# taz.de -- Nato-Gipfel in Vilnius: Ringen um gemeinsame Haltung | |
> Vor dem Treffen stellen sich noch einige knifflige Fragen. Ob der | |
> ukrainische Präsident Selenski überhaupt nach Vilnius kommt, ist auch | |
> noch unklar. | |
Bild: Soldaten, Freunde und Helfer? Werbung für den Nato-Gipfel in Vilnius | |
BERLIN taz | Es wird ein Klassentreffen in schwierigen Zeiten. Wenn die 31 | |
Nato-Mitgliedstaaten sich [1][ab Dienstag] im litauischen Vilnius treffen, | |
müssen sie beweisen, wie stark das Militärbündnis zusammenhält. Die Liste | |
der Themen ist lang – und eines kniffliger als das andere. Der Gipfel steht | |
erneut im Zeichen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Ein | |
Waffenstillstand oder gar Frieden ist nicht in Sicht, stattdessen ein | |
zermürbendes, langwieriges Kriegsgeschehen, das die Nato fordert: | |
militärisch, finanziell, politisch. | |
Einer der wichtigsten Punkte werden Zusagen aller Alliierten sein, ihre | |
Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent der jeweiligen Wirtschaftsleistung | |
zu bekräftigen und umzusetzen. Auch Deutschland wird dieses Ziel verfolgen. | |
In der im Mai vorgestellten Nationalen Sicherheitsstrategie wurde dies klar | |
benannt. | |
Bereits ab 2024 sollen die Ausgaben – insbesondere für militärische | |
Hardware, wie Kriegsgerät euphemistisch in Regierungskreisen genannt wird – | |
entsprechend angepasst werden. Es geht um Abschreckungs- und | |
Verteidigungsbereitschaft. Das Militärbündnis will sich besser wappnen für | |
den Ernstfall – mit Soldat:innen, mit Material sowie mit Maßnahmen beim | |
Schutz kritischer Infrastruktur unter Wasser. | |
Finnland wird als neues Mitglied mit am Tisch sitzen. Ob Schweden Teil des | |
Bündnisses wird, hängt derzeit vor allem noch vom guten Willen des | |
türkischen Präsidenten [2][Recep Tayyip Erdoğan] ab. Die Gespräche laufen, | |
man sei zuversichtlich, dass es im Laufe der kommenden Tage zu einer | |
Entscheidung kommt, heißt es seitens der Bundesregierung. Falls die | |
Differenzen zwischen Schweden und der Türkei beigelegt werden, würde das | |
für einen so dringend benötigten positiven Showeffekt sorgen. Ganz nach dem | |
Motto: Wenn es drauf ankommt, ist auf das Bündnis Verlass. | |
Für entsprechende Ratlosigkeit sorgte deshalb die Ankündigung Erdoğans am | |
Montag, sein Ja zum Beitritt Schwedens an Forderungen zu knüpfen. Während | |
man in Berlin noch von grobmotorischen Bedingungen sprach, die man sich | |
nicht vorstellen könnte, kolportierte Ankara, dass die vor Jahren | |
ausgesetzten Beitrittsgespräche der Türkei zur EU nun wiederbelebt werden | |
müssten. Erst dann werde man dem Beitritt Schwedens zustimmen. | |
„Intensivierung der Partnerschaft“ | |
Diese Aussage ist eine Überraschung. Hat doch der türkische Präsident als | |
Hauptgrund für die Blockadehaltung vor allem Schwedens fehlendes Vorgehen | |
gegen Terrororganisationen genannt. Eigentlich waren sich Türkei, Finnland | |
und Schweden bereits im vergangenen Jahr in Madrid auf dem Nato-Gipfel | |
einig geworden. Man versprach, die Bedenken zu beachten und auszuräumen. | |
Nun kommt also ein neues Argument auf dem Basar der Möglichkeiten ins | |
Spiel. | |
Erdoğans Verwirrungstaktik kommt zur Unzeit. Denn die Nato-Staaten ringen | |
derzeit um eine gemeinsame Haltung gegenüber der Ukraine. Perspektivisch | |
will das Land im Kriegszustand ebenfalls Mitglied der Nato werden. Während | |
Polen oder die baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland aufs Tempo | |
drücken, üben sich die USA und Deutschland in Zurückhaltung. Eine eindeutig | |
Einladung an die Ukraine soll bei diesem Gipfel in Vilnius daher auch nicht | |
ausgesprochen werden. Stattdessen „weitere Schritte zur Intensivierung der | |
Partnerschaft“. | |
Russland dürfe diesen Krieg nicht gewinnen, heißt es unisono. Und in | |
Regierungskreisen bekräftigt man gleichzeitig, dass der Fokus nun auf | |
konkreter Unterstützung liegen soll. Also mehr Waffen, mehr Munition, mehr | |
Wirtschaftshilfen und weitere diplomatische Anstrengungen. „So lange wie | |
nötig“, betont Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) immer wieder öffentlich. | |
Dieses Signal soll von Vilnius aus an Moskau gehen und dort ernst genommen | |
werden. | |
## Deutschland als zweitwichtigster Lieferant für Ukraine | |
Auch deshalb will Deutschland der Ukraine weitere Waffenlieferungen in | |
„substanziellem“ Umfang ankündigen. Die erhofften [3][Marschflugkörper | |
Taurus] sollen aber nicht dabei sein. Die Zurückhaltung der Bundesregierung | |
bezieht sich auch auf die Reichweite der Taurus von rund 500 Kilometern – | |
damit könnte auch russisches Territorium erreicht werden. Deutschland ist | |
derzeit der zweitwichtigste Lieferant für Kriegsgerät an die Ukraine. Nach | |
den USA. | |
Die eindeutige Zusage für einen Beitritt der Ukraine zur Nato wird also | |
nicht kommen und stattdessen vertagt werden. Aber im Kreis der G7 – und | |
damit losgelöst von der Nato – wird derzeit an einer Erklärung gearbeitet, | |
die Sicherheitszusagen für die Ukraine konkretisieren soll. Wie diese genau | |
aussehen werden, wird derzeit noch verhandelt. | |
Klar ist aber wohl, dass es sich nicht um Teilgebiete der Ukraine handeln | |
soll. Unterm Strich ist das Ziel, die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine | |
langfristig zu stärken. Und um nicht den Eindruck zu erwecken, einige | |
Staaten würden aus der Bündnislogik ausscheren, soll die Erklärung nur ein | |
Vorstoß sein, dem sich andere Staaten anschließen können. | |
Laut dem ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba ist auch ein sogenannter | |
Membership-Action-Plan vom Tisch. „Ich begrüße diese lang erwartete | |
Entscheidung, die unseren Weg in die Nato abkürzt“, [4][twitterte Kuleba]. | |
Darauf hätte man sich nach intensiven Gesprächen offenbar verständigt. | |
Einen solchen „Fast track“-Modus konnte Nato-Generalsekretär Stoltenberg | |
allerdings nicht bestätigen. | |
## Viermal im Jahr soll das Gremium tagen | |
Aber es soll ein Nato-Ukraine-Rat in Vilnius ins Leben gerufen werden und | |
zu einer ersten Sitzung zusammenkommen. Mindestens vier Mal im Jahr soll | |
das Gremium tagen – und so nicht nur die künftige Vollmitgliedschaft | |
vorantreiben, sondern auch den Zusammenhalt des Bündnisses gegenüber Moskau | |
demonstrieren. Die Ukraine sitzt mit am Tisch und wird die Agenda | |
maßgeblich prägen. | |
Der ukrainische Präsident Wolodomir Selenski ist zum ersten Treffen des | |
Nato-Ukraine-Rats eingeladen. Die Bundesregierung lässt keinen Zweifel | |
aufkommen, dass sie sein Erscheinen für gut befinden würde. Selenski ist in | |
den vergangenen Wochen viel gereist. Hat für Unterstützung und langfristige | |
Solidarität geworben, unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen Erdoğan in der | |
Türkei besucht und gleich ehemalige Asow-Kommandeure mitgenommen. | |
Und war in Moldau, um sich mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der | |
Leyen zu treffen. Nun, da klar ist, dass es keine Einladung für einen | |
Beitritt geben wird, lässt Selenski die Alliierten des Militärbündnisses im | |
Unklaren, ob er nach Vilnius reisen wird oder nicht. Es müsste sich für ihn | |
schon lohnen, betontet er immer wieder. | |
Allerdings: Für die Stabilität des Bündnisses wäre es wenig hilfreich, wenn | |
der ukrainische Präsident nicht auftaucht. Andererseits würde jede vage | |
Formulierung zur Unterstützung der Ukraine vermutlich genüsslich von | |
russischer Seite ausgeschlachtet werden. | |
10 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Roderich-Kiesewetter-ueber-Nato-Gipfel/!5943263 | |
[2] /Tuerkei-Besuch-von-Selenski/!5945967 | |
[3] https://www.bundeswehr.de/de/ausruestung-technik-bundeswehr/ausruestung-bew… | |
[4] https://twitter.com/DmytroKuleba/status/1678334279397388288 | |
## AUTOREN | |
Tanja Tricarico | |
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