# taz.de -- Bremens Grüne und das Bundesteilhabegesetz: „Das schränkt Teilh… | |
> Mit dem geplanten Teilhabegesetz der Bundesregierung würde die | |
> Behindertenrechtskonvention ad absurdum geführt. Die Grünen wollen es | |
> jetzt per Bundesrat stoppen. | |
Bild: Auch Betroffene sind nicht einverstanden mit dem Bundesteilhabegesetz: De… | |
taz: Frau Kappert-Gonther, lässt sich von Bremen aus das | |
Bundesteilhabegesetz aufhalten? | |
Kirsten Kappert-Gonther: Bremen kann darauf im Bundesrat einwirken und das | |
ist auch dringend nötig: Der Entwurf zum Bundesteilhabegesetz muss | |
überarbeitet werden, damit es dem Ziel gerecht wird, Selbstbestimmung und | |
gleichberechtigte Teilhabe allen Menschen mit Behinderung zu ermöglichen. | |
Da sind wir uns mit den Grünen in anderen Landesregierungen einig. | |
Ihr Bürgerschaftsantrag attestiert dem Entwurf der Bundesregierung immerhin | |
„positive Ansätze“. Meinen Sie das ernst? | |
Schon. Es muss darum gehen, dass Menschen mit Behinderung an unserer | |
Gesellschaft teilhaben, in ihr mitwirken. Die Schaffung von Alternativen | |
zur Werkstatt für Behinderte und die gesetzliche Verankerung des Budgets | |
für Arbeit sind positive Ansätze, die im Entwurf benannt werden. Und der | |
Entwurf sieht das richtige Ziel vor: Wir müssen von einem Fürsorgegesetz zu | |
einem echten Teilhaberecht kommen. | |
Bloß gelingt das dem Entwurf nicht? | |
Leider. Das Ziel wird nicht erreicht. Wir müssen allen Menschen gleichen | |
Zugang zu unserer Gesellschaft ermöglichen. Wir sind durch die | |
UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet, diese Teilhabe endlich zu | |
schaffen, das selbstbestimmte Leben in allen Bereichen zu ermöglichen. Aber | |
der Entwurf macht das nicht. Im Gegenteil: Das Gesetz würde Teilhabe eher | |
einschränken. | |
Inwiefern? | |
Schon allein dadurch, dass die Kriterien, die man erfüllen muss, um | |
leistungsberechtigt zu sein, hochgeschraubt werden. | |
Hochgeschraubt? | |
Laut diesem Entwurf müssen mindestens fünf von neun Bereichen im | |
Alltagsleben eingeschränkt sein, damit der Betreffende leistungsberechtigt | |
ist. Das heißt: Wer blind ist, könnte rausfallen. Da verfährt die | |
Bundesregierung nach dem Motto: ‚Ist ja nur beim Sehen eingeschränkt‘. | |
Was wäre der Gegenvorschlag?Die Gruppe der aktuell Leistungsberechtigten | |
darf nicht eingeschränkt werden. Das Gesetz muss klarstellen, dass Menschen | |
mit Behinderung nicht zusätzlich auch noch von der Gesellschaft behindert | |
werden. Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen besser zurechtkommen und | |
weniger Barrieren erleben, als bislang. | |
Woher rührt diese restriktive Herangehensweise? | |
Kritiker vermuten finanzielle Motive: An vielen Stellen wirkt dieser | |
Entwurf nicht wie ein Teilhabe- sondern eher wie ein Spargesetz. | |
Dafür spricht auch, dass in den ersten Entwürfen die Kosten der Assistenten | |
noch komplett auf die Assistierten abgewälzt und auch jetzt noch alle | |
vermögensbildenden Leistungen und Sparguthaben zur Finanzierung der | |
lebensnotwendigen Hilfen herangezogen werden sollen. | |
So ist es. Aber immerhin darf das Vermögen von Lebenspartnern mittlerweile | |
nicht mehr herangezogen werden. | |
Sie fordern auch, dass Menschen nicht gezwungen werden dürfen, in | |
besonderen Wohnformen zu leben: Ist das tatsächlich der Plan der | |
Bundesregierung? | |
Es wäre jedenfalls der Effekt dieses Gesetzes. | |
Wieso? | |
Das Gesetz stellt das Ökonomische in den Vordergrund. Wenn es finanziell | |
günstiger ist, dass ein Mensch mit Behinderung in einer Einrichtung lebt, | |
dann kann er nach diesem Gesetzentwurf gezwungen werden, in eine | |
Behinderten-WG oder sogar ins Heim zu ziehen. Das finde ich falsch, hier | |
muss die Wahlfreiheit erhalten bleiben. Wer weiter in seiner Wohnung leben | |
möchte und dafür Assistenzleistungen benötigt, muss diese bekommen. | |
Die Assistenz ermöglicht ja tatsächlich erst individuelle Teilhabe wie den | |
Kino-Besuch. | |
Das gilt für alle Bereiche. Das genau besagt die | |
UN-Behindertenrechtskonvention: Menschen mit Behinderung soll alles so | |
offen stehen, wie anderen Menschen auch. Und dazu gehört Freizeit, genauso | |
wie Arbeit und Wohnen. Keinem anderen Menschen wird ja vorgeschrieben, ob | |
er in einer eigenen Wohnung leben darf oder in eine WG ziehen muss. | |
Außer Verbrechern. Die kommen in den Knast. | |
Aber behinderte Menschen sind keine Verbrecher: Es muss selbstverständlich | |
auch für behinderte Menschen gelten, dass sie ihre Wohn- und | |
Lebenssituation selbst bestimmen dürfen. Und das genau müsste ein | |
Teilhabegesetz festschreiben – statt es zu erschweren. | |
Aber würde das nicht viel Geld kosten? | |
Doch, selbstverständlich würde das Geld kosten. Aber das darf in diesem | |
Fall ja nicht die zentrale Rolle spielen: Wir sind der | |
UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet. Deutschland hat sie | |
unterzeichnet, sie ist seit 2009 hier in Kraft. Die | |
Behindertenrechtskonvention ist ein Weltgesetz: Das ist genauso verbindlich | |
wie die Menschenrechtskonvention. Die einzuhalten verursacht auch Kosten. | |
Es verursacht ja auch Kosten, wenn wir den freien Zugang zur | |
Gesundheitsversorgung sicherstellen, und es verursacht Kosten, wenn wir das | |
Recht auf Bildung verwirklichen. Das muss auch für gleiche Rechte und | |
gesellschaftliche Teilhabe für alle Menschen gelten. Das ist der Schlüssel | |
für eine solidarische Gesellschaft. Ich halte das für eine Notwendigkeit. | |
2 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
## TAGS | |
Bremen | |
Grüne Bremen | |
Grüne | |
Teilhabegesetz | |
Inklusion | |
Teilhabegesetz | |
Bundesteilhabegesetz | |
Bundesteilhabegesetz | |
Grüne | |
Teilhabegesetz | |
Bundesteilhabegesetz | |
Bundesteilhabegesetz | |
Bundesteilhabegesetz | |
Bundesteilhabegesetz | |
Bundesteilhabegesetz | |
Inklusion | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Wanderausstellung zur Inklusion: Inklusion ist mehr als eine Rampe | |
Im Berliner Abgeordnetenhaus macht die Ausstellung „Inklusion im Blick“ | |
Station. Mit Kunstwerken, die auch für den Tastsinn gedacht sind. | |
Reform der Behindertenhilfe: Nachbesserungen am Teilhabegesetz | |
Kurz vor der Verabschiedung hat die große Koalition nochmal nachgebesert. | |
Unter anderem wird der Zugang zur bisherigen Eingliederungshilfe nicht | |
eingeschränkt. | |
Kommentar Teilhabegesetz: Zu hohe Erwartungen | |
Das Bundesteilhabegesetz enttäuscht viele Menschen. Entscheidend aber wird | |
die Praxis sein – und vielleicht wird noch größerer Protest nötig. | |
Pride Parade in Berlin: „Immer mehr gelten als krank“ | |
Pride-Organisator Sven Drebes über diskriminierende Gesetze für Menschen | |
mit Behinderung und selektierende Schwangerschaftsabbrüche. | |
Umfrage Grünen-Basis: Sympathie für Umverteilung | |
Mehr Geld für Schulen oder für Sozialtransfers? Die Grünen-Spitze hat jetzt | |
die 60.000 Mitglieder befragt. Ergebnis: Die Basis will beides. | |
Kabinett diskutiert Teilhabegesetz: Lieben, ohne mitzuhaften | |
Der Entwurf für das Bundesteilhabegesetz steht. Das Vermögen des Partners | |
bleibt bei vielen Betroffenen ab dem Jahre 2020 anrechnungsfrei. | |
Debatte Teilhabegesetz: Spielräume für das Glück | |
Schwerstbehinderte brauchen die Hilfe anderer, um eigenständig zu sein. | |
Diesem Paradox muss sich der Sozialstaat stellen. | |
Grüne übers Bundesteilhabegesetz: „Im Rollstuhl auf Hilfe angewiesen“ | |
Menschenrechte und gesellschaftliche Teilhabe dürfen nicht von | |
Kostenerwägungen beschnitten werden, sagt die grüne Bundestagsabgeordnete | |
Corinna Rüffer. | |
Nachtprotest am Reichstag: Barrierefrei dazugehören | |
Über Nacht haben sich AktivistInnen am Reichtagsufer angekettet. Sie | |
fordern Barrierefreiheit in Betrieben und mehr Geld für Assistenz. | |
Rollifahrer_innen gegen Teilhabegesetz: Demo-Übernachtung vor Bundestag | |
Viele behinderte Menschen halten das Bundesteilhabegesetz für ungerecht. | |
Seit Mittwochabend kampieren Aktivist_innen vor dem Bundestag. | |
Kritik am neuen Bundesteilhabegesetz: Arbeiten erlaubt, sparen nicht | |
Das Arbeitsministerium hat ein Gesetz vorgelegt, das Einkommen und Vermögen | |
Behinderter regelt. Es macht sie zum Sozialfall. | |
Großreformentwurf für Behinderte: Autonomie und Gleichberechtigung | |
Die Koalition will die Rechte Behinderter stark reformieren. Nun liegt ein | |
erster Entwurf auf dem Tisch. Ein Aktivist spricht von einem „trügerischen | |
Traum“. |