# taz.de -- Politische Kunst aus den USA: Once Upon a Time in America | |
> Die Geschichte ist umkämpft, Kunst und Künstler*innen mischen mit. Das | |
> zeigt die Ausstellung „Lost in America“ im Neuen Berliner Kunstverein. | |
Bild: Die Silhouette von Robert Venturi in der Wüste. Ein Werk von 1966 | |
Hier geht es um etwas. Das wird gleich beim Betreten der Ausstellung klar. | |
Ein großer Mann mit wallendem Bart, in einer Hand ein Gewehr, in der | |
anderen ein Buch, scheint förmlich aus dem großen Wandbild | |
herauszuspringen. Hinter ihm toben Kämpfe. Die [1][Schlachtszenen verweisen | |
auf den US-Bürgerkrieg.] Der Mann im Vordergrund ist John Brown, ein | |
Antisklavereiaktivist. Er griff zu den Waffen, um die Sklaverei | |
abzuschaffen. Der Konflikt zerriss das Land, führte zum Krieg zwischen | |
Nord- und Südstaaten. | |
Den Sieg der industrialisierten Nordstaaten kann man zwar auch als Episode | |
des Siegeszugs des Kapitalismus werten. Die Nordstaaten waren dank ihrer | |
besseren Logistik, zu der auch schon genormte Kleidergrößen für die | |
Uniformen gehörten, sowie der höheren industriellen Produktivität | |
erfolgreich. Viele Soldaten motivierte aber auch der Wille, die Sklaverei | |
zu beenden. | |
Der Schriftzug „Black Lives Matter“ könnte also durchaus unter dieser | |
Reproduktion eines Wandgemäldes des Schlachten- und Landschaftsmalers John | |
Steuart Curry stehen. People of Color sind in Currys Historienbild selbst | |
allerdings nur Staffage, auf Kniehöhe der Südstaatensoldaten. | |
Das Bild ist dennoch keine schlechte Wahl. Denn es zeigt eine geteilte | |
Gesellschaft, Formationen, die sich feindlich gegenüberstehen, damals | |
schon, in den 1860er Jahren, wie auch jetzt im Wahljahr zum Ende der ersten | |
Amtsperiode Donald Trumps. | |
## Tücken der Repräsentation | |
Das Wandbild mit dem weißen Antisklavereiaktivisten Brown ist auch ein | |
schönes Beispiel für die Tücken von Repräsentationskunst. Es ziert die | |
Rotunde im Capitol von Topeka, der Hauptstadt des Bundesstaates Kansas. | |
Dort angebracht wurde es allerdings erst nach dem Tod des Malers. Einige | |
Zeitgenossen hatten sich daran gestört, dass Curry Brown sich zu sehr als | |
Fanatiker inszeniert hatte – tatsächlich könnte man ihn vom Habitus her | |
locker in eine Reihe mit heutigen salafistischen Eiferern stellen. Andere | |
fanden, dass die Wetterunbilden im Hintergrund das schöne Kansas in zu | |
negativem Licht zeigten. | |
Geschichte ist umkämpft, das wird wieder einmal klar, und Kunst und | |
Künstler mischen in dem Kampf munter mit. | |
Ein feiner Anschlag auf die Repräsentationskunst befindet sich wenige | |
Schritte weiter. 1979 positionierte der Konzeptkünstler Michael Asher eine | |
[2][Statue von Staatsgründer George Washington], die am Eingang des | |
Kunstinstituts von Chicago stand, kurzerhand in einem Raum mit Kunstwerken | |
des 18. Jahrhunderts. Die Statue, deren Original 1788 in Marmor gehauen | |
worden war, wurde damit in den ästhetischen Kontext ihrer Zeit gebracht. | |
Sie wirkte in der neuen Umgebung viel weniger staatstragend. Der Akt des | |
Umzugs ist an einer Säule im Ausstellungsraum des NBK in Bild und Text | |
dokumentiert. | |
Auch jüngere Konzeptkünstler sind in der Ausstellung präsent. Cameron | |
Rowland, 1988 geboren, ließ zwei Suchscheinwerfer von Polizeiautos als | |
Sinnbilder für Polizeigewalt in den white cube bringen. Im Begleittext | |
zitiert er aus zwei alten und einem noch aktuellen Gesetzestext. Die alten | |
Texte erklärten Personen, die Sklaven töteten, für straffrei. Der noch | |
gültige Text aus South Carolina gibt jedem Bürger das Recht, verdächtige | |
Menschen nicht nur zu arrestieren, sondern sogar zu töten. Auf Hautfarbe | |
oder sozialen Hintergrund wird zwar kein expliziter Bezug genommen. Der | |
alte Geist, dass ein Mord nicht immer ein Mord ist, weht aber durch diesen | |
Paragrafen. | |
## Rechtfertigung Todesurteil Ethel Rosenberg | |
Die Ausstellung vereint einige Ikonen der Konzept- und Performancekunst wie | |
Dan Graham, Adrian Piper oder Martha Rosler mit hierzulande weniger | |
bekannten Künstler*innen. Graham ist mit einer Studie präsent, die auf den | |
Zusammenhang von Wohngegend, Wohlstand und Macht verweist. Von Piper ist | |
ein Video aus ihrer Serie „Mythic Being“ zu sehen; sie agierte darin unter | |
anderem mit Proll- und Macho-Attributen. Rosler arbeitete den Fall der | |
Rosenbergs aus Genderperspektive auf. Ethel und Julius Rosenberg wurden | |
1953 als sogenannte Atomspione hingerichtet. Rosler zitiert in ihrer Arbeit | |
Präsident Eisenhower, der in einem Brief an seinen Sohn John das | |
Todesurteil vor allem damit rechtfertigte, dass die Ehefrau der stärkere | |
Part der Rosenbergs gewesen sei und dass, würde man sie nicht hinrichten, | |
der sowjetische Geheimdienst Anreize hätte, mehr Frauen zu rekrutieren. | |
Kurator John Miller hat in seine Auswahl auch den in Sachen | |
Identitätskonstruktion hochinteressanten Jimmie Durham aufgenommen. In | |
Zeiten von Bürgerrechtsbewegung und politisch erstarktem Bewusstsein der | |
indigenen Bevölkerung der USA bekannte sich Durham demonstrativ zu seiner | |
Abstammung als Cherokee. Seine Arbeiten thematisieren oft auch die zweite | |
große Ursünde der US-amerikanischen Gesellschaft: die Ausrottung und | |
Erniedrigung der Ureinwohner. | |
Von offiziellen Vertretern der Cherokee wird Durham aber nicht als einer | |
der Ihren anerkannt. Sie bezeichneten Durham sogar als „Trickster“, der | |
sich fälschlicherweise eine indigene Identität zuschreibe. Ihre | |
Argumentation: Zugehörigkeit könne man nicht selbst beanspruchen, sondern | |
sie werde erst durch die hergestellt, die einen als zugehörig akzeptieren. | |
In Zeiten flottierender Egos eine interessante Position. Eine konservative | |
auch, aber eben auch der Versuch, eine Resonanz herzustellen zwischen | |
Individuen und Gruppen. | |
Schade eigentlich, dass das Schreiben der indigenen Vertreter aus dem Jahre | |
2017 nicht in der Ausstellung präsent ist, denn es wirft einen noch mal | |
anderen Blick auf Verlorensein in Amerika. Insgesamt eine unaufgeregte, | |
komplexe und tief gehende Ausstellung. | |
21 Sep 2020 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
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