# taz.de -- Protestcamp gegen Abschiebungen am BER: „Gegen Haft für Geflüch… | |
> Mit dem "Ein- und Ausreisezentrum" wird der Berliner Flughafen zum | |
> Abschiebedrehkreuz, sagen Kritiker*innen. Sie haben ein Protestcamp | |
> organisiert. | |
Bild: Demo gegen das geplante „Ein- und Ausreisezentrum“ am BER im Septembe… | |
taz: Frau Brenner*, die Initiative „Abschiebezentrum BER verhindern“ | |
veranstaltet Anfang Juni ein Protestcamp direkt neben dem Flughafen. Warum? | |
Lola Brenner: Schönefeld wird das neue Abschiebedrehkreuz für ganz | |
Deutschland, dort soll ein riesiges Abschiebezentrum gebaut werden. Wir | |
möchten zu diesem Anlass viele Gruppen und Menschen, die bereits großartige | |
Arbeit gegen Abschiebungen und strukturellen Rassismus machen, | |
zusammenbringen, damit sie sich weiter vernetzen und Widerstand leisten. | |
Es gibt ja schon Abschiebungen am BER. Warum sollte das durch das geplante | |
Ein- und Ausreisezentrum mehr werden? | |
Offiziell heißt es zwar Ein- und Ausreisezentrum oder auch Behördenzentrum, | |
aber das ist nur ein Euphemismus. Das ist für uns ganz klar ein | |
Abschiebeknast, das spiegelt sich auch in den Zahlen wider. Es gibt jetzt | |
schon einen Knast am Flughafen, der soll deutlich erweitert werden. Knapp | |
110 Menschen sollen dort in Ausreisegewahrsam und Flughafenasylverfahren | |
inhaftiert werden. Aber es stimmt, es gibt am BER jetzt schon regelmäßig | |
Sammelabschiebungen vom Terminal 5. Deshalb kämpft dieses Protestcamp nicht | |
nur [1][gegen den geplanten Abschiebeknast], sondern auch gegen | |
Abschiebungen generell – und gegen die aktuelle Stimmungsmache der | |
Bundesregierung, die immer mehr auf Abschottung und Abschiebung setzt, | |
sowohl in Deutschland als auch in der EU. | |
Sie sagen, das Abschiebezentrum soll ein Zentrum für ganz Deutschland | |
werden: Ist das erklärtes Ziel der Politik oder Ihre Interpretation? | |
Das kann man daran sehen, wie es historisch gewachsen ist. Die | |
ursprüngliche Idee geht auf Pläne des früheren Bundesinnenministers Thomas | |
de Maizière zurück, der sogenannte Bundes-Ausreisezentren, also | |
Hafteinrichtungen an großen Flughäfen, installieren wollte. Das Land | |
Brandenburg hat sich begeistert bereit erklärt, dabei mitzumachen. Der | |
Fokus des jetzt am BER geplanten Abschiebezentrums liegt auf der | |
Ausweitung von Gewahrsamsplätzen – und zwar nicht nur für Abschiebungen, | |
sondern auch für das Flughafenasylverfahren, das aus menschenrechtlicher | |
Sicht ebenfalls abgeschafft gehört. Daran sind das Land Brandenburg sowie | |
Bundesakteure wie Bundespolizei und Bamf beteiligt. Und schon jetzt werden | |
zu den Sammelabschiebungen vom BER auch Menschen aus anderen Bundesländern, | |
sogar anderen EU-Staaten, gebracht. Es war also nie nur ein reines | |
Landesprojekt. | |
Aber kommen wir kurz auf die Landesebene. In Berlin gab es früher mehr | |
Abschiebehaft, es gab sogar einen Abschiebeknast in Grünau, den gibt es | |
nicht mehr. Ist das nicht ein Fortschritt? | |
Es stimmt, dass es in Berlin früher mehr Abschiebehaft gab, heute wird | |
meist direkt abgeschoben. Das Abschiebezentrum am Flughafen BER wird aber | |
vom Land Brandenburg geplant. Hier ist ein Ausreisegewahrsam vorgesehen, wo | |
Menschen bis zu zehn Tage vor ihrer Abschiebung inhaftiert werden. Zwischen | |
Ausreisegewahrsam und Abschiebehaft wird offiziell ein Unterschied gemacht, | |
aber für uns ist der Ausreisegewahrsam ganz klar eine Form von | |
Abschiebehaft, das sehen auch viele Jurist*innen so. Denn wenn man | |
Menschen vor ihrer Abschiebung inhaftiert, was ist das anderes als | |
Abschiebehaft? Und es gibt Pläne der Bundesregierung, den sogenannten | |
Ausreisegewahrsam auf bis zu 28 Tage auszuweiten! Auch das | |
Flughafenasylverfahren ist für uns eine Form von Haft. Menschen werden | |
während des gesamten Verfahrens und bei Ablehnung bis zu ihrer Abschiebung | |
im Flughafentransitbereich festgehalten, sogar Kinder! Wir stellen uns | |
gegen jede Form von Internierung und Haft von Geflüchteten – und natürlich | |
gegen die Abschiebungen selbst, deren Konsequenzen für die Betroffenen noch | |
viel schlimmer als die Haft sind. | |
Sind Sie gegen jegliche Abschiebungen? Auch von Straftätern? | |
Ja, als Initiative sind wir gegen jede Form von Abschiebung und fordern ein | |
Bleiberecht für alle Menschen. Es darf keine Doppelbestrafung geben, wenn | |
Menschen in Deutschland verurteilt und danach abgeschoben werden, weil | |
durch die Verurteilung ihr Aufenthaltstitel entfällt. | |
Sie sagen also, dass jeder Mensch nach Deutschland kommen und hier leben | |
kann? | |
Ja, wir glauben daran, dass es ein Recht auf Migration geben sollte und es | |
anders in einer globalen Welt nicht möglich ist. Schließlich hat unter | |
anderem Deutschland von Kolonialismus und kapitalistischer Ausbeutung | |
profitiert. Abschottung heißt, globale Ungleichheit aufrechtzuerhalten. | |
Viele Menschen, Deutsche und Migrant*innen, wollen das nicht, haben Angst | |
vor so einer Forderung. Wenn man sagt, Grenzen auf für alle, spielt man | |
damit nicht den Rechten in die Hände? | |
Natürlich stößt das auf Widerstand, aber dem versuchen wir durch unsere | |
Arbeit zu begegnen und die Menschen mit Argumenten zu überzeugen. Denn wir | |
sehen keine Alternative zu dieser Forderung – wie sollte die aussehen? Die | |
Bundesregierung beschreibt den Zugang von Menschen auf der Flucht als | |
„irreguläre Migration“. Das ist letztlich die Konsequenz, wenn man zwischen | |
legaler und nicht legaler Migration differenziert: Dann bleibt für viele | |
Menschen auf der Flucht gar kein Weg mehr übrig. | |
Es ist also eine Frage der Gerechtigkeit, dass jede*r hingehen darf, wo | |
er*sie möchte? | |
Ja, besonders aus einer postkolonialen Perspektive. Migration ist | |
historisch ja keine Anomalie, Menschen sind immer migriert, Jahrhunderte | |
lang vor allem Europäer*innen. Zu Zeiten des Kolonialismus sind | |
Europäer*innen hingegangen, wo sie wollten, und haben die Menschen | |
brutal ausgebeutet. Diese Strukturen wirken bis heute fort. | |
Und unsere Ressourcen hier, Arbeit, Wohnung und so weiter, die müssen wir | |
dann teilen mit allen Menschen, die kommen? | |
Ja, wir sind immer noch eines der reichsten Ländern der Welt. Es gibt | |
genügend Ressourcen. Wir sagen, es gibt genügend Platz für alle. Es ist | |
eine Frage der Verteilung. | |
Sie haben gesagt, dass das Camp auch der Vernetzung von Gruppen dient, die | |
zu Abschiebungen und Rassismus arbeiten. Wie hängt das zusammen? | |
Wir sehen Abschiebungen als menschenverachtendes und rassistisches | |
Instrument der Politik. Wir sehen, dass Menschen abgeschoben werden, die | |
wir hier aus rassistischen Gründen nicht haben wollen. Das Asylsystem | |
bedeutet eine Hierarchisierung, was wir im Migrations- und Fluchtkontext | |
ständig sehen. Manche sind „gute“ Flüchtlinge, manche „schlechte“, di… | |
nicht hier haben wollen, weshalb wir uns das Recht nehmen, sie | |
auszuschließen. | |
Meinen Sie zum Beispiel, dass wir hier Ukrainer*innen als | |
Kriegsflüchtlinge besser behandeln, weil sie weiße Europäer*innen sind? | |
Wir sind sehr froh, dass es große Solidarität gegenüber der Ukraine gibt | |
und sie als Kriegsflüchtlinge Schutz erhalten. Aber genau das fordern wir | |
auch für alle anderen. Natürlich ist das Rassismus, wenn wir zwei Gruppen | |
in vergleichbaren Situationen haben, und die einen werden wärmend | |
willkommen geheißen und bekommen alle Hilfe, und die anderen ertrinken im | |
Mittelmeer. | |
Kommen wir zu Ihrem Camp. Wo genau soll es stattfinden und was wird dort | |
passieren? | |
Wir campieren in Sichtweite des Flughafengeländes in Schönefeld. Es dient | |
wie gesagt der Vernetzung und dem gegenseitigen Lernen. Es wird kein Ort | |
zivilen Ungehorsams, das ist uns wichtig, weil es ein Ort werden soll | |
gerade auch für Menschen mit prekärem Aufenthaltsstatus. Wir wollen so | |
wenig Kontakt mit der Polizei wie möglich, um uns angstfrei austauschen zu | |
können. Es wird Workshops geben, Panels, Konzerte, Theater, und am Montag, | |
5. Juni, auch eine Demonstration zu dem Grundstück, wo das Abschiebezentrum | |
gebaut werden soll, sowie an den Ort, wo jetzt bereits Menschen inhaftiert | |
werden. | |
Was ist, wenn jemand kommen will, der*die kein Geld hat? | |
Es gibt viele solidarische Strukturen. Es wurden Zelte gesammelt, damit | |
alle Menschen einen Schlafplatz haben können. Es wird Küfa, also Küche für | |
alle, geben, und wenn jemand kein Geld für die Anreise hat, kann er*sie | |
sich an uns wenden, wir kümmern uns. | |
Warum möchten Sie nur mit einem Pseudonym dieses Interview führen? | |
So wie geflüchtete Menschen in Deutschland kriminalisiert werden, wird oft | |
auch die Solidarität mit geflüchteten Menschen kriminalisiert. Aus diesem | |
Grund muss ich meine Identität schützen. | |
31 May 2023 | |
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## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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