| # taz.de -- Ausstellung im Kunstverein München: Unerfüllte Liebe | |
| > Die Schau „Not Working. Künstlerische Produktion und soziale Klasse“ im | |
| > Kunstverein München ergründet gesellschaftliche Rollen von | |
| > Kunstschaffenden. | |
| Bild: Installationsansicht: Lise Soskolne und Gili Tal in Not Working, Kunstver… | |
| Simultan auf zwei Ebenen – mit der Präsentation künstlerischer Positionen | |
| und einem Dossier mit Essays verhandelt der Kunstverein München | |
| „Künstlerische Produktion und soziale Klasse“, ihr Missverhältnis, | |
| Verschränkungen, aber auch Ungenauigkeiten und Verwerfungen. Und betrachtet | |
| die Versuche bürgerlicher Vereinnahmung des auf ewig zur kritischen Distanz | |
| verpflichteten Kunstschaffens. „Not working“ heißt die Ausstellung. Das | |
| lässt sich mit „funktioniert nicht“ übersetzen, könnte auch „trügeris… | |
| bedeuten oder „irreführend“. Es erinnert jedenfalls fatal an die | |
| Zustandsbeschreibung einer unerfüllten Liebe. | |
| Was warum nicht klappt, wird bezeichnenderweise im Hofgarten an der | |
| Residenz untersucht – dort sind die Räume des Kunstvereins –, einem Areal | |
| der Stadt München, dessen historische Kulisse geprägt ist von einstiger | |
| Pracht und der Macht des Klerus. Was heute gern als touristisches Panorama | |
| mit ästhetischem Gewinn für den hedonistisch ausgerichteten Städter abgetan | |
| wird, tut freilich weiterhin seine Wirkung und blendet aus, was nicht in | |
| die Kategorie von Luxus und Moden passt. Ein schwieriges Terrain also für | |
| Fragen zu den Rahmenbedingungen der Kunstproduktion, zum Standesbewusstsein | |
| von KünstlerInnen und RezipientInnen. | |
| ## Wandeln mit verzotteltem Bart | |
| Maurin Dietrich, Leiterin des Kunstvereins, erinnert an die historische | |
| Figur des sogenannten Schmuckeremiten, die die Gärten und Parks des | |
| englischen Adels im 18. und 19. Jahrhundert zieren sollte. „Mit | |
| verzotteltem Bart und zerrissenen Kleidern“ wandelten sie im gepflegten | |
| Gelände und „verkörperten das Phantasma der Zivilisationsabkehr“. Noch | |
| heute wird KünstlerInnen die Qualität von Hofnarren attestiert, die sich um | |
| nichts scheren müssen, deren oft ökonomisch prekäre Außenseiterrolle | |
| freilich Ausdruck einer gnadenlos kapitalistisch orientierten | |
| Systemrelevanz ist. | |
| In ihrem Aufsatz für das Dossier beschreibt Lise Soskolne temperamentvoll | |
| die Arbeitsbedingungen von KünstlerInnen auf Basis der an den | |
| Kunsthochschulen vermittelten und schließlich internalisierten Mechanismen | |
| des Kunstsystems und beklagt den Verlust einer moralischen Autorität. | |
| Soskolne ist Künstlerin, Aktivistin und Mitbegründerin von Working Artists | |
| and the Greater Economy (W.A.G.E.), einer New Yorker Organisation, die sich | |
| um Transparenz und Regulierung in der Entlohnung von Kunstschaffenden | |
| bemüht. | |
| 1994 hat der Münchener Künstler Josef Kramhöller eine Geschichte der | |
| Kunstausbildung in Großbritannien versucht; die im Dossier abgebildeten | |
| Auszüge zu seiner Materialsammlung „The Lord drinks with the Cook in the | |
| Kitchen“ geben erschütternde Auskunft über die unverrückbar romantischen | |
| (und destruktiven) Erwartungen an die Kunst und ihre Protagonisten. | |
| Zudem hat ihn das ideologische Milieu von Genuss, Stil und Luxus | |
| beschäftigt. Niederschlag findet das in seiner Fotoserie von traumgleich | |
| verschwommenen Luxusobjekten in exquisiten Münchner Schaufenstern. Scharf | |
| gestellt ist lediglich sein Fingerabdruck, den er auf den Scheiben | |
| hinterlässt; er suggeriert Verlangen und Missfallen, Ausgrenzung und | |
| Zugehörigkeit gleichermaßen. | |
| ## Bedingungen von Zugehörigkeit | |
| Angharad Williams hinterfragt die Bedingungen der gesellschaftlichen | |
| Zugehörigkeit in ihrer Performance „Best Suit“, für die sie sich in Schale | |
| geworfen hat und nachts in den gepflegten städtischen Rabatten Blumen | |
| klaut. Wird sie nur deshalb nicht aufgehalten, weil sie in den richtigen | |
| Klamotten, Maßanzug und teuren Schuhen, steckt? Sieht so aus – und fügt | |
| sich ins nicht nur in München verbreitete hedonistische Vorurteil. Das | |
| Ornat mit exkulpierender Wirkung ist als Herzstück der Aktion ausgestellt. | |
| Stephen Willats beschäftigt sich mit der Wirkmacht von Herkunft und | |
| Ausbildung, der entsprechenden Sozialisierung und der somit schwer bis gar | |
| nicht herstellbaren Chancengleichheit. Für „Brentford Towers“ fotografierte | |
| er 1985 BewohnerInnen der Brentford Towers, einer Gruppe von Wohnsilos in | |
| Westlondon, dazu einen von ihnen ausgewählten, sehr persönlichen Gegenstand | |
| in ihrer Wohnung und den zu ihrem Lebensraum gehörenden Fensterblick. | |
| Zu einzelnen Schautafeln zusammengefügt und mit Anmerkungen der MieterInnen | |
| versehen, entsteht ein berührender, auch verstörender Bilderbogen der | |
| Comédie Humaine. Lieblingsstücke und Ausblick mögen sich im Lauf der Jahre | |
| verändert haben. Die Hierarchie sozialer Klassenzugehörigkeit ist auch | |
| jenseits von Großbritannien unerschütterlich. | |
| Der Bogen ist weit gespannt in dieser Ausstellung. Und führt obendrein | |
| zurück in die Anfänge des bald zweihundertjährigen Kunstvereins. Damals war | |
| „… Der Lebensraum des Einzelnen meist schon von Geburt an weitgehend | |
| definiert; der persönliche und berufliche Werdegang, die Zugehörigkeit zu | |
| Religionsgemeinschaften und Zünften (…) war Teil der nicht in Frage zu | |
| stellenden existenziellen Rahmenbedingungen“, schreibt Adrian Djukic, | |
| Archivar des Kunstvereins, in seinem Abriss. Das änderte sich allmählich. | |
| Es entstanden „neue Tätigkeiten in den Wissenschaften, bei Zeitungen, im | |
| Schulwesen und in Handelsunternehmen. Auch das Leben neben der Arbeit trug | |
| Züge neuer Freiheiten …“ Man pflegte das der Aufklärung verpflichtete | |
| Bildungsideal. Ein Fortschritt, den der Hof mit obrigkeitlicher Milde und | |
| scharfem Blick begleitete. In dem neuen, allen Besuchern zugänglichen | |
| Archivraum ist nun, quasi als anregende Coda zur Ausstellung, Material zu | |
| sehen, das die künstlerische Begleitung des Hauses zum Thema | |
| Klassenbewusstsein über die letzten Jahrzehnte belegt. Arg viel hat sich | |
| nicht getan. Schaut alles nur anders aus. Zeitgemäßer. | |
| 30 Sep 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Annegret Erhard | |
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