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# taz.de -- Politologin über soziale Ungleichheit: „Ich habe die Extreme ken…
> Ungleiche Verteilung von Vermögen kennt Martyna Linartas aus ihrer
> Familie. Ein Gespräch über Erben und Gerechtigkeit, Wahnsinn, Neid und
> die AfD.
Bild: „Ich spreche lieber von Rückverteilung, nicht von Umverteilung“, sag…
## taz: Frau Linartas, Sie haben die Wirtschaftselite in Deutschland und
Mexiko befragt und ein Buch über Ungleichheit geschrieben. Wissen Sie
jetzt, wie die Mächtigen ticken?
Martyna Linartas: Die Wirtschaftselite ist keine homogene Gruppe. Die
Mächtigen ticken unterschiedlich.
taz: Was eint sie?
Linartas: Niemand von ihnen [1][will die Vermögenssteuer].
taz: Das war zu erwarten. Gab es auch Ergebnisse, die Sie überrascht haben?
Linartas: Ja, 80 Prozent der Akteure, mit denen ich gesprochen habe,
glauben, dass die Ungleichheit von Einkommen und Vermögen zu groß ist und
den Zusammenhalt der Gesellschaft gefährdet. Manche glauben, dass es die
Demokratie aushöhlt, andere, dass es dem Leistungsprinzip widerspricht.
Gegen die Vermögenssteuer sind alle, [2][bei der Erbschaftssteuer] ist das
Bild aber anders. Ein Drittel der Befragten in Deutschland und Mexiko ist
für eine progressive höhere Erbschaftssteuer.
taz: Reiche scheuen oft die Öffentlichkeit. Warum haben die überhaupt mit
Ihnen geredet?
Linartas: Gute Frage. Ich hatte Glück. Und Privilegien. Ich habe 2018 als
Studentische Hilfskraft im Bundestag für Annalena Baerbock gearbeitet. Joe
Kaeser, damals CEO bei Siemens, hatte einen Termin bei den Grünen im
Bundestag. Auch ein DAX-Chef darf nicht alleine im Bundestag rumlaufen. Ich
habe ihn abgeholt und hatte eine Minute, um ihn auf dem Weg zum Büro zu
überzeugen.
Kaeser hatte in einem Interview die gesellschaftliche Spaltung kritisiert.
Ich habe gesagt, dass ich dazu promoviere und Stimmen aus der
Wirtschaftselite in die Wissenschaft tragen will. Er hat mir ein Interview
zugesagt. Das war der Türöffner. Als Mitarbeiterin im Bundestag und nach
dem Interview mit Kaeser, damals einer der wichtigsten Wirtschaftsbosse in
Deutschland, ging es leicht.
taz: Und warum haben die Mächtigen Mexikos mit Ihnen geredet?
Linartas: Das war für mich noch einfacher. Mein Onkel war stellvertretender
Finanzminister von Mexiko gewesen. Er hat mir Kontakte zur Wirtschaftselite
verschafft. Ich habe zu Beginn meiner Promotionszeit als Doktorandin viele
Anfragen geschrieben. Und keine einzige Antwort bekommen. Erst als mein
Onkel mir half, hat es geklappt. Dann gab es wie in Deutschland einen
Schneeballeffekt. Ich habe alle Interviewpartner immer um weitere zwei,
drei Kontakte gebeten. Hat wunderbar funktioniert, war aber nicht mein
Verdienst.
taz: Wie kommen Sie zu einem mächtigen Onkel in Mexiko?
Linartas: Meine Familie kommt aus Polen. Die Schwester meines Opas war in
einer polnischen Musikgruppe, die nach dem Zweiten Weltkrieg international
auftreten durfte. Meine Großtante hat den Enkel des ersten demokratisch
gewählten Präsidenten Mexikos geheiratet und ist vor mehr als 60 Jahren
nach Mexiko ausgewandert. Meine Familie ist ein Grund, warum mich
Ungleichheit interessiert.
taz: Inwiefern?
Linartas: Ich habe die Extreme kennengelernt. Meine Eltern sind 1992 von
Polen nach Deutschland ausgewandert. Meine Mutter war Physikerin, mein
Vater studierte Philosophie, sie mussten aber in Deutschland bei null
anfangen. Wir waren arm. Das erste Jahr haben wir im Obdachlosenheim
gelebt. Ich erinnere mich nicht an die Zeit im Obdachlosenheim, aber daran,
dass wir immer extrem gespart haben. Meine Großtante hat uns dann nach
Mexiko eingeladen.
Es war eine andere Welt. Ein riesiges Anwesen mit Salon, Kamin, meterhohen
Räumen, Kunst an den Wänden. Ich habe mich als Achtjährige gefühlt wie eine
Prinzessin in ihrem Schloss. Und ich habe die Armut auf den Straßen gesehen
und mich als Kind und Jugendliche gefragt: Warum sind die einen so reich,
die anderen so arm? Deshalb habe ich Politikwissenschaften studiert. Ich
wollte Ungleichheit verstehen.
taz: Wissen Sie jetzt, was Reichtum ist?
Linartas: Schwierig zu sagen. Armut [3][ist in Deutschland definiert]. Wer
weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens hat, ist arm.
taz: Das Medianeinkommen teilt die Einkommen in zwei gleich große Hälften
und liegt in der Mitte davon. Wer als Single weniger als 1.380 Euro netto
im Monat zur Verfügung hat, gilt als arm.
Linartas: Genau. Es gibt also eine eindeutige Definition von Armut, aber
keine von Reichtum. Deshalb ist es schwierig, Reichtum zu untersuchen,
geschweige denn zu problematisieren. Außerdem sind die Zahlen über Reichtum
in Deutschland Schätzungen. Seit die Vermögenssteuer 1997 ausgesetzt wurde,
fehlen Daten. Manche Wissenschaftler:innen wünschen sich eine
Vermögenssteuer von null Prozent, einfach damit wir endlich brauchbare
Daten haben. Wir wissen viel über Armut und wenig über Reichtum. [4][Die
Überreichen] sind im Dunkeln.
taz: Was heißt denn überreich?
Linartas: Das ist das Pendant zu superreich. Ich verwende dieses Wort
nicht, weil exzessiver Reichtum nicht super ist. Superreiche assoziiert man
mit Superhelden. Das Wort Überreiche erfasst besser die problematischen
Seiten der extremen Ungleichheit. Papst Pius XI. hat es schon 1931
verwendet.
taz: Und ab wann ist man überreich?
Linartas: Die Grenze zu Überreichtum ist nicht klar gezogen. Manche setzten
sie bei einem Vermögen von 30 Millionen an, andere bei 50 oder 100
Millionen Euro. Es gibt in Deutschland knapp 4.000 Personen, die über mehr
als 100 Millionen verfügen. Die reichsten Familien in Deutschland sind
Boehringer und von Baumbach, die Besitzer des Pharma-Konzerns Boehringer
Ingelheim. Ihre Namen sind weniger bekannt als die anderer Überreicher,
weil sie erfolgreich dagegen geklagt haben, in der [5][Reichenliste des
<i>Manager Magazins</i>] erwähnt zu werden.
taz: Warum müssen wir wissen, wie Deutschlands reichste Familie heißt?
Linartas: Nur wenn wir ihren Reichtum kennen, wissen wir, ob sie angemessen
Steuern zahlen. Steuern sind ein zentrales Instrument der Demokratie. Ohne
Steuern gibt es keine gute Infrastruktur, keine gute Bildung, kein
vernünftiges Gesundheitssystem. Das aber sind Voraussetzungen für eine
starke Wirtschaft. Die größten Nutznießer:innen des Systems sind nicht
Menschen in Armut, es sind die Reichsten unseres Landes.
taz: Die Steuerbelastung für Unternehmen ist in Deutschland höher als im
OECD-Durchschnitt. Unternehmen und Reiche zahlen doch Steuern.
Linartas: Tun sie, aber immer weniger. Überreiche haben nicht nur Geld auf
dem Bankkonto, ihr Vermögen bilden vor allem die Betriebe. Diese
Betriebsvermögen sind nur möglich durch einen starken Steuerstaat und viele
Menschen in den Betrieben. Gigantische Vermögen sind also nie das Ergebnis
einer Individualleistung, es sind gesamtgesellschaftliche Ergebnisse.
Die meisten Millionäre und Milliardäre gibt es im Globalen Norden in
Staaten, die hohe Steuern erheben – und in Infrastruktur, Bildung und
Gesundheitssysteme investieren. Das Problem ist: Eigentlich sollen bei
Steuern stärkere Schultern mehr stemmen. Das ist in Vergessenheit geraten.
taz: Unternehmen zahlen Körperschaftssteuer und Ertragssteuer. So viel,
dass Schwarz-Rot die Körperschaftssteuer jetzt senkt.
Linartas: Die Steuerquote für Überreiche wurde in den letzten 30 Jahren
mehr als halbiert, weil die Steuern auf Vermögen gesenkt wurden. Sprich,
die Steuern auf ihr sogenanntes passives Einkommen gingen runter. Das
Netzwerk Steuergerechtigkeit [6][hat gezeigt], dass Susanne Klatten, die
reichste Frau Deutschlands, früher eine Steuerquote von 60 Prozent hatte.
Jetzt sind es weniger als 30 Prozent. Sie zahlt gemessen an ihrem Einkommen
prozentual weniger als eine Mittelschichtsfamilie. Wir hatten mal ein
progressives Steuersystem. Dann kam der Neoliberalismus, der suggerierte,
man müsse Reiche und große Konzerne immer weniger besteuern.
taz: Viele Unternehmen klagen über zu hohe Steuern. Soll man das
ignorieren?
Linartas: Ja, das sollten wir. Senkt man die Steuern für Reiche und
Großkonzerne, wächst nicht die Wirtschaft, sondern die Ungleichheit. Die
Unternehmen investieren das Geld ja nicht automatisch, das sie nicht mehr
als Steuer abführen. Wie neuere Studien zeigen, sind vielmehr
Dividendenausschüttungen und die Sparquoten von großen Familienunternehmen
gestiegen.
Die Nachfrage schwächelt, die Spaltung zwischen Arm und Reich wächst. Wir
senken seit Jahrzehnten Steuern für Vermögende. Die Trickle-down-Idee, also
dass Steuersenkungen an der Spitze nicht nur den Reichen und Konzernen,
sondern der gesamten Bevölkerung nutzt, ist gescheitert. Wir aber machen
immer wieder das Gleiche und erwarten andere Ergebnisse. So hat Albert
Einstein Wahnsinn definiert.
taz: „Überreich“ betont das Negative. Sind Überreiche unmoralisch?
Linartas: Die Frage der Moral ist eine für Philosophen. Als
Politikwissenschaftlerin betone ich, dass zu viel Ungleichheit
demokratiegefährdend ist.
taz: In Deutschland gibt es eine extreme Ungleichheit bei Vermögen, aber
gleichzeitig eine im Vergleich zu anderen Ländern stabile Demokratie. Ist
es da nicht vorschnell zu behaupten, dass Vermögensungleichheit die
Demokratie ruiniert?
Linartas: Die Umfrageergebnisse der AfD sind leider real.
taz: Die Leute wählen AfD nicht wegen Vermögensungleichheit, sondern wegen
Migration.
Linartas: Ja und nein. Es gibt internationale Studien, die zeigen, dass
relative Abstiegsängste mit Furcht vor Migration zusammenhängen. Also: Mir
geht es schlecht, aber für Geflüchtete ist Geld da. Untersuchungen zeigen,
dass Sparpolitik, der Verlust von Vertrauen in etablierte Parteien,
Abstiegsängste und das Erstarken von rechtsextremistischen Parteien
zusammenhängen. Vermögensungleichheit ist natürlich nicht der einzige Grund
für den Erfolg der AfD, [7][aber es ist ein wichtiger Faktor]. Außerdem
beeinflussen Reiche maßgeblich politische Entscheidungen. Das ist auch
gefährlich für die Demokratie.
taz: In den USA sind mehr als die Hälfte der Abgeordneten im Kongress
Millionäre. Geld ist im Wahlkampf wichtig. Bei uns ist das nicht so extrem.
Kann man in Deutschland wirklich von einer Herrschaft des Geldes sprechen?
Linartas: Wir sind eine Erbengesellschaft. Reichtum wird nicht in erster
Linie erarbeitet, sondern in steigendem Maße vererbt. In einer Demokratie
sollte es auf den Beitrag zur Gesellschaft ankommen – [8][in der
Erbengesellschaft gilt die Spermalotterie]. Entscheidend ist nicht, was die
Einzelnen leisten, sondern in welcher Familie sie groß werden. Genauer,
welchen Vater man hat. Denn meist kommen große Erbschaften und Schenkungen
von dieser Seite. Das ist ein feudales, monarchisches Prinzip. Es höhlt die
Demokratie aus. Unsere Gesellschaft ähnelt wieder dem Kaiserreich.
taz: Sie vergleichen ernsthaft die Bundesrepublik mit dem Kaiserreich?
Linartas: Ja, denn in dieser Hinsicht sind wir genau da, wo wir vor über
100 Jahren schon mal waren. Die Erbschaftssteuer ist ein entscheidendes
Mittel, um die Demokratie zu ermöglichen. Es war kein Zufall, dass der
Reichsfinanzminister 1919 als Allererstes die Erbschaftssteuer erhöhte. Es
sollte in der Demokratie nicht mehr entscheidend sein, in welche Familie
man geboren wird. Jetzt sind wir wieder in einer Situation, in der die
Lobby des großen Geldes immer mächtiger wird.
Die Finanzlobby beeinflusst effektiv Steuerpolitik. Die Stiftung
Familienunternehmen, die eigentlich Stiftung der deutschen Dynastien heißen
müsste, [9][hat erfolgreich die letzten Steuerreformen mitgestaltet]. Die
Privilegierung von Unternehmenserben geht auf ihren Einfluss zurück. Oder
wie es der Leiter der Steuerabteilung der Stiftung nannte: Es war eine
„Sternstunde der Politikberatung“.
taz: Die Reichen werden immer mächtiger? Öffnen solche Sätze nicht die Tür
zu Verschwörungsideologien, in denen Eliten im Geheimen alles manipulieren?
Linartas: Nicht, wenn man präzise mit Fakten argumentiert. Nötig ist dafür
wissenschaftliche Elitenforschung. Die ist in vielen Ländern, etwa Mexiko
und den USA, etabliert, in Deutschland nicht. [10][Der Soziologe Michael
Hartmann] hatte den einzigen Lehrstuhl zu der Thematik, an der Uni
Darmstadt. Seit er emeritiert ist, gibt es hierzulande keinen Lehrstuhl
mehr zur Elitenforschung.
taz: Glauben Sie, dass Reiche in Deutschland Gesetze kaufen?
Linartas: Die Familie von Baumbach aus Ingelheim schreibt natürlich keine
Gesetze. Es läuft anders. Viele Politiker berücksichtigen die Interessen
der Reichen, die via Lobbygruppen über gute Drähte in die Politik verfügen.
taz: Manche halten die Debatte über Reichtum für neidgetrieben. Jene, die
nichts haben, beneiden die, die viel haben und fordern mehr Umverteilung.
Linartas: Das ist ein rhetorischer Kniff, um Menschen, die
Steuergerechtigkeit fordern, in eine charakterlich verwerfliche Ecke zu
stellen. Ich selbst bin auch privilegiert. Ich werde erben und habe auch
ein gutes Einkommen. Ich beneide Überreiche nicht. Wenn man auf der Ebene
von Moral reden will – okay, dann lasst uns gerne über Gier sprechen.
taz: Sie haben für Ihr Buch 38 Akteure der Wirtschaftselite interviewt. Wie
leben die – mit Helikopterlandeplatz und Gerhard Richter an der Wand oder
unauffällig?
Linartas: Die Gespräche in Mexiko fanden in beeindruckenden Büros, auf
Golfplätzen, in feinen Restaurants oder in prunkvollen Villen statt. Da
hängt dann auch mal ein Rafael Coronel. Coronel ist der mexikanische
Gerhard Richter. Eine Welt der Superlative. Für Deutschland kann ich es
nicht sagen, die allermeisten Interviews führte ich während Corona online.
taz: In Deutschland werden pro Jahr bis zu 400 Milliarden Euro vererbt. Das
Steueraufkommen aus der Erbschaftssteuer beträgt aber nur rund 10
Milliarden. Warum ist es in der Bundesrepublik so schwer, Erbschaften höher
zu besteuern?
Linartas: Die Erbschaftssteuer hat ein schlechtes Image, etwa weil sich der
Staat beim Tod von Verwandten in Angelegenheiten der Familie einmische. Die
Erbschaftssteuer ist deshalb für viele negativ konnotiert. Der Familiensinn
ist in Deutschland sehr ausgeprägt.
taz: Mit welcher Erzählung könnte man die Erbschaftssteuer populär machen?
Linartas: Mit dem Blick aufs Ganze. Menschen, die für ihr Einkommen
arbeiten müssen, zahlen in Deutschland hohe Steuern. Jemand, der erbt und
damit ohne eigene Arbeit zu Vermögen kommt, zahlt hingegen niedrige bis
keine Steuern. Es ist leicht zu verstehen, dass das nicht gerecht ist.
taz: Wenn die Steuern für Reiche steigen, so das Gegenargument, dann
wandern die Reichen aus und nehmen Unternehmen und Jobs mit. Ist da was
dran?
Linartas: Man kann niemand zwingen, in Deutschland zu bleiben. Aber diese
Gefahr wird übertrieben, damit sich nichts ändert. Auch Milliardäre sind
Menschen. Sie haben hier ihre Familie, ihre Netzwerke. Sie profitieren vom
Rechtsstaat und der Infrastruktur. Ich glaube nicht, dass sie wegen ein
paar Prozent mehr Steuern alles ins Ausland verlagern. Und es existiert
seit 1972 in Deutschland eine starke Wegzugsteuer. Wenn Susanne Klatten,
die reichste Frau Deutschlands, von jetzt auf gleich Deutschland verlassen
möchte, müsste sie auf einen Schlag mehr als 6,5 Milliarden Euro auf den
Tisch legen. Die Wirtschaftsministerin …
taz: … Katherina Reiche …
Linartas: … ein witziger Name in diesem Zusammenhang, hat der Stiftung
Familienunternehmen deshalb empfohlen, gegen die Wegzugsteuer zu
lobbyieren. Die Ministerin gibt Lobbyisten Tipps, wie sie ihre Arbeit
machen sollten.
taz: Die ärmere Hälfte der Gesellschaft erbt gar nichts, die oberen 10
Prozent erben den Löwenanteil. Der damalige Ostbeauftragte Carsten
Schneider (SPD) hat mal vorgeschlagen, dass alle jungen Erwachsenen 20.000
Euro bekommen sollen, finanziert aus der Erbschaftssteuer. Was halten Sie
von der Idee eines Grunderbes?
Linartas: Die Idee ist viel älter. Sie stammt aus der französischen
Revolution. Der Gedanke ist richtig. Ungleichheit würde ein Grunderbe
merklich verringern, wenn es mindestens 20.000 Euro betragen würde. Manche
Ökonom:innen sprechen sogar von 190.000 Euro.
taz: Welches Instrument ist besser für Umverteilung geeignet – die
Erbschaftssteuer oder die Vermögenssteuer?
Linartas: Ich spreche lieber von Rückverteilung, nicht von Umverteilung. Es
gibt da kein Entweder-oder. Steuergerechtigkeit bedeutet, die
Erbschaftssteuer zu reformieren, die Vermögenssteuer wieder einzusetzen und
die Mehrwertsteuer, die Ärmere überproportional belastet, zu senken. Gerade
im progressiven Lager muss all das zusammengedacht werden.
taz: Hoffen Sie da auf die SPD?
Linartas: Auf die SPD, die Steuern für Unternehmen senkt und von
[11][mafiösen Strukturen im Bürgergeld spricht], aber sich kaum darum
kümmert, [12][hinterzogenes Geld aus Cum-Ex-Geschäften] zurückzuholen?
Aktuell: nein. Und auch nicht auf Friedrich Merz, der mit einem geschätzten
Vermögen von 12 Millionen Euro behauptet, zur oberen Mittelschicht zu
gehören.
taz: Und welche Akteure können dann Druck entfalten?
Linartas: Vor zehn Jahren hat kaum jemand über Ungleichheit gesprochen.
Mittlerweile gibt es viele renommierte Wissenschaftler:innen, die zu
Ungleichheit forschen und auch politische Debatten anregen. Der Druck kommt
von der internationalen Ebene und in Deutschland vor allem aus der
Zivilgesellschaft.
taz: Brauchen wir eine Revolution?
Linartas: Ob Reform oder Revolution – darüber stritten sich schon vor über
einhundert Jahren Rosa Luxemburg und Eduard Bernstein. Auf jeden Fall muss
der Wahnsinn aufhören. Wir brauchen etwas Neues.
6 Dec 2025
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