# taz.de -- Philosophin über weibliche Unterwerfung: „Schwesternschaft ist e… | |
> Die Philosophin Manon Garcia über die Mechanismen der Selbstunterwerfung | |
> von Frauen. Und eine Erklärung für die vielen weißen Wählerinnen | |
> Trumps. | |
Bild: Manon Garcia, ist ab Juli Assistant Professor of Philosophy an der Yale U… | |
taz: Frau Garcia, laut Ihrem Buch sind Frauen nicht nur passive Opfer des | |
Patriarchats, sie unterwerfen sich auch aktiv – indem sie freiwillig den | |
Großteil der Hausarbeit übernehmen oder sich bestimmten Idealen von | |
Weiblichkeit fügen: Schieben Sie da nicht den Opfern die Schuld in die | |
Schuhe? | |
Manon Garcia: Ganz im Gegenteil. Es ist feministisch, Machtstrukturen aus | |
Sicht der Frauen zu beschreiben. Es ist feministisch, aufzuzeigen, welche | |
konkreten Möglichkeiten Frauen in unserem patriarchalen System haben. Es | |
ist wichtig, diese Frage von einem feministischen Standpunkt aus zu | |
erörtern und nicht einfach so zu tun, als trügen Frauen nicht auch ihren | |
Teil zur Aufrechterhaltung des Patriarchats bei. Natürlich könnten sie sich | |
entscheiden, sich nicht zu unterwerfen, aber der Preis dafür ist hoch – zum | |
Beispiel wenn Frauen als schlechte Mutter abgestempelt werden. Das | |
Patriarchat ist eine Form gesellschaftlicher Dominanz, die Frauen dazu | |
bringt, sich zu unterwerfen. Es geht daher nicht um die Schuldfrage. Man | |
kann deskriptiv feststellen, dass Frauen sich Männern unterwerfen, aber das | |
heißt noch nicht, dass sie auch verantwortlich dafür sind. | |
Was genau ist Unterwerfung für Sie – haben Sie Beispiele? | |
Wenn ich in Frankreich von meiner Arbeit über weibliche Unterwerfung | |
erzähle, kommen viele als erstes auf Frauen, die Kopftuch tragen, zu | |
sprechen. Die Unterwerfung der anderen ist leichter zu erkennen – vor | |
allem, wenn wir rassistische Ansichten ihnen gegenüber haben. Dabei kann | |
Unterwerfung auch bedeuten, ständig Diät zu halten, um ein bestimmtes | |
Schönheitsideal zu erfüllen. In Deutschland unterwerfen sich Frauen sehr | |
stark der Mutterrolle. Das Konzept der Unterwerfung hilft uns, diese | |
unterschiedlichen Arten, auf die Frauen sich den patriarchalen Strukturen | |
nicht widersetzen, als das gleiche Phänomen zu betrachten. Allerdings ist | |
es wichtig zu unterscheiden, wo diese Analyse Sinn macht und wo nicht. Wenn | |
ich von Unterwerfung spreche, beziehe ich mich auf eine Situation, in der | |
eine Art von Zustimmung möglich ist. Häusliche Gewalt lässt sich damit | |
nicht erklären. | |
Sie analysieren die männliche Herrschaft aus philosophischer Sicht: Was ist | |
Ihre Erklärung dafür, warum die Machtverhältnisse im Patriarchat so hart zu | |
durchbrechen sind? | |
Wenn wir von Herrschaft reden, reden wir in der Regel von zwei | |
verschiedenen Gruppen, im Kapitalismus zum Beispiel die Arbeiter*innen | |
und die Fabrikbesitzer*innen. Die Solidarität der Arbeiter*innen gilt | |
anderen Arbeiter*innen. Solange aber Heterosexualität die Norm ist und | |
Frauen mit Männern zusammenleben, gilt ihre Solidarität in erster Linie | |
anderen Männern. Das ist auch der Grund, warum so viele weiße Frauen trotz | |
seiner Frauenfeindlichkeit für Donald Trump gestimmt haben: Weil sie sich | |
ihren Männern, zu denen Trump spricht, näher fühlen als anderen Frauen. | |
Ist mehr Solidarität zwischen Frauen die Lösung? | |
Diese Frage fällt mir schwer zu beantworten. Ich bin überzeugt, dass | |
Schwesternschaft eine Lösung ist. Die Selbsterfahrungsgruppen der | |
Frauenbewegung der 70er Jahre, in denen Frauen zusammenkamen, um über ihre | |
Unterdrückungserfahrung zu sprechen, haben einiges vorangebracht. Aber am | |
Ende des Tages hat die Person Priorität, die man liebt. Liebe und Intimität | |
sind daher die Themen, denen wir uns zuwenden müssen. Wir müssen dafür | |
kämpfen, gleichberechtigte Partnerschaften zu führen, vor allem in | |
heterosexuellen Beziehungen. Dabei gibt es viel zu gewinnen – für Männer, | |
Frauen und Kinder! | |
Unterwerfen sich Männer nicht auch – und leiden unter den | |
Geschlechterrollen? | |
Bei meinen Lesungen gibt es immer einen Mann, der erklärt: Ich unterwerfe | |
mich meiner Frau, sie entscheidet alles. In gewisser Hinsicht ist das wie | |
von Rassismus gegen Weiße zu sprechen. Männer sind nicht von Frauen | |
unterdrückt. Von Unterdrückung kann man erst sprechen, wenn es eine | |
gesellschaftliche Struktur gibt, die die Unterdrückung möglich macht. Aber | |
natürlich unterwerfen sich auch Männer den Geschlechterrollen und leiden | |
unter toxischer Männlichkeit – nicht zuletzt verbaut das Patriarchat | |
Männern den Zugang zu ihren Gefühlen. | |
Was ist der Unterschied? | |
Einen weiblichen Körper zu haben, heißt von außen definiert zu werden, | |
während Männer das Privileg haben, sich selbst zu definieren. Sobald sie in | |
die Pubertät kommen, machen sehr viele Frauen die Erfahrung, dass ein Mann | |
– ein Onkel, Lehrer oder irgendein Typ auf der Straße – eine anzügliche | |
Bemerkung über ihren Körper macht. Frauen werden vom männlichen Blick | |
definiert, noch bevor sie selbst überhaupt ein Bewusstsein für ihren Körper | |
erlangt haben. Diese Erfahrung prägt Frauen und führt dazu, dass sie sich | |
anders in der Welt bewegen als Männer. Während Männern suggeriert wird, | |
frei und unabhängig zu sein, lernen Frauen, sich zu unterwerfen. | |
Was antworten Sie denjenigen, die jetzt denken: Interessant, aber auf mich | |
trifft das nicht zu. Ich definiere mich als Person, nicht als Frau? | |
Das ist wie zu sagen: „Ich gehöre keiner gesellschaftlichen Klasse an.“ | |
Simone de Beauvoir würde das als eine Form von Unaufrichtigkeit | |
beschreiben. Als Frau denkt man nachts allein in der Metro darüber nach, | |
dass man vergewaltigt werden könnte. Ein Heteromann macht sich darüber | |
keine Gedanken. Man kann nicht so tun, als ob das eigene Frausein keine | |
Auswirkungen darauf hat, wer man ist. | |
Mit „Unaufrichtigkeit“ oder „mauvaise foi“ beziehen Sie sich auf den | |
existenzialistischen Freiheitsbegriff? | |
Zu diesem Punkt hatten Beauvoir und Sartre einen großen Disput. Für Sartre | |
bedeutet Mensch sein, dass man für seine Handlungen verantwortlich ist und | |
nicht zulässt, dass irgendetwas diese beeinflusst. Für Sartre bedeutet | |
Unaufrichtigkeit, bestimmte Fakten als Entschuldigung dafür zu nehmen, | |
seine Freiheit nicht auszuüben, zum Beispiel zu sagen: „Ich habe so und so | |
gehandelt, weil ich eine Frau bin“ oder „Ich habe so entschieden, weil ich | |
arm bin.“ Für Beauvoir ist genau das Gegenteil der Fall. Sie ist überzeugt, | |
dass die wirtschaftliche und soziale Situation darüber entscheiden, welche | |
Wahl man hat und auf welche Art und Weise man seine Freiheit ausüben kann. | |
Unaufrichtigkeit heißt für sie, so zu tun, als gäbe es diese äußerlichen | |
Fakten nicht. Nur ein weißer Mann – wie Sartre! – kann der Ansicht sein, | |
dass seine Freiheit nicht von seiner gesellschaftlichen Situation abhängt. | |
Haben Frauen ein Problem damit, sich als Opfer zu sehen? Ich denke zum | |
Beispiel an den Aufruf von Catherine Deneuve und anderen in „Le Monde“, in | |
der sie die #MeToo-Debatte kritisiert? | |
Ich denke, dass dabei auch ein Generationenkonflikt eine Rolle spielte, da | |
viele der Unterzeichnerinnen in einer Welt aufgewachsen sind, in der von | |
Frauen noch viel stärker als heute erwartet wurde, sich zu unterwerfen. | |
Aber es stimmt: Opfer zu sein ist ein extrem unangenehmes Gefühl. Und ein | |
Weg, damit fertig zu werden, ist schlicht, so zu tun, als wäre man keines. | |
Das ist einer der schwersten Konflikte, die es als Feministin auszuhalten | |
gilt: Wir müssen ein Bewusstsein dafür entwickeln, wie die patriarchale | |
Unterdrückung uns beeinflusst – aber gleichzeitig dürfen wir die Lust an | |
der eigenen Autonomie und den Wunsch, Dinge zu verändern, nicht verlieren. | |
30 May 2021 | |
## AUTOREN | |
Nina Rossmann | |
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