# taz.de -- Exklusion in Schleswig-Holstein: Kurklinik lehnt behindertes Kind ab | |
> Eine auf das Down-Syndrom spezialisierte Kurklinik will eine Familie | |
> nicht aufnehmen, weil der Sohn das Down-Syndrom hat. Zu | |
> betreuungsintensiv, sagt die Klinik. | |
Bild: Finden keine Kurklinik für ihr Kind mit Down-Syndrom: Sinje Schütt, Hei… | |
KIEL taz | Das Leben mit Theo kann anstrengend sein: Mit seinen sechs | |
Jahren verhält er sich oft wie ein Vierjähriger. Aber der Junge, der mit | |
dem Down-Syndrom geboren wurde, ist nicht für eine Kurklinik geeignet, | |
selbst wenn diese Angebote speziell für Kinder mit dieser Behinderung | |
macht. So jedenfalls argumentiert die Klinik: Weil der Pflegebedarf zu hoch | |
sei, darf die Familie die Kur nicht antreten. Der Konflikt zeigt trotz | |
aller Fortschritte bei der Inklusion, wie schwierig es immer noch sein | |
kann, Hilfe zu erhalten. | |
Drei Wochen Kur wünscht sich die Familie. Anfangs wollte die Krankenkasse | |
nur für Mutter Sinje Schütt, Theo und die dreijährige Jette zahlen, Vater | |
Heiko Sievert hätte zu Hause bleiben sollen. Im zweiten Anlauf bewilligte | |
die Kasse die Kur für alle. Tipps, wo die Familie aus Lensahn in | |
Schleswig-Holstein hinfahren könne, gab es nicht, „dabei gehört Beratung | |
doch zum Auftrag der Kassen“, sagt Sozialpädagogin Schütt. Sie suchte | |
selbst und fand die Klinik Nordseedeich in Friedrichskoog, rund 170 | |
Kilometer entfernt. | |
Besonders attraktiv erschien ihr, dass die Klinik mit einem | |
Schwerpunkt-Angebot für Kinder mit Down-Syndrom wirbt. Doch auf die | |
Bewerbung folgte eine Absage: Wegen der „schweren Behinderung Down-Syndrom“ | |
und dem „sehr hohen Betreuungsbedarf“, heißt es in den Lübecker | |
Nachrichten. | |
Gabriele Letschert von der Geschäftsführung des Kurklinik-Verbundes, zu dem | |
das Haus in Friedrichskoog gehört, will mit dem Verweis auf „Datenschutz“ | |
keine weiteren Gründe nennen. Generell werde in jedem Einzelfall geprüft, | |
ob das Haus das richtige sei, sagt sie. Unter anderem spielen die | |
Indikation sowie der Pflegebedarf eine Rolle. Ein Grund für eine Ablehnung | |
könne sein, dass das 150-Personen-Haus zu turbulent sei. Denn auch das | |
Schwerpunkt-Programm für die Kinder mit Down-Syndrom finde nicht getrennt | |
in einer eigenen Gruppe statt: „Die Integration steht im Vordergrund.“ | |
Für Schütt ist es vollkommen üblich, dass ein Kind mit der Diagnose „Down�… | |
eine Pflegestufe erhält. „Sicher ist Theo in einigen Dingen langsamer als | |
andere, aber er kann auch viel.“ Zu Hause besucht der Junge eine | |
Regel-Kita. Auf den Vorschlag der Eltern, ihren Sohn in der Klinik | |
vorzustellen, damit die sich ein Bild machen könne, gab es keine Antwort. | |
Gegenüber der taz verweist Gabriele Letschert auf die lange Erfahrung: „Das | |
Team hat entschieden, dass eine andere Klinik in diesem Fall geeigneter | |
ist.“ Es gebe bundesweit ausreichend Auswahl – allerdings deutlich weiter | |
weg und nicht so offenkundig mit dem Schwerpunkt Down-Syndrom. | |
Sinje Schütt sucht also weiter. „Sehr mühsam, und dass, obwohl wir beide | |
als Sozialpädagogen vom Fach sind. Schwer vorzustellen, wie andere Leute | |
das schaffen sollen“, sagt sie. | |
Doris Blüdorn vom Landesverband für körper- und mehrfachbehinderte | |
Menschen, kennt die Probleme: „Oft ist die Erwartung an eine Kur groß, aber | |
die Belastung im Vorfeld so hoch, dass es real kaum Erholung gibt.“ In | |
vielen Kliniken sei die Unterstützung gerade für Kinder mit besonders | |
großem Bedarf nicht so gut wie erhofft: „Viele Eltern haben es sich zu | |
Hause mit ihrem Netzwerk besser eingerichtet.“ Dennoch verweist sie auf das | |
Recht der Eltern auf eine Pause. | |
Tatsächlich würden heute weniger Eltern-Kind-Kuren abgelehnt als noch vor | |
einigen Jahren: „Die Kassen haben eingesehen, dass Eltern tatsächlich sehr | |
stark belastet sind.“ Schleswig-Holstein ist bundesweit einer der | |
Spitzenreiter bei der Inklusion von Kindern mit Behinderung in Schulen und | |
Kitas, so ein Gutachten des Erziehungswissenschaftlers Klaus Klemm im | |
Auftrag des Bildungsministeriums. Dennoch, so bemängelt Blüdorn, würden | |
Kinder mit geistiger Behinderung oft ausgeschlossen. „Es gibt die Angst vor | |
,Resteschulen’ für die Schwächsten.“ | |
Dass allerdings eine Klinik ein Kind wegen seiner Behinderung ablehne, sei | |
höchst ungewöhnlich, so Blühdorn. „Normalerweise traut sich das heute | |
niemand mehr.“ | |
31 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
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