| # taz.de -- Pianist Igor Levit über Zivilcourage: „Passivität ist keine Opt… | |
| > Igor Levit gilt als einer der besten Pianisten der Welt. In | |
| > gesellschaftlichen Fragen bezieht er klar Stellung – im Netzwerk Twitter. | |
| Bild: Macht eine Andeutung zur Gründung einer neuen linken Partei: Pianist Igo… | |
| Zu Hause bei Igor Levit in Berlin-Mitte, Hinterhaus, erster Stock. Im | |
| Wohnzimmer sein Steinway-Flügel, Lulu genannt, mit Hilfe eines Krans wurde | |
| er über einen Baum im Hof bis in die Wohnung gehievt. Dort sitzt Levit dann | |
| und übt. Manchmal stellt er sein Smartphone an den Rand der Klaviatur und | |
| verschickt einen kurzen Musikschnipsel [1][auf Twitter]. | |
| taz am wochenende: Herr Levit, vor Kurzem haben Sie vor der Zugabe eines | |
| großen Konzertes mit zitternden Händen ein Statement gegen Ausgrenzung | |
| vorgelesen. Als das Publikum jubelte, unterbrachen Sie es mit den | |
| Obama-Worten: „Don ’t cheer. Vote!“ Was wollen Sie von den Leuten? | |
| Igor Levit: Wenn sie in dem geschützten Raum des Konzertsaals etwas tun, | |
| reicht das nicht. Wenn jemand auf die Aussage hin, „Es gibt keine Form der | |
| Ausgrenzung, die ich toleriere“, klatscht, dann will ich, dass er auch im | |
| realen Leben keine Form der Ausgrenzung toleriert. | |
| Was bedeutet das konkret? | |
| Ich habe gestern vor einem Café gesessen, und dann kam eine Bettlerin. | |
| [2][Sie hat nach Geld gefragt], und jemand hat gerade seine Geldbörse | |
| rausgeholt. Da kam eine Kellnerin und rief: „Mach, dass du hier | |
| rauskommst!“ Und sie ging nicht. Als sie das Geld bekommen hatte und | |
| loslief, rief ihr die Kellnerin hinterher: „Du Hexe!“ Da platzt einem eben | |
| der Kragen. | |
| Was haben Sie gemacht? | |
| Ich habe gesagt: „Das ist ein Mensch und keine Hexe.“ Es geht mir einfach | |
| um Achtsamkeit, um Wachsamkeit. Man kann mit Kleinigkeiten etwas ändern, | |
| aber mit dem Klatschen zur Neunten Sinfonie von Beethoven nicht. | |
| Im Konzert sitzen viele Menschen, die gar nicht erwarten, mit politischen | |
| Aussagen konfrontiert zu werden. | |
| Das ist ja auch okay. Aber ich bin nur so lange fröhlich und gemütlich, wie | |
| es mir die Gesellschaft erlaubt. Ein Kabarettistenfreund hat mir | |
| geschrieben: Wir müssen uns jetzt so lange engagieren, bis wir wieder auf | |
| Twitter Witze machen und uns über Musik unterhalten können. | |
| Chemnitz, Köthen, Seehofer, Maaßen. Es gäbe ja momentan genug Anlässe in | |
| jedem Ihrer Konzerte ein Statement zu verlesen. | |
| Ja. Aber das werde ich nicht machen. | |
| Warum nicht? | |
| Ich mache meinen Mund auf der Bühne nur auf, wenn es nicht anders geht. | |
| Wenn ich eine absolute emotionale Dringlichkeit verspüre. Sonst gibt es die | |
| Gefahr, dass es am Ende um mich geht. Es gibt noch andere Formen, andere | |
| Orte. | |
| Aber der Konzertsaal ist der Ort, an dem es sowieso um Sie geht, weil Sie | |
| ein gefeierter Pianist sind. Warum funktionieren politische Ansagen dort | |
| dennoch nur als Ausnahme? | |
| Weil ich dann in eine komplette Depression verfallen würde. | |
| Das müssen Sie erklären. | |
| Vor zweitausend Leuten in der Kölner Philharmonie zu stehen und zu reden, | |
| da krieg ich einen Herzkasper und meine Hände zittern von hier bis zum | |
| Himmel. Das kann ich nicht jeden Tag machen. | |
| Das ist schwer zu verstehen, weil Sie ja davor vor zweitausend Menschen ein | |
| wahnsinnig schwieriges Klavierstück gespielt haben, scheinbar ohne | |
| Aufregung. | |
| Das Einzige, was ich habe, das mir niemand nehmen kann, ist meine Stimme. | |
| Lieber spiele ich kein Klavier mehr, als dass ich mein Engagement aufgebe. | |
| Etwas zu sagen, ist das Intimste von allem. Das mache ich, wenn ich das | |
| Gefühl habe, sonst zu platzen. | |
| Auf Twitter schreiben Sie immer wieder von der Sehnsucht nach einer neuen | |
| linken Partei. Unter anderem gemeinsam mit dem [3][ehemaligen Piraten- und | |
| SPD-Politiker Christopher Lauer]. Zeit, ernst zu machen? | |
| Warten Sie es mal ab. Ich sage so viel: Ja, es gibt den Plan, dass man | |
| anfangen muss, sich zu organisieren. | |
| Gibt es schon ein Parteiprogramm auf dem Bierdeckel? | |
| Nein, dafür ist es viel zu früh. | |
| Warum rackern Sie sich nicht in den bestehenden Strukturen ab und verändern | |
| Sie zum Besseren? | |
| Die Bestehenden müssten wollen. Christopher ist ein gutes Beispiel dafür, | |
| was passiert, wenn jemand eintritt und will, aber komplett nicht gelassen | |
| wird. Der Mann ist kompliziert, aber er ist brillant, und er kann | |
| mobilisieren. Und die SPD hat Vollignoranz gezeigt. Außerdem, wenn ich | |
| sehe, was diese Partei macht: Welche roten Linien müssen noch überschritten | |
| werden, damit der gesamte SPD-Bundesvorstand auftritt und sagt: Wir fordern | |
| den Rücktritt Horst Seehofers? | |
| Ist das Ihr Antrieb? | |
| Ich sage jetzt mal etwas sehr Hartes: Ich bin jetzt etwas über 24 Jahre | |
| hier in Deutschland. Davon habe ich circa 20 Jahre nie das Gefühl gehabt, | |
| dass mich irgendwer daran erinnert, ich sei Migrant. Das gab es für mich | |
| nicht. Das hier ist meine Heimat. Ich bin Mensch Igor, ich bin nicht | |
| Migrant Igor. Durch das, was gerade passiert, werde ich wieder dran | |
| erinnert: Ich bin eigentlich Migrant. Das ist ein Schmerz, den ich nicht in | |
| Worte fassen kann. Der für mich sehr neu ist und sehr hart. | |
| Wann haben Sie diesen Schmerz das erste Mal gespürt? | |
| Peu à peu in den letzten dreieinhalb, vier Jahren. Das Schlimme ist, dass | |
| Freunde versuchen, mir zu erklären: Du bist ja nicht gemeint. | |
| Weil Sie ein erfolgreicher Musiker sind? | |
| Ich bin gemeint! Jeder ist gemeint. Greifst du einen Menschen rassistisch | |
| an, greifst du alle rassistisch an. Ich bin nicht angesprochen, also | |
| interessiert mich das nicht? Es geht um die Idee von Menschen zweiter | |
| Klasse. Nenn es Sexismus, Rassismus, Antisemitismus, Homophobie, was auch | |
| immer. [4][Seehofers Satz, „Migration ist die Mutter aller Probleme“], ist | |
| für mich wie ein Stich ins Herz. Ich muss nicht drauf warten, bis er sagt: | |
| Ihr Juden seid doof. | |
| Sie waren acht Jahre, als Sie mit Ihrer Familie aus Russland nach | |
| Deutschland kamen, als jüdische Kontingentflüchtlinge. | |
| Ich kam in die Schule und wollte sofort besser Deutsch sprechen als meine | |
| Klassenkameraden. | |
| Aus Angst negativ aufzufallen? | |
| Nein, ich habe mich einfach in die Sprache verknallt ohne Ende. | |
| Sind Sie damals nach Deutschland, nach Hannover, gekommen, weil es für Sie | |
| dort an der Musikhochschule die Chance gab, als Jungstudent zu studieren? | |
| Ja und nein. Der Hauptgrund war, hier als Familie ein neues Leben zu | |
| beginnen. Das kam zusammen mit der Möglichkeit für mich und meine | |
| Schwester, eine besondere Ausbildung zu bekommen. | |
| Also kein „Projekt Igor“? | |
| Nein. So ist meine Familie nicht drauf. | |
| Wenn man Ihren Werdegang liest – erster Klavierunterricht bei der Mutter | |
| mit drei Jahren, erstes Konzert mit vier Jahren, erstes Orchesterkonzert | |
| mit sechs Jahren – klingt das nicht gerade nach entspannten Tagen im | |
| Sandkasten. | |
| Ich habe sehr früh angefangen zu spielen, ja. Aber ich habe bis zum Alter | |
| von 24 nicht viele Konzerte gespielt. Ich war ein schlechter Schüler und | |
| hatte ein geiles Studentenleben. Natürlich gab es ein Projekt. Es war klar, | |
| der Junge macht Musik, und meine Eltern haben das extrem unterstützt. Aber | |
| es gab keinen Drill, ich habe nur so lange gearbeitet, wie ich wollte. Auch | |
| heute sind es mal zehn Minuten, mal ist es der ganze Tag. | |
| Wunderkinder faszinieren, aber sind vielen auch suspekt. | |
| Zu recht. Ich habe auf die Frage, wie ich zum Klavier gekommen bin, mal | |
| geantwortet: Krabbelnd. Und das ist auch die pure Wahrheit. Meine Mutter | |
| hat Musik gemacht. Ich bin zum Klavier gekrabbelt und hab eine Taste | |
| gedrückt. Aber der Weg von da aus war keine gerade Linie und nicht frei von | |
| Konflikten. | |
| Zum Beispiel? | |
| Mit sechzehn habe ich mein Instrument einfach gehasst. | |
| Warum? | |
| Mir kam alles vor wie eine große Lüge. Wenn du studierst, hörst du ständig | |
| Sätze wie: „Igor, mach, dass diese Melodie klingt wie eine Oboe. Und jetzt | |
| wie eine Klarinette.“ Irgendwann bin ich böse geworden und hab gesagt: Das | |
| ist keine Klarinette, keine Oboe, das ist ein Klavier. Ich fand das | |
| Instrument limitiert. Ich habe echt gehadert. Hätte ich zwei, drei | |
| Menschen, die mir dann sehr wichtig wurden, nicht getroffen, säßen wir hier | |
| heute wohl nicht. | |
| Was wären Sie dann heute? | |
| Oh Gott, Sie werden mich gleich auslachen. Weil ich ganz gut mit Zahlen | |
| kann, bin ich mal einen Tag lang an eine Hochschule gefahren, um dort | |
| vielleicht Betriebswirtschaftslehre zu studieren. In einer Vorlesung ging | |
| es um einen Lippenstifthersteller, der plötzlich Umsatzeinbußen bekommt, | |
| weil ein zweiter Lippenstifthersteller in die Stadt kommt. Der Dozent | |
| fragte: „Was tun Sie da?“ Und die erste Arschgeige meldete sich und sagte: | |
| „Leute entlassen.“ Da habe ich gedacht: „Ey, ihr könnt mich alle mal.“ | |
| Wer hat Sie wieder mit dem Klavier versöhnt? | |
| Ich habe mit 16 in der Unibibliothek dieses Klavierstück gehört: „The | |
| People United Will Never Be Defeated!“ von einem gewissen Frederic Rzewski. | |
| Danach war ich vollkommen fertig mit den Nerven. Ich habe die Noten | |
| bestellt, das Stück gesehen und dachte: Das spiel ich nicht! Das ist mir zu | |
| hoch. Aber ich habe Rzewski eine Mail geschrieben und ihn gefragt, ob er | |
| ein Stück komponiert, für mich, den Klavierstudenten. Er hat geantwortet: | |
| Wenn du jemanden findest, der es zahlt, mach ich das. Und ich habe jemanden | |
| gefunden. Frederic hat mich wieder neugierig gemacht, weil er mir neues | |
| Repertoire eröffnet hat, neue Möglichkeiten. Erst mit 23 habe ich sein | |
| Stück „The People United …“ das erste Mal öffentlich gespielt. | |
| Das Stück basiert auf einem chilenischen Revolutionslied. | |
| Ja, später kamen durch ihn auch politische Fragen dazu. Er ist das | |
| Paradebeispiel eines dezidiert politischen Menschen. | |
| Sie nennen ihn heute einen Freund. Genauso wie zum Beispiel die Künstlerin | |
| Marina Abramović und den Schriftsteller Maxim Biller. | |
| Als ich 2011 bei einer Feier in den Raucherraum kam, saß da Maxim auf dem | |
| Sofa. Ich habe damals kaum Konzerte gespielt, aber er kannte mich, weil ein | |
| Dreivierteljahr vorher Eleonore Büning in der FAZ einen Text über mich | |
| geschrieben hat … | |
| … in dem sie Sie noch vor dem Studienabschluss zu einem der großen | |
| Pianisten dieses Jahrhunderts ausrief. | |
| Maxim sitzt also da, raucht, guckt mich an und sagt: Bist du Igor? Ich | |
| hatte damals die erste schmerzhafte antisemitische Verletzung meines Lebens | |
| erfahren, und Maxim war der erste Mensch, mit dem ich darüber sprechen | |
| konnte. Der erste, der nicht gesagt hat: Das war Pech, da hast du eben ein | |
| Arschloch getroffen. Ich hatte also keinen berühmten Menschen | |
| kennengelernt, sondern jemanden, der mich versteht. | |
| Sie erweitern den Besucherkreis klassischer Konzerte: Neuerdings kommen da | |
| auch ein paar Linke ohne Klassikexpertise. Reicht das schon an Revolution? | |
| Nein. Es gibt sehr vieles, was ich sehr nervtötend finde. Wenn Veranstalter | |
| etwa sagen: Wir probieren neue Formate aus. Das reduziert sich meist | |
| darauf, an welchen Orten man spielt. Die glauben, dass man ein | |
| weltbewegendes Ereignis hat, wenn man auf dem Klo die Fünfte Sinfonie von | |
| Beethoven hört. Man nimmt ein Stück Musik, das rührt man natürlich nicht | |
| an, weil es ja ein deutsches Heiligtum ist. Aber da stülpt man ein T-Shirt | |
| drüber und glaubt, damit verändert man etwas. | |
| Die Klassikwelt lebt von der Sehnsucht nach dem „Früher“. | |
| Beim Beethoven-Jubiläum in anderthalb Jahren wird das wieder auf die Spitze | |
| getrieben werden: Wir beleuchten die Entstehungszeit und die komplizierte | |
| Persönlichkeit Ludwig van Beethovens. Ich meine: Hallo?! Was hat Beethoven | |
| wirklich hinterlassen? Dieses Blatt Papier mit diesen Punkten. Das, was da | |
| steht, ist ohne dich als Zuhörerin und mich als Interpreten buchstäblich | |
| nicht existent. Das heißt, was er eigentlich hinterlassen hat, ist die | |
| Aufgabe an dich und an mich, das wieder zum Leben zu erwecken, und zwar | |
| jedes Mal von Neuem. | |
| Was ändert dieser Blick? | |
| Zum Beispiel wird in München ein neues Konzerthaus gebaut. Da kann es doch | |
| nicht nur darum gehen, zu sagen: Die Akustik muss der Hammer sein. Sondern: | |
| Wie bemühst du dich in diesem Raum um diejenigen, die dort sitzen? Ich | |
| könnte die Wände hoch rennen, wenn ich sehe, wie wenig sich Veranstalter | |
| und Künstler um die Menschen kümmern, die genau in dem Moment im Saal sind. | |
| Jetzt mal konkret: Was fordern Sie? | |
| Zum Beispiel: Schafft die elenden Programmhefte ab. Weg damit! Ein Zettel: | |
| „Der Levit spielt Beethoven.“ Ende, reicht. Ermutige das Publikum | |
| stattdessen, sich zu vergegenwärtigen: Du bist existenzieller Part dieser | |
| Musik. Ohne dich ist das da nicht vorhanden. Was du hörst, ist deins. | |
| Sie treten auf zwei Bühnen auf. Vor Hunderten oder Tausenden Leuten am | |
| Klavier. Und vor 13.900 Followern auf Twitter. Hatten Sie mit dem | |
| Instrument Smartphone auch schon mal eine Krise? | |
| Als es diesen Aufschrei über den Zeit-Text gab, da habe ich ernsthaft | |
| überlegt, auszusteigen. | |
| … im Politikteil der Zeit erschien [5][ein Pro und Contra zu privater | |
| Seenotrettung] unter der Überschrift: „Oder soll man es lassen?“ Für die | |
| Überschrift hat sich die Chefredaktion später entschuldigt … | |
| Da ist etwas ins Rutschen gekommen, was mir einfach sehr wehgetan hat. Zu | |
| beobachten, wie plötzlich Dinge debattiert werden, von denen du nicht in | |
| deinem Traum je gedacht hättest, dass sie debattierfähig sind. Von Leuten, | |
| von denen du dachtest, sie seien eigentlich nicht doof. Ich saß um halb | |
| drei Uhr morgens im Bett und habe wie ein Blöder auf den Reload-Knopf | |
| gedrückt. Immer mit dem Gedanken: Was passiert jetzt als Nächstes? Wer wird | |
| als Nächstes sagen: „Darüber werden wir ja wohl noch debattieren können.“ | |
| Das hat mich krank gemacht. Am nächsten Tag bin ich in einen Telefonladen | |
| gegangen und hab mir so ein altes Nokia-Handy gekauft. Und das Smartphone | |
| abgeschaltet. | |
| Und dann? Entzugserscheinungen? | |
| Nein. | |
| Aber Sie haben es dann wieder eingeschaltet. | |
| Nach zwei Wochen habe ich gedacht: Okay, jetzt mach ich’s halt mal wieder. | |
| Aber es war eine ganz gute Detoxmethode. | |
| Am Klavier sind Sie bekannt auch für feinste Nuancen. Bei Twitter werden | |
| Sie manchmal grobschlächtig. | |
| Bringen Sie mal ein Beispiel? | |
| Nach einem verpassten Zug twitterten Sie mal: „Eine solche kackdreiste | |
| Unverschämtheit habe ich noch nie erlebt. Was für ein unfassbarer | |
| Scheißverein.“ | |
| Ja, das war kackdreist! Soll ich das mal vormachen, was da passiert ist? | |
| Ich stand vor der verschlossenen Tür, und die Schaffnerin sieht mich von | |
| drinnen und macht den hier: ¯\_( )_/¯. Und der Zug steht und steht! Drei | |
| Minuten! Sie hätte nur den Knopf drücken müssen. Ich bin dann zum | |
| Bahnhofs-McDonald’s gegangen und hab mir den Bauch vollgeschlagen vor | |
| Ärger. | |
| Und dann kurz bei Twitter Dampf abgelassen. | |
| Ich war einfach sauer! Das kann die doch nicht machen! Es gibt diesen | |
| jüdischen Witz über den alten Cohn, der den Zug verpasst. Also er rennt und | |
| rennt, und der Zug fährt ihm vor den Augen weg. Der Schaffner steht | |
| kichernd auf der anderen Seite und sagt nur: Hamse den Zug verpasst. Und | |
| Cohn lässt beide Koffer fallen und sagt: Geh, verpasst! Verscheucht hamwer | |
| den! | |
| Jetzt mal ganz abgesehen von der Deutschen Bahn: Der Adrenalinpegel auf | |
| Twitter prägt ja gesellschaftliche Debatten. Auch hier suchen viele nach | |
| dem richtigen Ton. Wut oder Diplomatie. Humor oder Ernst. | |
| Also, was das Thema Rassismus angeht, kann ich sagen: Es gibt ja immer | |
| wieder Leute, die mir vorwerfen, ich solle mal ein bisschen Humor beweisen. | |
| Die können mich mal und zwar mit Anlauf. Da habe ich keinen Humor, tut mir | |
| leid, ich bin Betroffener. Ich bekomme auch Anfragen für Interviews, in | |
| denen es heißt: Gehen wir mal dahin, wo es unangenehm wird, und reden Sie | |
| mit AfD-Wählern. Ich habe überhaupt keinen Bock, mit Rechten zu reden! | |
| Nennt mich elitär, mir egal. Ich will das nicht. | |
| Geben wir dann nicht einen Teil der Gesellschaft auf? | |
| Wo ist die rote Linie? Die AfD-Leute sagen, was sie wollen. Die maskieren | |
| sich nicht, die verklausulieren auch nicht mehr. Ich kann Brücken bauen zu | |
| Menschen, mit denen mich in irgendeiner Form etwas verbindet. Die können | |
| konservativ sein, sie können an liberale Märkte glauben. Aber wer jemanden | |
| wählt, der den Systemsturz haben will, mit dem muss ich nicht reden. Das | |
| ist kein Protestwähler mehr für mich. | |
| In Chemnitz spielten Punkbands gegen rechts. In der taz haben sich | |
| Volksmusiker und Schlagersängerinnen dafür ausgesprochen, gemeinsam etwas | |
| auf die Beine zu stellen. Wo sind die Klassikmusikerinnen und -musiker? | |
| Wir sind schon dabei, etwas zu organisieren, und da werde ich auf jeden | |
| Fall dabei sein. | |
| Aber die meisten Ihrer Kolleginnen und Kollegen verhalten sich still. | |
| Das haben sie sich die längste Zeit leisten können, leise zu sein. | |
| Das heißt, Sie bemerken, dass sich in der Szene etwas bewegt? | |
| Es gibt gerade eine ganz klare Veränderung. Noch vor drei Jahren wurde ich | |
| ständig gefragt: Mensch, wie passt denn das zusammen, was Sie machen? Heute | |
| kommen die Fragen an Künstler: Wieso machen Sie nichts? Auch die | |
| Möglichkeit, ignorant zu sein, verdankst du einer friedlichen Gesellschaft. | |
| Die Zeit, in der man passiv sein konnte, ist für alle vorbei. | |
| Das klingt ja zuversichtlich. | |
| Was heißt zuversichtlich? Ich weiß nicht, wie das alles ausgehen wird. Aber | |
| dass Passivität keine Option mehr ist, da bin ich sehr zuversichtlich. Gott | |
| sei Dank. | |
| 22 Sep 2018 | |
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