| # taz.de -- Album „Lotus“ von Rapperin Little Simz: Die Ambivalenz der Wut | |
| > Little Simz aus London macht aus einer erlittenen Schmach große Kunst. | |
| > Ihr Album „Lotus“ enthält Rapsongs, vor denen der Teufel in Deckung gehen | |
| > muss. | |
| Bild: Ihr schuldet noch jemand Kohle: Little Simz | |
| Wenn es plötzlich um Millionenbeträge geht, wird’s eklig. Was tun, da der | |
| langjährige Produzent die Künstlerin um eine siebenstellige Geldsumme | |
| betrogen haben soll? Wenn die Meilensteine des eigenen künstlerischen | |
| Schaffens verknüpft sind mit Abgründen persönlicher Enttäuschungen? | |
| Dann kommt unweigerlich die Grundsatzfrage auf: Wer bin ich als Künstlerin? | |
| Und wie soll ich bitteschön umgehen mit all meiner angestauten Wut? | |
| Existenzielles, das nicht mehr nur für Londons beste rappende Erzählerin | |
| Simbiatu Ajikawo alias Little Simz eine Rolle spielt, sondern nun auch für | |
| alle, die ihr neues Album „Lotus“ hören. | |
| Die Kurzfassung: Ihr langjähriger Produzent und Begleiter Inflo soll Little | |
| Simz sehr viel Geld schulden, die Rede ist von umgerechnet zwei Millionen | |
| Euro. Einst war Inflo der größte Förderer von Little Simz, er produzierte | |
| ihre Songs, fungierte als musikalischer Berater und enger Vertrauter. | |
| ## Trauriges Ende einer Kindheitsfreundschaft | |
| Beide lernten sich in einem Jugendzentrum kennen, als Little Simz noch im | |
| Kindesalter war. Inflo hatte auch ihr Album „Sometimes I Might Be | |
| Introverted“ (2021) produziert, ausgezeichnet mit dem Mercury Price, | |
| durchzogen von samtweichen Sounds und schönem Popanz, der so gut harmoniert | |
| mit Little Simz’ sehr bestimmten Duktus. Der Anfang einer | |
| Erfolgsgeschichte. | |
| Aber all das ist nun aus und vorbei. Zerbrochen ist die künstlerische | |
| Symbiose am Geld, nun streiten sich die beiden Parteien sogar vor Gericht. | |
| Kommuniziert wird nur noch über Anwälte. Was bleibt, sind die Wut und die | |
| Suche nach der eigenen musikalischen Identität. Von „Survival Mode“ rappt | |
| Little Simz gleich im Auftaktsong ihres Albums, „Thief“. Und sie spricht | |
| davon, dass Täter einen glauben lassen, man sei verrückt. Sie skizziert den | |
| Teufel, der das Leben verkauft, der die Träume verrät, der einen emotional | |
| und finanziell aussaugt, bis nichts mehr übrig bleibt. | |
| Im Hintergrund läuft dazu ein minimierter, seelenruhig dahinpluckernder | |
| Basslauf, der all diesen ausgekotzten Ballast aufzufangen versucht. Wer mit | |
| Teufel gemeint ist, das wird zwar nicht explizit erwähnt, aber | |
| Hörer:Innen können es sich sofort denken. Das schief gesungene „Lalala“, | |
| das im Song wiederholt wird, klingt schließlich wie eine Annäherung an | |
| einen Zustand des Wahnsinns. Da passiert gleich was, scheint dieses | |
| „Lalala“ zu sagen. Geh mal lieber in Deckung jetzt! | |
| ## Lyrisches Hadern | |
| „Lotus“, das steht bereits nach den ersten Takten von „Thief“ fest, ist… | |
| interessanteste Album, das die 31-jährige Londonerin bisher veröffentlicht | |
| hat. Denn die Musik basiert auf dem unfreiwilligen Ausstieg aus der | |
| künstlerischen Komfortzone. Auch wenn Little Simz in ihren Reimen immer | |
| schon lyrisch gehadert hat, mit sich selbst, mit ihrer Vergangenheit, mit | |
| der britischen Gesellschaft und mit der Musikindustrie. Doch noch nie | |
| klangen ihre Reime so existenzialistisch wie jetzt. | |
| Blickt man etwas zurück in ihrem Schaffen, auf das Jahr 2015, auf ihr | |
| Debütalbum [1][„A Curious Tale of Trials + Persons“] und dem Finale, | |
| „Fallen“, dann klingt es bereits wie eine Prophezeiung: „All good things | |
| gotta come to an end sometimes“, rappte Little Simz damals. Sie sagte mir | |
| in einem Gespräch zum Album: „Alle Künstler:Innen gelangen irgendwann zu | |
| dem Punkt, an dem es nicht mehr so läuft wie geplant. Dann weiß man nicht | |
| weiter. Ein Abstieg.“ | |
| Nach kurzem Überlegen fügte sie hinzu: „Ich würde trotzdem weitermachen.“ | |
| Heute erfährt man nun, wie kompliziert dieses Weitermachen ist und [2][wie | |
| meisterhaft es bei ihr klingt.] Little Simz offenbart in ihrer Handschrift | |
| auch einen äußerst komplexen Umgang mit Wut und Trauer. | |
| ## Zorn als Leitmotiv | |
| Denn wenn die Wut einen erst einmal vereinnahmt hat, gibt es kein Zurück | |
| mehr. Die Frage ist, durch welche Tür man tritt. Lässt man sich zerfressen | |
| von der Wut – wird sie zur Persönlichkeit, die einen in die Depression | |
| zieht, zur Zynikerin macht oder zu Hass treibt, der in einem „Kill | |
| Bill“-artigen Rache-Massaker mündet? Jene Ambivalenz der Wut macht Zorn als | |
| Leitmotiv in der Kunst und vor allem im Pop so interessant. | |
| Little Simz hat auf „Lotus“ den schwersten Weg eines Umgangs mit | |
| ohnmächtigen Gefühlen gewählt: Selbstreflexion mit all ihren Hürden, | |
| Zwischentönen und Sackgassen. Allein schon diese Methode hebt die integre | |
| Künstlerin ab vom Mainstream des britischen Rap, [3][der in den letzten | |
| Jahren international sehr erfolgreich wa]r. | |
| Zwischen düsteren Gewaltfantasien und ausbuchstabierten Betrugsmaschen im | |
| UK Drill und post-ironischen, von Meme-Kultur durchsetzten Konsumwahn von | |
| Rappern wie YT und Fakemink blieb wenig Platz für eine ausufernde | |
| Innenschau. Stimulation statt Introspektion bildet das große Verdrängen in | |
| einer immer komplexer werdenden ultrakapitalistischen Welt ab. | |
| ## Allgemein verständlich | |
| Widerspruch ist vielleicht noch in der Inszenierung von Kae Tempest zu | |
| finden. Deren Musik steht Nischenlyrik aber näher als mehrheitsfähigen | |
| Rapsongs. Little Simz dagegen kann komplexe Inhalte in Reimform so | |
| vermitteln, dass man sie unabhängig vom Milieu versteht. Die 13 Stücke auf | |
| „Lotus“, alle betitelt mit starken Begriffen wie „Blood“, „Free“ od… | |
| „Lonely“, funktionieren als Abbild von sich zerfasernden inneren | |
| Konfliktfeldern nach dem großen Knall. | |
| Die früher charakteristischen samtweichen Bombast-Produktionen von Inflo | |
| sind auf dem neuen Album viel poröseren Soundgebilden gewichen. Im Track | |
| „Flood“ etwa blitzen irre synthetische Klänge urplötzlich zwischen dem | |
| reduzierten Gerüst aus Bass und Kickdrum auf und verschwinden sogleich | |
| wieder. Little Simz’ Vortragsweise verrät währenddessen einerseits, dass | |
| sie Selbstdisziplin wahrt. | |
| Doch was sie andererseits sagt, spiegelt die Wut und offenbart das innere | |
| Brodeln: „Takes a million to send you to prison“, rappt sie. Die | |
| Gastmusiker:Innen Obongjayar und [4][Moonchild Sanelly] brechen mit | |
| der nach Außen getragenen Ruhe von Little Simz. Sie nehmen innerhalb des | |
| Songs die Rolle von Extensions ein, die durch den Ausdruck in der Stimme | |
| das emotionale Spektrum erweitern. | |
| ## Zwischen Furcht und Freiheit | |
| Auf diese Art funktionieren viele Songs auf „Lotus“. Während Little Simz | |
| sich aus der Musik raus- und wieder reinzoomt, ihre Verletzungen und das | |
| künstlerische Ich zu durchdringen versucht, sich auf „Free“ mit den | |
| Wechselwirkungen von Liebe, Furcht und Freiheit auseinandersetzt, bleibt | |
| sie stimmlich stets bedacht. | |
| Sie versteckt ihre Stimme nicht hinter Effekten, bewahrt ihre Rohheit, | |
| lässt ihre Songs teils wie eine Spoken-Word-Performance klingen. Das macht | |
| Little Simz als Künstlerin äußerst nahbar. Diese Stringenz wird, und das | |
| ist ein essenzieller Punkt, immer wieder aufgebrochen durch das Schwirren | |
| und Klirren der Sounds und durch den entrückten Gesang anderer | |
| Musiker:innen. | |
| Was also bleibt hängen nach diesen 13 Kapiteln über den Widerstand und | |
| seine Genese auf „Lotus“? Sie zeigen: Little Simz braucht keinen Inflo. | |
| Ihre musikalische Autonomie funktioniert hervorragend. Little Simz dabei zu | |
| folgen, wie sie sich durch ein Dickicht aus Afrobeats und Lounge-Piano, | |
| Synth-Signalen und Funk-Grooves, [5][Dean-Blunt-artigen LoFi-Gitarrenloops] | |
| und Falsett-Chören schlägt, ohne außer Atem zu geraten, erinnert an | |
| Leistungssport. | |
| Das Beste aber ist, dass die Musik von „Lotus“ eben nicht zum bloßen | |
| Hass-Pamphlet wird. Das wäre in unserer ohnehin polarisierten Welt, in der | |
| Interessen mit immer größerer Skrupellosigkeit durchgesetzt werden, eine | |
| vorhersehbare Spiegelung gewesen. Little Simz dagegen scheint ernsthaft an | |
| Reflexion interessiert und befindet sich längst auf dem Wege der Besserung. | |
| Das hört man im humorvollen Track „Young“ und dem verspielten „Lion“. … | |
| auf diesem Wege zur Transzendenz zu begleiten, ist eine echte Bereicherung. | |
| 7 Jun 2025 | |
| ## LINKS | |
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| [2] /Neues-Album-von-Britrapperin-Little-Simz/!5902770 | |
| [3] /Central-Cee-Erfolg-im-Mainstream-hat-seinen-Preis/!6086679 | |
| [4] /Album-Full-Moon-von-Moonchild-Sanelly/!6062436 | |
| [5] /Black-Metal--Album-von-Dean-Blunt/!5029943 | |
| ## AUTOREN | |
| Johann Voigt | |
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