# taz.de -- Autor*in über Hierarchien und Sex: „Sexualität als eine Art Bre… | |
> Eva Tepest hält das Schlafzimmer für einen guten Ort, um Machtmechanismen | |
> zu beobachten. Darüber hat die Autor*in ein Buch geschrieben. | |
Bild: Wenn es um Intimität und Lust geht, ist auch Macht nicht weit | |
taz: Eva Tepest, in das erste Essay Ihres Buchs „Power Bottom“ starten Sie | |
mit der Frage: „Top oder Bottom?“ Welche Dichotomie meinen Sie damit? | |
Eva Tepest: Die Dichotomie zwischen Top und Bottom wurde ursprünglichen in | |
der schwulen Subkultur geprägt und beschreibt in einem engeren Sinne, dass | |
es beim Sex zumeist eine klare Rollenverteilung gibt. Diejenigen, die, im | |
wahrsten Sinne des Wortes, oben und aktiver sind, sind die „Tops“ und | |
zumeist auch die penetrierenden Personen. Jene, die beim Sex unten liegen, | |
passiver sind und penetriert werden, sind die „Bottoms“. Wie die meisten | |
binären Kategorien kommt diese Differenzierung nicht in Reinform vor. | |
Trotzdem prägt uns die gesellschaftliche Vorstellung, dass es in der | |
Sexualität stets einen aktiven und einen passiven Part gib. Diese | |
Aufteilung bringt immer auch Hierarchien und Machtstrukturen mit sich, die | |
ich mir in meinem Buch aus einer queer-lesbischen Randperspektive anschaue. | |
Die „Bottoms“ fügen sich also der Macht der „Tops“. Aber was ist dann … | |
„Power Bottom“? | |
An dieser Stelle muss man die Metapher von „Top“ und „Bottom“ ein Stück | |
weiterdenken, sich von der rein sexuellen Betrachtungsweise lösen und eine | |
gesamtgesellschaftliche Perspektive einnehmen. Als queer-lesbische Person | |
bin ich in vielerlei Hinsicht noch immer Gewalt ausgesetzt und, was | |
Machtbeziehungen anbelangt, in einer unterlegenen Position. Durch mein | |
ganzes Buch zieht sich die Frage, welche Stärke und welches Potenzial in | |
dieser gesellschaftlichen Positionierung steckt. Ich freue mich jeden Tag | |
darüber, lesbisch zu sein, da es mir ermöglicht, aus [1][einer bestimmten | |
Perspektive auf die Gesellschaft zu blicken.] Wäre ich ein | |
weißer-heterosexueller-cis Mann, stünde ich also im Zentrum der Macht, wäre | |
es viel schwieriger zu verstehen, welche Hierarchien unsere Gesellschaft | |
durchziehen. Genauso wenig wie ich ein solcher Mann sein möchte, möchte ich | |
ein „Top“ sein. Ich glaube, dass gerade in der Position der „Bottoms“ d… | |
Potenzial für gesellschaftliche Veränderung liegt. | |
Im Buch legen Sie Ihr persönliches Begehren offen. Warum glauben Sie, dass | |
Ihre Sexualität an die Öffentlichkeit gehört? | |
Das Buch ist autofiktional geschrieben und kein Erfahrungsbericht. Außerdem | |
finde ich weder mein eigenes Leben besonders spannend, noch habe ich total | |
krassen Sex. Aber ich denke, dass es beim Thema Sexualität immer noch eine | |
starke Berührungsangst gibt, die einer ernsthaften Auseinandersetzung mit | |
unserem Begehren entgegensteht. Das ganze Buch ist deshalb auch eine Art | |
Flucht nach vorne. Indem ich mich als „Bottom“ offenbare und meine eigene | |
Sexualität beschreibe, mache ich mich scheinbar verletzlich, behalte am | |
Ende aber die Kontrolle. Das ganze Buch ist somit ein „Power Bottom“-Move. | |
Während die gesellschaftliche Gleichstellung im Alltag voranschreitet, ist | |
das Schlafzimmer also immer noch ein Ort der klassischen Machtbeziehungen? | |
Ich glaube, dass es keinen Ort ohne Machtbeziehungen gibt. Sie durchdringen | |
noch immer jede Ebene unserer Gesellschaft. Um Machtbeziehungen zu | |
untersuchen, hätte ich genauso gut ein Buch über die Hierarchien in einem | |
Café oder in einem Sportverein schreiben können. Sexualität fungiert | |
allerdings als eine Art Brennglas. Überall dort, wo unsere Affekte und | |
unser Begehren stärker ausgelebt werden können und wo es um Fragen der | |
Intimität und Lust geht, können wir den gesellschaftlichen Machtmechanismen | |
besonders gut auf die Schliche kommen. Das Schlafzimmer ist in jedem Fall | |
ein privilegierter Ort für die Auseinandersetzung mit Macht. | |
Ist unser sexuelles Begehren gesellschaftlich [2][genauso konstruiert wie | |
patriarchale Einteilung] in zwei Geschlechterrollen? | |
Absolut. Ich bin nicht dazu in der Lage, mir ein Begehren fern von einer | |
gesellschaftlichen Prägung vorzustellen. Ich glaube auch nicht, dass es so | |
etwas wie ein essenzielles Begehren und eine festgeschriebene Sexualität | |
gibt. Ich beziehe mich dabei auf Freud, der deutlich gemacht hat, dass man | |
sich seine sexuelle, wie jede festgelegte Identität, fortlaufend erarbeiten | |
muss. Würde ich von mir behaupten wollen, dass ich zu einhundert Prozent | |
lesbisch bin, müsste ich ganz viele Ambivalenzen, die auch zu meiner | |
Sexualität gehören, wegschieben. | |
Welche sexuellen Prägungen machen zumeist Frauen zu „Bottoms“? | |
In einer zweigeschlechtlich geprägten Welt richten junge Menschen, die zu | |
Frauen gemacht werden, ihre eigene Sexualität und [3][ihr gesamtes | |
Auftreten so aus, dass sie von Männern begehrt werden]. Noch immer werden | |
Frauen als verfügbar angesehen und dann besonders begehrt, wenn sie | |
lieblich und kümmernd sind. In einer heterosexuellen Prägung erwächst das | |
Begehren aus dem Umstand des Begehrt-Werdens. Diese Prägung muss man, wenn | |
man das möchte, aktiv verändern. | |
Welche Rolle spielt Gewalt bei der sexuellen Prägung dieser jungen | |
Menschen? | |
Bei mir war es zum Beispiel so, dass meine ersten sexuellen Begegnungen, | |
die ich in einem kindlichen Zusammenhang hatte, über sogenannte | |
Doktorspiele liefen. In denen spiegeln Kinder das, was um sie herum | |
passiert. Wenn die Art, wie das Umfeld von Kindern über Sex spricht, | |
suggeriert, dass Frauen verfügbar und unterlegen sind, wird diese | |
Rollenverteilung bereits in kindlichen Spielereien reproduziert. | |
Im Buch schreiben Sie über ein Spannungsverhältnis zwischen politischer | |
Einstellung und gelebter Sexualität. Worin besteht dieses | |
Spannungsverhältnis? | |
Sexualität ist rational nicht so greifbar wie die eigenen politischen | |
Überzeugungen und lässt sich auch argumentativ nicht leicht verändern. Wir | |
haben keinen direkten Zugriff auf unser Begehren. Ich kann emotional noch | |
so selbstreflektiert sein und werde von meinem Begehren trotzdem immer | |
wieder überrascht werden. Was ja aber auch gut ist. Ich hoffe, dass ich | |
weiterhin von mir selbst überrascht werde. Ich finde es schön, mich selbst | |
nicht ganz verstehen und greifen zu können. | |
Sie möchten dieses Spannungsverhältnis also gar nicht auflösen? | |
Nein, ich habe in diesem Sinne keine Wunschsexualität. Vor ein paar Jahren | |
war das noch etwas anders, weshalb ich viel mit mir selbst gehadert habe. | |
Viele dieser Selbstzweifel finden sich auch noch im ersten Essay meines | |
Buches wieder. Damals war ich noch viel strenger mit mir selbst und habe | |
mich für meine Sexualität noch mehr geschämt. Inzwischen freue ich mich, | |
dass ich offen sein kann, für alles was passiert. Sex sollte eine | |
Entdeckungsreise sein dürfen. | |
Wie kann es uns gelingen, die Aufteilung in „Bottom“ und „Top“ aufzulö… | |
oder anders gefragt, wie lässt sich das sexuelle Skript umschreiben? | |
Über dieses Programm müsste ich wahrscheinlich noch ein Buch schreiben. | |
Mein Buch ist kein politisches Manifest. Darum habe ich kaum allgemeine | |
Antworten. Auf einer gesellschaftlichen Ebene glaube ich aber, dass gerade | |
die „Bottoms“, also alle marginalisierten und vom Machtzentrum | |
ausgeschlossenen Gruppen, das Potenzial zu einer revolutionären Veränderung | |
haben. Ich benutze in diesem Zuge eben die queer-lesbische Linse, um | |
Zusammenhänge zu konkretisieren. Wenn sich die „Bottoms“ verbinden, können | |
sie ihre Macht realisieren. | |
4 Mar 2023 | |
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## AUTOREN | |
Annika Fränken | |
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