# taz.de -- Ausstellung in der Eres-Stiftung: Und dann sind wir Bambi | |
> Die Gruppenausstellung „And the forests will echo with laughter“ in der | |
> Münchner Eres-Stiftung widmet sich dem Wald als sozialem Raum. | |
Bild: Martin Kippenbergers Beitrag „Jetzt geh ich in den Birkenwald, denn mei… | |
Die Eres-Stiftung vermittelt naturwissenschaftliche Fragestellungen durch | |
die Mittel von Kunst und Kultur. Diese Selbstbeschreibung klingt ein wenig | |
dürr. Und dehnbar. Doch da gibt es noch ein Nietzsche-Zitat, das sich die | |
Stiftung zu eigen gemacht hat: „Das Leben ist wert gelebt zu werden, sagt | |
die Kunst, die schöne Verführerin; das Leben ist wert erkannt zu werden, | |
sagt die Wissenschaft.“ Und schon nähert man sich ihrem Anliegen, sich als | |
aktuelle, oft auch akute Schnittstelle zu präsentieren. | |
Mit wechselnden Langzeitausstellungen in den Münchner Räumen, einem | |
jeweiligen, ausgesprochen solide besetzten Vortragsprogramm und inzwischen | |
auch einem Podcast werden bevorzugt umweltrelevante Themen sinnlich und | |
diskursiv dargelegt. | |
Derzeit geht es – zunächst eher irritierend – um den „Wald ohne Bäume�… | |
Noch sind wir nicht so weit, aber [1][seine Bedeutung als sehr realer und | |
unverzichtbarer Lebensraum] wie als traumverlorener und mystisch überhöhter | |
Sehnsuchtsort wird, entgegen allen anderslautenden Beteuerungen, gelinde | |
gesagt, unterschätzt. „And the Forests will echo with laughter“, so der | |
Titel der Ausstellung, klingt daher wie eine Drohung, kann aber auch als | |
souveräner Hinweis gedeutet werden, dass er, der Wald, prima ohne Menschen | |
mit ihren kurzsichtigen, profitorientierten, manchmal auch wohlmeinenden, | |
jedoch verheerenden Ideen und Aktivitäten auskommen wird. | |
Der Titel ist eine Zeile aus Led Zeppelins „Stairway to Heaven“, der, wie | |
Robert Plant, der Sänger und Poet der Band, einmal sagte, ein „song of | |
hope“ sei, sich aber ebenso auf eine Frau beziehe, die glaubte, sich einen | |
Zugang zum Himmel, zu ihrer Scheinwelt des Glücks einfach kaufen zu können, | |
die alles haben wollte und keinerlei Bereitschaft zeigte, etwas | |
zurückzugeben. Der Verweis auf unseren immer noch zivilisatorisch | |
abgesegneten, maßlos fordernden Umgang mit der Natur liegt auf der Hand. | |
Vehikel tradierter Befindlichkeiten | |
Die künstlerischen Positionen der komprimierten Präsentation fokussieren | |
auf den Wald als Projektion: als sozialen Raum mit scheinbar | |
undurchdringlichem, weil ausgeklügeltem Ökosystem, aber auch als | |
Stimmungsgenerator und Vehikel tradierter Befindlichkeiten. | |
Im kleinen Vorgärtchen empfängt den Besucher hinter dichten Hecken zartes | |
Vogelgezwitscher, verwoben mit einer Klangkomposition, die auf einer | |
mathematisch exakten Langzeitbeobachtung des Flug-, Fress- und sonstigen | |
Verhaltens der Vögel in einem nordischen Garten beruht (Marcellvus L & | |
Munan Øvrelid, Norwegen/Island). Die Tür zum Ausstellungs-Souterrain öffnet | |
sich quietschend – ins Innere einer winzigen Holzhütte, in der es rauchig | |
und penetrant nach Harz riecht. Der Österreicher Hans Schabus hat uns in | |
eine Falle gelockt. | |
Die unmittelbare, kindlich internalisierte Beklemmung weicht mit dem Blick | |
durch eines der beiden Glasfenster auf zwei Videoscreens. Er schweift über | |
irgendwie unheimliche Waldstücke. Es sind die Ausblicke aus den Klausen | |
zweier Einsiedler. Der US-Amerikaner James Benning hat die Blockhütte des | |
hochromantisierten Schriftstellers und Kurzzeitaussteigers [2][Henry David | |
Thoreau („Walden; or, Life in the Woods“)] nachgebaut, und die des | |
Unabombers Ted Kaczynski, eines ehemaligen Mathematikprofessors, der | |
beschlossen hatte, mit Bombenattentaten etwas gegen die seiner Meinung nach | |
unerträgliche und gefährlich ausufernde Technisierung und | |
Industrialisierung zu unternehmen. Viele Menschen wurden verletzt, drei | |
getötet. Der gewissenlose Weltverbesserer blieb lange Zeit in seinem | |
Unterschlupf nahe Lincoln, Montana unentdeckt. Denn der Wald bietet Schutz, | |
Gut oder Böse ist hier keine Kategorie (… echoes with laughter). | |
Anarchie des Banalen | |
Durch ein zweites Fenster im beklemmenden Hüttchen sieht man die wunderbare | |
Videoarbeit „Der rechte Weg“ von dem Schweizer Künstlerduo Fischli/Weiss. | |
1983, als das Waldsterben großes Thema war, verkleideten sich die beiden | |
als Bär respektive Ratte und strolchten quatschend, staunend, philosophisch | |
angehaucht im Wald umher, genossen die Natur und sonstige Weltwunder | |
jenseits toxischer, vor allem aber blockierender Allerweltsszenarien. Der | |
drohenden Katastrophe, gleich welcher Art, trotzten die beiden stets mit | |
Anarchie, am besten in der Extremgestalt des Banalen. | |
Ist man der engen Hütte entkommen, folgt man dem ziemlich ernsthaften und | |
ebenso untauglichen Versuch John Baldessaris, einer Topfpflanze das | |
Alphabet beizubringen. In einem Video von 1972, das dem Wunsch des | |
Menschen, auf seine Weise mit der Natur zu kommunizieren, eine | |
absurd-komische Absage erteilt. | |
Nicht weniger surreal mutet die Dokumentation von Alfred Littmanns | |
temporärer Installation „For Forest“ an. Zusammen mit dem | |
Landschaftsarchitekten und Künstler Enzo Enea hat er im vergangenen Jahr, | |
gegen einigen Widerstand der Klagenfurter, in das Spielfeld des | |
Wörtherseestadions fast dreihundert Bäume gestellt. Spektakulär. Der Wald | |
als Ausstellungsobjekt, transferiert in ein äußerst kommerziell | |
aufgestelltes Vergnügungsareal. Ein Mahnmal im Einklang mit derzeit | |
angesagtem Bäume-Umarmen und Waldbaden. Nun gut, wir haben verstanden. | |
Bislang im Wortsinn unerhört, verknüpft der Schweizer Marcus Maeder Kunst | |
und Wissenschaft. Kriecht man in seine konisch zulaufende Kegelbehausung, | |
machen Touchscreen, Sonifikation und andere technische Finessen den | |
CO2-Gehalt des [3][Amazonas-Regenwaldes] in den unterschiedlichen | |
Regionen und Lebensräumen zum Hörerlebnis. | |
Raum für Pflanze, Mensch und Tier | |
Maeders ganz spezieller Form der Naturbeobachtung verdanke die Forschung | |
nun, wie es im Begleittext heißt, „dass ein weiterer Parameter eingeführt | |
wurde: der akustische Index. Mit seinen Spezialmikrofonen kann er selbst | |
kleinste Lebewesen zum Beispiel im Wurzelraum erfassen und damit die | |
Bioversität auf betörend-sinnliche Weise erfahrbar machen.“ | |
Betörend deutlich mokierte sich Martin Kippenberger in seiner | |
Vitrinenarbeit mit Birkenstämmen aus Pappe und hölzernen Riesentabletten | |
über den arg strapazierten Sehnsuchtsort Wald („Jetzt geh ich in den | |
Birkenwald, denn meine Pillen wirken bald“, 1993). Immerhin wachsen dort | |
auch Magic Mushrooms und laden zur erlösenden Flucht. Das „Mushroom Book“ | |
von John Cage entstand 1972 in Zusammenarbeit mit dem Mykologen Alexander | |
H. Smith und der Künstlerin Lois Long. | |
Es belegt mit handgeschriebenen Text- und Gedichtpassagen, mit | |
wissenschaftlichen Erklärungen und minutiös gezeichneten Wiedergaben der | |
verschiedenen Pilzsorten die Leidenschaft des Komponisten für ein | |
zeitlebens unerfüllt angestrebtes, einfaches Leben samt Waldeinsamkeit, | |
Pilzbeobachtung und -genuss. | |
Mit den insgesamt zwanzig bei aller thematischen Übereinkunft ausgesprochen | |
unterschiedlichen Arbeiten von Albert Oehlen, Luisa Baldhuber, Miriam | |
Ferstl und anderen entsteht ein künstlerisches Kaleidoskop überlappender, | |
statischer, angenehm uneindeutiger Positionen zu einem als Netzwerk zu | |
begreifenden Raum für Pflanze, Mensch und Tier. | |
Das Künstlerduo Broersen & Lukács widmet sich diesem symbiotischen Ansatz, | |
indem es die Ambivalenz von Virtualität und Wirklichkeit in einer | |
hochkomplexen 3-D-Installation zusammenfügt. Es lässt den Blick im | |
vertrauten Disney-Dschungel schweifen, untermalt von den altbekannten | |
Klängen; eine Tiefenillusion entsteht, kein Tier, kein Mensch weit und | |
breit, nur der unwiderstehliche Sog. Und wir sind Bambi. | |
7 Oct 2020 | |
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## AUTOREN | |
Annegret Erhard | |
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