# taz.de -- Mobilitätsexperte über Verkehrswende: „Es braucht mutige Entsch… | |
> Mit dem Projekt „Freiraum Ottensen“ soll der Hamburger Stadtteil autoarm | |
> werden. Nun geht der Leiter. Ein Blick zurück auf emotionale Debatten. | |
Bild: Jetzt noch autoreich, aber auf dem Weg zum autoarmen Quartier: der Hambur… | |
taz: Warum verlassen Sie das Projekt „Freiraum Ottensen“ jetzt, da es ernst | |
wird mit dem autoarmen Quartier, Herr Hagmaier? | |
Bastian Hagmaier: Ich hatte bisher eine zeitlich gebundene Projektstelle | |
Natürlich muss man dann schauen, wie es für einen selbst weitergeht. Und | |
dann hat sich kurzfristig eine neue Herausforderung ergeben, welche eine | |
längerfristige Perspektive bietet und die ich gerne annehmen wollte. | |
Mit welchen Gefühlen gehen Sie? | |
[1][An dem Projekt] hänge ich sowohl professionell als auch persönlich. Ich | |
habe aber auch zwei sehr fähige Mitarbeitende, die es weiter begleiten | |
werden. | |
Es gab zwischenzeitlich großen Widerstand. Warum ist das Thema so | |
emotional? | |
Es geht um Dinge, die das alltägliche Leben stark betreffen. Üblicherweise | |
bewegen wir uns ja nicht aus Selbstzweck, sondern um uns von A nach B | |
fortzubewegen. Dann ist es natürlich eine relevante Frage, ob sich dieser | |
tagtägliche Weg ändert. Und es betrifft auch immer den öffentlichen Raum. | |
Das ist ein Thema, das sehr schwer auszuhandeln ist. Nachdem [2][wir die | |
temporäre Sperrung für Autos wieder aufheben mussten] … | |
… weil erfolgreich dagegen geklagt wurde … | |
… aber nur zwischenzeitlich. Am Ende gab das Verwaltungsgericht dem | |
Bezirksamt recht. Dazu passt, dass es auch Leute gab, die gesagt haben: Wie | |
kann es sein, dass die Straße wieder für den Kraftverkehr freigegeben ist? | |
Es gab eine sehr intensive, sehr polarisierende Phase, aber inzwischen ist | |
es ein deutlich zielorientierterer Prozess geworden. | |
In dem Sie Zugeständnisse gemacht haben. | |
Angefangen hat es mit dem Verkehrsversuch Ottensen Macht Platz 2019/2020, | |
[3][in dem einzelne Straßenzüge als autofreier Raum erprobt worden sind]. | |
Auf Basis dessen hat die Bezirkspolitik im Februar 2020 den Beschluss | |
gefasst, dass es eine Verstetigung geben soll, und auch schon den Terminus | |
des autoarmen Quartiers statt wie im Verkehrsversuch den des autofreien | |
genutzt. Das deutet auch schon die Kompromisslinie an, auf der wir uns | |
bewegen. Wir haben dann gesagt, wir definieren nicht nur einzelne Straßen, | |
sondern ein umfassendes Projektgebiet. Dadurch können wir | |
Verlagerungseffekte, etwa wenn Parkraum an einer Stelle wegfällt, mit | |
betrachten. | |
Was ändert sich konkret? | |
Es gibt ein Kerngebiet mit zwei Straßen, der Ottenser Hauptstraße und der | |
Bahrenfelder Straße. Dort ist der Straßenbelag in so einem Zustand, dass | |
man ohnehin tätig werden muss und wo wir durch die Neuverteilung von | |
Verkehrsraum den größten Gestaltungsspielraum entfalten können. Darüber | |
hinaus gibt es viele kleinteilige Maßnahmen. Etwa die Umwidmung eines | |
Straßenstücks, das jetzt für den Kraftverkehr gesperrt ist. Im Dezember | |
haben wir uns dafür eingesetzt, dass Anwohner*innen zu reduzierten | |
Konditionen einen Parkplatz in einem Parkhaus am Altonaer Bahnhof erhalten | |
können. | |
Wo liegt am Ende die Kompromisslinie? | |
Wir werden mit zeitlichen Begrenzungen für den Kraftverkehr in diesen zwei | |
größeren Straßen arbeiten. Am Ende ist und bleibt es ein emotionales Thema. | |
Ich glaube, dass die Mobilität grundsätzlich nicht eingeschränkt wird – es | |
ist ja nicht die Frage, ob, sondern wie ich mich fortbewegen kann. Und das | |
wird man auch in Zukunft können – [4][dann ein bisschen bequemer zu Fuß | |
oder mit dem Rad, als das bisher der Fall war]. | |
Nach dem Ende der Versuchsphase waren weniger als 50 Prozent der Ottenser | |
Gewerbetreibenden für eine Verstetigung. Warum konnten Sie nicht mehr | |
überzeugen? | |
Ich bin ja erst mit ins Rennen gegangen, als wir auf die Verstetigung von | |
Freiraum Ottensen zugesteuert sind. Das, was wir heute planen, sieht anders | |
aus als das Fahrverbot der Modellphase. Und es gibt einen anderen | |
strukturellen Rahmen. Wir haben mittlerweile mit dem Beirat ein Gremium, in | |
dem auch Gewerbetreibende aus dem Quartier vertreten sind. Der Beirat hat | |
klare Forderungen formuliert, wie konkret Belieferung am besten | |
funktionieren kann. Und das war dann noch mal Thema in der Kommunalpolitik. | |
Vorher sind die Gewerbetreibenden eher in die Öffentlichkeit gegangen, um | |
zu sagen: Ich bin unzufrieden. Heute gibt es zwei Mitarbeitende im | |
Bezirksamt, die das Projekt voranbringen möchten und ansprechbar sind. Und | |
es wird auch wieder eine weitere Person als Projektleitung geben. | |
Die Bezirksbürgermeisterin hat dazu gesagt, man müsse nicht alle | |
überzeugen. Wie viele muss man denn überzeugen? | |
Ich glaube, aus der Umsetzungssicht der Verwaltung ist es wichtig | |
festzuhalten, dass man nicht immer alle überzeugen kann. Wenn ich mir | |
beispielhaft 100 Bürgerinnen und Bürger und Gewerbetreibende aus unserem | |
Projektgebiet vorstelle, dann wird es keine Lösung geben, wo alle sagen: | |
Ich bin total glücklich damit. Ich glaube, es ist wichtig, Kompromisse zu | |
finden, wo es möglich ist und dort, wo es keine Kompromisse gibt, braucht | |
es am Ende auch eine Politik, die bereit ist, mutige Entscheidungen zu | |
treffen. | |
Wo gibt es keine Kompromisse? | |
Dafür ist die Sperrung des Straßenteilstücks für den Kraftverkehr ein gutes | |
Beispiel. Das ist eine kleine Maßnahme und hat dennoch viele Emotionen | |
geweckt. Deshalb gab es auch Menschen, die sich dagegen gerichtlich gewehrt | |
haben. Aber am Ende hat uns das Gericht recht gegeben, da hier das | |
öffentliche Interesse überwiegt. | |
Was haben Sie gelernt in diesem Projekt? | |
Dass es am Beginn eines solchen Vorgehens den Mut braucht zu sagen: Es geht | |
darum, dass sich etwas verändert. Vielleicht ist die Veränderung später | |
eine ganz andere, als man sich das ganz zu Beginn vorgenommen hat. Es ist | |
ja das Ziel eines Beteiligungsprozesses zu sagen: Wir möchten gemeinsam | |
eine Verbesserung und Veränderung erreichen und schauen, was wir daraus | |
entwickeln können. Aber dass eine Veränderung passiert, ist für die | |
Menschen, die sich dort einbringen, unglaublich relevant. | |
21 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.hamburg.de/altona/freiraumottensen/ | |
[2] /Das-Ringen-um-den-Parkraum/!5807133 | |
[3] /Start-der-autofreien-Zone-in-Ottensen/!5620640 | |
[4] /Verkehrswende-in-Hamburg/!5853641 | |
## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
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