| # taz.de -- Bayerisches Nationalmuseum: Starker Tobak für den Altar | |
| > In der Ausstellung „Kunst und Kapitalverbrechen“ im Bayerischen | |
| > Nationalmuseum sind die Bilder Veit Stoß' für den Münnerstädter Altar zu | |
| > sehen. | |
| Bild: Ausschnitt aus „Gailana und die Mörder werden bestraft“ von Veit Sto… | |
| Ein über und über behaarter, fast zwei Meter hoher Frauenkörper, das lange | |
| gewellte Haupthaar gleitet über die Scham, dazu vier farbstarke Gemälde, | |
| die spektakulär verdichtet und gar nicht fromm die Geschichte von dem | |
| Martyrium des Heiligen Kilian erzählen. Das ist schon starker Tobak für die | |
| Ausgestaltung eines Altars. | |
| Lieblich ist hier gar nichts und die Gemeindemitglieder, die sich zum | |
| Gottesdienst in die der Heiligen Magdalena gewidmeten Kirche in Münnerstadt | |
| einfanden, hatten einst mancherlei nicht nur fromme Möglichkeiten, sich | |
| kontemplativ in die Mystifizierung von göttlicher oder klerikaler Weisheit, | |
| Mahnung und Sinnhaftigkeit zu versenken. | |
| Das spätgotische Retabel wurde um 1650 dem Zeitgeschmack folgend abgebaut | |
| und in Einzelteilen verstreut verkauft. Die elegante Heiligenfigur der | |
| Sünderin, die der Legende nach Jesus die Füße wusch, mit ihrem Haar | |
| trocknete, später in der Wüste Buße tat für ihren lasterhaften | |
| Lebenswandel, die flankierenden, teils gefiederten Engel, die | |
| Assistenzfiguren des Heiligen Kilian und der Heiligen Elisabeth werden nun | |
| im Bayerischen Nationalmuseum mit Leihgaben aus Würzburg, Nürnberg und | |
| Berlin erstmals wieder zusammengeführt. | |
| ## Äußerst moderner Gestaltungswillen | |
| Der erste Großauftrag des Würzburger Meisters Tilman Riemenschneider (um | |
| 1460–1531) belegt sein herausragendes Können, seinen äußerst modernen | |
| Gestaltungswillen und seine virtuose Arbeitsweise. Die großen, gelängten | |
| Figuren sind weitgehend aus einem Lindenstück geschnitzt und, was um | |
| 1490/92 nicht üblich war, auf sogenannte Holzsichtigkeit angelegt. | |
| Vielleicht war aber auch kein Geld für den Fassmaler da, der die Skulpturen | |
| farbig gestaltet hätte. Riemenschneider machte buchstäblich das Beste | |
| daraus. | |
| Gut zehn Jahre später wurden die Skulpturen dann doch bemalt. Die Flügel | |
| des Altars sollten nun von dem Nürnberger Bildschnitzer Veit Stoß (um | |
| 1447–1533) mit der Legende zum Martyrium des Frankenpatrons Kilian | |
| dekoriert werden. Stoß war mit seinen Krakauer Skulpturen, Grabmalen und | |
| Retabeln weithin bekannt geworden, inzwischen jedoch in Ungnade gefallen | |
| und geächtet. | |
| Der streitbare und spekulativen Geldgeschäften stets zugeneigte Stoß hatte | |
| sich über den Tisch ziehen lassen. Er rief die Gerichte an, doch die | |
| verlangten zum Beweis einen Schuldschein für das den Betrügern geliehene | |
| Geld. Den gab es nicht. Veit Stoß legte ein gefälschtes Dokument vor. Er | |
| flog auf – und sah dem Tod ins Auge. | |
| ## Urkundenfälschung war ein Kapitalverbrechen | |
| Denn Urkundenfälschung war in Zeiten, in denen sowieso nicht lang gefackelt | |
| wurde, ein Kapitalverbrechen (caput = der Kopf) mit Todesfolge. Nicht | |
| zuletzt aufgrund seines hohen Ansehens als Bildschnitzer, vor allem aber | |
| auch als Zeugnis unanfechtbarer Machtausübung, ließ man Gnade vor Recht | |
| ergehen und seine Wangen mit glühenden Eisen durchbohren. | |
| Stoß war’s dennoch nicht geheuer in Nürnberg. Auf der Flucht vor der | |
| Nürnberger Gerichtsbarkeit hatte er Unterschlupf bei seinem Schwiegersohn | |
| in Münnerstadt gefunden. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort, der Not | |
| gehorchend und absolut nicht von Selbstzweifeln geplagt, schuf er hier sein | |
| einziges malerisches Werk. | |
| Seine vierteilige Kilians-Historie hat er nicht als brave Schilderung | |
| angelegt. Kompositorisch wie in einer blutrünstigen Graphic Novel unserer | |
| Tage lässt er das Personal, dramatisch inszeniert, dichtgedrängt in | |
| dynamischer Bewegung und stark an den vorderen Bildrand gerückt, in | |
| perspektivisch gewagten, vielleicht auch aus Unvermögen vage arrangierten | |
| Räumen agieren. | |
| ## Reicher Fundus an Foltergerätschaften | |
| Prachtvolle Gewänder, expressive Gestik und Mimik belegen Lug und Trug, | |
| Mord und Totschlag im fränkischen Fürstenhaus. Bischof Kilian, | |
| unerschrockener Mahner gottesfürchtiger Sittlichkeit, wird, angestiftet von | |
| der sündigen Herzogin, umgebracht – und hundert Jahre später | |
| heiliggesprochen. | |
| Das Bayerische Nationalmuseum hat die Ausstellung aus seinem reichhaltigen | |
| Fundus mit anschaulichem Foltergerät, mit Richtschwert, Schmuck, Textilien | |
| und Skulpturen ergänzt; am schönsten der bronzene „Astbrecher“ des | |
| Nürnberger Künstlerkollegen Adam Kraft von 1490. | |
| Es ist, wohl heutigen Aufmerksamkeitsstrategien entsprechend, schon ein | |
| bisschen weit hergeholt, das zu keiner Zeit gemeinsame Schaffen der beiden | |
| Ausnahmekünstler am Münnerstädter Altar an Stoß’ Verfehlung festzumachen. | |
| Die einigermaßen überschwängliche, auch grobe – aber sehr eindrucksvolle �… | |
| Bildhauermalerei hat ohnehin nicht viel mit dem feinsinnigen Naturell der | |
| charakteristisch introvertierten, inzwischen wieder holzsichtigen Figuren | |
| Riemenschneiders gemein. | |
| Veit Stoß erledigte seinen Auftrag mit großer Lust am drastischen Ausdruck | |
| und ohne sich weiter um harmonische Korrespondenz mit dem Werk des Kollegen | |
| zu bemühen. Er war, wie zeitgenössische Quellen belegen, ein ruppiger Kerl, | |
| geldgierig, ein notorisch Betroffener vor Gericht – und ein genialer | |
| Künstler. Das eine schließt das andere weder aus noch ein. Jede heute gern | |
| geführte diesbezügliche Debatte ist schlicht müßig. | |
| 15 Apr 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Annegret Erhard | |
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