# taz.de -- Professor zu biologischer Transformation: „Innovationen nicht ers… | |
> Debatten über die Grenzen des Wachstums haben unsere Gesellschaft nicht | |
> nachhaltiger gemacht, sagt der Maschinenbauprofessor Thomas Bauernhansl. | |
Bild: Verknüpfte Technologien könnten zu neuen Produktionsverfahren und neuen… | |
taz: Herr Bauernhansl, die Industrie 4.0 – also die Digitalisierung von | |
Wirtschaft und Gesellschaft – haben wir gerade erst verstanden. Und da | |
kommen Sie schon mit dem nächsten großen Projekt daher, der „Biologischen | |
Transformation“? | |
Thomas Bauernhansl: Stimmt, die Unternehmen haben mit der Digitalisierung | |
viel zu tun. Allerdings baut die Biologische Transformation logisch auf der | |
Industrie 4.0 auf – und wir brauchen sie dringend, um unsere Wirtschaft | |
nachhaltiger zu machen. Das Thema Nachhaltigkeit werden wir durch die | |
Digitalisierung alleine nicht lösen. | |
Was meinen Sie denn genau mit dem Konzept der Biologischen Transformation? | |
Das ist ein Prozess, der dazu führt, dass wir biologische und technische | |
Systeme in Echtzeit integrieren und interagieren lassen. Und die Rohstoffe | |
dafür sind biobasiert, also Mikroorganismen oder Pflanzen. Ein Beispiel aus | |
dem Bereich der Ernährung: Wir versuchen den Verbrauchern dezentral dann | |
Lebensmittel zur Verfügung zu stellen, wenn sie benötigt werden. Dabei | |
wollen wir verschiedene Technologien verknüpfen, etwa aus dem Bereich der | |
Nano- und der Biotechnologie, um zu ganz neuen Produktionsverfahren zu | |
kommen. So könnten wir zum Beispiel künstliches Fleisch oder künstliche | |
Milch herstellen. Ein Beispiel aus der Medizin: Mit Hilfe von Fermentern … | |
… also geschlossenen Behältern, in denen biochemische Prozesse ablaufen … | |
… können im Krankenhaus oder sogar direkt beim Patienten die Medikamente | |
hergestellt werden, genau so viele, wie gerade gebraucht werden. Wir wollen | |
die gesamte Logistik auf den Kopf stellen, von einer globalen, eher | |
angebotsgeprägten Wirtschaft hin zu einer technologiebasierten, | |
bedürfnisorientierten, lokalen Wirtschaft. | |
Dezentral, bedürfnisorientiert – das kennen wir doch aus der | |
Nachhaltigkeitsdebatte. Hat die Biologische Transformation | |
Anknüpfungspunkte zum Beispiel zur Urban-Gardening-Bewegung? | |
Wir wollen etwas anderes. Wir haben einen durchdachten Wertschöpfungsansatz | |
entwickelt, der völlig technologieoffen ist und mit dem wir nachhaltig | |
unseren Wohlstand sichern können. | |
Zu Konzepten wie Suffizienz – dem maßvollen Leben –, Postwachstum oder | |
Entschleunigung sehen Sie keine Schnittstellen? | |
Weltweit haben ganz viele Menschen überhaupt keinen Zugang zu Wohlstand. | |
Die können auf nichts verzichten, weil sie nichts haben. Deshalb ist | |
Postwachstum ein Ansatz für Industrienationen, dort kann man das intensiv | |
besprechen. Aber global werden wir andere Lösungen brauchen. Ich halte | |
nichts davon, im Rahmen der Biologischen Transformation ökonomische | |
Konzepte wie die wachstumsgetriebene Wirtschaft in Frage zu stellen. Diese | |
Diskussionen sind natürlich sinnvoll und können langfristig auch umgesetzt | |
werden. Aber was machen wir bis dahin? Da antworte ich als Ingenieur eher | |
technologieorientiert. | |
Zurzeit ist unsere Wirtschaft nicht zukunftsfähig, weil sie die planetaren | |
Grenzen nicht achtet. Können Sie diese Grenzen mit Biotechnologie | |
verschieben? | |
Sicherlich nicht, aber innerhalb der planetaren Grenzen können wir unsere | |
Ressourcen wesentlich besser bewirtschaften. Wir schmeißen zum Beispiel 60 | |
Prozent unserer Lebensmittel weg. Wenn wir mit Technologien erreichen, nur | |
noch 30 Prozent Abfall zu produzieren – oder noch weniger –, haben wir viel | |
erreicht. Wir diskutieren doch seit den 70er Jahren die Grenzen des | |
Wachstums. Schauen Sie sich die Kennzahlen an – es hat sich bisher nicht | |
viel getan. | |
Sie wollen Natur und Technik verschmelzen. Wo liegen die ethischen Grenzen? | |
Darf man zum Beispiel das menschliche Gehirn in ein Computernetzwerk | |
einbinden? | |
Wenn man über die Themen Bioökonomie und Biologische Transformation | |
spricht, kommt man schnell auf die Grenzfälle, wie Sie jetzt auch. Das ist | |
eine kommunikative Herausforderung, der wir uns stellen, indem wir mit | |
allen Anspruchsgruppen der Gesellschaft sprechen. Natürlich brauchen wir | |
auch entsprechende Regularien, die so gewählt sind, dass wir das Vertrauen | |
der Verbraucher gewinnen. Aber: Wir dürfen Innovationen nicht schon | |
ersticken, bevor sie überhaupt stattfinden. Wenn ich Vorträge zu neuen | |
Geschäftsmodellen durch Möglichkeiten der Digitalisierung halte, werde ich | |
zuerst zum Datenschutz befragt. Im Bereich der Künstlichen Intelligenz | |
befassen wir uns sehr früh intensiv mit ethischen Problemen wie der Frage, | |
ob Maschinen die Macht übernehmen. Wir sind in Deutschland sehr | |
risikoavers und diskutieren erst mal alle Risiken, bevor wir uns umfassend | |
mit den Chancen auseinandersetzen. | |
Na ja, welche grundlegend wichtigen Aufgaben Mikroorganismen in Ökosystemen | |
und Organismen einnehmen, beginnen wir gerade erst zu begreifen. Wie hoch | |
ist das Risiko, Bakterien oder Algen massenhaft in ihren Eigenschaften zu | |
verändern? | |
Es geht nicht darum, Natur zu verändern, sondern darum, wie wir die | |
Eigenschaften der Natur nutzen können, um zu nachhaltigen Lösungen zu | |
kommen. Das sind uralte Techniken, die Menschen etwa beim Bierbrauen oder | |
Schwarzbrot-Backen schon seit Jahrtausenden einsetzen. Natürlich entwickeln | |
sich Technologien rasant weiter, getrieben durch die Möglichkeiten etwa der | |
Digitalisierung. Das führt zu Durchbrüchen zum Beispiel in der Chemie oder | |
der Pharmazie. | |
Während Sie in Berlin Ihr Konzept der Biologischen Transformation | |
vorgestellt haben, hat 5 Kilometer entfernt der Deutsche Ethikrat seine | |
Jahrestagung zum Thema Menschenwürde und Herausforderungen durch neue | |
Technologien durchgeführt. Haben Sie die Diskussionen verfolgt? | |
Das Thema ist enorm wichtig. Wir setzen selbst auch verschiedene | |
Forschungsinitiativen auf und wollen interdisziplinäre Teams bilden. Dabei | |
spielt auch das Thema Ethik eine besondere Rolle. Die Interdisziplinarität | |
ist übrigens nicht trivial. In solchen Teams müssen wir erst einmal eine | |
gemeinsame Sprache entwickeln. Wenn Ingenieurinnen mit Soziologen, | |
Biotechnologinnen und Informatikern Konzepte der Nachhaltigkeit | |
diskutieren, dann haben sie vermutlich jeweils eine ganz eigene Sicht | |
darauf: Der Ingenieur versteht darunter eher Ressourceneffizienz und der | |
Informatiker denkt an die Umsetzung von künstlicher Intelligenz, um | |
Kreisläufe zu steuern. | |
Versuchen Sie, unter dem Begriff Nachhaltigkeit die Gentechnik | |
gesellschaftsfähig zu machen? | |
Die Gentechnik steht nicht im Mittelpunkt der Biologischen Transformation. | |
Wir wollen vor allem das nutzen, was heute schon akzeptiert ist, im Bereich | |
Chemie oder Pharmazie. Wo es noch Nachholbedarf im gesellschaftlichen | |
Diskurs gibt, muss man den diskutieren. Die besonders umstrittene Grüne | |
Gentechnik in der Landwirtschaft ist nicht entscheidend für unser Konzept, | |
aber es gibt auch dort interessante Ansätze, die wir nicht von vorneherein | |
ausschließen sollten. | |
Die Gentechnik hat auch deshalb einen so schlechten Ruf, weil mit ihr | |
Großkonzerne verbunden werden, die Tiere und Pflanzen patentieren und die | |
Landwirtschaft in Agrobusiness verwandeln. Treibt die Biologische | |
Transformation diese Entwicklung an? | |
Was Sie da beschreiben, entspricht ja eher der globalen Angebotswirtschaft: | |
Man zentralisiert die Fertigung und versucht, durch eine Produktion im | |
großen Stil Skaleneffekte zu nutzen. Wir wollen das Gegenteil, nämlich die | |
Produktion in kleine Wertschöpfungszellen zurückführen, die hocheffizient | |
und effektiv sind. Wir kommen zurück zu „alten“ Produktionsweisen, die wir | |
vor 200 Jahren hatten, nutzen aber die Möglichkeiten der modernen | |
Technologien, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. | |
Also wollen Sie doch den Konzernen an den Kragen? | |
Das ist gar nicht notwendig. Etwa in der Energieversorgung haben wir doch | |
schon eine Transformation weg von den großen Monopolisten, hin zu einer | |
dezentralen und demokratischeren Versorgung. Da sind neue Geschäftsmodelle | |
für Mittelständler, Genossenschaften und Start-ups entstanden. Dezentrale | |
Wertschöpfungszellen können aber auch von größeren Einheiten angeboten | |
werden. Der Schweizer Pharmakonzern Lonza zum Beispiel überlegt, dezentral | |
Medikamente herzustellen. Er würde ja weiterhin Geld verdienen. | |
Welche Unternehmen werden die Biologische Transformation vorantreiben? | |
Zurzeit sehen wir die Ansätze der Biologischen Transformation stark in der | |
Prozessindustrie, etwa im Bereich Pharmazeutik, Chemie oder Lebensmittel, | |
weniger in der Stückgutindustrie, etwa im Autobau. Wir hoffen, dass über | |
den Maschinenbau und die Dienstleistungen das Konzept der Biologischen | |
Transformation von der prozessorientierten in die stückgutorientierte | |
Produktion diffundiert. Die Herausforderung werden alte Industrien sein, | |
die über Jahrzehnte hinweg Know-how und Anlagen aufgebaut haben, um große | |
Stückzahlen zu produzieren. Da gibt es eine gewisse Pfadabhängigkeit, durch | |
die diese Unternehmen die Biologische Transformation als disruptive | |
Veränderung erfahren könnten. Hier einen Wandel der Produktionsweisen | |
herbeizuführen wird sicher schwierig. Diesen Wandel müssen wir zusammen mit | |
den Unternehmen gestalten – möglich ist das. | |
8 Jul 2018 | |
## AUTOREN | |
Heike Holdinghausen | |
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