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# taz.de -- Pride Parade in Berlin: „Immer mehr gelten als krank“
> Pride-Organisator Sven Drebes über diskriminierende Gesetze für Menschen
> mit Behinderung und selektierende Schwangerschaftsabbrüche.
Bild: Feiern für mehr Teilhabe – am Samstag in Berlin
taz: Herr Drebes, es gibt bereits die UN-Behindertenrechtskonvention und im
kommenden Jahr soll in Deutschland ein Bundesteilhabegesetz in Kraft
treten, um Menschen mit Behinderungen mehr Selbstbestimmung zu ermöglichen
– es scheint, als sei einiges in Bewegung. Warum braucht es die Pride?
Sven Drebes: Die UN-BRK ist in Deutschland zwar seit sieben Jahren in
Kraft, das Bild von behinderten und verrückten Menschen ändert sich aber
nur langsam. Und es ist auch kein geradliniger Verbesserungsprozess,
sondern es gibt immer wieder Rückschritte: Der Gemeinsame Bundesausschuss
von Ärzten und Krankenkassen prüft gerade, einen Bluttest auf Downsyndrom
zur Krankenkassenleistung zu machen.
Was ist daran problematisch?
Schon heute werden die meisten Schwangerschaften abgebrochen, wenn beim
Fötus Trisomie 21 festgestellt wird. Wenn sich Eltern trotzdem für ein Kind
mit Downsyndrom entscheiden, müssen sie erklären, warum „so etwas“ sein
muss. Der neue Test hat ein viel geringeres Gesundheitsrisiko als die
bisherigen. Damit steigt der gesellschaftliche Druck zu selektiven
Schwangerschaftsabbrüchen.
Gegen das geplante Bundesteilhabegesetz gab es viel Kritik. Warum?
Bei dem Gesetz ist es alles andere als sicher, ob jeder Mensch die
Leistungen bekommen wird, die er braucht. Außerdem sieht der Entwurf vor,
dass Kostenträger Menschen weiter zu einem Leben im Heim zwingen können.
Freibeträge bei Leistungsbezug sollen zwar steigen, aber wenn ein Mensch im
Alltag Assistenz braucht, darf er weiter nur selten ein finanzielles
Polster ansparen.
Nicht nur Menschen mit Behinderungen, auch Psychiatrieerfahrene gehen am
Samstag auf die Straße – um sich zu feiern, aber auch aus Protest. Worum
geht es?
Unsere Kritik zielt auf die steigende Zahl von Menschen mit einer
psychiatrischen Diagnose. Dass es mehr Menschen werden, liegt zum einen
daran, dass immer mehr Eigenschaften und Verhaltensweisen als krankhaft und
von der Norm abweichend definiert werden. Andererseits nehmen der
gesellschaftliche Norm- und Leistungsdruck zu. Ein Ausdruck davon sind
psychische Behinderungen.
Zeitgleich mit der [1][Pride] marschieren am Samstag in Berlin die
christlichen Lebensschützer*innen unter dem Motto „Kein Kind ist
unzumutbar“. Sie plädieren damit gegen Abtreibungen von Föten, bei denen
eine Behinderung vermutet wird. Ist das eine willkommene Unterstützung für
die Pride?
Überhaupt nicht. Die „Lebensschützer*innen“ vereinnahmen behinderte
Menschen. Denen geht es um die Verhinderung von Schwangerschaftsabbrüchen
an sich. „Inklusion“ schreiben sie nur für ein besseres Image auf die
Transparente. Wir sind gegen Selektion, aber für das Recht auf
Schwangerschaftsabbruch.
Wie geht das – Selektion verhindern und trotzdem das Bestimmungsrecht der
Frau über ihren Körper wahren?
Selektion darf nicht noch einfacher werden. Gleichzeitig müssen behinderte
Menschen und Eltern behinderter Kinder endlich die Unterstützung bekommen,
die sie brauchen, ohne um jedes bisschen kämpfen zu müssen, ohne zu
verarmen und ohne bemitleidet, verachtet oder zu Helden stilisiert zu
werden.
Wie erleben Sie selbst den Kontakt zu nichtbehinderten Menschen?
Früher haben Menschen, wenn sie mich meinten, oft die Person neben mir
angesprochen. Das ist seltener geworden, passiert aber immer noch. Wenn sie
erfahren, dass ich studiert habe und berufstätig bin, nehmen sie mich
anders wahr. Offenbar macht es einen Unterschied, ob man produktiv ist oder
nicht. Das muss sich ändern.
Das heißt, weg von einer Leistungsgesellschaft?
Jeder Mensch muss so anerkannt werden, wie sie*er ist, unabhängig davon,
was er leisten kann. Das wäre eine wirklich inklusive Gesellschaft.
16 Sep 2016
## LINKS
[1] http://www.pride-parade.de/
## AUTOREN
Hilke Rusch
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