| # taz.de -- Neues Buch von Manon Garcia: Wider die Penis-Monologe | |
| > Wie gelingt guter Sex, fragt sich die Philosophin Manon Garcia. Mal | |
| > wieder hat Simone de Beauvoir es schon vorgedacht. | |
| Bild: Philosophin Manon Garcia findet, wir müssen lernen, die „Gleichheit zu… | |
| Als wäre nichts gewesen, kündigen Rammstein dieser Tage eine neue Tour für | |
| 2024 an. Das ergibt insofern Sinn, als ihre diesjährige Deutschlandtour | |
| ausverkauft war – und trotz der vielen Vorwürfe gegen Sänger Till Lindemann | |
| auch ausverkauft blieb. Im Sommer hatte die Berliner Staatsanwaltschaft | |
| ihre Ermittlungen wegen Vergewaltigung eingestellt, die Fans fühlen sich | |
| bestätigt. | |
| Worin genau? Dass ihr Lieblingssänger kein verurteilter Straftäter ist? Ein | |
| Freispruch war die Einstellung nicht. Ist automatisch gut, was juristisch | |
| nicht beweisbar oder vielleicht gar nicht justiziabel ist? | |
| Mit diesen Fragen im Kopf kann man direkt in Manon Garcias Buch „Das | |
| Gespräch der Geschlechter“ einsteigen. Die französische Denkerin entwickelt | |
| darin eine Philosophie der Zustimmung. Es geht um Sex und Vergewaltigung | |
| und um die Frage, ob Zustimmung ein geeigneter Begriff ist, um die Grenze | |
| zwischen beidem, zwischen Gut und Böse, zu ziehen. Und was macht Sex | |
| eigentlich gut? | |
| Garcia, die mehrere Jahre in Yale lehrte und nun an der Freien Universität | |
| Berlin ist, schließt mit ihrem neuen Essay an ihr 2021 erschienenes Buch | |
| [1][„Wir werden nicht unterwürfig geboren“] an, worin sie zu einem neuen | |
| Denken über das Konzept der Zustimmung auffordert. Dafür betrachtet sie | |
| zunächst verschiedene Ebenen von Zustimmung – die rechtliche, die | |
| moralische und die politische. | |
| ## Lust nicht auf dem Schirm | |
| Die Leitfrage des Buches ist, unter welchen Bedingungen Zustimmung „ein | |
| Instrument der Emanzipation“ sein kann. Dafür analysiert Garcia die | |
| Handelnden in dem Kontext, in dem sie agieren (Spoiler: Patriarchat), und | |
| fragt, welche Bedeutung dieser Kontext ihren Handlungen verleiht. Einmal | |
| schildert die Autorin dafür beispielhaft sieben Szenarien. | |
| Die Varianten einer Nacht reichen von klarer Vergewaltigung bis zu | |
| schlechtem Sex – eine Person denkt, dass sie nicht wirklich Lust hat, | |
| willigt aber verbal ein, weil der Partner so nett war, sie nach Hause zu | |
| bringen, und das Folgende irgendwie zu erwarten war. Letzteres ist nicht | |
| justiziabel, eine klare Täterschaft ist hier nicht erkennbar. Vielmehr | |
| führt eine patriarchale Prägung dazu, dass die Frau mitmacht – und der Mann | |
| ihre Lust gar nicht erst wirklich auf dem Schirm hat. | |
| Wir leben in einer Kultur, die über Jahrtausende das Bild des handelnden | |
| Mannes und der empfangenden Frau etabliert hat und worin Frauen als | |
| tugendhaft gelten, wenn sie sich zieren. Sex findet nicht in einem | |
| hierarchiefreien Raum statt, sondern mitten in patriarchalen | |
| Strukturen, die uns von Jean-Jacques Rousseau bis zur heutigen | |
| Pornoindustrie einreden, dass Frauen Ja meinen, wenn sie Nein sagen. | |
| Wie Manon Garcia in ihrem Buch zeigt, ist Nein zu sagen in anderen | |
| Lebenslagen keine akzeptierte direkte Umgangsform: „Schweigen, Komplimente, | |
| schwache Akzeptanz (‚hmmm… warum nicht?‘) werden bevorzugt, anstatt einfa… | |
| ‚nein‘ zu sagen, und ‚nein‘ zu sagen birgt die Gefahr, als sehr schroffe | |
| oder sogar verletzende Antwort wahrgenommen zu werden.“ | |
| ## Muss das Nein höflich sein? | |
| Besonders von Frauen wird erwartet, dass sie ihre Nichtzustimmung höflich | |
| äußern. Beobachten Sie sich einmal selbst oder etwa Ihre Kolleg*innen, | |
| wann Sie oder die anderen ein Nein als Stärke empfinden und wann als | |
| unhöflich, zu autoritär, zu ruppig. Beim Sex schließlich, in einer | |
| Situation, worin man vielleicht am verletzlichsten ist, sollen Frauen dann | |
| glasklar sagen: Nein, das will ich nicht. | |
| Häufig steckt hinter der Erwartung, eine Person habe Nein sagen sollen, das | |
| Bild des fremden Vergewaltigers. Dabei wissen wir, dass die Täter häufig im | |
| Freundes- und Bekanntenkreis sind. Und es sind nach deutscher | |
| Kriminalstatistik zu 98 Prozent Männer. Eine Umfrage vom Institut national | |
| des études démographiques ergab 2016 in Frankreich, dass in 91 Prozent | |
| der Fälle das Opfer den Täter kannte und in 47 Prozent der Fälle der Täter | |
| der Ex- oder Ehepartner war. Wer sich das vor Augen führt, versteht, | |
| weshalb es schwerfallen kann, eine klare Ablehnung zu formulieren. | |
| Wenn ein Nein nun keine ausreichend belastbare Abgrenzung ist – was genau | |
| bedeutet das? Reicht ein Ja am Anfang des Geschlechtsverkehrs? Oder ist das | |
| Ja nicht sogar im Eheversprechen enthalten? Schließlich war in Deutschland | |
| noch bis 1997 Vergewaltigung in der Ehe nicht illegal. Ursprünglich sollte, | |
| so stellt Garcia es dar, die rechtliche Sanktionierung einer Vergewaltigung | |
| auch nicht unbedingt Frauen schützen, sondern Ehemännern das sexuelle | |
| Vorrecht auf ihre Frauen sichern. | |
| Es ist dieser präzise Blick auf diverse Begriffe und ihre Geschichte rund | |
| um die sexuelle Selbstbestimmung der Frau, der „Das Gespräch der | |
| Geschlechter“ so bereichernd macht. Für ihr Buch wurde Garcia letztes Jahr | |
| mit dem Prix des Rencontres Philosophiques de Monaco ausgezeichnet. | |
| Manche theoretische Umdrehung ist für die Alltagslektüre etwas mühsam, aber | |
| in der Summe wirft Garcia genügend Anker, um immer wieder ins Thema zu | |
| finden. | |
| ## Erotisches Gespräch der Geschlechter | |
| Einem Exkurs ins Privatrecht folgt etwa eine Analyse von Verträgen im BDSM | |
| (kurz für Bondage und Disziplin, Dominanz und Submission, Sadismus und | |
| Masochismus). Während hier der Vertrag schon Teil des Spiels ist, wird eine | |
| vertragsähnliche Situation von den Gegnern einer Strafrechtsänderung in | |
| Richtung „Ja heißt Ja“ immer als Horrorszenario angeführt: Sex nur noch m… | |
| Vertrag. Was eben irreführend wäre, denn Zustimmung kann nicht einfach | |
| einmalig gegeben werden, wenn noch gar nicht abzuschätzen ist, wozu alles. | |
| Manon Garcia plädiert für ein erotisches Gespräch der Geschlechter. Nur, | |
| wie kommt man dahin? | |
| Bereits vorgedacht hat es [2][mal wieder Simone de Beauvoir:] „Die | |
| erotische Erfahrung gehört zu denen, die dem Menschen die Ambiguität des | |
| Menschseins am eindringlichsten enthüllen. Er empfindet sich als Körper und | |
| als Geist, als der andere und als das Subjekt.“ Wer diese Ambiguität, | |
| Subjekt und Objekt zu sein, anerkennt, ist nach Simone de Beauvoir | |
| authentisch – und habe guten Sex, sagt über 70 Jahre später Manon Garcia. | |
| Guter Sex entstehe aus der Tatsache, „dass man gibt, dass man sich selbst | |
| gibt und dass man empfängt“. Man muss sich also erst einmal als handelnde | |
| und empfangende Person sehen, sich selbst in Beziehung zueinander sehen, | |
| zumindest für den sexuellen Akt. Darin enthalten ist die Frage, was der | |
| anderen Person wohl Lust bereitet – und was einem selbst. | |
| Um zu verstehen, wie ein erotisches „Gespräch der Geschlechter“ | |
| funktionieren kann, kann man sich auch ein verbales Gespräch einmal | |
| vorstellen: Ein Mann sitzt an einer Bar und textet eine Frau zu. Wie kann | |
| der Mann denken, dass sein Gegenüber Spaß hat? Bemerkt er überhaupt seinen | |
| Penis-Monolog? | |
| ## Begriff der epistemischen Freiheit | |
| Bei Manon Garcia lernen wir den Begriff der epistemischen Faulheit kennen, | |
| den sie von José Medinas „aktiver Ignoranz“ ableitet. Man(n) entscheidet | |
| sich, die Lust der Frauen zu ignorieren. Sonst würde er sich, im Gespräch, | |
| vielleicht fragen: Will diese Frau wirklich so ausführlich über das | |
| Römische Reich informiert werden? Wann habe ich ihr eigentlich zuletzt eine | |
| Frage gestellt? Gleichzeitig: Warum sagt sie ihm nicht endlich, dass sie | |
| seine Ausführungen langweilen? Worüber möchte sie sprechen? Wie beim Sex | |
| kann die verbale Kommunikation nicht als „Einer gibt und eine nimmt“ | |
| gedacht werden. | |
| Wenn die Anwälte von Till Lindemann also behaupten, dass alle öffentlich | |
| bekannten sexuellen Handlungen einvernehmlich waren, würde man schon gerne | |
| – fernab des Gerichtssaals – genauer wissen, wie Lindemann diese | |
| Einvernehmlichkeit festgestellt haben will. Wer sich als Fan hinter der | |
| fehlenden strafrechtlichen Beurteilung des Bekannten versteckt, offenbart | |
| eine Sexualmoral, die die Erniedrigung von Frauen in Kauf nimmt. Die | |
| ausverkauften Konzerte sprechen für sich. | |
| 18 Oct 2023 | |
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| Katrin Gottschalk | |
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