehen der Mietverträge der beiden WGs | |
| geben. | |
| Erst 2021, der Bundesgerichtshof hatte gerade [3][das städtische | |
| Verkaufsrecht gekippt], kam es zum Verkauf an den jetzigen Eigentümer, die | |
| in Hamburg ansässige Unternehmensgruppe Lapis Real Estate. Auf ihrer | |
| Homepage bezeichnet sie sich als „[4][inhabergeführte Norddeutsche | |
| Investment- und Management-Boutique]“. | |
| Da Lagen wie Hamburg oder Sylt weitgehend erschlossen seien und kaum | |
| Neubaupotenziale böten, ermöglichten „die gezielte Investition in | |
| Bestandsobjekte und deren energetische Sanierung eine größtmögliche | |
| Sicherheit für Werterhalt und Steigerungspotenziale“, so heißt es auf der | |
| Homepage unter dem Stichpunkt „Mission“. | |
| Offenbar stören die WGs in der Großen Brunnenstraße 63a bei diesem Vorhaben | |
| – so wie auch die Mieter*innen des leer stehenden Backsteingebäudes im | |
| selben Innenhof auf der anderen Seite gestört haben, wo sich ebenfalls zwei | |
| WGs befanden. | |
| Bereits 2015 ist das Haus Große Brunnenstraße 61a vom Vorbesitzer an die | |
| [5][Hamburg Berlin Grundbesitz GmbH] verkauft worden. Einer der | |
| geschäftsführenden Gesellschafter von Lapis Real Estate taucht dort | |
| zeitweise als Prokurist auf, wie ein Blick ins Handelsregister zeigt. „Ich | |
| bin der neue Besitzer und will sie alle raus haben“, so habe sich der neue | |
| Eigentümer vorgestellt, erzählt einer, der damals dort gewohnt hat. | |
| So leicht seien sie damals allerdings nicht rauszukriegen gewesen. Der alte | |
| Mietvertrag, der auch Mischnutzungen von Ateliers und Wohnungen vorsah, sei | |
| ausgelaufen und noch unter dem Vorbesitzer in einen reinen Wohnmietvertrag | |
| umgewandelt worden. | |
| ## 50.000 Euro für den Auszug | |
| Trotzdem hätten sie nach Jahren des Kampfes mit immer wieder neuen | |
| Anwaltsschreiben im Briefkasten irgendwann genug gehabt, sagt der ehemalige | |
| Bewohner. Sie nahmen die Abfindung, die ihnen geboten wurde: 50.000 Euro | |
| pro Person bei Auszug. In den beiden WGs hatten elf Leute gelebt. 2019 | |
| zogen die letzten aus. | |
| Seitdem steht das Gebäude leer. Eine [6][Anzeige], die es als | |
| „Fabrik-Gebäude-Unikat mit großzügigen Loftflächen und beeindruckenden | |
| Deckenhöhen in beliebtester Szenelage“ für 6.135.000 Euro anpreist, ist als | |
| „inaktiv“ markiert. Auf einer [7][Immobilienseite] wird das Erdgeschoss des | |
| Gebäudes mit seinem 287 Quadratmetern für 2.800 Euro kalt angeboten, was | |
| nicht viel ist für Ottenser Verhältnisse. Aber noch sind keine Mieter | |
| gesehen worden. | |
| Dem Bauausschuss des Bezirks Altona liegt ein Umnutzungsantrag des | |
| Eigentümers vor. Denn obwohl der Mietvertrag der ausgezogenen | |
| Bewohner*innen am Ende ein Wohnmietvertrag war, ist die Fläche immer | |
| noch als Gewerbefläche ausgewiesen, was der Eigentümer ändern möchte: Dort, | |
| wo die beiden WGs waren, sollen vier „Wohneinheiten“ samt einer „Terrasse… | |
| und Balkonanlage“ entstehen. Das Treppenhaus soll umgebaut und in die Mitte | |
| verlegt werden. | |
| Die Pläne kursieren schon eine Weile. Der ehemalige Bewohner der WG hatte | |
| bereits 2016 ein entsprechendes computergeneriertes Foto auf der Homepage | |
| einer Designfirma entdeckt, die mit der Hamburg Berlin Grundbesitz | |
| zusammenarbeitete. Der Trick sei, so zu tun, als ob man die Gewerbeflächen | |
| nicht vermietet bekommt, und dann eine Umnutzung zu beantragen, heißt es | |
| aus der Lokalpolitik von jemandem, der mit dem Vorgang vertraut ist. | |
| Zur Zukunft der Brunnenstraße 63a schreibt die Lapis Real Estate, in seinem | |
| jetzigen Zustand habe das Fabrikgebäude keine Zukunft. Ziel sei es, | |
| „sukzessive für eine bestmögliche Energieeffizienz mit zukunftsfähiger | |
| Gebäudestruktur zu sorgen“. Man wolle die Stadt Hamburg bei der Erreichung | |
| ihrer Klimaziele unterstützen. Die künftige Nutzung stehe noch nicht fest, | |
| aber man sei offen. | |
| Zunächst aber treffen sich die Wilde 13 und die Lapis Real Estate, | |
| vertreten durch ihre Anwält*innen, am kommenden Dienstag vor dem | |
| Amtsgericht Altona. Denn, so viel ist klar: Freiwillig räumen wird die WG | |
| ihre Fabriketage nicht. | |
| 15 Sep 2023 | |
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| [1] /Mobilitaetsexperte-ueber-Verkehrswende/!5909690 | |
| [2] /Proberaeume-in-Ottensen/!5072712 | |
| [3] /Urteil-des-Bundesverwaltungsgericht/!5814508 | |
| [4] https://lapis.re/ | |
| [5] https://www.hb-grundbesitz.de/ | |
| [6] https://mapio.net/expose/7981093/ | |
| [7] https://www.immobilienscout24.de/expose/142183874?referrer=com_otp_search&a… | |
| ## AUTOREN | |
| Daniel Wiese | |
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