| # taz.de -- Neues Album von Rapperin Little Simz: Leerstellen und Harfenklänge | |
| > „Sometimes I Might Be Introvert“ heißt das Album der britischen Rapperin | |
| > Little Simz, die Jugendlichen aus Londons Problembezirken eine Stimme | |
| > gibt. | |
| Bild: Immer wieder erleuchtet: Little Simz aus London | |
| „My ego won’t fully allow me to say that I miss you / A woman who hasn’t | |
| confronted all her daddy issues / Never thought my parent would give me my | |
| first heartbreak“ – wenn Little Simz diese, an ihren Vater gerichteten | |
| Zeilen rappt, stoppt der Flow von „I Love You I Hate You“ und plötzlich | |
| mischt sich Zorn in ihre Stimme. Der legt sich wieder, als sie im Chorus zu | |
| dem Männerstimmen-Sample „I love you, I hate you“ immer wieder die Worte | |
| „Sometimes“ und „Always“ singt. | |
| Die britische Rapperin mit nigerianischen Wurzeln, die [1][bei einer | |
| alleinerziehenden Mutter] aufgewachsen ist, braucht keinen Nachdruck, sie | |
| drückt ihren Frust über den abwesenden Vater trocken aus. Die Brisanz, die | |
| der Song aus diesem turbulenten Familienalltag vermittelt, wird nicht | |
| voyeuristisch ausgeschlachtet. | |
| Der Song liefert zwar Einblicke in Little Simz’ Privatsphäre, er | |
| transportiert durchaus bittere Gefühle, die einen abwesenden Vater | |
| beklagen, aber die Künstlerin stellt mit diesem Song klar, dass sie | |
| unbedingt gewillt ist, diese Leerstelle mit Sinn auszufüllen. Musikalisch | |
| drückt sie das mit zarten Harfenklängen aus, die sich von der Anspannung | |
| von düster aufwirbelnden Basssounds allmählich lösen. | |
| ## Kometenhafte Karriere | |
| Es ist sicher kein Zufall, dass sich aus dem Titel von Little Simz neuem | |
| Album „Sometimes I Might Be Introvert“ das Akronym Simbi bilden lässt. So | |
| wird Simbiatu Ajikawo, wie sie bürgerlich heißt, auch genannt. Die | |
| 27-jährige Londonerin hat eine rasante Karriere hingelegt: 2010 kam ihr | |
| erstes Mixtape raus, seither vergeht [2][kaum ein Jahr] ohne neue | |
| Veröffentlichung. 2015 veröffentlichte Little Simz mit „A Curious Tale of | |
| Trials + Persons“ ihr Debütalbum. Ihr Erfolg hat auch damit zu tun, dass | |
| sie Themen wie Sexismus, [3][Rassismus und Jugendgewal]t in Londoner | |
| Problembezirken mithilfe von eigenen Erfahrungen glaubwürdig schildert. | |
| „I Love You I Hate You“ ist aus diesem Grund der wichtigste Song des neuen | |
| Albums. Musikalisch hat sich die Künstlerin nicht nur mit ihm | |
| weiterentwickelt. Ihr Langzeit-Produzent Inflo bläst dieses Herzstück mit | |
| einem Orchesterarrangement zu einem sinfonischen Popsong auf, der auch | |
| einen James-Bond-Soundtrack schmücken würde. | |
| Das Nebeneinander von eigenwilliger Erzählweise und filmischer Intensität | |
| steckte schon in ihrer Frauenpower-Hymne „Venom“ (2019), nun setzt sie noch | |
| einen drauf. Widmete sie ihre zuletzt erschienene EP „Drop 6“ dem Thema | |
| Vereinsamung in der Pandemie mit Verve, kreiert sie mit ihrem im zweiten | |
| Lockdown in London und Berlin entstandenen neuen, vierten Album Zeitloses | |
| und landet musikalisch jenseits der Genregrenzen von HipHop. Als Vorbilder | |
| dienen Little Simz Jazzsängerinnen wie Nina Simone und Etta James. Die 19 | |
| Songs von „Sometimes I Might Be Introvert“ klingen mal wie Jazz, dann | |
| wieder wie Grime, auch Neo-Soul- und Funk-Anleihen tauchen auf. | |
| ## Stilistische Vielfalt | |
| Little Simz’ stilistische Vielfalt hat ihre Wurzeln in der Kindheit. Mit | |
| neun begann die Sängerin und Schauspielerin zu rappen. Sie ist zusammen mit | |
| zwei älteren Schwestern und Pflegekindern aufgewachsen. So kam sie von | |
| Kindesbeinen mit Musik aus aller Welt in Berührung. Mit nur 20 Jahren | |
| gründete sie ihr eigenes Label. Und als sie 19 war, veröffentlichte | |
| US-HipHop-Star Jay-Z ein Mixtape von ihr, Überflieger Kendrick Lamar pries | |
| damals ihr Können. | |
| Allen Lobeshymnen zum Trotz muss Little Simz weiter um Anerkennung in der | |
| HipHop-Szene kämpfen. Ihr Wille, sich mit Rasanz und gepfefferten | |
| Freestyleeinlagen zu messen, bleibt ungebrochen. Wortwitz und Flow blitzen | |
| vor allem bei „Point and Kill“ auf, einem Track, der zusammen mit ihrem | |
| Londoner Kollegen Obongjayar entstanden ist. Wie Little Simz in | |
| Singsang-Reimketten über den galoppierenden Afrobeat fegt, klingt | |
| unnachahmlich! „Rolling Stone“ gänzt wiederum mit einem trickreichen | |
| Beat-Wechsel. Melodische Synthie-Bässe wandeln sich überraschend zu einem | |
| Sample ihres Tracks „101 FM“ (2019), der mit schleifenden 808-Drums und | |
| knackigen Drums unterlegt ist. | |
| ## Externe Erzählstimme | |
| Wer ihre Sprachgewalt am Mikrofon infrage stellt, dem antwortet sie | |
| kampfeslustig auf „Speed“ mit symbolischen Bremsgeräuschen als Taktgeber: | |
| „I make Winners out of any loss.“ Es ist der Einsatz verschiedener Stimmen | |
| und die Art, wie Little Simz dadurch Geschichten zum Leben erweckt, was sie | |
| deutlich von der Konkurrenz unterscheidet. So spricht die britische | |
| Schauspielerin Emma Corrin, die für die Rolle der Diana in der Serie „The | |
| Crown“ bekannt ist, ab dem Auftaktsong „Introvert“ eine Erzählerstimme, … | |
| die Zusammenhänge zwischen den Songs auf dem Album veranschaulicht. | |
| Denn Little Simz’ Musik deutet das oft nur an. Dazu sind bei den Sätzen: | |
| Alone but not lonely / Your truth unveils with time / As you embark on a | |
| journey of what it takes to be a woman“, Assoziationen mit Diana | |
| unvermeidbar, die in das Storytelling von Little Simz übergehen. Und ihre | |
| Erzählungen speisen sich aus starker Weiblichkeit. Ob nun ihre Ode an | |
| Frauen, die wegen ihrer Hautfarbe marginalisiert werden („Woman“) oder ihr | |
| Protest gegen die Annahme, sich äußern zu müssen, wenn es öffentliche | |
| Diskurse um Schwarze Menschen gibt („Introvert“). Little Simz wird bleiben, | |
| das zeigt diese starke Rückmeldung. | |
| 2 Sep 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Yuki Schubert | |
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