| # taz.de -- Partei in der Krise: Sieben Thesen zur Linken | |
| > Am Wochenende trifft sich die Linke zum Parteitag. Wird jetzt alles | |
| > anders? Oder war es das, und zwar dieses Mal wirklich? | |
| Bild: Der Gründungsparteitag der Linken in Berlin, 2007 | |
| Es war einmal eine Partei, der ging es ziemlich gut. In Vierteln, in denen | |
| man sie zuvor kaum gewählt hatte, wurde sie stärker und stärker. Junge | |
| Menschen strömten in die Partei, machten sie lebendiger und attraktiver. | |
| Das Image als Ostpartei hatte sie abgestreift, eine Partei links von der | |
| SPD hatte sich etabliert. Und die Konkurrenz wurde grün vor Neid. | |
| Gut, so märchenhaft war die Realität der Linken nie. Aber dennoch kann man | |
| heute, in ihrer dunkelsten Stunde, daran erinnern, dass sie bei der | |
| Bundestagswahl 2017 vor den Grünen landete und sie in Unistädten und | |
| urbanen Zentren ein- und zum Teil überholte. Zu Beginn also ein kleiner | |
| Trost: 18 Prozent können sich laut einer Studie noch immer vorstellen, die | |
| Linke zu wählen. Sonntagsfragen ändern sich schnell. Wer heute aus dem | |
| Bundestag fliegt, kann morgen schon in der Regierung sitzen (Hallo, FDP!). | |
| Nun wählt die Linke eine neue Parteiführung. Wird dann alles besser? | |
| ## Die Zeiten für die Linke waren selten besser | |
| Die Inflation kündigt eine ernste Wirtschaftskrise an, die erste seit 15 | |
| Jahren. Die Hälfte der Bevölkerung ist ohne Vermögen und hat Sorgen, die | |
| Kosten für Heizung und Nahrung nicht bezahlen zu können, auch in der | |
| Mittelschicht gibt es Ängste. Jetzt zeigt sich, was im Wahlkampf nur eine | |
| Behauptung der Linken war: Der Umbau der Gesellschaft zu Nachhaltigkeit und | |
| Klimaschutz ist nur mit Umverteilung von oben nach unten möglich. | |
| Und die Ampel? Verteilt [1][Steuergeschenke] an Mineralölkonzerne, vergisst | |
| Arbeitslose und Studierende weitgehend bei der Entlastung, beschließt die | |
| größte Aufrüstung in der Geschichte der Bundesrepublik. Und der SPD-Chef | |
| freut sich, dass nach 80 Jahren „Zurückhaltung“ Deutschland nun wieder eine | |
| Führungsrolle einnehme. | |
| Gute Voraussetzungen für eine linke Partei. Warum profitiert die Linke | |
| davon nicht? | |
| ## Sich aus dem Elend erlösen kann sie nur selbst | |
| Schon einmal stand die Linke, damals PDS, vor dem Aus. 2002 flog sie aus | |
| dem Bundestag, nur zwei direkt gewählte Abgeordnete hielten die rote Fahne | |
| hoch. Ihre Wiederbelebung verdankte sie äußeren Entwicklungen: Rot-Grün | |
| setzte die Agenda 2010 um, 200.000 Menschen protestierten gegen die | |
| Reformen. Dass so viele Deutsche auf die Straße gehen, ist selten, noch | |
| seltener ist es, wenn es um Sozialpolitik geht. Mit dem Schwung der | |
| Proteste vereinigten sich PDS und WASG zur Linken. | |
| Heute ist die Konstellation anders. Rettung durch eine Bewegung auf der | |
| Straße oder eine Wahlliste, die der Linken neues Leben einhaucht, ist | |
| unwahrscheinlich. Wiedervereinigen kann sich die Linke nur einmal. Zwanzig | |
| Jahre später haben sich Grüne und SPD von der Agenda-Politik losgesagt und | |
| sind in ihren Wahlprogrammen nach links gerückt. Auch wenn sie in der | |
| Ampelkoalition wenig davon zeigen: Noch glauben ihnen die Wähler:innen, | |
| dass sie ja anders wollten, wenn die FDP sie nur ließe. | |
| Auf Rettung von außen kann die Partei nicht bauen. Sie muss es schon selbst | |
| richten. | |
| ## Es ist unklar, für was die Partei steht | |
| Das Klischee besagt: zwei Linke, drei Meinungen. Eine Partei mit einem | |
| Selbstverständnis als Aktivenpartei, die an den Fortschritt glaubt, wird | |
| immer mehr Konflikte haben als die Union, der es reicht, eine Machtmaschine | |
| zu sein. Und doch krankte die Linke in den vergangenen Jahren nicht an zu | |
| viel, sondern an zu wenig Konflikt. Und quälender Unklarheit. Bei den | |
| Wähler:innen kam das so an: Man machte mit Sahra Wagenknecht Wahlkampf | |
| und schämte sich gleichzeitig für ihre Äußerungen. Man war für Feminismus | |
| und Klimaschutz, aber nicht als sogenannter Lifestyle. War die Linkspartei | |
| jetzt für offene Grenzen für alle oder für eine restriktive | |
| Migrationspolitik wie die dänische Sozialdemokratie? Forderte sie so | |
| radikal wie Fridays for Future mehr Klimaschutz oder war sie auf der Seite | |
| von Bergarbeitern in der Lausitz und Autofahrer:innen? Irgendwie beides, je | |
| nachdem, wen man fragte. Das war keine geschickte taktische Flexibilität, | |
| sondern diffuse Unentschiedenheit in Schlüsselfragen. | |
| Die Strategie der vergangenen Jahre, eine Partei zu sein, die alles | |
| gleichzeitig ist, ist gescheitert. | |
| ## Brüche können unvermeidlich sein | |
| Seit dem 24. Februar hat sich dieses Problem extrem verschärft. Der | |
| russische Angriffskrieg trifft die Linke wegen ihrer Illusionen über Putins | |
| Russland härter als die anderen deutschen Parteien. Eine | |
| Regierungsbeteiligung der Linkspartei ist fern wie der Mond. Vor allem aber | |
| verliert sie damit Sympathien in einer Gruppe, die sie braucht, um zu | |
| überleben: linksliberale Wechselwähler:innen in urbanen Milieus. Diese | |
| wählen die Linke weniger als materielle Interessenvertretung, sondern aus | |
| Überzeugung und als konsequente Vertreterin von sozialer Gerechtigkeit. | |
| Diese Wähler:innen werden ihr Kreuz nicht bei einer Partei machen, die | |
| zum Teil – siehe Sahra Wagenknecht, siehe Sevim Dağdelen – [2][putinnah] | |
| wirkt. | |
| Muss die Linke sich spalten, um den Bruch mit diesem Lager zu vollziehen? | |
| Vielleicht hilft es, sich mit der Geschichte einer anderen Partei zu | |
| beschäftigen. Auch die Grünen haben zwei interne Brüche hinter sich, | |
| mussten zwei sehr verschiedene Gruppen aus der Partei drängen, um heute | |
| erfolgreich zu sein. Der konservative Ökologe Herbert Gruhl spielte eine | |
| wichtige Rolle im Gründungsprozess – aber mit seinen reaktionären | |
| gesellschaftspolitischen Vorstellungen etwa beim Schwangerschaftsabbruch | |
| wären die Grünen chancenlos geblieben. Gruhl wollte die Grünen auf die | |
| ökologische Frage reduzieren, so wie Wagenknecht die Linke auf die soziale. | |
| Später kam es bei den Grünen zu einem zweiten Bruch, mit dem Lager um Jutta | |
| Ditfurth und dem Fundiflügel. Auch dieser Bruch war wichtig, weil man | |
| Vorstellungen von Politik hatte, die nicht vereinbar waren. | |
| ## Die Linke braucht einen neuen Ton | |
| Die Gründungserzählung der Linken ist ausgebleicht. Ihr Narrativ, Stimme | |
| des Ostens und Korrekturzeichen zur SPD zu sein, ist brüchig geworden. Das | |
| kommt nicht wieder. Aber was tritt an dessen Stelle? | |
| Der gerechte Umbau der Wirtschaft und des Lebens in der Klimakrise, das | |
| könnte ein Ansatz für die Linke sein. Aber für ein neues Narrativ braucht | |
| sie einen anderen kommunikativen Stil: Die gesellschaftliche Linke hat | |
| immer ein intimes Verhältnis zur absoluten Wahrheit gehabt, anders als | |
| Liberale oder Konservative. Recht zu haben gehört zum Selbstverständnis. | |
| Allerdings gedeiht in der Mixtur von Wahrheitsanspruch und realer | |
| Einflusslosigkeit ein stickiges Klima, in dem andere zu Verräter:innen | |
| und Gegner:innen gestempelt werden. Sich im Besitz von Wahrheiten zu | |
| wähnen, kann hart machen. Der Ton des Unerbittlichen beschwert | |
| innerparteiliche Kompromisse und wirkt nach außen abschreckend. | |
| Wähler:innen misstrauen Parteien, die sich selbst hassen. | |
| Vielleicht hilft es, an ein paar gescheite Sätze zu erinnern: „Gemeinsam | |
| wollen wir eine Partei, wie es sie in Deutschland noch nicht gab – Linke | |
| einigend, demokratisch und sozial, ökologisch, feministisch und | |
| antipatriarchal, offen und plural, streitbar und tolerant, antirassistisch | |
| und antifaschistisch, eine konsequente Friedenspolitik verfolgend.“ Das | |
| stand 2007 im Gründungsdokument der Linken. Bis heute ist dieser Anspruch | |
| uneingelöst. | |
| ## Ohne Linke geht es auch nicht | |
| Wie viele Rechtsextremist:innen mit Waffenschein gab es 2020 in | |
| Deutschland? 1.200, 35 Prozent mehr als im Vorjahr. Wie oft wurden | |
| Steuererklärungen von Großverdiener:innen überprüft? Halb so oft wie | |
| im Vorjahr. Die Antwort auf diese zufällig ausgewählten Fragen haben wir | |
| der Linken zu verdanken. Sie hat als Oppositionspartei Kleine Anfragen | |
| gestellt, die Regierung musste antworten. | |
| Eine Regierung ohne Opposition ist Mist. Und die Vorstellung, dass die | |
| Ampel im Parlament nur noch von rechts kritisiert werden könnte, ist | |
| gruselig. Wozu das führt, hat sich 2002 gezeigt, als die PDS den | |
| Wiedereinzug nicht schaffte. Rot-Grün hatte freie Fahrt bei der Agenda | |
| 2010. Und ohne Linke könnte es der AfD gelingen, sich als Stimme sozialer | |
| Proteste zu inszenieren, wie sie es bei den Coronaprotesten versucht hat. | |
| ## Tabula rasa ist eine Illusion | |
| In der Linkspartei herrschen Rechthaberei, dogmatische Erstarrung und die | |
| Unfähigkeit, überfällige Entscheidungen zu treffen. Wäre es nicht besser, | |
| den Laden dichtzumachen? Wer die Hoffnung hat, eine Selbstauflösung könne | |
| den Weg für eine neue, frische, linke Partei frei machen, täuscht sich. In | |
| Italien war zu sehen, wie irrig die Annahme sein kann, nach dem | |
| Zusammenbruch einer etablierten linken Partei etwas Neues auf die Beine zu | |
| stellen. In Deutschland gab es einige zu Recht vergessene, gescheiterte | |
| Versuche, links von SPD und Grünen Parteien zu gründen. Eine „Liste | |
| Wagenknecht“ mit einer starken Führerin würde ebenso scheitern. Ihr | |
| Versuch, mit „Aufstehen“ eine sozialpopulistische Bewegung von oben zu | |
| gründen, endete kläglich. | |
| Entweder schafft es diese Linkspartei, sich grundlegend zu erneuern – oder | |
| es wird auf absehbare Zeit keine linke Stimme im parlamentarischen Raum | |
| mehr geben. | |
| 25 Jun 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Kersten Augustin | |
| Pascal Beucker | |
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